Die neue Qualität

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Raniero

Textablader
Die neue Qualität

Als Bernhard Namun die Tageszeitung aufschlug, zeigte er sich mehr als überrascht.
Unter der Überschrift ‚Neue Qualität beim Sex, vergessen Sie Viagra!’ versprach ein anonymer Heilpraktiker in einer halbseitigen Annonce, die sexuelle Lust bei Männern, die hieran Mangel verspürten, mit dem von ihm entwickelten Präparat
in nie erlebtem Ausmaß zu verbessern.
Eigentlich war sich Bernhard relativ sicher, dass er nicht zu der Sorte Männer gehörte, die an einem solchen Mangel litten, und seine bessere Hälfte hatte bisher diesbezüglich auch keine nennenswerte Klage geführt, gleichwohl interessierte es ihn doch sehr, etwas Näheres über dieses sagenhafte Mittel in Erfahrung zu bringen, und so vertiefte er sich mit Feuereifer in die Lektüre.
Zur weiteren Verblüffung nahm er hierbei zur Kenntnis, dass nach Aussage des Heilpraktikers alle Patienten, die sich zuvor einer Potenzmessung unterzogen hatten und hierbei niederschmetternde Ergebnisse in Kauf nehmen mussten, nach Einnahme seines Präparates unisono von einer absolut neuen Qualität beim Sex berichteten.
Bernhard war sich nicht genau darüber im Klaren, wie im Detail eine solche Messung überhaupt vonstatten gegangen sein könnte, bei den Probanden, doch neigte er dazu, der Anzeige zu vertrauen, denn wenn so viele Männer übereinstimmend etwas derartiges empfunden hatten, würde schon etwas dran sein, an der Geschichte,
auch hätte der gute Heilpraktiker sonst ja nicht mit einer solch üppigen Anzeige für sein Mittelchen geworben.
Nachdem er die Annonce, in der abschließend nur eine Telefonnummer ohne Adresse angegeben war, komplett durchgelesen hatte, beschloss er, sich mit seiner Frau zu beraten, zu einem geeigneten Zeitpunkt, an geeigneter Stelle, und er schob diesen Vorsatz auf den Abend; vor dem Schlafengehen, im ehelichen Nachtlager, so nahm er sich vor, wollte er mit ihr darüber sprechen.

Als Bernhard sich zur nächtlichen Stunde anschickte, gemeinsam mit seiner Angetrauten das Schlafzimmer aufzusuchen, wollte er das Thema, das ihm den ganzen Tag unter den Nägeln brannte, zur Sprache bringen und bei dieser Gelegenheit einerseits unter Beweis stellen, dass er selbst zwar ein derartiges Mittel nicht benötige, auf der anderen Seite aber auch zum Ausdruck bringen, dass eine gewisse Steigerung der Lust, einhergehend mit der Erlangung einer neuen Qualität, nicht von der Hand zu weisen sei, und ob es daher nicht angebracht wäre, demnächst einmal das neue Mittel…. seine Frau winkte jedoch knapp und entschieden ab, mit der Begründung, sie sei von der Tageslast doch zu sehr geschlaucht.
Bernhard aber tat in dieser Nacht kaum ein Auge zu, obwohl oder gerade weil er nicht dazu gekommen war, seine ehelichen Pflichten vertragsgemäß zu erfüllen; immerzu musste er an die Verheißung aus der Anzeige des Heilpraktikers denken.
‚Ob der das Zeug wohl selbst nimmt, was er da fabriziert hat?’
Bei diesen Gedanken fiel er schließlich doch noch in einen kurzen traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, versuchte er erneut, das Gespräch auf den bewussten Gegenstand zu bringen, doch sein Weib lenkte wiederum sofort ab und wechselte das Thema; ihr waren im Moment der bevorstehende Friseurbesuch und das für den Nachmittag anberaumte Kaffeekränzchen mit ihren Freundinnen weitaus wichtiger.
Kaum aber hatte sie das Haus verlassen, wählte Bernhard die Telefonnummer des Heilpraktikers, um ein paar weiterreichende Informationen zu erhalten.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme und stellte sich als Doktor Sexus vor. Bernhard war ein wenig überrascht über dieses seiner Meinung nach allerdings treffend gewählte Pseudonym.
„Hallo, Herr Doktor Sexus; mein Name ist Namun“, begann Bernhard etwas nervös, ich beziehe mich auf Ihre gestrige Anzeige in meiner Tageszeitung, Sie wissen schon, ich hätte da noch ein paar Fragen“.
„Schießen Sie los, Herr Namun, Ich bin ganz Ohr für Sie“.
„Ja, Herr Doktor, wie fange ich am besten an? Sagen Sie mal, Sie sprechen da von neuer Qualität beim ähm…und dann noch von Lustgefühlen ungeahnten Ausmaßes, ich meine, mal ganz ehrlich, stimmt das alles wirklich oder ist das nur ein bloßer Werbegag von Ihnen?“
„Aber wo denken Sie hin, guter Freund“, nahm ihn der heilende Praktiker in seinen Freundeskreis auf, „ein bloßer Werbegag? Mitnichten! Alles, was in meiner Werbung steht, beruht auf zweifelsfreien Tatsachen und ist mit harten Fakten unterlegt, da stehe ich zu. Alle meine Kunden, ich betone, alle Kunden, die mein Präparat genommen haben, waren hinterher ausnahmslos voll des Lobes und sprachen von Tagen schierer Glückseligkeit, von unvorstellbaren Lustgewinnen. Einige von ihnen“, fuhr der sexuelle Heilsbringer, einmal in Fahrt geraten, fort, „teilten mir später mit entrückten Mienen mit, dass sie ganze Tage lang hintereinander im Bett verbrachten, mit ihren Partnerinnen“.
„Oh, hatten sie sich eine Krankheit zugezogen, dabei ?“ unterbrach Bernhard den Redefluss.
„Wie bitte?“ reagierte der Meister der neuen Qualität etwas irritiert. „ach so, nein, um Gottes Willen, sie haben sich nichts zugezogen, Sie Schelm, Sie sind ja ein ganz Schlimmer. Nein, im Ernst, diese Personen hatten den Himmel auf Erden, für einige Tage, und diesen Himmel habe ich ihnen möglich gemacht“.
Bernhard war überwältigt.
„Nicht zu fassen, Herr Doktor! Aber sagen Sie mal, so im Vertrauen, ganz ehrlich, haben Sie es denn auch schon genommen, Ihr Produkt?“
„Aber natürlich, mein Lieber, selbstverständlich. Unter uns gesagt, wenn ich Ihnen verrate, was mir widerfahren ist, als ich mein Pülverchen zum ersten Mal ausprobiert hatte, olala, Sie werden es mir nicht glauben!“
„Was ist denn passiert?“ wollte Bernhard wissen.
„Glauben Sie mir“, nahm die Stimme des Heilpraktikers einen verschwörerischen Klang an, „das Zeug war dermaßen stark in der Wirkung, ich wusste nicht mehr ein noch aus, mit dem plötzlich einsetzenden und lang anhaltenden Drang, so dass ich mir, obwohl ich ein treuer Ehemann bin, wie er im Buche steht, für einige Zeit eine Geliebte zulegen musste, um den ungeheuren Druck auszugleichen“.
„Donnerwetter!“ entfuhr es Bernhard Namun, „das ist doch nicht möglich!“.
„Doch, es ist möglich, Herr Namuhn. Glauben Sie mir ruhig, testen Sie einmal selbst dieses Pulver, Sie werden eine Erfahrung machen, die Sie nie mehr vergessen, in Ihrem ganzen Leben. Das Mittel ist zwar nicht ganz billig, einerseits, aber wenn man den Erfolg betrachtet, dann wiederum ist es einfach spottbillig“.
Nun war Bernhard nicht mehr zu halten.
„Wo und wie kann ich dieses Mittel bekommen, Herr Doktor? Ich nehme jeden Weg in Kauf!“
Der Heilpraktiker nannte ihm seine Adresse, die wie sich herausstellte, gar nicht weit von Bernhards Behausung entfernt lag.
„Reservieren Sie mir einen Karton von dem Zeug, ich komme gleich morgen früh“ schrie er begeistert in den Hörer, „ach, und, Herr Doktor, was ich noch sagen wollte, ich bringe meine Frau gleich mit“
„Was sagen Sie da, Sie bringen Ihre Frau gleich mit. Aber warum das denn, um Himmelswillen? Sie nehmen doch das Zeug ein, nicht Ihre Frau“.
„Das stimmt, Herr Doktor, aber ich möchte gerne, dass meine Frau Sie auch kennen lernt, Sie Glücksbringer“.
Vergeblich versuchte der Heilpraktiker, Bernhard davon abzuhalten, mitsamt seiner Gattin bei ihm zu erscheinen, um die erste Packung des Wundermittels abzuholen; er wusste nicht, was er davon halten sollte.
‚Na, besser so ein Geschäft, als gar keines’, sagte er sich schließlich, „soll er seine Alte ruhig mitbringen, der Trottel. Die Hauptsache, sie zahlen anständig’.

Das tat er auch, dieser Trottel, wie der sexuelle Messias ihn genannt hatte, er brachte seine Alte mit, die in der Tat nicht nur nicht sehr alt sondern eher schon als uralt zu bezeichnen war.
Auch Bernhard Namun selbst, wie er so vor ihm stand, machte auf Doktor Sexus nicht den Eindruck eines Jünglings, und schlagartig erinnerte er sich eines Artikels aus der örtlichen Presse, den er vor einigen Tagen erst gelesen hatte:
‚Jubelpaar feiert Gnadenhochzeit im Kreise ihrer Lieben’.
Jetzt erkannte er sie auch beide wieder, von dem Foto her, das dem Artikel beigefügt war:
Bernhard Namun, einhundertfünf Jahre alt, und seine Frau Hilde, einhundertdrei Lenze, und der Heilpraktiker stellte sich ernsthaft die Frage, ob es nicht doch ein wenig spät sei, für dieses Ehepaar, neue Wege in ihrem Sexualleben auszuprobieren.
 



 
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