Die verdrängte Wahrheit

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erbsenrot

Mitglied
.


Vom ersten Augenblick an
suchte ich
nach der Wahrheit

Doch ich fand sie nicht
in all den Jahren

Ich versteckte sie
erfolgreich
in den vernebelten Windungen
der Alltagsbewältigung

bedeckte sie
mit fadenscheiniger
Ignoranz
und verlor sie
auf den
ausgetretenen Pfaden
der Selbstsucht

Dennoch weiß ich
in meiner letzten Stunde
wenn der Atem
in die schwarze Nacht
entfliehen will
wird die Kraft schwinden

und die Wahrheit
geht ins Licht
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebes Erbsenrot,

ein interessantes & kluges Gedicht, das mir - auch wegen der Vielzahl seiner Interpretationsmöglichkeiten - gut gefällt. Einseits lese ich den "strengen" Wunsch nach Erkenntis heraus, der wohl im Diesseits nicht zu erfüllen ist, andererseits kann es sich bei der "Wahrheit" auch um eine Schuld handeln, die nicht "abgerechnet" worden ist.

Und vieles mehr.

Ich überlege allerdings, ob du ein paar Winzigkeiten weglassen könntest, ohne der Grammatik zu schaden.


Vom ersten Augenblick an
suchte ich
nach der Wahrheit

und fand sie nicht
in all den Jahren

versteckte sie
erfolgreich
in vernebelten Windungen
von Bewältigung

bedeckte sie
mit fadenscheiniger
Ignoranz
und verlor sie
in ausgetretenen Pfaden
der Selbstsucht

Dennoch weiß ich
- in meiner letzten Stunde -
wenn der Atem
in die schwarze Nacht
entfliehen will
wird die Kraft schwinden

und die Wahrheit
geht ins Licht


Nimm dies bitte nur als Voschlag. - Arbeit am Text ist derzeit in der LL (wieder einmal) nicht so erwünscht, scheint mir :D . Da es sich bei dir aber um eine erfahrene & gute Autorin handelt, hoffe ich doch ... etc. ;)

Liebe Grüße
Heidrun

Besonders gefallen mir deine letzten zwei Zeilen, weil bei dir die Wahrheit ins Licht geht und nicht "zutage tritt" oder dergleichen.
 

Gerd Geiser

Mitglied
Hallo erbsenrot,
du hast die Vermeidungsstrategien gut benannt, die dem Finden der Wahrheit (was immer das sein mag) im Wege stehen. An einer Stelle meine ich eine Unschärfe entdeckt zu haben: "Die Kraft wird schwinden", schreibst du, ja, natürlich schwindet die Kraft auf dem Totenbett, aber gemeint ist doch eher, dass nun der Selbstbetrug ein Ende hat.
???

Lieben Gruß dir,
Gerd
 

erbsenrot

Mitglied
.


Vom ersten Augenblick an
suchte ich
nach der Wahrheit

und fand sie nicht
in all den Jahren

versteckte sie
erfolgreich
in vernebelten Windungen
von Bewältigung

bedeckte sie
mit fadenscheiniger
Ignoranz
und verlor sie
in ausgetretenen Pfaden
der Selbstsucht

Dennoch weiß ich
- in meiner letzten Stunde -
wenn der Atem
in die schwarze Nacht
entfliehen will
wird die Kraft schwinden

und die Wahrheit
geht ins Licht
 

erbsenrot

Mitglied
Textarbeit

Liebe Heidrun,

Danke für dein ausführliches Statement und dein Verstehen des vielseitig interpretierbaren Textes. Ich bin immer sehr dankbar für jegliche Anregungen und Hilfe. Nicht nur, weil Deutsch nicht meine Muttersprache ist, sondern auch, weil ich noch unerfahren bin im Schreiben, sowohl von Lyrik, als auch von Prosa.
Also nur her mit deinen Vorschlägen ... und du siehst, ich habe sie alle übernommen! :)

Besonders gefallen mir deine letzten zwei Zeilen, weil bei dir die Wahrheit ins Licht geht und nicht "zutage tritt" oder dergleichen.
Das freut mich sehr, denn dieses "Gehen" war mir sehr wichtig.


Ganz liebe Grüße dir
erbsenrot
 

erbsenrot

Mitglied
Das Schwinden der Kraft

Lieber Gerd,

auch dir vielen lieben Dank für deine Antwort.
"Die Kraft wird schwinden", schreibst du, ja, natürlich schwindet die Kraft auf dem Totenbett, aber gemeint ist doch eher, dass nun der Selbstbetrug ein Ende hat.
???
Da stimme ich dir zu. Das ist eine mögliche Interpretation.
Wenn man im Sterbeprozeß an dem Punkt angekommen ist, wo der körperliche und geistige Widerstand geschwächt ist und man loslassen kann um zu "gehen", kann manchmal auch eine Erkenntnis mit ins Licht gehen.
Ein kleines Beispiel: Ich habe mal einen alten Mann im Hospiz im Sterben beleitet und saß alleine an seinem Bett. Seit Tagen hatte er nicht mehr geredet und lag ganz ruhig da. Plötzlich öffnete er die Augen, schaute ins Leere und sagte: "Nein, ich war kein guter Vater." Er schüttelte den Kopf und sagte noch einmal: "Nein, ein guter Vater war ich nicht."
Er konnte es seiner Tochter nicht mehr sagen, sie hat ihn nie besucht.


Viele Grüße dir
erbsenrot
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Erbsenrot,

ich lese "wird die Kraft schwinden" so, dass die Kraft, die sich gegen Einsichten zur Wehr setzt nicht mehr da sein könnte, so dass nun die Wahrheit schrankenlos hervorbrechen kann. In manchen Fällen könnte das schmerzlich sein, in anderen Fällen aber erlösend, denn es gibt auch Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, die guten Dinge, die ihnen zugestoßen sind, von sich fern halten möchten.

Es gefällt mir, wie Du hier beschreibst, welche Umwege Menschen so ganz selbsverständlich einschlagen. Wer von uns hätte genau diese Versuche in größerem oder kleinerem Maße nicht auch unternommen.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

erbsenrot

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

danke dir herzlich für dein Lesen und deine Interpretation für das Schwinden der Kraft. Die erlösende Wahrheit im Sterben zu erkennen ist ein schöner Gedanke. Viele Menschen sehen keinen sinn in ihrem gelebten Leben, sie sind verbittert und hadern mit sich und mit Gott. Wenn es noch möglich wäre, auf dem Sterbebett zu verstehen, dass es doch Sinn gemacht hat ... wäre das nicht wundervoll?

Es gefällt mir, wie Du hier beschreibst, welche Umwege Menschen so ganz selbsverständlich einschlagen. Wer von uns hätte genau diese Versuche in größerem oder kleinerem Maße nicht auch unternommen.
Genau das denke ich auch! ;)

Viele liebe Grüße
erbsenrot
 



 
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