Die vorwitzige Melli

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Uschka

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Schon wieder knisterte es, zwar ganz leise und doch war es nicht zu überhören. Richtig unheimlich und leichtes schaudern erfasste meinen Körper. Ich atmete ganz vorsichtig durch die Nase, vermied jegliche Bewegungen. Nur das Aufschnarchen meiner Bettnachbarin, mit der ich das Krankenzimmer teile, unterbrach plötzlich die darauf folgende Stille.
„Oh nein, nicht schon wieder“, dachte ich und suchte nervös meine Ohrenstöpsel. Aber wenn ich die nun nehme, dann höre ich ja nicht mehr das geheimnisvolle Knistern, sann ich weiter und legte sie wieder ins Nachtschränkchen. Da.... da, war es wieder, dieses unerklärliche Geräusch.
„Hören Sie auch was?“, flüsterte ich Frau Rotsch, meiner Zimmergenossin, zu. Sie hatte ihren nächtlichen Schlaf unterbrochen.
„Ja“, wisperte sie verhalten zurück. „Ob das wohl ein Mäuschen oder gar eine Ratte ist, Frau Bauer?“, schob sie noch nach, und mir war, als hörte ich Heiterkeit aus ihrer Stimme.
“Meinen Sie , und das hier im fünften Stock?“, flüsterte ich entsetzt zurück und zog mir die Decke bis zum Hals hoch.
„Sicher, alles ist möglich, grad in so einem Altbau. Mäuse oder gar Ratten rennen doch überall herum, warum nicht auch hier!“, schob Frau Rotsch resolut nach.

Jetzt lauschten wir beide, denn die Geräusche waren ja noch zu hören. Leichte Morgendämmerung erhellte unser Zimmer, aber es war noch zu dunkel, um etwas zu erkennen.
„Was halten Sie davon, wenn wir zur gleichen Zeit unsere Nachttischlampen an machen? Sie schauen auf Ihrer Seite und ich auf meiner. Das wäre doch gelacht, wenn wir nicht heraus bekommen würden, was uns hier mit seiner Anwesenheit beehrt. Nun, was meinen Sie dazu?“, fragte Frau Rotsch im Flüsterton und ich setzte mich leicht angespannt auf und nickte zur Bestätigung. Dann fiel mir aber ein, dass mich meine Bettnachbarin gar nicht sehen konnte und ich rief: „Au ja, das machen wir.“
„Also los“, rief sie und Helligkeit durchflutete unser Zimmer. Neugierig und gespannt suchten wir den Boden mit unseren Augen ab. Nein, aus dem Bett getraute sich keiner von uns beiden. Man konnte ja nie wissen, was einem dann über die Füße huschte. Aber nichts war zu sehen, auch das Knistern war verstummt. Als wir dann auch unter unsere Betten geschaut hatten, blickten wir uns ratlos an.
“Hm, eine Maus scheint es nicht gewesen zu sein!“, sann Frau Rotsch laut vor sich hin.
„Ja, sieht so aus“, lachte ich erleichtert auf. „Mäuse sind nun nämlich so gar nicht mein Ding“, gestand ich noch leise. Nachdem die erste Aufregung vorbei war, knipsten wir unsere Lichter aus und es kehrte wieder Ruhe ins Zimmer.
“Auf zur nächsten Runde“, lachte ich und schob mir nun doch die Ohrenstöpsel rein. Sicher ist sicher, dachte ich, und damit meinte ich das Geschnarche von Frau Rotsch. Wenn sie doch nur nicht immer auf dem Rücken liegen würde und den Mund dabei geschlossen hielte, wäre sie bestimmt nur halb so laut, redete ich leise vor mich hin.. Ohne weitere Störung wachten wir dann am Morgen auf.

Aufgeregt erzählte ich der Schwester was in den frühen Morgenstunden hier so los war. Auch baten wir beide darum, dass doch der Hausmeister mal nachsehen sollte. Vielleicht hatten wir ja eine kleine Ritze oder Spalt in der Mauer oder am Boden übersehen.

Bald erschien der Hausmeister und er konnte nichts Verdächtiges sehen. Auch unsere Schränke waren unversehrt. Mit bedauerndem Schulterzucken verließ er unser Zimmer, ohne auch nur ein einziges Wort mit uns geredet zu haben.
„Komischer Kauz, finden Sie nicht auch?“, meinte ich und äffte belustigt sein Gebaren nach.
„Der hat bestimmt gedacht, wir alten Schachteln bilden uns das nur ein. Uns hat er doch völlig ignoriert“, brummte Frau Rotsch missmutig. Wenn es um ihr Alter ging, war sie nicht so fein, obwohl sie schon auf die achtzig zuging und ich nicht minder jung war.
„So ein junger Lackaffe, nichts haben wir uns eingebildet!“, regte sie sich auf. „Blöder Hund“, meckerte sie weiter vor sich hin. „Haben Sie auch bemerkt, wir er mit den Augen so rollte?“, ereiferte sie sich weiter.
“Gewiss hab ich das, auch wie er mit seiner Hand vor seinem Gesicht wedelte und damit sagen wollte, die da drin spinnen wohl, und meschucke, meschucke murmelte, als er den Raum verließ?“, fragte ich vorsichtig, denn ich wollte sie nun nicht noch mehr aufregen.
„Klar hab ich das, darum bin ich doch so sauer. Dieser dumme Rotzlöffel, kein Respekt vor dem Alter“, ereiferte sie sich nun wieder. Ihr Gesicht war schon wieder ganz rot vor Erregung.
„Psssst, Psssst..., Frau Rotsch!“, unter brach ich sie und zeigte aufgeregt mit der Hand auf unseren kleinen Tisch. Machte sich doch dort gerade eine kleine Blaumeise breit und knabberte an dem Keks, der nun eine aufgerissene Plastikfolie hatte, herum. „Sehen Sie das auch?“.
"Bin doch nicht blind!“, schnaubte sie beleidigt zurück und beobachtet nun auch den kleinen Vogel, wie er grad seinen kleinen Schnabel in den Keks bohrte und genüsslich daran knabberte.
„Mensch, sind wir dumm. Darauf hätten wir ja schon früher kommen können“, lachte ich befreit auf. „Hab mich schon über die Krümel gewundert!“, schob ich noch nach.
„Haben Sie vielleicht gedacht, dass ich das war? Das wird ja immer schöner hier“, schnaubte Frau Rotsch angriffslustig.
Ich dachte schon, das sie bald platzen würde, so rot wie sie war. Aber ignorierte sie und beobachtete das kleine Vögelchen.

Wir ließen das Vögelchen gewähren und hatten unsere helle Freude daran, als es durch das gekippte Fenster hin und her flog. Bald öffneten wir es ganz, um es unserem Freund noch einfacher zu machen. Ich staunte zwar über Frau Rotsch, denn wenn ich sonst das Fenster geöffnet hatte, fing sie immer gleich an zu jammern: Mir ist kalt, ich friere, es zieht, ich bekomme kalte Füße. Immer ließ sie sich was einfallen, um das Fenster geschlossen zu halten. Aber so wie es nun aussieht, waren all ihre Beschwerden verschwunden. Wunderliche alte Kuh, dachte ich noch so bei mir und kicherte in mich hinein.

“Also, dass Spatzen so frech und pfiffig sind, habe ich ja gewusst, aber dass auch Blaumeisen so dreist sind, habe ich nicht geahnt“, wisperte ich vor mich hin, um es ja nicht zu erschrecken.

Von nun an besuchte uns Melli, wie wir sie nannten, mehrmals am Tag, aber auch in der frühen Morgendämmerung beehrte sie uns. Wir hatten unsere helle Freude daran, sie zu beobachten. Besuch bekamen wir so gut wie nie, fast all unsere Freunde und Bekannten waren schon verstorben und eine eigene Familie hatten wir nicht.

„Was denn, werden hier die kleinen frechen Biester etwa gefüttert?“, tadelte uns die Krankenschwester, die plötzlich mitten im Raum stand. Dann eilte sie zum Tisch und verscheuchte unsere liebe Melli, die sofort aus dem weit geöffneten Fenster floh. „Das sehen wir hier aber gar nicht gern!“, meckerte sie weiter.
Frau Rotsch äffte hinter ihrem Rücken nach und das sah so lustig und komisch aus, dass ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. Sofort handelte ich mir einen strafenden Blick von der resoluten Schwester ein und hörte sofort damit auf. Dafür kicherte nun Frau Rotsch los.
„Ich seh schon, mit euch beiden Alten ist nicht zu reden!“, presste die Schwester, beleidigt und übelgelaunt zwischen den Zähnen hervor. Dann verließ sie unser Zimmer und mit lautem Knall flog die Tür hinter ihr zu.
Melli schaute vorsichtig ins Zimmer, als wollte sie nur sehen ob die Luft wieder rein war, dann ließ sie sich wieder auf dem Tisch nieder. Wo natürlich schon der nächste Keks parat lag.

Wie es der Zufall wollte, wurden wir gleichzeitig entlassen, und schweren Herzens nahmen wir Abschied von der kleinen Blaumeise. Wir hofften, dass unsere Nachfolger mit ihr genauso liebevoll umgingen wie wir.

Zwischen Frau Rotsch und mir entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft und gemeinsam lachten wir oft über den letzten Krankenhausaufenthalt. Besonders, wenn Gisela, so hieß Frau Rotsch mit Vornamen, die Krankenschwester und den Hausmeister parodierte.
 

Uschka

Mitglied
Hallo Bonanza
Ist ne wahre Geschichte.
Na, solange es nicht aus dem PC trieft, geht es noch.:)
Gruß Uschka
 



 
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