Dienstags und donnerstags

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DocSchneider

Foren-Redakteur
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Der mit roten Rosen und weißen Gerbera geschmückte Sarg glitt sanft in die Erde, das übliche Procedere der Träger folgte und schließlich trat Rosas Mann an das offene Grab und nahm schluchzend Abschied. Die anderen Trauergäste taten es ihm gleich, suchten dann aber schnell einen Schutz vor dem beständigen Nieselregen, der passend zu einer Beerdigung eingesetzt hatte.

Zwei Männer, die abseits standen, schien er nicht zu stören. Der eine zündete sich eine Zigarette an und bot dem anderen, der ohne Schirm und Mantel leicht fröstelnd neben ihm ausharrte, ebenfalls eine an. Der andere nahm sie und auch das Angebot, unter dem Schirm Platz zu nehmen, dankend an und so rauchten sie schweigend. Schon bald waren sie die Einzigen, die an diesem grauen trüben Februartag neben dem Grab zu finden waren, welches nun mit Erde bedeckt wurde.

Bengt rauchte und betrachtete seinen Gegenüber, der fast schon zitternd unter seinem Schirm stand. Ein nicht mehr ganz junger Mann, leicht ungepflegt, mit schwarzer Jeans und einer Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und aussah wie geliehen. Ein weißer Hemdkragen lugte darunter hervor, der Adamsapfel bewegte sich auf und ab, weil derjenige wohl Tränen herunter schlucken wollte. Sein Gesicht war jämmerlich verzogen und er schniefte beständig, seine Augen, von ersten Fältchen umwölkt, suchten immer wieder das Grab. Er sah aus wie ein ewiger Student, wahrscheinlich Sozialwissenschaften und Bengt fragte sich, was ihn hierhin verschlagen hatte.

Er warf einen Blick auf seine Rolex, die aus seinem gestärkten Hemdärmel hervorkam und stellte fest, dass er noch höchstens dreißig Minuten Zeit hatte, bevor der nächste Termin drohte. Er rauchte die Zigarette weiter und schließlich befand er, dass hier lange genug geschwiegen worden war. „Wie standen Sie denn zu der ...“ er hüstelte...“Verstorbenen?“

Der andere zuckte zusammen und sah auf. Jetzt war er wirklich kurz davor, die Fassung zu verlieren. Tränen schimmerten bereits an seinen unteren Lidrändern und er schluckte krampfhaft, bevor er leise antwortete: „Sie war meine Freundin."

Bengt zog den Rauch der Zigarette so heftig ein, dass er husten musste. Seine Freundin? Er starrte den anderen an. Rosa die Freundin dieses komischen Weicheis? Unmöglich. „Sind Sie sicher, dass Rosa Ihre....Freundin war?“, sagte Bengt und betonte das Wort Freundin, als ob es sich um eine seltene Tierart handelte. „Ja, das war sie“, antwortete der andere und nun liefen die Tränen tatsächlich über seine Wangen, wobei er auf eine seltsame, lautlose Art weinte und keine Anstalten machte, sie abzuwischen.

Bengt warf den Zigarettenstummel in die nächste Pfütze. „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war MEINE Freundin. Meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg begleitet zu haben!“, sagte Bengt nicht ohne Stolz und blickte leicht missmutig auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.

Der andere sah ihn überrascht an und musterte ihn zum ersten Mal richtig. Rosas Geliebter? Dieser Lackaffe mit seinen gegelten Haaren, mit seinem gleichmäßig gebräunten Teint, der auf eifrige Solariumbesuche hinwies, mit diesen Edel-Klamotten und der protzigen Uhr? Nein, das konnte nicht sein.„Ja...äh...Rosa und ich, wir haben uns wirklich geliebt und da gab es keinen anderen“, versuchte er deshalb zu erklären, „wir waren seit Jahren zusammen, wir sahen uns immer dienstags und sie kochte mir dann etwas, in meiner kleinen Wohnung und wir....“, er brach ab und ließ erneut die Tränen laufen.

Bengt ließ einen belustigten Laut hören. „Rosa und kochen? Sie konnte überhaupt nicht kochen. Wir gingen immer nur essen und zwar immer donnerstags. Dienstags hatte sie Volkshochschule, sie lernte Spanisch, das konnte sie bald perfekt und Französisch – nun ja, das habe ich ihr beigebracht ...“, er ließ den Rest des Satzes offen und blickte beinahe verträumt auf Rosas Grab, das inzwischen von Kränzen geziert wurde, nachdem die Friedhofsangestellten ihre Arbeit beendet hatten.

Der andere sah Bengt verwirrt an. „Donnerstag? Nein, sie hatte doch am Donnerstag diesen Spanischkursus, deshalb konnte sie ja auch nie an diesem Tag, und sie hat wirklich für mich gekocht, einfach phantastisch, meistens Rouladen, so gut wie meine Mutter und...“, wieder brach er ab und starrte nun ebenfalls auf Rosas Grab.

Bengt warf ihm einen wütenden Blick zu. „Hören Sie, einer von uns ist auf der falschen Beerdigung und das sind Sie! Rosa kochte nicht, sie machte und mochte überhaupt keine Hausarbeit, ihre wunderschönen Fingernägel hätten sonst gelitten und sie hat es so genossen, mit mir auszugehen, ihr verklemmter Alter machte das ja nicht mir ihr und wir tanzten auch oft und sie liebte vor allem den Tango!“ Der andere sagte übergangslos: „Ja, und wir diskutierten nächtelang über Bücher.....“

Bengt schwieg. Was war das hier für eine Nummer? Was faselte er da über Rosa? Bücher? Rosa las höchstens Gala und Bunte, sie erwähnte niemals ein Buch. Herrje, er musste jetzt entweder sofort weg, um seinen Termin noch rechtzeitig wahrzunehmen oder er klärte jetzt ein für allemal, was Sache war.

„Rosa hatte ein Muttermal an einer sehr....sagen wir intimen und prekären Stelle, das machte sie unverwechselbar. Kannten Sie sie etwa auch, diese Stelle?“ Der andere schien ihn gar nicht zu hören. Ha, dachte Bengt, reingefallen. Er IST auf der falschen Beerdigung. Was für ein Trottel. Wer weiß, welchem Blaustrumpf und Hausmütterchen er hinterher trauert! Bücher! Rouladen!

Der andere sah ihn plötzlich an und flüsterte: „Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich weiß auch die Stelle...“ und er sagte sie ihm.

Einen Moment lang Schweigen. „AAAAAHHHH“, schrie Bengt und strafte die Friedhofsruhe, „sie hat uns reingelegt! Uns beide! Was für ein Aas! Dienstags waren Sie dran und und donnerstags ich! Und jedes Mal eine andere Rolle! Scheiß Frauen! Rote ellenlange Fingernägel! Die hat sie dann extra für mich ....“ Der andere wich etwas zurück ob dieses Ausbruchs und flüsterte wieder: „Aber geliebt habe ich sie trotzdem!“

Bengt ergriff seinen Arm und rief: „Quatsch. Liebe! Sie hat uns zum Narren gehalten. Von ihrem Alten mal ganz abgesehen. Aber der Loser hat sowieso nichts Besseres verdient. Vielleicht musste sie ja auch deshalb so früh abkratzen. Herzinfarkt! Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht unsere! Los, kommen Sie. Ich scheiß auf meinen Termin. Wo ist hier eine Kneipe? Wir besaufen uns jetzt, systematisch. Erst weich, dann hart. Ich heiße übrigens Bengt und bin in der Versicherungsbranche. Und du?“

Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer...also äh...Gebäudereiniger. Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte.....“
 

FrankK

Mitglied
Hallo, DS
Definitiv – kein Zonk. ;)

Dann spiel ich mal den Erbsenzähler:
... das übliche [blue]Procedere[/blue] der Träger ...
Duden empfiehlt: „Prozedere“

der passend [blue]zu einer[/blue] Beerdigung eingesetzt hatte.
Klingt sperrig, ein „zur“ würde reichen.

Der eine zündete sich eine Zigarette an und bot dem anderen, der ohne Schirm und Mantel leicht fröstelnd neben ihm ausharrte, ebenfalls eine an.
Auch dieser Satz klingt irgendwie „sperrig“, er passt nicht so recht zum restlichen Sprachfluss. Ganz besonders stört mich, ich weiß nicht wieso, das doppelte „an“.
Zumal es im nächsten Satz noch einmal auftaucht.
Statt „bot“ vielleicht „offerierte“, dann kann das „an“ am Ende des Satzes entfallen.

Bengt rauchte und betrachtete [blue]sein[strike]en[/strike][/blue] Gegenüber, der [blue][strike]fast schon[/strike][/blue] zitternd [blue]mit[/blue] unter seinem Schirm stand.
Leichte, selbsterklärende Anpassungen.

Ein nicht mehr ganz junger Mann, [blue]leicht ungepflegt,[/blue] mit schwarzer Jeans und einer Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und aussah wie geliehen.
Das „ungepflegte“ würde ich weglassen, wirkt unsympatisch.

„Wie standen Sie denn zu der ...“ [blue]Komma[/blue] er hüstelte [red]...[/red][blue]Komma[/blue] “ [blue]...[/blue] Verstorbenen?“
Zeichensetzung.

Rosa die [blue]Freundin[/blue] dieses komischen Weicheis?
Im näheren Umfeld etwas viel „Freundin“. Hier böte sich ein leichter Umbau zur Einsparung an:
„Rosa und dieses komische Weichei?“

„Sind Sie sicher, dass Rosa Ihre[red]....[/red]Freundin war?“, [blue]sagte[/blue] Bengt und betonte das Wort Freundin, als ob es sich um eine seltene Tierart handelte.
Auslassungszeichen: Drei Punkte.
Wenn sie ein ganzes Wort ersetzen – Leerzeichen davor und dahinter.
Wenn sie ein Teilwort ergänzen – ohne Leerzeichen davor.
Zeichensetzung wie bei einem ganzen Wort, außer bei einem Punkt, der entfällt.
Als Sprachpause ebenfalls geeignet mit Leerzeichen davor und dahinter.
Statt „sagte“ besser „fragte“.

„Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war [blue]MEINE[/blue] Freundin. Meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg begleitet zu [blue]haben![/blue]“, [blue]sagte[/blue] Bengt nicht ohne Stolz und blickte leicht missmutig auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.
Hmm – viel zu erklären, was mir hier so alles nicht gefällt.
„MEINE“ in dieser Form (Großschreibung) wirkt wie Brüllen. Dazu passt nicht der Punkt hinter dem Satz. Wäre der ein Ausrufezeichnen, könnte er sich auf den ganzen Satz beziehen und damit die „Empöhrung“ verstärken. Diese „Freundin“ liegt mir schwer im Magen, weil ich den Eindruck habe, Bengt würde sich von seinem Nebenman sprachlich zu distanzieren versuchen.
„... begleitet zu haben!“ Hier sollte die scheinbare Empörung langsam wieder abflachen, hier verwendest Du aber ein Ausrufezeichen. Zusätzlich wirkt dieses Konstrukt sehr gestelzt.
Das „sagte“ wirkt hier zu schwach.
Der Perspektivenwechsel auf die Schuhe unterstellt aus meiner Sicht eine gewisse Befangenheit Bengts gegenüber dem anderen. Zusammen in einem Satz mit dem Dialog wird er aber zu sehr abgeschwächt, verliert an Wirkung.
Vorschlag:
„Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war ... meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg zu geleiten“, erklärte Bengt nicht ohne Stolz. Missmutig blickte er auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.

.„Ja[red]...[/red]äh[red]...[/red]Rosa und ich, wir haben uns wirklich geliebt und da gab es keinen anderen“, versuchte er deshalb zu erklären, „wir waren seit Jahren zusammen, wir sahen uns immer dienstags und sie kochte mir dann etwas, in meiner kleinen Wohnung und wir[red]....[/red]“, er brach ab und ließ erneut die Tränen laufen.
Auslassungszeichen – Erklärung siehe oben.

... meistens Rouladen, so gut wie meine Mutter und[red]...[/red]“,
Auslassungszeichen – Erklärung siehe oben.

ihr verklemmter Alter machte das ja nicht [blue]mir ihr[/blue] und wir tanzten auch oft und sie liebte vor allem den Tango!“
„mit ihr“ ?

Der andere sagte übergangslos: „Ja, und wir diskutierten nächtelang über Bücher[red].....[/red]“
Auslassungszeichen – Erklärung siehe oben.

„Rosa hatte ein Muttermal an einer sehr[red]....[/red]sagen wir intimen und prekären Stelle, das machte sie unverwechselbar.
Auslassungszeichen – Erklärung siehe oben.

„Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich weiß auch die Stelle[red]...[/red]“[blue]Komma[/blue] und er sagte sie ihm.
An dieser Stelle sind gar keine Auslassungszeichen nötig, der Satz ist komplett, und er sagt ihm ja den Rest. Also reicht ein Punkt, der am Ende der wörtlichen Rede hinfällig ist.

... schrie Bengt und [blue]strafte[/blue] die Friedhofsruhe ...
Friedhofsruhe kann man brechen oder ignorieren, aber strafen?

Dienstags waren Sie dran [blue]und[/blue] und donnerstags ich!
Versehentlich zu viel? Oder Absicht? Wenn Absicht, würde ich das stottern durch Sprachpausen unterstreichen:
„Dienstags waren Sie dran und ... und ... donnerstags ich!“

Scheiß [blue]Frauen[/blue]! Rote [blue]ellenlange[/blue] Fingernägel! Die hat sie dann extra für mich [red]....[/red]“
Drei Punkte als Auslassungszeichen. Ein nachfolgender Punkt als Satzende wird nicht gesetzt, andere Satzzeichen aber schon.
Er ist so in Rage, ich würde statt „Frauen“ eher „Weiber“ erwarten.
Ellenlange Fingernägel? Echt? „Ellenlang“ sind etwa dreißig Zentimeter, damit kann sie im Haushalt nichts machen, selbst, wenn sie wollte.

„[blue]Quatsch. Liebe![/blue] Sie hat uns zum Narren gehalten. Von ihrem Alten mal ganz abgesehen. Aber der [red]Loser[/red] hat sowieso nichts Besseres verdient. Vielleicht musste sie ja auch deshalb so früh abkratzen. Herzinfarkt! [blue]Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht unsere![/blue] Los, kommen Sie. Ich scheiß auf meinen Termin. Wo ist hier eine Kneipe? Wir besaufen uns jetzt, systematisch. Erst weich, dann hart. Ich heiße übrigens Bengt und bin in der Versicherungsbranche. Und du?“
So erregt würde ich ihn die ersten drei / vier Sätze durchaus ausrufen lassen.
Den Beginn fände ich umgedreht eingängiger, damit er sich besser auf die vorhergehende Aussage bezieht: „Liebe? Quatsch!“
„Loser“ schreibt man mit doppel-O (Looser)
Bereits ab dem „gebrochenen Herz“ hat Bengt mit der Frau abgeschlossen, er kann ins vertrauliche Du (Leidensgenosse) wechseln.
„Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht unsere!“ Uff, hier stolpert der Lesefluss. Ich würds umformulieren: „Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht deins oder meins!“
Das darauffolgende „Sie“ muss dann natürlich eliminiert werden. Kann auch viel flüssiger mit dem nächsten Sätzen zusammenfließen:
„Los, komm, ich scheiß auf meinen Termin, wo ist hier die nächste Kneipe?“

Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer[red]...[/red]also äh[red]...[/red]Gebäudereiniger. Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte[red].....[/red]“
Auslassungszeichen – Erklärung siehe oben.
Die letzte Auslassung kann entfallen – es fehlt ja nix. Einen verträumten Stil könnte man auch anders konstruiern:
Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer ... also ... äh ... Gebäudereiniger.“ Stolpernd und seufzend fügte er mit einem letzten Blick über die Schulter hinzu: „Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte.“

Uff, so viel Kommentar zu so wenig Text.

Alle Anmerkungen entspringen meinem persönlichen Empfinden und sind nicht als allgemeingültig (außer die Rechtschreibkorrekturen) zu verstehen. ;)
Bei Fragen – einfach fragen.


Viel Erfolg bei der Überarbeitung.


Westfälische Grüße
Frank
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der mit roten Rosen und weißen Gerbera geschmückte Sarg glitt sanft in die Erde, das übliche Procedere der Träger folgte und schließlich trat Rosas Mann an das offene Grab und nahm schluchzend Abschied. Die anderen Trauergäste taten es ihm gleich, suchten dann aber schnell einen Schutz vor dem beständigen Nieselregen, der passend zur Beerdigung eingesetzt hatte.

Zwei Männer, die abseits standen, schien er nicht zu stören. Der eine zündete sich eine Zigarette an und offerierte dem anderen, der ohne Schirm und Mantel leicht fröstelnd neben ihm ausharrte, ebenfalls eine. Der andere nahm sie und auch das Angebot, unter dem Schirm Platz zu nehmen, dankend an und so rauchten sie schweigend. Schon bald waren sie die Einzigen, die an diesem grauen trüben Februartag neben dem Grab zu finden waren, welches nun mit Erde bedeckt wurde.

Bengt rauchte und betrachtete sein Gegenüber, der zitternd mit unter seinem Schirm stand. Ein nicht mehr ganz junger Mann, leicht ungepflegt, mit schwarzer Jeans und einer Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und aussah wie geliehen. Ein weißer Hemdkragen lugte darunter hervor, der Adamsapfel bewegte sich auf und ab, weil derjenige wohl Tränen herunter schlucken wollte. Sein Gesicht war jämmerlich verzogen und er schniefte beständig, seine Augen, von ersten Fältchen umwölkt, suchten immer wieder das Grab. Er sah aus wie ein ewiger Student der Sozialwissenschaften und Bengt fragte sich, was ihn hierhin verschlagen haben mochte.

Er warf einen Blick auf seine Rolex, die aus seinem gestärkten Hemdärmel hervorkam und stellte fest, dass er noch höchstens dreißig Minuten Zeit hatte, bevor der nächste Termin drohte. Er rauchte die Zigarette weiter und schließlich befand er, dass hier lange genug geschwiegen worden war. „Wie standen Sie denn zu der ...,“ er hüstelte...,“Verstorbenen?“

Der andere zuckte zusammen und sah auf. Jetzt war er wirklich kurz davor, die Fassung zu verlieren. Tränen schimmerten bereits an seinen unteren Lidrändern und er schluckte krampfhaft, bevor er leise antwortete: „Sie war meine Freundin."

Bengt zog den Rauch der Zigarette so heftig ein, dass er husten musste. Er starrte den anderen an. Rosa die Freundin dieses komischen Weicheis? Unmöglich. „Sind Sie sicher, dass Rosa Ihre ... Freundin war?“ fragte Bengt und betonte das Wort so, als ob es sich um eine seltene Tierart handelte. „Ja, das war sie“, antwortete der andere und nun liefen die Tränen tatsächlich über seine Wangen, wobei er auf eine seltsame, lautlose Art weinte und keine Anstalten machte, sie abzuwischen.

Bengt warf den Zigarettenstummel in die nächste Pfütze. „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war ... meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg begleitet zu haben“, sagte Bengt nicht ohne Stolz. Leicht missmutig blickte er auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.

Der andere sah ihn überrascht an und musterte ihn zum ersten Mal richtig. Rosas Geliebter? Dieser Lackaffe mit seinen gegelten Haaren, mit seinem gleichmäßig gebräunten Teint, der auf eifrige Solariumbesuche hinwies, mit diesen Edel-Klamotten und der protzigen Uhr? Nein, das konnte nicht sein.„Ja ... äh ... Rosa und ich, wir haben uns wirklich geliebt und da gab es keinen anderen“, versuchte er deshalb zu erklären, „wir waren seit Jahren zusammen, wir sahen uns immer dienstags und sie kochte mir dann etwas, in meiner kleinen Wohnung und wir ... “, er brach ab und ließ erneut die Tränen laufen.

Bengt ließ einen belustigten Laut hören. „Rosa und kochen? Sie konnte überhaupt nicht kochen. Wir gingen immer nur essen und zwar immer donnerstags. Dienstags hatte sie Volkshochschule, sie lernte Spanisch, das konnte sie bald perfekt und Französisch – nun ja, das habe ich ihr beigebracht ... “, er ließ den Rest des Satzes offen und blickte beinahe verträumt auf Rosas Grab, das inzwischen von Kränzen geziert wurde, nachdem die Friedhofsangestellten ihre Arbeit beendet hatten.

Der andere sah Bengt verwirrt an. „Donnerstag? Nein, sie hatte doch am Donnerstag diesen Spanischkursus, deshalb konnte sie ja auch nie an diesem Tag, und sie hat wirklich für mich gekocht, einfach phantastisch, meistens Rouladen, so gut wie meine Mutter und ... “, wieder brach er ab und starrte nun ebenfalls auf Rosas Grab.

Bengt warf ihm einen wütenden Blick zu. „Hören Sie, einer von uns ist auf der falschen Beerdigung und das sind Sie! Rosa kochte nicht, sie machte und mochte überhaupt keine Hausarbeit, ihre wunderschönen Fingernägel hätten sonst gelitten und sie hat es so genossen, mit mir auszugehen, ihr verklemmter Alter machte das ja nicht mit ihr und wir tanzten oft Tango!“ Der andere sagte übergangslos: „Ja, und wir diskutierten nächtelang über Bücher ...“.

Bengt schwieg. Was war das hier für eine Nummer? Was faselte er da über Rosa? Bücher? Rosa las höchstens Gala und Bunte, sie erwähnte niemals ein Buch. Herrje, er musste jetzt entweder sofort weg, um seinen Termin noch rechtzeitig wahrzunehmen oder er klärte jetzt ein für allemal, was Sache war.

„Rosa hatte ein Muttermal an einer sehr ... sagen wir intimen und prekären Stelle. Kannten Sie sie etwa auch, diese Stelle?“ Der andere schien ihn gar nicht zu hören. Ha, dachte Bengt, reingefallen. Er ist auf der falschen Beerdigung. Was für ein Trottel. Wer weiß, welchem Blaustrumpf und Hausmütterchen er hinterher trauert! Bücher! Rouladen!

Der andere sah ihn plötzlich an und flüsterte: „Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich weiß auch die Stelle,“ und er sagte sie ihm.

Einen Moment lang Schweigen. „AAAAAHHHH“, schrie Bengt und strafte die Friedhofsruhe, „sie hat uns reingelegt! Uns beide! Was für ein Aas! Dienstags waren Sie dran und und donnerstags ich! Und jedes Mal eine andere Rolle! Scheiß Frauen! Rote ellenlange Fingernägel! Die hat sie dann extra für mich ...,“. Der andere wich etwas zurück ob dieses Ausbruchs und flüsterte wieder: „Aber geliebt habe ich sie trotzdem!“

Bengt ergriff seinen Arm und rief: „Liebe. Quatsch! Sie hat uns zum Narren gehalten. Von ihrem Alten mal ganz abgesehen. Aber der Looser hat sowieso nichts Besseres verdient. Vielleicht musste sie ja auch deshalb so früh abkratzen. Herzinfarkt! Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht deins und meins. Los komm, ich scheiß auf meinen Termin. Wo ist hier eine Kneipe? Wir besaufen uns jetzt, systematisch. Erst weich, dann hart. Ich heiße übrigens Bengt und bin in der Versicherungsbranche. Und du?“

Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer ... also äh ... Gebäudereiniger. Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte ...“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Frank, vielen Dank für alle Verbesserungen, die ich beinahe sämtlich übernommen habe. Das "Procedere" bleibt aber unverändert, diese Schreibweise finde ich eleganter. Auch die ellenlangen Fingernägel bleiben so, um die Länge besonders zu unterstreichen.

Die Formalien gingen ja gar nicht - jetzt werde ich in Zukunft gut aufpassen. :)


LG DS
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
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Der mit roten Rosen und weißen Gerbera geschmückte Sarg glitt sanft in die Erde, das übliche Procedere der Träger folgte und schließlich trat Rosas Mann an das offene Grab und nahm schluchzend Abschied. Die anderen Trauergäste taten es ihm gleich, suchten dann aber schnell einen Schutz vor dem beständigen Nieselregen, der passend zur Beerdigung eingesetzt hatte.

Zwei Männer, die abseits standen, schien er nicht zu stören. Der eine zündete sich eine Zigarette an und offerierte dem anderen, der ohne Schirm und Mantel leicht fröstelnd neben ihm ausharrte, ebenfalls eine. Der andere nahm sie und auch das Angebot, unter dem Schirm Platz zu nehmen, dankend an und so rauchten sie schweigend. Schon bald waren sie die Einzigen, die an diesem grauen trüben Februartag neben dem Grab zu finden waren, welches nun mit Erde bedeckt wurde.

Bengt rauchte und betrachtete sein Gegenüber, der zitternd mit unter seinem Schirm stand. Ein nicht mehr ganz junger Mann, leicht ungepflegt, mit schwarzer Jeans und einer Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und aussah wie geliehen. Ein weißer Hemdkragen lugte darunter hervor, der Adamsapfel bewegte sich auf und ab, weil derjenige wohl Tränen herunter schlucken wollte. Sein Gesicht war jämmerlich verzogen und er schniefte beständig, seine Augen, von ersten Fältchen umwölkt, suchten immer wieder das Grab. Er sah aus wie ein ewiger Student der Sozialwissenschaften und Bengt fragte sich, was ihn hierhin verschlagen haben mochte.

Er warf einen Blick auf seine Rolex, die aus seinem gestärkten Hemdärmel hervorkam und stellte fest, dass er noch höchstens dreißig Minuten Zeit hatte, bevor der nächste Termin drohte. Er rauchte die Zigarette weiter und schließlich befand er, dass hier lange genug geschwiegen worden war. „Wie standen Sie denn zu der ...“, er hüstelte,“ ... Verstorbenen?“

Der andere zuckte zusammen und sah auf. Jetzt war er wirklich kurz davor, die Fassung zu verlieren. Tränen schimmerten bereits an seinen unteren Lidrändern und er schluckte krampfhaft, bevor er leise antwortete: „Sie war meine Freundin."

Bengt zog den Rauch der Zigarette so heftig ein, dass er husten musste. Er starrte den anderen an. Rosa die Freundin dieses komischen Weicheis? Unmöglich. „Sind Sie sicher, dass Rosa Ihre ... Freundin war?“ fragte Bengt und betonte das Wort so, als ob es sich um eine seltene Tierart handelte. „Ja, das war sie“, antwortete der andere und nun liefen die Tränen tatsächlich über seine Wangen, wobei er auf eine seltsame, lautlose Art weinte und keine Anstalten machte, sie abzuwischen.

Bengt warf den Zigarettenstummel in die nächste Pfütze. „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war ... meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg begleitet zu haben“, sagte Bengt nicht ohne Stolz. Leicht missmutig blickte er auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.

Der andere sah ihn überrascht an und musterte ihn zum ersten Mal richtig. Rosas Geliebter? Dieser Lackaffe mit seinen gegelten Haaren, mit seinem gleichmäßig gebräunten Teint, der auf eifrige Solariumbesuche hinwies, mit diesen Edel-Klamotten und der protzigen Uhr? Nein, das konnte nicht sein.„Ja ... äh ... Rosa und ich, wir haben uns wirklich geliebt und da gab es keinen anderen“, versuchte er deshalb zu erklären, „wir waren seit Jahren zusammen, wir sahen uns immer dienstags und sie kochte mir dann etwas, in meiner kleinen Wohnung und wir ... “, er brach ab und ließ erneut die Tränen laufen.

Bengt ließ einen belustigten Laut hören. „Rosa und kochen? Sie konnte überhaupt nicht kochen. Wir gingen immer nur essen und zwar immer donnerstags. Dienstags hatte sie Volkshochschule, sie lernte Spanisch, das konnte sie bald perfekt und Französisch – nun ja, das habe ich ihr beigebracht ... “, er ließ den Rest des Satzes offen und blickte beinahe verträumt auf Rosas Grab, das inzwischen von Kränzen geziert wurde, nachdem die Friedhofsangestellten ihre Arbeit beendet hatten.

Der andere sah Bengt verwirrt an. „Donnerstag? Nein, sie hatte doch am Donnerstag diesen Spanischkursus, deshalb konnte sie ja auch nie an diesem Tag, und sie hat wirklich für mich gekocht, einfach phantastisch, meistens Rouladen, so gut wie meine Mutter und ... “, wieder brach er ab und starrte nun ebenfalls auf Rosas Grab.

Bengt warf ihm einen wütenden Blick zu. „Hören Sie, einer von uns ist auf der falschen Beerdigung und das sind Sie! Rosa kochte nicht, sie machte und mochte überhaupt keine Hausarbeit, ihre wunderschönen Fingernägel hätten sonst gelitten und sie hat es so genossen, mit mir auszugehen, ihr verklemmter Alter machte das ja nicht mit ihr und wir tanzten oft Tango!“ Der andere sagte übergangslos: „Ja, und wir diskutierten nächtelang über Bücher ...“

Bengt schwieg. Was war das hier für eine Nummer? Was faselte er da über Rosa? Bücher? Rosa las höchstens Gala und Bunte, sie erwähnte niemals ein Buch. Herrje, er musste jetzt entweder sofort weg, um seinen Termin noch rechtzeitig wahrzunehmen oder er klärte jetzt ein für allemal, was Sache war.

„Rosa hatte ein Muttermal an einer sehr ... sagen wir intimen und prekären Stelle. Kannten Sie sie etwa auch, diese Stelle?“ Der andere schien ihn gar nicht zu hören. Ha, dachte Bengt, reingefallen. Er ist auf der falschen Beerdigung. Was für ein Trottel. Wer weiß, welchem Blaustrumpf und Hausmütterchen er hinterher trauert! Bücher! Rouladen!

Der andere sah ihn plötzlich an und flüsterte: „Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich weiß auch die Stelle,“ und er sagte sie ihm.

Einen Moment lang Schweigen. „AAAAAHHHH“, schrie Bengt und strafte die Friedhofsruhe, „sie hat uns reingelegt! Uns beide! Was für ein Aas! Dienstags waren Sie dran und und donnerstags ich! Und jedes Mal eine andere Rolle! Scheiß Frauen! Rote ellenlange Fingernägel! Die hat sie dann extra für mich ...“ Der andere wich etwas zurück ob dieses Ausbruchs und flüsterte wieder: „Aber geliebt habe ich sie trotzdem!“

Bengt ergriff seinen Arm und rief: „Liebe. Quatsch! Sie hat uns zum Narren gehalten. Von ihrem Alten mal ganz abgesehen. Aber der Looser hat sowieso nichts Besseres verdient. Vielleicht musste sie ja auch deshalb so früh abkratzen. Herzinfarkt! Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht deins und meins. Los komm, ich scheiß auf meinen Termin. Wo ist hier eine Kneipe? Wir besaufen uns jetzt, systematisch. Erst weich, dann hart. Ich heiße übrigens Bengt und bin in der Versicherungsbranche. Und du?“

Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer ... also äh ... Gebäudereiniger. Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte ...“
 



 
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