Der mit roten Rosen und weißen Gerbera geschmückte Sarg glitt sanft in die Erde, das übliche Procedere der Träger folgte und schließlich trat Rosas Mann an das offene Grab und nahm schluchzend Abschied. Die anderen Trauergäste taten es ihm gleich, suchten dann aber schnell einen Schutz vor dem beständigen Nieselregen, der passend zu einer Beerdigung eingesetzt hatte.
Zwei Männer, die abseits standen, schien er nicht zu stören. Der eine zündete sich eine Zigarette an und bot dem anderen, der ohne Schirm und Mantel leicht fröstelnd neben ihm ausharrte, ebenfalls eine an. Der andere nahm sie und auch das Angebot, unter dem Schirm Platz zu nehmen, dankend an und so rauchten sie schweigend. Schon bald waren sie die Einzigen, die an diesem grauen trüben Februartag neben dem Grab zu finden waren, welches nun mit Erde bedeckt wurde.
Bengt rauchte und betrachtete seinen Gegenüber, der fast schon zitternd unter seinem Schirm stand. Ein nicht mehr ganz junger Mann, leicht ungepflegt, mit schwarzer Jeans und einer Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und aussah wie geliehen. Ein weißer Hemdkragen lugte darunter hervor, der Adamsapfel bewegte sich auf und ab, weil derjenige wohl Tränen herunter schlucken wollte. Sein Gesicht war jämmerlich verzogen und er schniefte beständig, seine Augen, von ersten Fältchen umwölkt, suchten immer wieder das Grab. Er sah aus wie ein ewiger Student, wahrscheinlich Sozialwissenschaften und Bengt fragte sich, was ihn hierhin verschlagen hatte.
Er warf einen Blick auf seine Rolex, die aus seinem gestärkten Hemdärmel hervorkam und stellte fest, dass er noch höchstens dreißig Minuten Zeit hatte, bevor der nächste Termin drohte. Er rauchte die Zigarette weiter und schließlich befand er, dass hier lange genug geschwiegen worden war. „Wie standen Sie denn zu der ...“ er hüstelte...“Verstorbenen?“
Der andere zuckte zusammen und sah auf. Jetzt war er wirklich kurz davor, die Fassung zu verlieren. Tränen schimmerten bereits an seinen unteren Lidrändern und er schluckte krampfhaft, bevor er leise antwortete: „Sie war meine Freundin."
Bengt zog den Rauch der Zigarette so heftig ein, dass er husten musste. Seine Freundin? Er starrte den anderen an. Rosa die Freundin dieses komischen Weicheis? Unmöglich. „Sind Sie sicher, dass Rosa Ihre....Freundin war?“, sagte Bengt und betonte das Wort Freundin, als ob es sich um eine seltene Tierart handelte. „Ja, das war sie“, antwortete der andere und nun liefen die Tränen tatsächlich über seine Wangen, wobei er auf eine seltsame, lautlose Art weinte und keine Anstalten machte, sie abzuwischen.
Bengt warf den Zigarettenstummel in die nächste Pfütze. „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war MEINE Freundin. Meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg begleitet zu haben!“, sagte Bengt nicht ohne Stolz und blickte leicht missmutig auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.
Der andere sah ihn überrascht an und musterte ihn zum ersten Mal richtig. Rosas Geliebter? Dieser Lackaffe mit seinen gegelten Haaren, mit seinem gleichmäßig gebräunten Teint, der auf eifrige Solariumbesuche hinwies, mit diesen Edel-Klamotten und der protzigen Uhr? Nein, das konnte nicht sein.„Ja...äh...Rosa und ich, wir haben uns wirklich geliebt und da gab es keinen anderen“, versuchte er deshalb zu erklären, „wir waren seit Jahren zusammen, wir sahen uns immer dienstags und sie kochte mir dann etwas, in meiner kleinen Wohnung und wir....“, er brach ab und ließ erneut die Tränen laufen.
Bengt ließ einen belustigten Laut hören. „Rosa und kochen? Sie konnte überhaupt nicht kochen. Wir gingen immer nur essen und zwar immer donnerstags. Dienstags hatte sie Volkshochschule, sie lernte Spanisch, das konnte sie bald perfekt und Französisch – nun ja, das habe ich ihr beigebracht ...“, er ließ den Rest des Satzes offen und blickte beinahe verträumt auf Rosas Grab, das inzwischen von Kränzen geziert wurde, nachdem die Friedhofsangestellten ihre Arbeit beendet hatten.
Der andere sah Bengt verwirrt an. „Donnerstag? Nein, sie hatte doch am Donnerstag diesen Spanischkursus, deshalb konnte sie ja auch nie an diesem Tag, und sie hat wirklich für mich gekocht, einfach phantastisch, meistens Rouladen, so gut wie meine Mutter und...“, wieder brach er ab und starrte nun ebenfalls auf Rosas Grab.
Bengt warf ihm einen wütenden Blick zu. „Hören Sie, einer von uns ist auf der falschen Beerdigung und das sind Sie! Rosa kochte nicht, sie machte und mochte überhaupt keine Hausarbeit, ihre wunderschönen Fingernägel hätten sonst gelitten und sie hat es so genossen, mit mir auszugehen, ihr verklemmter Alter machte das ja nicht mir ihr und wir tanzten auch oft und sie liebte vor allem den Tango!“ Der andere sagte übergangslos: „Ja, und wir diskutierten nächtelang über Bücher.....“
Bengt schwieg. Was war das hier für eine Nummer? Was faselte er da über Rosa? Bücher? Rosa las höchstens Gala und Bunte, sie erwähnte niemals ein Buch. Herrje, er musste jetzt entweder sofort weg, um seinen Termin noch rechtzeitig wahrzunehmen oder er klärte jetzt ein für allemal, was Sache war.
„Rosa hatte ein Muttermal an einer sehr....sagen wir intimen und prekären Stelle, das machte sie unverwechselbar. Kannten Sie sie etwa auch, diese Stelle?“ Der andere schien ihn gar nicht zu hören. Ha, dachte Bengt, reingefallen. Er IST auf der falschen Beerdigung. Was für ein Trottel. Wer weiß, welchem Blaustrumpf und Hausmütterchen er hinterher trauert! Bücher! Rouladen!
Der andere sah ihn plötzlich an und flüsterte: „Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich weiß auch die Stelle...“ und er sagte sie ihm.
Einen Moment lang Schweigen. „AAAAAHHHH“, schrie Bengt und strafte die Friedhofsruhe, „sie hat uns reingelegt! Uns beide! Was für ein Aas! Dienstags waren Sie dran und und donnerstags ich! Und jedes Mal eine andere Rolle! Scheiß Frauen! Rote ellenlange Fingernägel! Die hat sie dann extra für mich ....“ Der andere wich etwas zurück ob dieses Ausbruchs und flüsterte wieder: „Aber geliebt habe ich sie trotzdem!“
Bengt ergriff seinen Arm und rief: „Quatsch. Liebe! Sie hat uns zum Narren gehalten. Von ihrem Alten mal ganz abgesehen. Aber der Loser hat sowieso nichts Besseres verdient. Vielleicht musste sie ja auch deshalb so früh abkratzen. Herzinfarkt! Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht unsere! Los, kommen Sie. Ich scheiß auf meinen Termin. Wo ist hier eine Kneipe? Wir besaufen uns jetzt, systematisch. Erst weich, dann hart. Ich heiße übrigens Bengt und bin in der Versicherungsbranche. Und du?“
Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer...also äh...Gebäudereiniger. Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte.....“
Zwei Männer, die abseits standen, schien er nicht zu stören. Der eine zündete sich eine Zigarette an und bot dem anderen, der ohne Schirm und Mantel leicht fröstelnd neben ihm ausharrte, ebenfalls eine an. Der andere nahm sie und auch das Angebot, unter dem Schirm Platz zu nehmen, dankend an und so rauchten sie schweigend. Schon bald waren sie die Einzigen, die an diesem grauen trüben Februartag neben dem Grab zu finden waren, welches nun mit Erde bedeckt wurde.
Bengt rauchte und betrachtete seinen Gegenüber, der fast schon zitternd unter seinem Schirm stand. Ein nicht mehr ganz junger Mann, leicht ungepflegt, mit schwarzer Jeans und einer Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und aussah wie geliehen. Ein weißer Hemdkragen lugte darunter hervor, der Adamsapfel bewegte sich auf und ab, weil derjenige wohl Tränen herunter schlucken wollte. Sein Gesicht war jämmerlich verzogen und er schniefte beständig, seine Augen, von ersten Fältchen umwölkt, suchten immer wieder das Grab. Er sah aus wie ein ewiger Student, wahrscheinlich Sozialwissenschaften und Bengt fragte sich, was ihn hierhin verschlagen hatte.
Er warf einen Blick auf seine Rolex, die aus seinem gestärkten Hemdärmel hervorkam und stellte fest, dass er noch höchstens dreißig Minuten Zeit hatte, bevor der nächste Termin drohte. Er rauchte die Zigarette weiter und schließlich befand er, dass hier lange genug geschwiegen worden war. „Wie standen Sie denn zu der ...“ er hüstelte...“Verstorbenen?“
Der andere zuckte zusammen und sah auf. Jetzt war er wirklich kurz davor, die Fassung zu verlieren. Tränen schimmerten bereits an seinen unteren Lidrändern und er schluckte krampfhaft, bevor er leise antwortete: „Sie war meine Freundin."
Bengt zog den Rauch der Zigarette so heftig ein, dass er husten musste. Seine Freundin? Er starrte den anderen an. Rosa die Freundin dieses komischen Weicheis? Unmöglich. „Sind Sie sicher, dass Rosa Ihre....Freundin war?“, sagte Bengt und betonte das Wort Freundin, als ob es sich um eine seltene Tierart handelte. „Ja, das war sie“, antwortete der andere und nun liefen die Tränen tatsächlich über seine Wangen, wobei er auf eine seltsame, lautlose Art weinte und keine Anstalten machte, sie abzuwischen.
Bengt warf den Zigarettenstummel in die nächste Pfütze. „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Rosa war MEINE Freundin. Meine Geliebte, wenn Sie so wollen. Und zwar schon seit Jahren. Ich bin es ihr schuldig, sie auf ihrem letzten Weg begleitet zu haben!“, sagte Bengt nicht ohne Stolz und blickte leicht missmutig auf seine blanken Schuhe, die richtig schmutzig werden würden, wenn sie hier noch länger stünden.
Der andere sah ihn überrascht an und musterte ihn zum ersten Mal richtig. Rosas Geliebter? Dieser Lackaffe mit seinen gegelten Haaren, mit seinem gleichmäßig gebräunten Teint, der auf eifrige Solariumbesuche hinwies, mit diesen Edel-Klamotten und der protzigen Uhr? Nein, das konnte nicht sein.„Ja...äh...Rosa und ich, wir haben uns wirklich geliebt und da gab es keinen anderen“, versuchte er deshalb zu erklären, „wir waren seit Jahren zusammen, wir sahen uns immer dienstags und sie kochte mir dann etwas, in meiner kleinen Wohnung und wir....“, er brach ab und ließ erneut die Tränen laufen.
Bengt ließ einen belustigten Laut hören. „Rosa und kochen? Sie konnte überhaupt nicht kochen. Wir gingen immer nur essen und zwar immer donnerstags. Dienstags hatte sie Volkshochschule, sie lernte Spanisch, das konnte sie bald perfekt und Französisch – nun ja, das habe ich ihr beigebracht ...“, er ließ den Rest des Satzes offen und blickte beinahe verträumt auf Rosas Grab, das inzwischen von Kränzen geziert wurde, nachdem die Friedhofsangestellten ihre Arbeit beendet hatten.
Der andere sah Bengt verwirrt an. „Donnerstag? Nein, sie hatte doch am Donnerstag diesen Spanischkursus, deshalb konnte sie ja auch nie an diesem Tag, und sie hat wirklich für mich gekocht, einfach phantastisch, meistens Rouladen, so gut wie meine Mutter und...“, wieder brach er ab und starrte nun ebenfalls auf Rosas Grab.
Bengt warf ihm einen wütenden Blick zu. „Hören Sie, einer von uns ist auf der falschen Beerdigung und das sind Sie! Rosa kochte nicht, sie machte und mochte überhaupt keine Hausarbeit, ihre wunderschönen Fingernägel hätten sonst gelitten und sie hat es so genossen, mit mir auszugehen, ihr verklemmter Alter machte das ja nicht mir ihr und wir tanzten auch oft und sie liebte vor allem den Tango!“ Der andere sagte übergangslos: „Ja, und wir diskutierten nächtelang über Bücher.....“
Bengt schwieg. Was war das hier für eine Nummer? Was faselte er da über Rosa? Bücher? Rosa las höchstens Gala und Bunte, sie erwähnte niemals ein Buch. Herrje, er musste jetzt entweder sofort weg, um seinen Termin noch rechtzeitig wahrzunehmen oder er klärte jetzt ein für allemal, was Sache war.
„Rosa hatte ein Muttermal an einer sehr....sagen wir intimen und prekären Stelle, das machte sie unverwechselbar. Kannten Sie sie etwa auch, diese Stelle?“ Der andere schien ihn gar nicht zu hören. Ha, dachte Bengt, reingefallen. Er IST auf der falschen Beerdigung. Was für ein Trottel. Wer weiß, welchem Blaustrumpf und Hausmütterchen er hinterher trauert! Bücher! Rouladen!
Der andere sah ihn plötzlich an und flüsterte: „Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich weiß auch die Stelle...“ und er sagte sie ihm.
Einen Moment lang Schweigen. „AAAAAHHHH“, schrie Bengt und strafte die Friedhofsruhe, „sie hat uns reingelegt! Uns beide! Was für ein Aas! Dienstags waren Sie dran und und donnerstags ich! Und jedes Mal eine andere Rolle! Scheiß Frauen! Rote ellenlange Fingernägel! Die hat sie dann extra für mich ....“ Der andere wich etwas zurück ob dieses Ausbruchs und flüsterte wieder: „Aber geliebt habe ich sie trotzdem!“
Bengt ergriff seinen Arm und rief: „Quatsch. Liebe! Sie hat uns zum Narren gehalten. Von ihrem Alten mal ganz abgesehen. Aber der Loser hat sowieso nichts Besseres verdient. Vielleicht musste sie ja auch deshalb so früh abkratzen. Herzinfarkt! Ha, ihr Herz wurde gebrochen, nicht unsere! Los, kommen Sie. Ich scheiß auf meinen Termin. Wo ist hier eine Kneipe? Wir besaufen uns jetzt, systematisch. Erst weich, dann hart. Ich heiße übrigens Bengt und bin in der Versicherungsbranche. Und du?“
Der andere ließ sich widerstandslos mitziehen. „Ich heiße Uli und bin Fensterputzer...also äh...Gebäudereiniger. Und ich hab es immer so gern gehabt, wenn Rosa mir von Büchern erzählte.....“