Dieser Hund

Lucien

Mitglied
Der letzte Sonntag im September zeigte sich als wunderschöner sonniger Herbsttag.

Es machte Lukas Spaß, beim Waldspaziergang mit den Schuhen das bereits gefallene Laub zu zerstieben, das raschelnde Geräusch mochte er schon als kleiner Junge. Damals noch ermahnten ihn die Eltern, dies sein zu lassen, da zerstossene Schuhkappen nicht besonders hübsch aussahen. Nicht einmal bei Jungen-Schuhen.

Nun gab es niemanden mehr, der sich für seine Schuhe interessierte.
Er selber achtete nicht darauf, denn dafür hatte er schon zu oft Schuhe zu den Containern der Altkleidersammlungen gebracht, die längst nicht zerschlissen waren.

Seiner Frau, die neben ihm herging, wäre vor ein paar Monaten bestimmt noch ein \"Ach Schatz, muss das denn sein?\" herausgerutscht.
Weniger aus Sorge um seine Schuhe, sondern vielmehr als Bekundung, dass sie ihn und sein Tun wahrnahm.
Irgendwie vermisste Lukas das jetzt.

Dinkelmöpschen. Seine Frau mochte es, so genannt zu werden.

Mit seinem geliebten Dinkelmöpschen waren solche Spaziergänge vor ein paar Monaten noch ganz anders gewesen.
Da sind sie händchenhaltend gegangen und haben oft mit einzelnen Fingern in der geschlossenen Hand des anderen gespielt.
Manchmal sind sie vom Weg abgegangen, einfach mal durch das Gestrüpp gestolpert, sind stehengeblieben \"Wa-Kü?\" hatte Dinkelmöpschen gefragt und Lukas hatte sich gefreut und ihr ein \"Wald-Küsschen\" gegeben.

Jetzt ging Lukas neben ihr her, schaute sich die golden-orangenen Blätter der Bäume an, fühlte die nur noch schwach wärmende Herbstsonne, genoss die würzigen und herben Gerüche des Waldes und hätte gerne wieder die Hand seiner Frau gehalten oder noch besser, hätte gerne seinen Arm um ihre Schultern gelegt und ihren an seiner Taille gespürt.
Es stimmte ihn traurig nur neben Dinkelmöpschen herzugehen, keine Nähe, keine Berührung und auch keine Aufmerksamkeit.
Sie war keinen Meter von ihm entfernt und doch fühlte er sich alleine.

Denn Dinkelmöpschen war voll und ganz mit Spider beschäftigt.

Spider, war das nicht das englische Wort für Spinne?
Spinne, wer nennt seinen Hund Spinne?
Es gibt diese Dinge im Leben, die Lukas nicht verstand und auch nicht verstehen wollte.
Spinne.

Für sich würde er diesen Hund künftig Spinne nennen.
Das beschönigte wenigstens nichts.

Eben an der Wegkreuzung hatte es einen dieser Vorfälle gegeben.
Ein älteres Ehepaar hatte höflich gefragt, welcher der drei Wege zur Wasserburg führt.
An der Wandertafel konnten sie nichts erkennen, da diese über und über mit Graffiti besprüht war.

Dinkelmöpschen wollte gerade antworten, als Spinne den Mann erst unangenehm anknurrte und dann ohne viel Zögern ins Hosenbein zwickte.
Der ältere Herr schien darüber ärgerlich zu werden, aber Dinkelmöpschen bremste ihn sofort wortreich ab.
Sie erklärte ihm, dass Spider, so hieße dieser Mischling, erkennbar doch von einem Boxer und Labrador abstammend, beides sympathische Rassen, also dass Spider als Welpe viel zuwenig Zuneigung bekommen hätte und nun unter Verlustängsten leide.
Diese Verlustängste würden sich darin äußern, fuhr sie fort, dass er große Angst habe, sein Frauchen wieder zu verlieren.
Sie sei das Frauchen, welches ihn aus dem Tierheim erlöste und fortan mit nahezu uneingeschränkter Fürsorge und Liebe umgibt.

Das fremde Ehepaar machte unmissverständliche Anzeichen, ihren Weg fortsetzen zu wollen, aber Dinkelmöpschen appellierte immer weiter an deren Verständnis.
Der Hund müsse erst die Sicherheit gewinnen, dass Frauchen ganz fest und für immer sein Frauchen sei und solange dieser Prozeß noch andauere, würde Spider aus seiner Not und beschränkten Erfahrung heraus jeden wegbeißen, der sich Frauchen nähert.

Lukas ging ein paar Schritte zu Seite.
Für ihn war das nichts Neues.
Und er mochte es nicht mehr hören.
Nach all den Monaten war er es leid.

Stundenlange, erschöpfende Diskussionen hatten sie schon über diesen Hund geführt.
Er biss nicht nur Fremde weg.
Um dem Hund die ihrer Meinung nach so wichtige Sicherheit zu geben, duldete Dinkelmöpschen seit Monaten, dass Spinne auch ihn wegbiss.

Für Lukas hatte der Hund eine waschechte Verhaltensstörung.
Seine Frau wurde aber nicht müde zu beteuern, dies sei nur unerwünschtes Verhalten und ganz bestimmt würde sich das bald legen.
Sie zwang Lukas jeden Tag aufs Neue die Geduld auf, die er schon längst nicht mehr hatte.

Ein Hund, ein fremder Hund, hat es geschafft, sich zwischen uns zu stellen, dachte Lukas bitter.

Kein Händchenhalten mehr.
Keine Wa-Küs mehr.

Kam Lukas abends nach Hause, lief ihm der Hund schon in der Diele entgegen, wenig begeistert und auch nur seine Anwesenheit tolerierend, nie aber ihn als Herrchen wahrnehmend.
Spider musste abgelenkt werden, damit das Begrüßungsküsschen mit seiner Frau möglich wurde.

Der Hund hatte auch noch nicht gelernt, was der eigentliche Sinn des Gassi-Gehens ist.
Dinkelmöpschen putzte die Hinterlassenschaften Spiders mit einem gewissen Enthusiasmus weg, störte sich auch nicht an dem Geruch, geradezu so, als sei es ihr eine Freude, Spider damit ihre Zuneigung demonstrieren zu können.

\"Widerlich, eklig, bah, ich habe schon keine Lust mehr, nach Hause zu kommen.\" , Lukas machte aus seiner Abscheu keinen Hehl. \"Und essen mag ich bald auch nichts mehr hier in der Wohnung.\"
Letztens hatte Spinne kleine Maden in den Ohrmuscheln gehabt.
Es war für Lukas nicht erträglich gewesen, den Hund für die nötige Behandlung auch nur festzuhalten.

In Lukas wehrte sich alles gegen diesen Hund.
Dabei ist es Spinne gegenüber ungerecht, dachte Lukas, der Hund nimmt ja nur, was er bekommt.

Sein Kumpel hatte ihn letzte Woche frech gefragt \"Was hat er, was du nicht hast?\"
Es war als Spaß gemeint gewesen.
Lukas konnte darüber nicht lachen.
 

Lucien

Mitglied
Der letzte Sonntag im September zeigte sich als wunderschöner sonniger Herbsttag.

Es machte Lukas Spaß, beim Waldspaziergang mit den Schuhen das bereits gefallene Laub zu zerstieben, das raschelnde Geräusch hatte er schon als kleiner Junge gemocht. Damals noch ermahnten ihn die Eltern, dies sein zu lassen, da zerstoßene Schuhkappen nicht besonders hübsch aussahen. Nicht einmal bei Jungen-Schuhen.

Nun gab es niemanden mehr, der sich für seine Schuhe interessierte.
Er selber achtete nicht darauf, denn dafür hatte er schon zu oft Schuhe zu den Containern der Altkleidersammlungen gebracht, die längst nicht zerschlissen waren.

Seiner Frau, die neben ihm herging, wäre vor ein paar Monaten bestimmt noch ein "Ach Schatz, muss das denn sein?" herausgerutscht.
Weniger aus Sorge um seine Schuhe, sondern vielmehr als Bekundung, dass sie ihn und sein Tun wahrnahm.
Irgendwie vermisste Lukas das jetzt.

Dinkelmöpschen. Seine Frau mochte es, so genannt zu werden.

Mit seinem geliebten Dinkelmöpschen waren solche Spaziergänge vor ein paar Monaten noch ganz anders gewesen.
Da gingen sie händchenhaltend und spielten mit den Fingern in der geschlossenen Hand des anderen.
Manchmal gingen sie vom Weg ab,stolperten durch das Gestrüpp,blieben stehen, "Wa-Kü?" hatte Dinkelmöpschen gefragt und Lukas hatte sich gefreut und ihr ein "Wald-Küsschen" gegeben.

Jetzt ging Lukas neben ihr her, schaute sich die golden-orangenen Blätter der Bäume an, fühlte die nur noch schwach wärmende Herbstsonne, genoss die würzigen und herben Gerüche des Waldes und hätte gerne wieder die Hand seiner Frau gehalten oder noch besser, hätte gerne seinen Arm um ihre Schultern gelegt und ihren an seiner Taille gespürt.
Es stimmte ihn traurig nur neben Dinkelmöpschen herzugehen, keine Nähe, keine Berührung und auch keine Aufmerksamkeit.
Sie war keinen Meter von ihm entfernt und doch fühlte er sich alleine.

Denn Dinkelmöpschen war voll und ganz mit Spider beschäftigt.

Spider, war das nicht das englische Wort für Spinne?
Spinne, wer nennt seinen Hund Spinne?
Es gibt diese Dinge im Leben, die Lukas nicht verstand und auch nicht verstehen wollte.
Spinne.

Für sich würde er diesen Hund künftig Spinne nennen.
Das beschönigte wenigstens nichts.

Eben an der Wegkreuzung hatte es einen dieser Vorfälle gegeben.
Ein älteres Ehepaar hatte höflich gefragt, welcher der drei Wege zur Wasserburg führt.
An der Wandertafel konnten sie nichts erkennen, da diese über und über mit Graffiti besprüht war.

Dinkelmöpschen wollte gerade antworten, als Spinne den Mann erst unangenehm anknurrte und dann ohne viel Zögern ins Hosenbein zwickte.
Der ältere Herr schien darüber ärgerlich zu werden, aber Dinkelmöpschen bremste ihn sofort wortreich ab.
Sie erklärte ihm, dass Spider, so hieße dieser Mischling, erkennbar doch von einem Boxer und Labrador abstammend, beides sympathische Rassen, also dass Spider als Welpe viel zuwenig Zuneigung bekommen hätte und nun unter Verlustängsten leide.
Diese Verlustängste würden sich darin äußern, fuhr sie fort, dass er große Angst habe, sein Frauchen wieder zu verlieren.
Sie sei das Frauchen, welches ihn aus dem Tierheim erlöste und fortan mit nahezu uneingeschränkter Fürsorge und Liebe umgibt.

Das fremde Ehepaar machte unmissverständliche Anzeichen, ihren Weg fortsetzen zu wollen, aber Dinkelmöpschen appellierte immer weiter an deren Verständnis.
Der Hund müsse erst die Sicherheit gewinnen, dass Frauchen ganz fest und für immer sein Frauchen sei und solange dieser Prozeß noch andauere, würde Spider aus seiner Not und beschränkten Erfahrung heraus jeden wegbeißen, der sich Frauchen nähert.

Lukas ging ein paar Schritte zu Seite.
Für ihn war das nichts Neues.
Und er mochte es nicht mehr hören.
Nach all den Monaten war er es leid.

Stundenlange, erschöpfende Diskussionen hatten sie schon über diesen Hund geführt.
Er biss nicht nur Fremde weg.
Um dem Hund die ihrer Meinung nach so wichtige Sicherheit zu geben, duldete Dinkelmöpschen seit Monaten, dass Spinne auch ihn wegbiss.

Für Lukas hatte der Hund eine waschechte Verhaltensstörung.
Seine Frau wurde aber nicht müde zu beteuern, dies sei nur unerwünschtes Verhalten und ganz bestimmt würde sich das bald legen.
Sie zwang Lukas jeden Tag aufs Neue die Geduld auf, die er schon längst nicht mehr hatte.

Ein Hund, ein fremder Hund, hat es geschafft, sich zwischen uns zu stellen, dachte Lukas bitter.

Kein Händchenhalten mehr.
Keine Wa-Küs mehr.

Kam Lukas abends nach Hause, lief ihm der Hund schon in der Diele entgegen, wenig begeistert und auch nur seine Anwesenheit tolerierend, nie aber ihn als Herrchen wahrnehmend.
Spider musste abgelenkt werden, damit das Begrüßungsküsschen mit seiner Frau möglich wurde.

Der Hund hatte auch noch nicht gelernt, was der eigentliche Sinn des Gassi-Gehens war.
Dinkelmöpschen putzte die Hinterlassenschaften Spiders mit einem gewissen Enthusiasmus weg, störte sich auch nicht an dem Geruch, geradezu so, als sei es ihr eine Freude, Spider damit ihre Zuneigung demonstrieren zu können.

"Widerlich, eklig, bah, ich habe schon keine Lust mehr, nach Hause zu kommen." , Lukas machte aus seiner Abscheu keinen Hehl. "Und essen mag ich bald auch nichts mehr hier in der Wohnung."
Letztens hatte Spinne kleine Maden in den Ohrmuscheln gehabt.
Es war für Lukas nicht erträglich gewesen, den Hund für die nötige Behandlung auch nur festzuhalten.

In Lukas wehrte sich alles gegen diesen Hund.
Dabei war es Spinne gegenüber ungerecht, dachte Lukas, der Hund nahm ja nur, was er bekam.

Sein Kumpel hatte ihn letzte Woche frech gefragt "Was hat er, was du nicht hast?"
Es war als Spaß gemeint gewesen.
Lukas konnte darüber nicht lachen.
 



 
Oben Unten