Direkt oder Bilder in Kurzlyrik?

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Kurzlyrik, wie sie sich in der letzten Woche in unserem Forum darstellt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie weitgehend in der ersten Ebene spielt, weitgehend auf Metaphern verzichtet. Es wird direkt gesagt, was gemeint ist.
Ist es eine metapherarme zeit? haben die Metaphern ausgespielt?
Die Kurzlyrik nähert sich formal einer Art Kürzestprosa, völlig von der Form befreit, wird somit paradox.

Beispiele:

Kopfgespenster

Bilder von dir
geistern herum
unter meiner Augen
müden Lider.

Ich werde dem Spuk
kein Ende bereiten.
Das Gedicht von Stoffel beschreibt in zwei Sätzen einen Vorgang. Und es sagt gleich im Titel, was der DIchter damit sagen will.
Es sind zwei Sätze: Eine Aussage und eine Anti-Schlussfolgerung, denn normalerweise bereitet man dem Spuk ein Ende. Das ist in diesem Werk der springende Punkt für mich.

Ein Senryu von MDSpinoza
Hämmernder Kopfschmerz
Schon das kleinste Licht tut weh
Der Zorn der Trauben
Eine durchzechte Nacht, oder ein durchzechter Abend saind in Szene gesetzt. "Der Zorn der Trauben" personifiziert die Trauben, die Ursache. Oder war die Ursache für den Zorn allgemeinerer Kopfschmerz? Das Gedicht beschreibt Ursache und Wirkung. Es verzichtet darauf, sie zu zeigen als Bild.

Auch Inge Anna greift zur Beschreibung:

Sie fand ihn


erst als sie aufhörte
in seinem Leben
nach Gold zu graben
fand sie,
was sie wirklich suchte -
ihn.
Hier aber sind Ansätze eines Bildes zu sehen, das Bild des Goldgräbers.

Für mich interessant, obwohl die Gedichte unterschiedlich sind in Länge und Form, so nähern sie sich doch im Ausdruck.

Gedichte werden Kürzestprosa, sie beschreiben das Leben.
Auf kunstvolle Verzierungen wird verzichtet, das ist wohl auch ein Tribut an die Kürze, aber es zeigt auch die Schreibgewohnheiten.

Der Duktus, des Stil nähern einander an, obwohl die Themen sehr verschieden sind.

Ernsthafte, kurze Statements, eher als eine narrative Sicht (es wird keine Geschichte geschrieben) oder als Bilder (ich sehe es nicht vor mir.) Manchmal ein Erlebnis, auch eines, das sich hinzieht.

Eine Herbststimmung herrscht vor in Form leichter Trauer über Verschwundenes, oder im Gefühl des Wiedererlangten.

Ich habe nur drei Beispiele genannt, die eher zufällig ausgewählt sind.

Die Gedanken, die Gefühle werden Kunst, unverschlüsselt, geradlinig.
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Hallo Bernd,
eine ziemlich spannende Frage.
Hier mal meine Gedanken dazu, es wird eher auf ein Brainstorming hinauslaufen, als auf eine schlüssige Argumentation ;)
Aber ich leg einfach mal los:
Ich stimme dir zu, dass die zeitgenössische Lyrik seit geraumer Zeit immer metaphernärmer wird.
Das will ich aber gar nicht bewerten, es ist so wie es ist.
Vielleicht liegt es daran, dass Metaphern nicht an Bäumen wachsen, will sagen: es lassen sich ja nicht beliebig neue Metaphern konstruieren. Sie sind ja Übertragungen eines Bildspenders auf einen Bildempfänger, die dann auch noch in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen.
Vielleicht leben wir in einer undankbaren Zeit, in der wir schon so viel gelesen, gesehen und gehört haben, dass uns all diese Übertragungen bekannt und abgegriffen vorkommen.
Vielleicht sind Metaphern in ihrer Bildhaftigkeit auch einfach "out". Wenn die Dichtung so etwas wie "Wahrhaftigkeit" oder "Ehrlichkeit" vermitteln will, wirken Metaphern eher wie ein Filter der über die Realität gelegt wird.
Trotzdem finde ich nicht, dass die zeitgenössische Dichtung eine Kürzestprosa darstellt. Sie malt immer noch Bilder, sie macht es nur mit anderen Mitteln. Wörter werden aus ihrem Zusammenhang gelöst und in einen neuen Kontext gesetzt, die Realität wird in Begriffe aufgelöst und neu zusammengepuzzlt. Sampling, ein Sammeln und neu Zusammenstellen, ein 5 Mrd Gigabyte iPod, auf dem die Realität gespeichert ist und der Autor stellt nach Lust und Laune seine tracklist zusammen.
Vielleicht...
Vielleicht haftet an Metaphern auch immer der Hauch von Pathos und Kitsch, mir persönlich geht es zumindest so.
Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, warum die Lyrik so reduziert daherkommt.
Vielleicht ist das auch eine Aufgabe von uns Autoren: Zu hinterfragen warum wir wie schreiben, mit welchen Mitteln wir arbeiten und weshalb wir bestimmt Mittel meiden (wie der Teufel das Weihwasser)...
Ich werd auf jeden Fall mal weitergrübeln...
Danke für diesen Thread
Mirko
 
M

Melusine

Gast
Hallo Bernd, hallo Mirko,

ich melde mich mal ganz frech als Nicht-Lyrikerin zu Wort - ebenfalls brainstorming-mäßig.
Ich verwende in meiner Prosa und selbst in meiner Alltagssprache gern Bilder und Vergleiche. Metaphern - nun ja, das vielleicht eher selten, da das in Prosa eher gestelzt daherkommt. (Falls ich denn weiß was eine Metapher genau ist, dessen bin ich mir nicht so sicher.)
Vor allem für meine bildhaften Vergleiche in Diskussionen und Alltagsgesprächen werde ich oft ausgelacht. Oft ist es für mich nachvollziehbar, die Vergleiche hinken nicht selten. Dennoch: Ich fürchte, es ist wirklich eine metapherarme oder noch viel allgemeiner eine bildarme Zeit. Woran liegt das? An der Bildüberflutung durch die Medien? Sind (sprachliche) Bilder suspekt?
Sind Metaphern denn wirklich pathetisch? Gar kitschig?

LG Mel
 



 
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