Drei Tage scheintot

Anonym

Gast
Ich fürchte, ich muß mich erklären. Ich war drei Tage ohne Internet. Meine Nabelschnur zur Welt war gekappt. Seit ich endlich meinen Zugang zum Internet habe, hat sich meine Familie vergrößert und bereichert. Wetterdienst, Meinungen, Termine - alles jederzeit zu haben! Eine Bibliothek ohne Grenzen, Musik nach Wunsch, Erklärungen für die Welt - ohne ein einziges Zeitungsblatt! Und mein neues Erlebnisforum, samt Briefkasten in die große, weite Welt hinaus.

Nimm ein iPad, hatte der Rat geheißen, das gehorcht einem leichten Druck deines kleinen Fingers. Also, ganz so leicht war es dann zwar nicht, mein neuer Hausgenosse ging oft eigene Wege, aber selbst ein Hund muß ja erst leinenführig werden.

Ich lernte schnell, daß ein Computer abstürzen und ein Router sich aufhängen kann, beides nicht tödlich. Die Wiederauferstehung folgte regelmäßig bald. Bis zu jenem schwarzen Mittwoch, als mein Funkverkehr zur Welt abrupt abbrach und ich mich allein in der kleinen Raumkapsel meiner Wohnstube wiederfand. Wo seid ihr? Tiefes Schweigen auf meinem Bildschirm. Ich bin da. Ich will zu euch zurück. Alles wie erstarrt. Ich kramte mein mittlerweile angestaubtes Telefon heraus und besann mich auf sämtliche Notfallnummern. Nein, mein Router zwinkert mir mit allen grünen Lämpchen zu. Doch, der Akku meines iPads ist randvoll geladen. Mein Browser - was soll sein? Er könnte mich im Stich lassen, wenn ich ein Update mißachte? Nun ja, ein versäumtes Date kann natürlich kränken, aber die Schuld trifft mich nicht allein! Warum muß er denn auch immer in dieser Fremdsprache mit mir reden? Ein Ersatzbrowser - das geht? Nein, ich habe nur den Herrn Safari, meine Generation ist noch zu sehr in der Monogamie verwurzelt. Aber ich bin lernfähig, wenn mein Browser mich tatsächlich fallenläßt wie eine heiße Kartoffel, dann kann er sehen, wo er bleibt. Es gibt schließlich die Konkurrenz.

Langsam wurde ich wütend. Kein Briefkasten, keine Neuigkeiten! Denken sie nun alle, ich will nicht? Nur allzu gern, aber ich kann nicht.
Ich aß und trank nicht mehr, bekam in der Nacht kein Auge zu. Einzelhaft! Was hatte ich verbrochen? Die harte Prüfung dauerte drei Tage, während derer ich versuchte, mich allmählich mit meinem Schicksal abzufinden. Hatte ich nicht mal Papier und Stifte besessen, gab es nicht irgendwo noch mein altes Adreßbuch?

Drei Tage später, bei einem letzten Blick auf mein iPad, zum endgültigen Lebewohl, durchfuhr mich der Blitz. Die Seite des Wetterdienstes verhieß für den heutigen Tag Sonne und frischen Wind. Was war passiert? Ein Alptraum? Viel später hörte ich im Rundfunk etwas von einer Großstörung im Hamburger Netz, nunmehr behoben.
Beschämt umarmte ich mein schuldloses iPad, küßte meinen Router und tat meinem Browser Herrn Safari still Abbitte. Der Familienfrieden ist wiederhergestellt. Sie konnten allesamt nichts dafür. Ich selbst allerdings genauso wenig. Wer rechnet denn gleich mit dem Katastrophenfall?
 



 
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