Drumming Man

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Hagen

Mitglied
Drummig Man

Als ich die Kuschelrock-CD im Einkaufswagen hatte und den Fleischstand wegen eines Steaks ansteuerte, fiel mir ein, dass Kuschelrock-CDs nur von Leuten gekauft werden, die nach der Blutspende kollabieren, das Riesenrad auf der Kirmes vollkotzen und dann auf der Achterbahn kreischen wie ein Frauenzimmer.
Nix da, ich kehrte um und legte noch eine Swing-CD dazu, nicht dass die Frau an der Kasse dachte, ich würde auch noch Alsterwasser oder noch schlimmer so bunte Drinks, in denen ein Schirmchen steckt, trinken. Sowas tun Kuschelrock-CD-Käufer nämlich, die gehen sogar, wenn sie ihre Extra-Light-Zigaretten rauchen, auf den Balkon und brauchen eine Rückwärtseinparkhilfe. Ich kaufte die Kuschelrock-CD weil ich diese ewige klassische Musik im Taxi satt hatte; - man muss sich schließlich weiter entwickeln, und die Swing-CD legte ich drauf, weil ich auch mal etwas Beschwingtes brauchte, wenn ich einen Besoffenen nach Hause zu bringen hatte. Das Ganze leistete ich mir, weil ich in der letzten Zeit ganz gut Trinkgeld eingefahren hatte und überhaupt mal wieder eine oder zwei CDs fällig waren; - leider hatten die im Supermarkt keinen Rockabilly, aber man kann nicht alles haben, dafür hatten die T-Bone-Staks im Angebot.
Ich leistete mir gleich drei, gute, männliche T-Bone-Steaks, und für meine Salonlöwin Anna-Karenina war auch eine gemischte Palette Katzenfutter drin, Milchdrops, Katzensnacks mit Lachs, Kaninchen und diversen anderen Sachen vom Käserolli bis zum Fleischbällchen und natürlich die von ihr besonders geschätzte Katzenmilch.
Jedenfalls zuckte die Kassiererin mit keiner Wimper als sie die Kuschelrock-CD über den Scanner schob, wahrscheinlich dachte sie an ihren Goldhamster zuhause, oder an ihren Kleigarten und welche Zwerge sie dort aufstellen sollte.
Egal, Anna-Karenina nahm die Leckereien hoheitsvoll entgegen, und wartete, bis sie den Inhalt einer Dose, feine Filets vom Huhn und Schinken, auf ihrem Goldrandteller hatte.
„Guten Appetit meine Schöne.“
Sie bedankte sich nicht, sondern machte sich ganz selbstverständlich darüber her, wie ein tibetanischer Mönch, der, wenn zu faul zum arbeiten ist, ins Dorf geht, Speis und Trank von den hart arbeitenden Bauern holt, sich nicht bedankt; - den Bauern aber damit die Gelegenheit gibt, ihr Karma zu verbessern. Und die Bauern glauben das und sind auch noch glücklich darüber.
Ich kam mir auch vor wie ein derartiger Bauer, während ich die Swing-CD einlegte und mir eins der Steaks briet, so richtig männlich-englisch. Anna-Karenina aß den Teller ratz-fatz leer und zog sich zum Meditieren und zur Fellpflege irgendwohin zurück, außerdem war ihr die Musik etwas zu dekadent, sie bevorzugte Country und Western.
Egal, ein T-Bone-Steak mit einem Hauch von Zwiebeln und einen Zweiglein Thymian am Schluss, dazu guten Jazz, das ist schon was Feines!
Hinzu kam, dass ich bis Mittag geschlafen und noch genügend Zeit bis zur Nachtschicht hatte, dabei sagt man doch: ‚Der frühe Vogel fängt den Wurm‘.
‚Der frühe Vogel kann mich mal…‘, dachte ich, setzte mich an den Tisch und begann das Steak mit Genuss zu verzehren.
Die Jazzband spielte inzwischen ‘Drumming Man‘. Eine Frau sang von dem Schlagzeuger, der immer ganz hinten sitzt und trommelt, von den Anderen nahezu unbeachtet, und dann kam das obligate Schlagzeugsolo, schlicht, diskret und unaufdringlich. Ich als Schlagzeuger wäre mindestens einmal während des Solos über die Kuhglocken gegangen; - mindestens einmal. Es hätte so schön gepasst. Aber nein; - wahrscheinlich wollte er die Sängerin nicht an die Wand drücken.
Egal, ich aß das Steak auf, marinierte die anderen, so richtig schön mit Knoblauch, Chili und Zwiebeln. Natürlich hatte ich den Honig vergessen und tröstete mich damit, dass nur Heilfasten-Mitmacher, Biolek-Kochrezept genau Nachkocher oder Kuschel-Rock-CD-Käufer Honig an die Marinade tun.
Honig!
Ich brühte mir noch einen richtig schönen, starken Kaffee auf, trank mit Genuss, hörte die Swing-CD zuende, packte sie ein, die Kuschelrock-CD auch, verabschiedete mich von Anna-Karenina und ging ganz gemächlich zur Nachtschicht.

Da war noch nicht viel los, und ich hörte die Swing-CD nochmal, so richtig schön mit Sitz zurück und Arme verschränkt hinter dem Kopf. Diesmal ging der Schlagzeuger einmal über die Kuhglocken.
Na gut, dann hatte ich vorhin zuhause nicht richtig hingehört, war auch egal, ich wollte die CD nochmal zurücklaufen lassen, da bekam ich eine Fahrt. Nichts tolles, nur mal eben Hubert aus der Pumpe nach Hause bringen, und ich sollte mich beeilen. Aber Hubert wollte noch eben austrinken.
„Willst du ‘n Kaffee oder ‘ne Cola?“
„Nein, danke. Nett von dir, ich weiß das zu schätzen, aber ich habe keine Zeit, das verstehst du doch?“
„Aber einen Kaffee...“
„Nein! Der nächste Fahrgast wartet bereits. Ich möchte ihn nicht warten lassen, dich habe ich ja auch nicht warten lassen.“
„Na gut. Aber einen Kaffee...“
„Hubert, bitte. Wir trinken mal einen zusammen, wie richtige Männer, ein schönes Bier aus einem Glass mit Griff an der Seite und einem Häublein Schaum oben drauf; - wenn ich mehr Zeit habe, so ganz in Ruhe.“
„Das ist ein Wort.“
Hubert brauchte noch eine Weile um auszutrinken und sich von diversen Kumpels zu verabschieden, während ich mit den Schlüsseln klappernd daneben stand. Dauerte etwa eine Viertelstunde, die ganze Geschichte. Als wir los wollten, zupfte mich einer am Ärmel.
„Kommst du gleich wieder und bringst mich nach Hause?“
Michael. Inzwischen hätte ich Hubert zweimal heimwärts bringen können und Michael auch.
„Klar doch. Ich komme gleich wieder, zehn, fünfzehn Minuten. Ich möchte eben noch eben eine Stadtfahrt absolvieren und kehre dann hierher zurück. Du kannst in Ruhe austrinken.“
„Logisch! Ich warte mal eben.“
Michael ist fast jedes Wochenende mächtig betrunken, lebt von der Stütze, und auf einer Parzelle, auf der eine ehemals gepflegte Spalierrose über den Weg wuchert, die Äpfel nicht mehr gepflückt werden und dunkelbraune Farbe von der Laube blättert.
Fünf Minuten die Fahrt, Hubert wollte mir unbedingt seine Radios zeigen, „die sind im Keller, habe ich restauriert“, er nannte mir Namen und Typen einiger Rundfunkempfänger. Ich hatte keinen Kopf dafür, versprach aber, seine Radios gelegentlich und mit etwas mehr Zeit zu besichtigen.
Zwölf Minuten später stand ich wieder vor der Pumpe. Dort startete gerade des `Proleten-Karls´ Taxi mit Michael darin. Michael zeigte mir den ‘Finger’ und grinste wie eine Kanalratte.
Egal.
Ich ging wieder am Bahnhof längsseits, stellte den Sitz zurück und hörte mir die Swing-CD nochmal an. Diesmal ging der Schlagzeuger dreimal über die Kuhglocken; - dreimal!
Ich war etwas irritiert, wollte die CD nochmal zurücklaufen lassen, aber ich bekam wieder eine Fahrt, zur Pumpe.
In der Pumpe standen sich diesmal zwei Herren grimmigen Blicks gegenüber, wenige einzelne Damen, zahlreiche weitere Herren saßen oder standen an der Theke herum und harrten der Dinge, die da kommen würden.
„Hier hat soeben einer eine Kraftdroschke angefordert“, sagte ich zum Wirt, der mit beiden Pranken auf den Zapfhähnen hinter der Theke stand.
„Michael. Ist aber schon weg. Du bist ja nicht gekommen.“
„Ich bin doch da, das zweite Mal.“
„Aber zu spät.“
„Es gab ein Problem mit dem vorigen Fahrgast.“
Der Wirt zuckte die Achseln.
„Du willst mir also eine in die Fresse hauen?“ fragte einer der grimmig dreinblickenden Herren den anderen.
Da ließ sich eine Sache dynamisch an. Ich beschloss noch zu bleiben und ein wenig zuzuschauen.
Der eine war Keule, der andere Pepe.
Keule ist im Grunde ein netter Kerl und sehr kräftig. Er hat eine nette Frau und zwei nette Kinder. Er geht einem ordentlichen Beruf als Landschaftsgärtner nach und drei Mal die Woche ins Fitness-Studio. Manchmal überschätzt er sich allerdings, so einmal im Monat. Na, gut, das hatten wir schon mal in einer anderen Geschichte, macht aber nix. Manche Frauen werden auch einmal im Monat extrem zickig, meine Ex zum Beispiel, aber ich habe noch nie über einen Zusammenhang mit irgendwas nachgedacht.
Pepe ist im Grunde ein Gemütsmensch, aber er wird stinksauer, wenn einer den gleichnamigen Schlager auch nur gedankenverloren vor sich hin pfeift. Erschwerend kommt hinzu, dass der Wirt der Pumpe Catarina Valente-Fan ist, er hat ihre größten Hits in der Duke-Box. Wenn nun einer aus Versehen, oder mit Absicht, oder aus welchem Grund auch immer, ‘Pepe‘ drückt, und der Herr gleichen Namens ist anwesend, kann allerhand passieren. Seltsam war nur, dass Pepe seinen guten, dunklen Anzug an hatte, mit schräg gestreifter Krawatte. Ich kannte ihn nur mit Latzhose, was er machte weiß ich nicht, aber ab und zu ging er gleich nach Feierabend ein Bier trinken.
„Ist das eine Privatangelegenheit, oder kann ich mitmachen?“ fragte ich den Mann hinter der Theke.
„Ist privat.“
Die beiden vertrugen sich wieder und machten sich über ihre Biere her. War nix mit zugucken bei einer Schlägerei, auch nicht mit Wette placieren.
„Schade. - Na gut. Das Leben ist hart aber ungerecht. - Sag‘ bitte Bescheid, wenn ich jemanden fahren soll.“
„Klar, mach ich.“
„Okay, bis dann.“
Ich ging raus und zum Taxi. Dort meldete ich meinem Boss das Missgeschick meines verspäteten Eintreffens und gab einen kurzen Lagebericht. Mein Boss war etwas ungehalten, zeigte aber Verständnis und bat mich, den Taxenstand am Bahnhof erneut aufzusuchen.
War mir recht, denn ich wollte die Swing-CD vom ‘Drumming Man‘ nochmal hören. Das tat ich denn auch, und diesmal ging der Schlagzeuger nur einmal über die Kuhglocken, nur ein einziges Mal; - irgendetwas stimmte da nicht. Ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken, denn mein Boss beorderte mich zum Mephisto, Michael abholen.
Wieder raus und hin. Ich ging beim Mephisto längsseits und hinein. Da saß Michael und wollte wissen, was ich denn hier wollte.
„Dich abholen. Du hast doch ein Taxi bestellt.“
„Ich denke, du machst eine Stadtfahrt.“
„Schon erledigt. Können wir denn?“
„Noch eben austrinken. Da musst du noch warten!“
„Ich werde mal sterben müssen, das ist alles, was ich muss!“
„Was soll das denn heißen? Ich kann auch ein anderes Taxi nehmen.“
„Michael, was soll das denn? Du hast ein Taxi gerufen, ich bin gekommen, du trinkst eben aus, wir fahren los. Richtige Männer halten das ein, was sie zugesagt haben. – Es sei denn, sie sind Kuschelrock-CD-Käufer, Tempo 30 Befürworter, Alkoholfreies Bier oder noch schlimmer: Eierlikör-Trinker. Das würde ich bei sonen Typen sogar verstehen. Aber bei dir?“
„Logisch!“ sagte Michael, trank aus, knallte einen Geldschein auf die Theke und ging an Bord. Die Fahrt verlief ohne weitere Zwischenfälle, anschließend rollte ich ganz langsam den Taxenstand am Bahnhof an, überlegte, ob es der Sinn des Lebens war, Besoffene hin und her zu fahren und drückte unterwegs die CD rein. Diesmal ging der Schlagzeuger fünf Mal über die Kuhglocken, fünf Mal!
Ich zählte genau mit.
Der Schlagzeuger war gerade fertig, und ich dabei, mich wieder einzuparken, da beorderte mein Boss mich zum Restaurant des Hotels Meridian. Ich fuhr hin und mir vor dem Hotel mit dem Kamm durch die Haare.
„Taxi bitte“, meldete ich mich drinnen, „bitte freuen sie sich jetzt.“
Einige Herren in Anzügen saßen an der Bar, die Krawatten gelöst, die Jacken geöffnet, die Hemden aus den Hosen und die Gesichter gerötet.
„Wieso hat das solange gedauert?“ Einer der Herren wandte sich mir zu, die Mundwinkel herab gezogen, „du musst noch ein Bisschen warten!“
Demonstrativ langsam nippte er an seinem Drink.
„Natürlich. Wir wollen ja nicht unter Stress stehen“, sagte ich „andererseits wollen wir es auch nicht übertreiben.“
Er schnipste der blonden Dame hinter der Theke den Geldschein, der vor ihm lag, vor die Füße und sah ihr unverhohlen ins Dekolleté als sie sich bückte.
„Dann stimmt das so! – Tolle Titten hast du.“
Die anderen lachten. Er schnipste noch eine Serviette hinterher. Ein überlegenes Lächeln umspielte die Lippen der Blonden, sie schob die Serviette mit dem Fuß irgendwo hin, ließ die Kasse aufspringen, legte den Schein hinein, tat einige Münzen in ein Glas und ging weg. Einen Atemzug später erschien ein Mann mit geölten Haaren und tadellosem schwarzen Anzug.
„Möchten die Herren noch etwas bestellen?“
„Hat sich erledigt“, mein Fahrgast wälzte sich vom Hocker, verabschiedete sich ausgiebig von den anderen Herren und setzte sich in Bewegung. Ich ging vor und hielt ihm mit steinernem Gesicht die Tür auf. Er walzte durch, zu meinem Taxi und rüttelte am Türgriff.
„Was ist das denn für eine alte Karre? Warum hast du denn abgeschlossen?“
„Besser ist das.“
Ich schloss auf, er riss mir die Tür aus der Hand und ließ sich in den Sitz fallen. Ich wollte die Tür schließen, mit sanftem ‘Pop‘ ins Schloss gleiten lassen, aber er riss sie mir wieder aus der Hand knallte sie mit lautem Krachen zu. Ich ging um den Wagen herum und setzte mich hinein. Das Funkgerät piepste bereits. Mein Boss. Ich teilte ihm mit, dass der Herr eine dezente Verzögerung verursacht hatte. Mein Boss gab mir die nächste Fahrt, bat mich um etwas Beeilung und fragte nach dem aktuellen Fahrziel.
„Wo soll’s denn hin gehen?“ fragte ich den Mann neben mir.
„Das sage ich dir gleich. Mach erst mal die Kiste aus!“
„Okay, ich melde mich gleich und beeile mich“, sagte ich und hängte das Mikrofon wieder ein, „wo darf ich sie hinfahren?“
Er zündete sich eine Zigarette an, eine mit Filter, extra light.
„Hier vorne ist kein Aschenbecher“, sagte ich, „ich bitte sie daher aus dem Fenster hinaus zu aschen. – Außerdem besteht in Taxis Rauchverbot, aber das sehe ich nicht so eng.“
„Wieso ist denn hier kein Aschenbecher in dem Scheißtaxi?“
„An der Stelle, an der der Hersteller dieser wunderbaren Kraftdroschke den Aschenbecher vorgesehen hat, befindet sich jetzt das Funkgerät.“
„Dann musst du mal einen Ascher einbauen!“
„Ah, ja, gute Idee. - Wo darf ich sie jetzt hinfahren?“
„Schmiedestraße.“
„Hier in Lehrte gibt es keine Schmiedestraße. Möchten sie zur Schmiedestraße in Hannover oder zur Schmiedestraße in Burgdorf oder zur Schmiedestraße in Arpke?“
„Burgdorf natürlich, für zehn Euro, du Scheißhaufen!“
Ich hatte die Finger bereits am Zündschlüssel.
„Augenblick bitte“, sagte ich, „meiner Ansicht nach besteht unsere Vereinbarung darin, dass ich sie da hin fahre, wo sie hin möchten. Anschließend zahlen sie mir das, was auf der Uhr steht. Das schließt keine Beleidigung ein. Sollten sie anderer Ansicht sein, bitte ich sie, wieder auszusteigen. Die nette Dame an der Bar ruft ihnen sicherlich gerne ein anderes Unternehmen.“
„Stell‘ dich doch nicht so an. Du kannst die Uhr auslassen. Ich geb‘ dir zehn Euro.“
„Ich fahre nach Uhr, wie sich das gehört und behalte mir vor, ihnen gegebenenfalls nahezulegen, das Taxi vorzeitig zu verlassen.“
Ich drehte den Schüssel und startete die Uhr. Recht schwungvoll fuhr ich auf die Straße und drehte das Radio etwas lauter. Die Swing-CD lief noch, war alles ganz normal. War eigentlich viel zu schade, dieses Gemälde von gutem Jazz an einen besoffenen Schlipsträger zu verschwenden, es zu benutzen, Rumgequatsche zu verhindern.
Er wollte wissen, was das denn sei und ob ich denn nicht anständige Musik einstellen könnte. Ich reagierte nicht, bis zur Schmiedestraße in Burgdorf.
„Dreizehnachtzig“, sagte ich nachdem ich Uhr und Taxi gestoppt und das Radio leise gedreht hatte.
„Wir hatten zehn Euro vereinbart.“
„Ich habe ihnen gesagt, dass ich nach Uhr fahre. Auf der steht Dreizehnachtzig! Die zahlen sie mir bitte.“
Ein feistes Grinsen kroch über sein Gesicht als er sein Portemonnaie zog und einen Zehner heraus nahm. Ich griff mir den Geldschein. Er drehte seine Geldbörse um und schüttete einen Haufen Münzen in den Fußraum vor sich.
„Ich glaube, ihnen ist etwas runter gefallen“, sagte ich.
„Das musst du aufheben“, sagte er, „ich kriege noch was raus!“
„Im Gegenteil. Ich bekomme noch dreiachtzig von ihnen.“
„Die liegen da doch. Den Rest kannst du behalten.“
„Tausend und einen Dank, der Herr. Es war mir ein entsetzliches Vergnügen, bitte beehren sie uns nicht so bald wieder. - Da geht’s raus!“
„Ihr Unternehmen werde ich mir aber merken!“
„Ich wäre ihnen unendlich dankbar. Bitte verlassen sie jetzt das Taxi, ich möchte noch einige kultivierte Herrschaften nach Hause fahren.“
Er stieg tatsächlich aus, ich fuhr los, hielt einige Straßen weiter an, schrieb die Fahrt auf und sammelte die Münzen ein - macht ja einen schlechten Eindruck, wenn was im Fußraum rumliegt.
Jetzt war ich erst mal zigarettenreif, eine würzige, männliche ohne Filter.
Das tat ich dann auch und hörte dabei noch mal den ‘Drumming Man‘.
Diesmal ging der Drummer nur einmal über die Kuhglocken.
Nur einmal!
Was, zur Hölle, war da eigentlich los?
Ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken, denn mein Boss gab mir gleich die nächste Fahrt. Ich beeilte mich, aber die beiden Damen, die in der Burgdorfer Straße an Bord gingen, äußerten Unmut, weil sie wieder mal viel zu lange auf ein Taxi hatten warten müssen, und es zudem nach Qualm stank. Ich erwähnte kurz, dass es mit dem vorigen Fahrgast ein Problem gegeben hatte, er war stärker als ich und hatte sich kurz nach Antritt der Fahrt eine angedampft.
Ich ertrug mannhaft die guten Ratschläge, die folgten, während ich die Damen heim brachte.
War nix mit ausruhen oder ‘gesetzliche Pause‘ wie das so schön heißt, geschweige denn mit Kaffee trinken, denn mein Boss meldete sich wieder:
„Fahr‘ doch bitte mal eben zur Pumpe, Keule will woanders hin.“
„Okay, Pumpe“, bestätigte ich und rollte diese an, nicht ohne vorher mal kurz den ‘Drumming Man‘ zu hören; - der Schlagzeuger ging diesmal zweimal über die Kuhglocken.
Keule saß an der Theke.
„Warum hat das denn solange gedauert?“ wollte er wissen, „ich hab‘ schon vor einer Viertelstunde angerufen. Dein Chef hat zehn Minuten gesagt.“
„Ich mach ja schon den Bleifuß, aber manchmal geht’s nicht anders.“
„Eben noch austrinken.“ Keule hatte noch ein halbvolles Glas Bier vor sich, „dauert nur noch fünf Minuten.“
Ich wartete zehn Minuten und trank einen vom Wirt spendierten Kaffee. Keule war erheblich bezecht, ich half ihm in den Wagen.
„Nach Hause?“ fragte ich.
„Äh nö! Wir fahren zur Bierschwemme. Hier ist ja nix los. Alles Weicheier hier. Ich such’ mir da den stärksten raus und schlag’ den zusammen, ich brauch das mal wieder.“
„Na ja, wenn es denn sein muss…“
Ich brachte Keule zur Bierschwemme. Gerne wäre ich noch mit reingegangen, gucken. Gerade hatte ich die Fahrt aufgeschrieben, und wollte den ‘Drumming Man‘ nochmal hören, und wie oft der Schlagzeuger diesmal über die Kuhglocken ging, den ich hegte bereits einen gewissen Verdacht, da kam Keule wieder raus. Nicht ganz so aufrecht, wie er hinein gegangen war.
Sein Vorhaben war ihm nicht so recht geglückt. Der Wirt der Bierschwemme sah es nicht sonderlich gerne, wenn sich in seinem Lokal geprügelt wird, und da hatte er mal schnell und zielgenau zugelangt. Traf Keule etwas überraschend, die Aktion, aber so was passiert schon mal, zumal er an langsam wachsende Pflanzen gewöhnt war.
Der Wirt legte mir nahe, ihn nach Hause zu bringen. Keule hatte kaum Schäden davon getragen, aber als wir bei ihm Zuhause angekommen waren, mochte er nicht aussteigen und erzählte mir Bemerkenswertes von dem Rasierwasser, das sein Bruder benutzt, und wie ihm kürzlich eine halbe Flasche davon ausgelaufen war.
Ich wollte gerade die Frage stellen, wieso das Leben des Mahâtma Gandhi verfilmt worden ist, wenn es doch derart interessante Stoffe gibt, als sich des Hauses Tür auftat und eine Frau in semitransparentem Nachthemd erschien.
„Kommst du nun, oder was?“
Keule drückte mir hastig einen Geldschein in die Hand, stürzte sich aus dem Taxi und ins Haus.
Und dann passierte eine ganze Weile absolut nichts mehr, ich ging am Bahnhof in Position, stieg aus und schnackte ein bisschen mit den Kollegen, machte ein paar Sprüche, nach dem Motto: „Richtige Männer rauchen keine Filterzigaretten“, als sich der ‘Proleten Karl‘ eine Filterzigarette anzündete und war eigentlich gar nicht bei der Sache, als sie sich Taxifahrerwitze erzählten.
Wenn ich offenbart hätte, das ich eine CD hatte, auf der der Schlagzeuger je öfter er über die Kuhglocken ging, desto schlimmer die folgende Fahrt war, hätten sie mich für komplett bekloppt gehalten.
Stattdessen ergab sich ein Gespräch über ‘Männlichkeit‘, und sie wollten wissen, was einen Mann ausmacht.
„Na ja“, sagte ich, „Kuschelrock-CD-Käufer, Dieselhandschuhtanker, Leichtkugelbowler, Beckenrandschwimmer, Warmbadetagbader, Frauenversteher, Früchteteetrinker…“
„Ich verstehe“, sagte ‘Doppelwhisky‘, „Gartenzwergaufsteller, in Ortschaften immer 50-Fahrer, Schattenparker, Liederkranzmitsänger…“
„Sahnetörtchenesser“, sagte die ‘Kreolen Roswita‘ mit wichtigen Gesicht, der ‘Proleten Karl‘ fuchtelte mit seiner Hand vor den Augen herum und drückte seine Filterzigarette sorgsam aus, weil er eine Fahrt bekam.
Vorrücken.
Ich erreichte die Pole-Position und blieb sitzen. Nochmal eben die CD vom ‘Drumming Man‘ hören und sehen, was die nächste Fahrt bringt; - und er ging sieben oder acht Mal über die Kuhglocken, acht Mal!
Ich ließ zurücklaufen und zählte nochmal genau mit. Tatsächlich, acht Mal.
‚Na, das kann ja heiter werden‘, dachte ich, überlegte, ins Speakeasy zu gehen und solange Kaffee zu trinken, bis einer meiner Kollegen die nächste Fahrt bekam. Möglicherweise konnte der Drummer nur bis acht zählen und ich würde überfallen werden. Oder bis zehn, und dann würde ich erst überfallen werden; - aber weiß man’s vorher?
Andererseits galt das mir, ich konnte so viel Kaffee trinken, wie ich wollte, aber hinter mir stand die ‘Kreolen Roswita‘, und der gönnte ich es nicht; - eher dem ‘Proleten Karl‘, aber der war weit weg. Wenn ich jetzt ausgestiegen wäre und hätte die Sache mit der CD erzählt, und dass während der nächsten Fahrt Schlimmes passieren würde, hätten sich alle an die Stirn getippt.
Na, gut, ich blieb mannhaft sitzen, ich war weder ein Früchteteetrinker, noch ein Sahnetörtchenesser oder gar ein Nikotinpflasterbenutzer, und das mit der Kuschelrock-CD war mir mehr oder weniger aus Versehen passiert.
Apropos Kuschelrock, ich legte ohne hinzugucken die Kuschelrock-CD ein.
„Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“, erscholl es aus den Lautsprechern, „Ich fühl zum ersten Mal, ich bin verliebt. Ich möchte diesen Tag für keinen geben. Es ist ein Wunder, dass es sowas gibt.“
‚Mein Gott‘, dachte ich, ‚das ist doch im Leben kein Kuschelrock, aber ganz hübsch…‘
„Heut will ich mit keinem tauschen, wer’s auch ist und wer’s auch immer sei…“
„Hey, das ist ja geil“, zwei fröhliche Herren stiegen zu, „fährst du uns mal nach Hannover rein, irgendwo ins Steintor?“
„Natürlich, das ist mein Job.“
„Ist das eine CD?“
„Äh, ja. – Sollich was anderes einlegen? Ich hätte da noch Jazz und…“
„Nee, um Gotteswillen! Mach mal lauter und von vorne.“
„Sehr gerne.“
Ich tat wie geheißen, startete Taxi und Uhr und die Herren sangen mit:
„Heut will ich mich berauschen, Morgen ist’s vielleicht vorbei. Heut ist der schönsten Tag in meinem Leben. Heut ist der schönste Tag im Monat Mai.“
Es dauerte zwei, dreimal, die ich das Stück zurücklaufen ließ wenn es zuende war, und ich auch mitsingen konnte. Und das tat ich dann auch, aus vollem Hals, wie die beiden fröhlichen Herren:
„Wo ich bin und wo ich gehe, Ist das Glück in meiner Nähe, Heute singen alle Geigen, Für Dich und für mich.
Heute denk ich nicht an Morgen, Heute gibt es keine Sorgen, Heut ist alle Tage Sonntag, Für Dich und für mich…“
Der Drummer musste sich irgendwie versehen haben, denn als wir ankamen, versicherten mir die fröhlichen Herren, dass dies die schönste Fahrt bisher gewesen war. Sie wollten sogar mein Kärtchen haben, für die Rückfahrt. Da wurde zwar seltener als nie was draus, ich gab sie aber trotzdem und wünschte ihnen noch einen fröhlichen Abend.
Sie wurden alsbald von der Nacht verschluckt, ich reckte mich nochmal, schrieb die Fahrt auf und wollte gerade die CD wechseln, als ein junger Mann einstieg. Südländischer Typ, ich schätzte ihn auf Mitte Zwanzig. In leicht gebrochenem Deutsch gab er mir eine Adresse, die auf meinem Rückweg lag, ungefähr die halbe Strecke.
Eigentlich hätte ich das ja nicht gedurft, aber Scheiß drauf, das macht jeder. Ich fragte nochmal zurück, er nickte dünn, ich startete die Uhr und fuhr los. Der Mann neben mir pennte, obwohl es eigentlich noch zu früh war für einen ordentlichen Nachtschwärmer. Das fing eigentlich erst so zwischen vier und fünf Uhr an, wenn die roten Lichter im Rotlichtbezirk langsam ausgingen. Soweit waren wir noch lange nicht, aber der Mann pennte bis zu der angegebenen Adresse.
Eine Gegend, in der selten Taxis halten, wo dunkelhäutige Typen an den Ecken rumlungern und der Gemüsehändler erst jetzt seine Ware reinholt.
„Hey, wir sind da. Achtzehnfünfzig bekomme ich von ihnen!“
Der Mann fand ganz langsam wieder zu sich.
„Moment, ich muss mal eben Geld holen. Warten sie bitte.“
Das war‘s, was der Schlagzeuger angekündigt hatte, den Besoffenen geben und auf einmal weg wie Schmidts Katze. Ich hatte die Uhr angemacht und nach der wurde abgerechnet. Die achtzehnfünfzig hätte ich mir ans Bein binden müssen, und das sah ich nicht ein.
„Moment“, sagte ich, „ich komm mal mit hoch, dann brauchen sie nicht zweimal zu gehen.“
Ich steckte mir mein Portemonnaie in die Seitentasche meiner Cargohose stieg aus, verschloss das Taxi und war zur gleichen Zeit an der Beifahrertür, wie der junge Mann, der sich mühsam aus dem Taxi quälte.
„Wird’s denn gehen?“
Er nickte und ging zum Haus. Es war ein Hochhaus, auf dem Klingelpanel waren nur ausländische Namen.
‚Na, das kann ja heiter werden‘, dachte ich während sich sein Daumen auf einen der Knöpfe senkte. Es ward tatsächlich aufgetan und er war ruck zuck im Haus verschwunden, ich kriegte gerade noch den Fuß in die Tür.
Warum, zur Hölle, nahm er nicht den Lift, nein er wetzte die Treppen hoch. Ich jachterte hinterher. So beim dritten Stock war eine Tür offen, und eine wunderschöne Frau stand darin. Er wollte dran vorbei aber sie hielt ihn fest.
„Entschuldigen sie, ich bin Taxifahrer“, japste ich, „auf der Uhr sind Achtzehnfünfzig. Der junge Mann hat gesagt, dass ich die hier bekomme…“
Die schöne Frau begann den jungen Mann zusammenzuscheißen, in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte, weder türkisch, noch russisch, es mochte albanisch gewesen sein, oder sowas ähnliches; - die deutsch-synchronisierte Fassung war möglicherweise:
„Bist du wieder im Ostertor gewesen, hast Haschisch gekauft und rum gevögelt und gesoffen…“
Mei Gott, war die Frau schön, der Physiognomie und dem Alter nach mochte sie die Mutter sein, aber schön war sie, wie aus einem der Haremsfilme, den ich letztens mit Anna-Karenina geguckt hatte. Kastanienfarbene Locken umspielten ihr Gesicht, welches ungeschminkt auch noch schön war, mit weichen Zügen, die so gar nicht zu der Schimpftirade passte, die auf den jungen Mann einprasselte, und dann holte sie aus und knallte ihm eine. Der junge Mann flog in den Flur und krabbelte in ein Zimmer. Die schöne Frau ging weg, mit wiegendem Gang.
‚Wäre ich bloß Florist geblieben‘, dachte ich, ‚dann wäre mir diese Scheiße jetzt erspart geblieben. – Aber Florist ist kein Beruf für einen Mann, Taxifahrer schon eher; - aber was hätte eine Frau jetzt gemacht, noch dazu ein so zartes Wesen wie die ‘Kreolen Roswita‘?
Ich blieb stehen, was sollte ich auch sonst machen?
Reingehen durfte ich nicht, weggehen wollte ich nicht.
Zu allem Überfluss kam auch noch ein Kerl den Flur entlang. Mit einem Gesicht, als könnte er nicht bis drei zählen; - dafür hatte er aber reichlich Muskeln unter seinem Muscleshirt. Diese ließ er auch noch spielen, als er langsam und mit angewinkelten Armen auf mich zu kam, als wenn er sagen wollte:
„Wo steht das Klavier? Ich bring‘s mal eben nach oben.“
Spätestens jetzt hätte ich abhauen, mir die Scheißachtzehnfünfzig ans Bein binden und das Weite suchen können. Ich blieb aber stehen, schließlich war ich weder ein Sahnetörchenesser noch ein Früchteteetrinker, und der Kerl würde mir schon nicht die Schnauze polieren. Stattdessen packte er mich am Kragen, drehte zu, fast bis zum Anschlag und brüllte mich an:
„Was willst du?“
„Achtzehnfünfzig“, würgte ich mühsam hervor, „ich bin Taxifahrer.“
„Du siehst aber nicht aus wie ein Taxifahrer!“
„Wie sehe ich denn aus?“
„Wie ein Bulle! Und ich hasse Bullen!“
„Die kommen immer zu zweit“, röchelte ich.
Langsam wurde die Luft knapp, und das Herz rutschte mir in die Hose. Doch der Griff lockerte sich ein wenig, anscheinend schien er hart darüber nachzudenken, dass die Polizisten tatsächlich zu zweit kommen, jedenfalls ist das in guten Krimis immer so.
Endlos lange grübelte er, jedenfalls schien es mir so, und dann kam die schöne Frau wieder und wedelte mit einem Zwanzigeuroschein.
Sie erschien mir jetzt noch schöner, so schön, das es mir den ohnehin knappen Atem förmlich in den Rachen zurückschlug, drückte mir den Schein in die Hand, gab dem Kerl einen Klaps auf die Hand - der ließ augenblicklich los - machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand als ich wechseln wollte und klappte die Tür zu.
Peng.
Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass diese Aktion spurlos an mir vorüber gegangen wäre, aber nun galt es erst mal keine Schwäche zu zeigen. Ganz cool fuhr ich mit dem Lift nach unten, dampfte mir im Taxi eine Zigarette an, eine filterlose, würzige, schrieb die Fahrt auf, mit leicht zittrigen Händen und fuhr los.
Verdammt war die Frau schön gewesen!
Wie kam sie bloß an solch einen Dumpfmeister?
Egal, denn mich überholte ein Polizeiwagen und aus diesem kam die Kelle raus. Rechts ran, das übliche mit Papieren zeigen und so und dann kam der brave Streifenpolizist auf den Punkt:
„Sie wissen, dass in Taxis Rauchverbot herrscht?“
„Mein Gott, ich hab‘ keinen Fahrgast und das Fenster offen.“
„Trotzdem. – Ich muss sie verwarnen.“
Ich muss wohl einen interessierten Eindruck erweckt haben als ich zuhörte – gute Taxifahrer können das - in Wahrheit dachte ich an die schöne Frau und dass ich sie nie wieder sehen würde, und das mich ihr Lebensgefährte für einen Bullen gehalten hatte. Angesichts des braven Streifenpolizisten war das gar nicht so abwegig und überhaupt war ich kaffeereif.
Als er mir die Papiere wieder gab und „weiterhin gute Fahrt“ murmelte, wünschte ich ihm einen „ruhigen Dienst“ und fuhr zum Speakeasy, Kaffee trinken.
Unterwegs legte ich die Swing-CD ein; - der Schlagzeuger ging nur zweimal über die Kuhglocken.
Im Speakeasy war auch nichts los, eine Atmosphäre wie bei einer Sorgerechtsverhandlung.

Kaffee!
Ich glaube, ich habe Kaffee selten so genossen, in meinem Becher war erst ein Espresso und dann der Kaffee. Ich habe meinen Privatbecher im Speakeasy, Linda die ‘Qualmgebadete‘ goss ihn mir immer so ein, ich brauchte noch nicht mal zu bestellen.
Seit Ewigkeiten zapfte Linda in dieser Gaststätte. Die Nächte im Bier, – und Zigarettendunst waren nahezu spurlos an ihr vorüber gegangen. Man ging nicht ein Bier trinken oder in die Kneipe; - man ging zu Linda. Einige nannten sie auch ‘Tausendschönchen’, aber nicht im ironischen Sinne.
Vor einiger Zeit, ich saß gerade am Ende der Theke vor meinem Becher Kaffee, war ihr Mal einer der Trunkenbolde an die Wäsche gegangen. Mit den Worten: „Hey, lass meine Freundin in Ruhe!“ war ich aufgesprungen, und der Typ hatte sofort von ihr abgelassen.
Seit dem tat Linda so, als hätten wir schon seit Jahren ein Verhältnis und es nicht mehr nötig es zu demonstrieren. Hin und wieder kam ich mal kurz rein, Linda stellte mir einen Becher Kaffee hin und lächelte mich etwas heftiger an, als die anderen Gäste. Zur Begrüßung spreizten wir Zeige- und Mittelfinger zum ’Peace-Zeichen’ und legten die Fingerspitzen kurz aneinander.
Sie goss mir ein und wir rauchten eine zusammen.
„Seit wann darf man denn in einer Gaststätte rauchen?“
Die das fragte, war eine Frau. Leichenblass und klapperdürr. Ich war immer noch in Gedanken bei der schönen Frau.
„Ich bin Taxifahrer“, sagte ich, „ich darf das.“
„Auch als Taxifahrer dürfen sie das nicht!“
„Nicht?“
„Nein!“
„Ach du meine Güte. Was mache ich denn jetzt?“
„Die Zigarette aus.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Geht nicht.“
„Warum nicht?“
„Das hat psychologische Gründe. Als Taxifahrer bin ich gewohnt, das zuende zu führen, was ich angefangen habe. Ich kann mitten in der Fahrt ja auch nicht sagen: „Ich habe jetzt Feierabend, steigen sie bitte aus!“ – Genauso kann ich keine halb aufgerauchte Zigarette aus machen. Ich schaffe das einfach nicht.“
Das Gespräch plätscherte so lange dahin, bis ich meine Zigarette aufgeraucht und meinen Kaffee getrunken hatte. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, ob man eine Frau auch mit Kaffee ‘schöntrinken‘ kann. Ich glaube, das funktioniert nicht so richtig, jedenfalls bei mir nicht, und angesichts der schönen Frau, die mir eben begegnet war, schon gar nicht.
„Ich bin Fruktarierin“, sagte die Frau neben mir, irgendwie hatte ich irgendwas verpasst, aber den Eindruck erweckt, aufmerksam zuzuhören.
„Ist ja interessant“, sagte ich, „erwähnte ich bereits dass ich Taxifahrer bin?“
„Ich bin nicht von Beruf Fruktarierin“, sie tat total entsetzt, „ich esse nur Dinge, die vom Baum oder Busch gefallen und daher schon 'tot' sind. Kochen ist Mord! Leute, die sich fruktarisch ernähren, leben nur von Fallobst. Das heißt, es ist eine noch strengere Ernährung als Veganer sie betreiben. Bei einem fruktarischen Essen darf man nur das von der Pflanze essen, was die Pflanze nicht tötet oder verletzt also Nüsse oder Obst von Bäumen, dass bereits abgefallen ist oder Pilze und Bohnen. Auch Kartoffeln dürfen nicht gegessen werden, da ja die Kartoffel-Pflanze ohne Knollen sterben könnte. Die Fruktarier respektieren also jede Art von Leben, egal ob deren Leidensfähigkeit nachgewiesen ist oder nicht.“
„Ach was.“
„Ja! Die Verstoffwechselung vollständig reifen Obstes ist ernährungsphysiologisch sinnvoll, da reifes Obst das Optimum an Nährstoffen enthält. Neben der ansprechenden Optik, der anatomischen Entsprechung und den für Menschen verlockenden Geruch wird auch ein Optimum an Geschmack geboten.“
„Unter einem Optimum an Geschmack verstehe ich aber etwas anderes. Ich habe noch zwei marinierte T-Bone-Steaks zu Hause und gegen sechs Feierabend. Wenn sie warten möchten, können wir uns die teilen. – Anna-Karenina, das ist meine Salonlöwin, wird sich auch freuen, wir haben so selten Besuch.“
„Das meine ich eigentlich nicht! Fructarier gibt es schon mythologisch bedingt! Uns Menschen wird schon vor der Vertreibung Adam's und Eva's aus dem Paradies überliefert, weshalb man diese menschlich ursrüngliche Ernährungsweise auch Adam & Eva diet, Eden-diet oder Paradieskost nennt…“
„Das ist ja kolossal interessant, aber“, ich tippte auf meine Armbanduhr, „der letzte Zug wird bald kommen und da möchte ich gerne bereit stehen, um den einen oder anderen netten Menschen noch Hause zu fahren. – Sie verstehen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten ging ich raus und setzte mich in mein Taxi.
Das war einfach zu viel!
Wieso konnte nicht einfach mal was Schönes passieren, einfach nur so?
Egal, es war noch mächtig viel Zeit bis zum letzten Zug, ich hörte mir den ‘Drumming Man‘ nochmal an, der Drummer ging nur einmal über die Kuhglocken, und dann nochmal die ganze CD.
‘Kreolen Roswita’ rollte hinter mir ein, sie stieg nicht aus. Es gibt Nächte, in denen will jeder für sich sein und in so was Ähnliches wie Halbschlaf gleiten.
Die Bahnhofstraße stellte sich dar wie ein kitschiges Foto, unter Myriaden von Sternen, auf dampfendem Asphalt, angefüllt mit den still wie festgerammt stehenden, grellen Lichtkegeln aus den Laternen. Diese Lichtkegel zeichneten auch sanft die Gesichtskonturen meiner halb schlafenden Kollegin nach. Ich stellte den Rückspiel etwas nach und ließ ihr Gesicht in die Mitte wandern. Die Anspannung des Tages tropfte sichtbar von ihr ab. Auch sie wartete auf den letzten Zug, in der Hoffnung noch einige Menschen nach Hause bringen zu können. Der Fahrgast ist nur der Vorwand, auf den ’Geldknopf‘ des Taxameters zu drücken, und wenn der Fahrgast ausgestiegen ist heißt es: Aus dem Taxi, aus dem Sinn! - in Abwandlung des Dirnenspruchs: Aus dem Bette, aus dem Sinn!
Die Bremsgeräusche des letzten Zugs gehörten zu der Szene, wenig später begann die Rolltreppe zu surren. Ein einzelner Mann mit wichtigem Gesicht und Aktentasche unter dem Arm wurde in die Höhe getragen, setzte sich in Bewegung, querte die Straße und verschwand zwischen den Häusern. Das surrende Geräusch der Rolltreppe erstarb, der Zug fuhr wieder an. Hinter mir erwachte der Motor von ‘Kreolen Roswita’s‘ Taxi zum Leben. Die Scheinwerfer flammten auf. Wir winkten einander zu, als sie an mir vorbei fuhr. Das Taxenschild auf ihrem Dach erlosch, der Wagen glitt um die Kurve.
Stille zum Anfassen.
Aus dem Speakeasy kam einer, torkelte über die Straße und blieb an der Treppe zur Passage stehen, schwankend wie eine Trauerweide im Herbststurm. Die Rolltreppe lief nur aufwärts; - er musste jedoch abwärts, aber über die normale Treppe, und das schien in seinem Zustand eine nahezu unüberwindliche Herausforderung zu sein.
Die Szene hatte etwas Dramatisches: Gebeutelt vom Unbill des Lebens wird dem Mann eine schwere Entscheidung abverlangt: Abwärts gehen und eventuell verunglücken, oder warten bis sich die Promille in der Blutbahn verflüchtigt haben werden. Aber dann könnte es womöglich zu spät sein; - zu spät für was?
Für die Formel zum friedlichen Zusammenleben aller Menschen, dem Ende aller Kriege, oder die Antwort auf die Frage was es alles soll?
Zahlreiche derartige Künstlerfilme hatte ich Mitte der Sechziger gesehen, nur das hier war künstlerisch reduziert auf das Wesentliche, in perfekter, kalter Ausleuchtung, ohne schrille, dramatische Musik. Nebel müssten eigentlich noch aus der Bahnhofspassage dringen und den Entscheidungsträger langsam von Fuß bis Kopf umwabern...
Ein Mann stieg bei mir ein und wollte zur Bronx. Ich brachte ihn hin. Eine der wenigen Fahrten, die absolut wortlos verliefen.
Ich parkte mich wieder beim Bahnhof ein.
Der Mann am Niedergang zur Passage traf seine Entscheidung, sich an das Geländer klammernd wurde er von dunkler Tiefe aufgesogen.
Und dann passierte gar nichts mehr, bis auf das die Fruktarierin in Begleitung von einem Kerl das Speakeasy verließ. Der Kerl schwankte ein wenig, und sie redete auf ihn ein.
Naja, er wird schon seine helle Freude haben, und knickrig war er auch noch, denn wenn man schon eine Frau abschleppt, dann fährt man wenigstens Taxi.
Egal, ich fiel in sowas ähnliches wie Halbschlaf, hörte Radio, las einen Krimi und fuhr gegen vier zum Rastikum, ein Truckerfrühstück einnehmen. Gegen fünf schob die nette Frau vom Kiosk gegenüber die Rollläden hoch, und schob die Zeitungsständer raus, und um zehn vor sechs rollte ich die Zentrale an. Abrechnen und den Wagen übergeben.
Ingolf brachte mich nach Hause.
„Du hast wieder vergessen zu tanken“, sagte er, „naja, macht nix. Bin ich ja gewohnt von dir.“
„Ich wünsche dir eine angenehme Schicht. - Mögen die Straßen vor dir frei und eben sein.“
Es graute der Morgen.

Der nächste Tag ließ sich dynamisch an, der Schlagzeuger ging viermal über die Kuhglocken. Ich sollte gleich als erstes zum Meridian-Hotel, und dort ging Pepe an Bord, mit ihm eine schicke Frau in beigem Kostüm. Pepe in ungewohntem dunklem Anzug und mit schräg gestreifter Krawatte. Die beiden netten Menschen ließen sich hinten nieder. Sie wollten nach Peine, und Pepe wollte alleine wieder zurück. Wir machten einen Festpreis aus und uns auf den Weg.
Ich legte die neu erworbene Kuschel-Rock-CD ein.
Kaum auf der Autobahn tauchte die junge Dame ab und Pepe schaute mit seligem Lächeln gen Himmel. Ich drehte die Musik etwas lauter. Love me tender, love me soul.
In mir brachen Erinnerungen auf. Damals, als dieses Lied raus kam, absolvierte ich eine Lehre als Florist bei der Mutter meiner damals noch zukünftigen Frau. Als dann noch Red roses for a blue Lady kam, stieg ich etwas fester aufs Gas. Beide Damen liebten derartige Musik, sie lief ständig in dem Floristikstudio und ich musste das auch noch großartig finden, während ich ‘schöne, bunte Sträuße’ band. Die ‘Roten Rosen’ waren verblüht und meine Erinnerungen zerflossen, als ich kurz vor Peine die Autobahn verließ.
Die Dame im Fond tauchte wieder auf und Pepe gab ein beseligtes Seufzen von sich. Beide lächelten durchgeistigt. Pepe knisterte eine Tüte auf und verteilte Pfefferminzbonbons. Während wir diese lutschten, dirigierte die Dame mich zu einer Gaststätte in der Vorstadt. Ich hielt, und die Beiden verharrten noch einige Minuten in inniger Umarmung. Schließlich stieg Pepe seufzend aus und verschwand in dem Lokal.
Die junge Dame brachte ich eine Straße weiter und ganz hinten in einen Stichweg. Dort stand bereits ein Mann in heller Hose und Blazer an der Gartenpforte eines adretten Einfamilienhauses. Die junge Dame hinter mir bat mich dort zu halten und der Mann kam zu mir.
„So, was bekommen sie denn jetzt?“
„Schon erledigt“, antwortete ich und schickte mich an, der Dame die Tür zu öffnen, doch die war bereits ausgestiegen, um den Wagen gelaufen und fiel dem Mann um den Hals. Zwischen zwei intensiven Küssen vernahm ich Satzfragmente wie: „Alles erledigt...“ und: „...nun können wir endlich...“
Eng umschlungen und weltvergessen gingen die beiden ins Haus.
Ich fuhr zurück, Pepe abholen. Es war gar nicht so einfach, ihn aus dem Lokal und ins Taxi zu kriegen, denn er hatte sich in kurzer Zeit mächtig viel Hochprozentiges rein geschüttet. Als wir schließlich doch gen Lehrte rollten, erzählte er mir, dass er sich gestern hatte scheiden lassen, von seiner Frau, die wir eben zu ihrem neuen Lebensgefährten gebracht hatten. Zwei Stunden bevor sie vor den Richter getreten waren, hatten sie noch den besten Sex ihrer Ehe gehabt, und nach der Scheidung die heißeste Nacht ihres Lebens. Er würde diese Frau noch immer lieben, aber weil sie einen anderen liebte, hatte er ihr bei der Scheidung keine Schwierigkeiten gemacht, und er müsste sich jetzt ganz schnell die fünf, sechs Whisky noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Ich schaffte es noch, den nächsten Parkplatz anzulaufen. Während Pepe den Whisky wieder von sich gab, dachte ich darüber nach, ob dieses Vorgehen ein Zeichen außerordentlicher Liebe darstellte, oder ob er schlicht und einfach unfähig war, um seine Frau zu kämpfen.
Ich kam zu keinem Ergebnis, brachte Pepe nach Hause und fragte mich, was es alles soll. Möglicherweise war das soeben Erlebte ein Stoff für eine eindrucksvolle Ballade. Darüber wollte ich gelegentlich mal nachdenken.
Dazu kam ich erst mal überhaupt nicht, denn die eine oder andere Fahrt lag an, kleine Fahrten, über die es sich nicht lohnt zu berichten, und der Schlagzeuger ging jeweils nur ein, - zweimal über die Kuhglocken.
Alles gut, nur nachdem der Drummer dreimal über die Kuhglocken gegangen war, merkte ich auf, aber zunächst passierte gar nichts. Ungefähr eine Stunde lang, die ich nutzte, an meinem Krimi weiter zu lesen. Irgendwann hielt ein Zug, aus dem auch tatsächlich Leute ausstiegen und mit dem Taxi wegfuhren.
Ich rückte auf, ohne mich groß zu bewegen, gute Taxifahrer können das, ohne den Krimi aus der Hand zu legen. Starten, vorrücken, Motor wieder aus, weiterlesen.
Und dann passierte wieder eine Weile gar nichts, und dann schob jemand eine gewaltige Weinfahne ins Taxi und ein Mann stieg bei mir ein. Er wollte zum Bahnhof Zoo.
„Ah, ja, Bahnhof Zoo. - Der ist in Berlin, ich fahr sie gerne hin, kostet allerdings so um die dreihundert Euro.“
„Sind wir denn nicht in Berlin?“
„Nein, wir sind in Lehrte. Das ist bei Hannover; - beziehungsweise Hannover liegt bei Lehrte.“
„Tatsächlich?“
„Ja.“
Der Mann grübelte sichtbar.
„Lehrte? – Nie gehört. – Sind wir denn nicht am Lehrter Bahnhof?“
„In gewisser Weise ‘Ja‘. – Aber nicht der Lehrter Bahnhof in Berlin, sondern der Bahnhof zu Lehrte in Lehrte. In Berlin gibt es auch einen Lehrter Bahnhof. – Das hängt damit zusammen, weil es vor Urzeiten mal eine direkte Verbindung von Lehrte nach Berlin gab.“
„Tatsächlich?“
„Klar, die gibt’s auch heute noch. – Was machen wir denn jetzt?“
Es stellte sich heraus, dass der gute Mann am Bahnhof Zoo in den Zug gestiegen und eingepennt war. Als er die Augen wieder aufschlug, las er Lehrte und wähnte sich am Lehrter Bahnhof. Folgerichtig kalkulierte er: ‘Falscher Zug! Also raus, Taxi nehmen, zum Bahnhof Zoo fahren, und richtigen Zug nehmen‘.
War ja auch alles nachvollziehbar; - nur, dass er jetzt in Lehrte saß, eigentlich nach Bremen wollte und total müde war.
Dass er nach Bremen wollte, meine Heimatstadt, kam mir total entgegen, und dass ich die Straße, in die er wollte, auch noch kannte, nämlich die Lilienthaler Heerstraße, machte ihn irgendwie konfus.
„Och ganz einfach, wir fahren die A7, dann die A27, verlassen diese in Horn, fahren noch einen kleinen Schlenker und sind schon da. Bei der Hausnummer müssen sie mir allerdings noch ein wenig helfen, aber das schaffen wir schon. Sagen wir mal eineinhalb Stunden und hundertzwanzig Euro. Schneller sind sie mit dem Zug auch nicht, denn ich fahre sie direkt vor die Haustür.“
„Das ist ein Wort“, sagte er, stellte den Sitz zurück und schlief weiter. Ich sagte meinem Boss Bescheid, dass ich mal eben nach Bremen fahren würde, er wünschte mir, dass die Straßen vor mir frei und eben sein mögen, und auf ging’s.
Eine Fahrt zum Genießen, mit leichter Musik aus dem Radio, einem Tankstopp auf dem Rückweg und recht viel Kaffee auf irgendeinem Rastikum.
Als ich wieder zurückkam nach Lehrte, war der letzte Zug schon durch, aber Pepe stand da rum. Er war wieder ausgenüchtert und wollte unbedingt nach Peine, seine Frau zurückholen.
„Also, wie ich das mitgekriegt habe, seid ihr geschieden und deine Frau lebt bereits mit einem anderen Mann zusammen“, sagte ich.
„Eben“, antwortete Pepe, „und von dem hole ich sie mir zurück!“
„Meinst du nicht, dass andere Mütter auch schöne Töchter haben?“
„Aber nicht so schön, wie meine Chantal!“
„Gut, aber lass mich vorher noch einen Kaffee trinken.“
„Aber nicht da“, sein Kopf ruckte in Richtung Speakeasy, „da sitzt eine drin, die ernährt sich nur von Äpfeln, die vom Baum gefallen sind, und erzählt das auch jedem. – Komm, lass uns meine Chantal abholen, ich stehe das nicht nochmal durch! Ich habe extra auf dich gewartet, dein Chef hat gesagt, dass du in Bremen bist, aber nun bist du ja wieder da. - Nun komm schon, Chantal abholen.“
„Bist du sicher, dass sie auch mitkommen will?“
„Ach, die wird schon mitkommen! – Nun komm schon.“
„Naja, in Gottesnamen. Aber sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
Das ging so weiter, auch auf der Fahrt, Chantal hier und Chantal da. Mein Gott, war ich froh, dass ich geschieden bin!
Ich drückte die Swing-CD rein und wartete auf den ‘Drumming Man‘, und als der kam, ging der Drummer fünfmal über die Kuhglocken.
„Pepe“, sagte ich, „es wird desaströs enden.“
„Woher willst du das denn wissen?“
„Ich habe eine CD! Eine CD mit ‘Drumming Man‘ drauf. Je öfter der Schlagzeuger über die Kuhglocken geht, desto schlimmer wird die Fahrt. Bei dir ist er eben fünfmal über die Kuhglocken gegangen, du hast es mitgehört.“
„Ich hab nicht drauf geachtet. – Sag bloß du glaubst an so einen Quatsch?“
In diesem Moment brach die Musik ab.
Der CD-Player zeigte: DISC INVALID.
Und das war’s dann, die CD kam heraus und ließ sich auch nicht wieder reindrücken.
Wir waren gerade an dem Stichweg angekommen, Pepe meinte, ich sollte direkt vors Haus fahren und auf ihn warten, nur mal eben Chantal abholen, dauert nicht lange. Ich war da gar nicht von überzeugt, und das sagte ich ihm auch. Pepe glaubte mir nicht, kaum dass der Wagen stand, sprang er raus und rannte die paar Schritte auf das Haus zu.
Die Uhr ging auf Wartemodus während Pepe tatsächlich eingelassen wurde.
Sitz zurück und warten.
Verdammt, ich hatte den Kardinalfehler der Magie begangen: Ich hatte es jemandem Anders gesagt, und der hatte mir nicht geglaubt. Ich hätte solange auf Pepe einwirken müssen, bis er seinen Plan von selber aufgegeben hätte … hätte … hätte …
In diesem Moment klirrte die Scheibe auf der Vorderseite des Hauses. Pepe hatte einen Blumenkübel hinein geschmissen, und schickte sich an, das Fenster weiterhin mit den faustgroßen Gehwegkieseln zu entglasen.
„Pepe!“ schrie ich und rannte auf ihn zu, „lass den Scheiß!“
„Lass mich in Ruhe!“
Er hob einen weiteren Stein auf und warf ihn in Richtung Fenster.
„Was ist denn da schon wieder los?“ Ein Nachbar im Schlafanzug war in der Tür erschienen, er schien das alles gar nicht so recht zu begreifen.
„Kleine Meinungsverschiedenheit“, rief ich zurück und konnte Pepe gerade noch dran hindern, einen weiteren Stein zu werfen.
„Pepe, hör auf damit!“
„Der hat keine Freude mehr an meiner Chantal, der nicht! – Sie kommt gleich! Warte noch einen Moment.“
Er drehte sich zu mir um und ich kannte ihn nicht wieder. Weit aufgerissene Augen, irrer Blick und ein beseeltes Lächeln.
„Sie kommt gleich…“
Ich wollte ihm sagen, dass alles vollkommen sinnlos war, das Chantal nicht mehr zu ihm zurückkehren würde, schon allein wegen dieser Aktion nicht, aber ein Polizeiwagen kam den Stichweg entlang, gefolgt von einem Rettungswagen.
Sanitäter sprangen heraus, Polizisten rannten rum und nahmen Pepe mit. Warum sie ihm auf den Kopf fasten, als sie ihn in den Polizeiwagen bugsierten, weiß ich nicht, aber dann schoben die Sanitäter eine Trage in den Rettungswagen, eine Frau, sicher Chantal stieg zu, und sie fuhren wieder weg, mit funkelndem Blaulicht.
Es ging alles ganz schnell, Pepe schrie nochmal: „Chantalllll…..“, diesmal klang es sehr verzweifelt, und dann klappten die Türen zu.
Es trafen noch zwei weitere Polizeiwagen ein, und ich wurde auch verhört, ungefähr zwei Stunden lang. Ich hörte heraus, das Pepe den neuen Mann seiner Frau niedergestochen hatte, ob er durchkommen würde, war ungewiss.
Das Verhör spare ich mir, aber zuerst hatten sie geglaubt, das ich was mit der Sache zu tun hatte.
Aber dann rollte ich wieder ganz alleine gen Lehrte. Die Uhr hatte ich genullt, irgendwie musste ich meinem Boss die Geschichte verknuckfiedeln.
Ich legte die Kuschelrock-CD ein.
„Heut ist der schönste Tag in meinem Leben…“
‚Irgendwie‘, dachte ich, ‚stimmt die Dramaturgie des Lebens hinten und vorne nicht‘!
 



 
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