Du und Ich

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Carmen Engel

Mitglied
Du und Ich

Ich schiebe meine Hand in deine. Überrascht schaust du kurz auf. Doch dann lächelst du zaghaft. Ich freue mich. Du hast diese Haare auf deiner Hand. Wie Borsten fast. Ich fand sie seit jeher faszinierend. Sie bedeuten zu Hause für mich.
Deine Hand ist warm und stark. Du zitterst ein wenig. Doch sanft streichelst du mit deinem Daumen über meine Finger.

Es ist schön, dir nah zu sein, denn oft waren wir zerissen miteinander. Wütend, so stark wir beide, so gleich wir beide. Ich komme aus dir, habe deine Kraft, deinen Witz, dein Nachdenken über die Welt. Du hast mir meine Talente geschenkt.

Ich liebte dich – und ich hasste dich.
Jetzt berührst du mein Herz.

Schaue ich in deine Augen, sehe ich deinen Schmerz. Aber ich sehe auch den kleinen Rotzbengel, der du warst. Ständig zu einem Streich aufgelegt. Ich liebte diese Geschichten und die Art, wie du sie erzählt hast. Ich wollte so sein wie du.
Du hast mir Vieles gezeigt. Bücher, Angeln, wie man einen Nagel in die Wand haut, Wände streicht oder Fußball spielt. Du warst der beste Lehrer, den ich haben konnte.
Du hast mich geführt mit all deinem Sein. Mit all deinem Nein.

Ich liebe diese Stunden mit dir. Nur wir zwei. Wir reden über mein Leben, über früher, die Welt. Manchmal reden wir auch gar nicht. Sitzen nur da, und ich kuschel mich an dich.
Wenn ich aufbreche, nehmen wir uns in den Arm. Du gibst mir Abschiedsküsse, wir drücken uns nochmal ganz fest. Du sagst mir, dass du dich freust, dass ich da war. Ich sage dir, dass ich dich lieb habe.

Dann gehe ich. Dann gehst du. Schlurfst den Gang zurück zum Aufenthaltsraum. Ich hoffe, du findest ihn.
Beim Abendbrot wirst du vergessen haben, dass ich da war. Du hast Alzheimer.
Aber ich bin dankbar für diese Zeit mit dir, denn ich versöhne mich.

Und ich liebe dich, Papa.
 
A

aligaga

Gast
Sowas wie ein Lektorat:
Du und Ich

Ich schiebe meine Hand in deine. Überrascht schaust du kurz auf. Doch dann lächelst du zaghaft. Ich freue mich. Du hast diese Haare auf deine[blue]m[/blue] Hand[blue]rücken[/blue]. Wie Borsten fast. Ich fand sie seit jeher faszinierend. Sie bedeuten zu Hause für mich.
Deine Hand ist warm und stark. [blue]Sie[/blue] zitter[strike][blue]s[/blue][/strike]t ein wenig. Doch sanft streichelst du mit deinem Daumen über meine Finger.

Es ist schön, dir nah zu sein, denn oft waren wir ze[blue]r[/blue]rissen [strike][blue]miteinander[/blue][/strike]. Wütend, so stark wir beide, so gleich wir beide. Ich komme aus dir, habe deine Kraft, deinen Witz, dein [strike][blue]Nach[/blue][/strike][blue]D[/blue]enken über die Welt. Du hast mir meine Talente geschenkt.

Ich liebte dich – und ich hasste dich.
Jetzt berührst du mein Herz.

Schaue ich in deine Augen, sehe ich deinen Schmerz. Aber ich sehe auch den kleinen Rotzbengel, der du warst. Ständig zu einem Streich aufgelegt. Ich liebte diese Geschichten und die Art, wie du sie erzählt hast. Ich wollte so sein wie du.
Du hast mir [blue]v[/blue]ieles gezeigt. Bücher, Angeln, wie man einen Nagel in die Wand [blue]schlägt[/blue], Wände [blue]an[/blue]streicht oder Fußball spielt. Du warst der beste Lehrer, den ich haben konnte.
Du hast mich geführt mit all deinem Sein. Mit all deinem Nein.

Ich liebe diese Stunden mit dir. Nur wir zwei. Wir reden über mein Leben, über früher, die Welt. Manchmal reden wir auch gar nicht. Sitzen nur da, und ich kusch[blue]le[/blue] mich an dich.
Wenn ich aufbreche, nehmen wir uns in [blue]die Arme[/blue]. Du gibst mir Abschiedsküsse, wir drücken uns nochmal ganz fest. Du sagst mir, dass du dich freust, dass ich da war. Ich sage dir, dass ich dich lieb habe.

[blue]Ich[/blue] gehe. Dann gehst du. Schlurfst den Gang zurück zum Aufenthaltsraum. Ich hoffe, du findest ihn.
Beim Abendbrot wirst du vergessen haben, dass ich da war. [strike][red]Du hast Alzheimer.[/red]
[/strike][strike][blue]Aber[/blue][/strike] [blue]I[/blue]ch bin dankbar für diese Zeit mit dir. [strike]denn ich[/strike] [blue]Sie[/blue] versöhn[blue]t[/blue] mich.

(Und ich liebe dich, Papa.)
Den Hinweis auf Alzheimer braucht's wirklich nicht, und die letzte Liebeserklärung auch nicht. Der Leser kapiert's auch ohne (penetrante) Gebrauchsanweisung.

Heiter

aligaga
 

Carmen Engel

Mitglied
Hallo Aligaga,

danke für Dein "Lektorat" und die Mühe, die Du Dir gemacht hast.

Allerdings kann ich kaum damit mitgehen, denn würde ich den Text so umschreiben, würde er nicht mehr so gemeint sein, wie ich ihn wollte.

- die Haare sind nicht nur auf dem Handrücken, sonst hätte ich es so geschrieben
- zerrissen miteinander sollte genau so lauten, denn es ist ein Unterschied, ob man zerrissen ist oder miteinander zerrissen
- ebenso ist mir wichtig, Nachdenken über die Welt zu schreiben, nicht nur Denken über die Welt; denn Denken impliziert Bewertung, Nachdenken die Suche nach dem Warum
- Vieles kann man in diesem Zusammenhang nach neuer deutscher Rechtschreibung groß schreiben, nämlich wenn es um die Gattung der Vielen geht
- weiterhin ist es die Art der Perspektivfigur, davon zu reden, einen Nagel in die Wand zu hauen und eine Wand zu streichen
- Dann gehe ich. Dann gehst Du. - ist genau so gewollt wie Du hast Alzheimer, die Figur denkt das
- der letzte Satz ist genau so gewollt, denn nicht die Zeit versöhnt die Figur, sondern die Figur versöhnt sich
- auch den letzten Satz werde ich stehen lassen, denn er gehört zur Perspektivfigur

Über Sie zittert ein wenig anstelle von Du zitterst ein wenig werde ich nachdenken. Das vergessene r bei zerrissen habe berichtigt. Danke für die Hinweise.

Deine letzten Hinweise mit "penetranter Gebrauchsanweisung" finde ich nicht so gelungen. Für sachliches Feedback bin ich allerdings jederzeit zu haben.

Viele Grüße
Carmen
 

Carmen Engel

Mitglied
Du und Ich

Ich schiebe meine Hand in deine. Überrascht schaust du kurz auf. Doch dann lächelst du zaghaft. Ich freue mich. Du hast diese Haare auf deiner Hand. Wie Borsten fast. Ich fand sie seit jeher faszinierend. Sie bedeuten zu Hause für mich.
Deine Hand ist warm und stark. Du zitterst ein wenig. Doch sanft streichelst du mit deinem Daumen über meine Finger.

Es ist schön, dir nah zu sein, denn oft waren wir zerrissen miteinander. Wütend, so stark wir beide, so gleich wir beide. Ich komme aus dir, habe deine Kraft, deinen Witz, dein Nachdenken über die Welt. Du hast mir meine Talente geschenkt.

Ich liebte dich – und ich hasste dich.
Jetzt berührst du mein Herz.

Schaue ich in deine Augen, sehe ich deinen Schmerz. Aber ich sehe auch den kleinen Rotzbengel, der du warst. Ständig zu einem Streich aufgelegt. Ich liebte diese Geschichten und die Art, wie du sie erzählt hast. Ich wollte so sein wie du.
Du hast mir Vieles gezeigt. Bücher, Angeln, wie man einen Nagel in die Wand haut, Wände streicht oder Fußball spielt. Du warst der beste Lehrer, den ich haben konnte.
Du hast mich geführt mit all deinem Sein. Mit all deinem Nein.

Ich liebe diese Stunden mit dir. Nur wir zwei. Wir reden über mein Leben, über früher, die Welt. Manchmal reden wir auch gar nicht. Sitzen nur da, und ich kuschel mich an dich.
Wenn ich aufbreche, nehmen wir uns in den Arm. Du gibst mir Abschiedsküsse, wir drücken uns nochmal ganz fest. Du sagst mir, dass du dich freust, dass ich da war. Ich sage dir, dass ich dich lieb habe.

Dann gehe ich. Dann gehst du. Schlurfst den Gang zurück zum Aufenthaltsraum. Ich hoffe, du findest ihn.
Beim Abendbrot wirst du vergessen haben, dass ich da war. Du hast Alzheimer.
Aber ich bin dankbar für diese Zeit mit dir, denn ich versöhne mich.

Und ich liebe dich, Papa.
 
A

aligaga

Gast
Köstlich, wie manche ihr falsches (oder schlechtes) Deutsch) zu verteidigen suchen!

Gut, dass @ali kein Lektor ist, der damit sein Geld verdienen müsste wie der Fellinger vom Suhrkamp-Verlag. Der gab mal (im SZ-Magazin 07/2016) ein bemerkenswertes Interview unter dem Titel »Welcher Schriftsteller ist kein Kotzbrocken?«, worin er bedauerte, nie den Stinkefinger zeigen zu dürfen.

@Ali darf!

Quietschvergnügt

aligaga
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Carmen Engel,

ein sehr schön und sehr stimmig durchgearbeiteter Text!

Ich hätte nur in diesem Absatz einige wenige Änderungen eingebracht:

[strike]Dann gehe ich.[/strike] (Wenn ich gehe (gegangen bin), kann ich das Folgende nicht mehr sehen). Dann gehst du. Schlurfst den Gang zurück zum Aufenthaltsraum. Ich hoffe, du findest ihn.
Beim Abendbrot wirst du vergessen haben, dass ich da war. [strike]Du hast Alzheimer.
[/strike] (Das weiß der Leser, du musst es ihm nicht erklären)). Aber ich bin dankbar für diese Zeit mit dir, denn ich versöhne mich.

[strike]Und ich liebe dich, Papa.
[/strike] (Das brauchst du nicht noch einmal zu erwähnen).

Wie schon gesagt: Ein sehr schön durchkomponierter Text!

Grüße von Zeder
 

Carmen Engel

Mitglied
Hallo Zeder,

herzlichen Dank für Dein Feedback und die Hinweise.

Vielleicht sollte ich nach "Dann gehe ich" schreiben, dass sich die Perspektivfigur umdreht und den Vater davon schlurfen sieht. Das ist es, was ich eigentlich ausdrücken will.
Erkennt man so schnell, dass der Vater Alzheimer hat? Hätte ich nicht gedacht. Aber wenn das so ist, denke ich drüber nach, den Satz wegzulassen.

Danke nochmal und Beste Grüße
Carmen
 

molly

Mitglied
Hallo Carmen,

ein guter Text!
[strike]
Dann gehe ich[/strike]. Dann gehst du. Schlurfst den Gang zurück zum Aufenthaltsraum. Ich hoffe, du findest ihn.

Hier weiß ich, dass der Vater nicht zum Speisesaal begleitet wird.
So erübrigt sich der erste Satz.

Beim Abendbrot wirst du vergessen haben, dass ich da war.

Alzheimer brauchst du nicht mehr nennen, du hast die Krankheit schon treffend geschildert.

Viele Grüße

molly
 

Carmen Engel

Mitglied
Liebe Molly,

auch Dir herzlichen Dank für Dein Feedback. Ich werde wohl den Satz wirklich streichen, wenn es nicht notwendig ist, nochmal auf die Krankheit hinzuweisen.

Beste Grüße
Carmen
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Diese Passage verstehe ich nicht ganz:
Aber ich sehe auch den kleinen Rotzbengel, der du warst. Ständig zu einem Streich aufgelegt. Ich liebte diese Geschichten und die Art, wie du sie erzählt hast.
Wie meinst du das mit dem Rotzbengel? Welche Geschichten? Geschichten über ihn selbst?

Außerdem fand ich die Benennung des Alzheimers eher notwendig - ich wäre nicht so schnell darauf gekommen, dass es um diese Krankheit geht zumal ich beim ersten Lesen noch wegen dieser "Rotzbengel" Passage verwirrt war.

Ich finde deinen Text ganzheitlich gesehen sehr gelungen - schön emotional, rührend, bewegend, trefflich, fast mit einem lyrischen Unterton, passende Bezeichnungen, so nüchtern und sachlich beschreibend.

Gruß
Peter
 

Carmen Engel

Mitglied
Hallo Peter,

ja, ich meine den Vater als Kind und die Geschichten, die er der Perspektivfigur über sich als "Rotzbengel" erzählte.
Interessant, dass Du die Ergänzung des Alzheimers brauchst. So unterschiedlich ist das.

Vielen Dank für Deine Hinweise und Dein Feedback.
Hilft mir weiter.

Beste Grüße
Carmen
 



 
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