Lieber Herbert!
Danke für Deine ausführliche Antwort! Dazu noch ein paar Anmerkungen:
Zitat:
„gut, dass ich Dich gefragt hatte, nochmal auf das Sonett zu schauen. Jetzt hatte ich gedacht, dass ich ein metrisch und klanglich ganz gutes Gedicht hinbekommen habe ...“
Meine Sicht kann nicht objektiv sein! Zu sehr stehe ich unter dem Einfluss traditioneller „Sonettkunst“, besonders der italienischen (natürlich auch Shakesp.). Die entsprechenden philologischen Abhandlungen habe ich natürlich gelesen (Th. Borgstedt, Topik des Sonetts, Weinmann Sonett-Idealität Sonett-Realität, historische Poetiken u.v.a. mehr) Im Vergleich mit den original sprachlichen Texten (besonders italienisch, spanisch) und auch den deutschen Übersetzungen, habe ich hier vieles gefunden was mir einleuchtete, was ich als ästhetisch, rhethorisch (was oft unterschätzt wird!) und phonetisch anspruchsvoll empfinde. Von daher ist meine Ästhetik sicher eher klassisch orientiert. …und noch etwas kommt hinzu: die Musikalität. Als ehemaliger Musiker und Sänger habe ich zum Klang der Sprache vielleicht ein etwas anderes Empfinden…kann sein. Bisher half mir dies.
Ich lese metrisch geordnete Texte oft so, als seien sie ein Musikstück…Sonette ähneln sich sehr mit Kompositionen.
Darüber hinaus galt und gilt mein Interesse (neben modern Experimentellen) den historischen Formen. Wenn mich etwas interessiert gehe ich den Dingen an die Wurzel…so auch beim Sonett, bei der Elegie, Vers libre etc.pp.
Zitat:
„Du liest und deutest eben Klänge ganz anders und das gefällt mir, denn damit erschließt sich mir langsam eine weitere Ebene der Lyrik.
Die Dialektik der Gegensätze führt ja oft zu (hoffentlich) produktiven Spannungen; es gibt die Chance zur Synthese oder Durchdringung, vielleicht auch zur Antagonie…wie auch immer. Ich sehe hier tolles Potential. Auch für mich ist es eine Freude, Gegensätzliche Auffassungen kennenzulernen. Was ich hasse sind Diskussionen wie : Wer hat Recht? ….weil sie häufig ins Nichts führen:
Meine Auffassung ist:
Tradition ist das Weiterreichen der Glut, nicht die Anbetung der Asche (weiß nicht mehr von wem der Satz stammt).
Wenn ich hauptsächlich Anmerkungen zu Vokalen schrieb, heißt dies nicht, dass die Konsonanten weniger wichtig sind….sind sie doch häufiger die „stimmhaften Laute“.
Es war mir unmöglich alle Eindrücke zu beschreiben…es würde viele Seiten füllen.
Der Schwerpunkt lag auf den Vokalen, weil diese im Zusammenhang mit den Reimen stehen, das Klangecho tragen.
Aus Deiner Antwort heraus habe ich nicht wirklich den Eindruck, dass meine Intension zur Wichtigkeit von Akzentschwerpunkten (Klangschwere der Silben) so angekommen ist, wie ich es meinte. Wenn annähernd gleichschwere Silben nebeneinander stehen „verwäscht dies das Metrum, stört damit die Melodie/Rhythmus…zumal wenn sowieso wenige „reine“ Jamben im Text erscheinen. Dazu ein Beispiel aus einem Text der überwiegend in betonungseindeutigen Jamben geschrieben ist (man achte auf den melodischen Schwung der Jamben>sonetttypisch im klassischen Sinne):
Am Zaun von Beet und Grün - da wacht ein Geist,
dem Eigentum im Kampf und Sieg verschrieben.
Und stets bereit mit Stahl und List zu hieben
dem Trott und wandelnd Zwerg der Nachbar heißt.
Inhaltlich sicher keine Glanznummer aber melodisch (wenn auch einfach) eindeutig jambisch….ohne Betonungsverschleifungen und klarem Wechsel zwischen schweren und eindeutig leichteren Silben.
Zitat:
Uff, das war eine sehr detaillierte Auseinandersetzung mit dem Text und
Ich stimme Dir zu!
Zitat:
Deiner Analyse, die ich sehr schätze.
Danke, habe ich gern gemacht.
Zitat:
Ich habe hier gelernt, wie variabel die Lesarten sein können und dürfen.
Das ist wohl so, ich bin aber immer noch der Meinung dass wir an vielen Punkten aneinander vorbei reden….macht nix, wird wohl über die konkreten Projekte dann.
Ich werde wohl lernen müssen mich noch klarer auszudrücken….
Und:
Ein Punkt der oft völlig in Sonetten untergeht ist die Rethorik innerhalb von (historischen) Sonetten. Der innere Disput in rethorischen Figuren in Szene gesetzt….ein Grund unter vielen, weshalb für mich das Sonett wirklich die Krone der lyrischen Dichtung ist. Wenn man aus alten Originalen liest, gewinnt man in etwa einen Eindruck davon, welche gedanklichen Dimensionen in einem 14 Zeilen Gedicht, melodisch-rhythmisch disputierend zu oft ungeahnten Einsichten/Ansichten führen.
Ich glaube jetzt habe ich mich wohl vollends als Sonettliebhaber geoutet
Schön finde ich mit Dir, dass es auch bei deutlichen Meinungsunterschieden immer um das geht was wir beide lieben: Lyrik
In diesem Sinne liebe Grüße
gitano