Du wirkst - Sonett

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HerbertH

Mitglied
Du wirkst Damaste in das Haus der Schäume
und schießt das Schiffchen rauschend vor dem Bug
der Wünsche durch die Kette Zug um Zug,
verbiegst das Spinnennetz des Raums in Bäume
gebrochner Falten weich gewebter Säume
im Kleid der Nornen, Urds geplanter Flug
Verdandis, Skulds zu Schuld gewordner Trug
im Farbenglanz der Seide eitler Träume.
Zerfetzt, in Wirbeln aufgelöst, zerfranst
liegt jetzt, von Knobelbechers Tritt zertanzt,
das Regelmaß des Stoffes, zugeschanzt
als Saatgut neuer Muster, ausgepflanzt,
bis Du vom Rocken Fäden spinnen kannst,
in Farbenketten Chaos neu verbannst.
 
Lieber Herbert,

ich will dir nur ganz kurz meine Begeisterung für dieses Prachtwerk zukommen lassen. Ich muss es ganz in Ruhe, immer wieder lesen und genießen, um die volle Wirkung zu erleben. Dann bekommst du meine Punkte. :)

Lieben Gruß,
Estrella
 

Rhea_Gift

Mitglied
richtig gut - würd aber sonett-typische leerzeilen machen... tut dem gut gewirkten webstoff keinen abbruch ;)

LG, Rhea
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Estrella,

so schnelle und soo positive Rückmeldung freut mich wirklich sehr! Nimm Dir Zeit zum Lesen, bei dem Gedicht hab ich mir auch zum Schreiben viel Zeit genommen.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Rhea,

diesmal hab ich bewußt auf die Leerzeilen verzichten, weil der Lesefluss dort immer ein ganz klein wenig stockt, was ich hier gerne vermeiden wollte.

Auch Dir Dank für die schnelle und positive Rückmeldung und Wertung :).

Liebe Grüße

Herbert
 

Rhea_Gift

Mitglied
die "Brüche" wären aber nicht hart und inhaltlich passen - eins beginnt mit gebrochen, ein anderes mit zerfetzt, und dann die Saatgut - täte passen... aber ich versteh, dass du es eng gewebt belassen willst :)

LG, Rhea
 
Ja Herbert,

Rhea hat es genau getroffen: eng gewebt. Ein Wahnsinnstext, hatte mich schon darauf gefreut, ihn heute morgen erneut zu lesen.

Lieben Gruß,
Estrella
 
H

Heidrun D.

Gast
Herbert,
wirst noch ein Meister des Sonetts! - Dann heiratest du die Philosophenqueen, und ich wage mich im abvermieteten Kämmerlein auch mal an eins ... :D

Dieses gefällt mir ganz besonders gut, weil du dich getraut hast, der Atemlosigkeit des Inhalts optisch ein Gesicht zu verleihen. Vielleicht ist das für ein Sonett ungewöhnlich ... aber guuut!

Zum Inhalt gibt es von meiner Seite her nichts zu sagen, der spricht für sich selbst.

Liebe Grüße
Heidrun
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Estrella,

schön, dass Dir dieses Sonett, das mit "enggewebt" tatsächlich sehr gut bezeichnet ist, so gut gefällt. Auch über die Wertung habe ich natürlich gefreut.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Heidrun,

vielen Dank! Als Meister fühle ich mich bei weitem noch nicht, aber manches gelingt mir jetzt schon ganz gut. Ich habe da in letzter Zeit gerade hier auf der LL durch genaues Lesen und auch manche Kritik viel gelernt. Danke hier auch an Gitano und Rhea.

Wichtig war mir hier der Fluß, die Dynamik, die bei Dir als Atemlosigkeit angekommen ist, und die durch die Enjambements ausgelöst wird. Diee sind wohl der einzige Weg dazu in der harten Sonettform. Wichtig ist auch mehr als früher der Klang.

Vielleicht wirst Du ja auch noch vom Sonettfieber angesteckt :)

Liebe Grüße

Herbert
 
I

Ivor Joseph

Gast
Gefällt mir sehr, der erste Vers ist schön, fast arabisch. Anbei nur meine Meinung:

Anschließend habe ich das Gefühl, die Hypallage mit dem Bug wirke etwas aufgesetzt.

Der Zeilenumbruch Zwischen "Flug" und "Verdantis" ist nicht optimal, denn es klingt nach einem Flug von Urd. Ein Komma würde eventuell eine Aufzählung daraus machen.

"Knobelbechers Tritt" finde ich toll, auf dessen ethymologische Abstammung muss man erst kommen.

LG, Ivor
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Ivor,

das Haus der Schäume und der Bug der Wünsche sind neben dem Webeschiffchen die beherrschenden Bilder der ersten drei Zeilen.
Diese sind tatsächlich blumig, oder wie Du es nennst "fast arabisch".
Natürlich spielt das Ganze auch mit dem "Schuß vor de[blue]n[/blue] Bug", die Abwandlung "vor de[red]m[/red] Bug" habe ich nach einigem Überlegen bewußt gewählt, um ein Changieren der Bilder beim Lesen zu ermöglichen, ein Stilmittel, das ich in diesem Sonett einige Male verwendet habe. Dass das Schiffchen vor dem Bug der Wünsche durch die Kette rauscht, ist ein Sinnbild für die Arbeit der Weberin, die Wünsche verwebt. Dass es etwas paradox ist, kann man als die Magie des Augenblicks interpretieren.

Die Passage mit Urd, Verdandi und Skuld ist sicherlich etwas schwieriger zu lesen, der von Dir richtig erkannte Bezugswandel von "Flug" beim Lesen ist wieder das Stilmittel des Changierens.

Die Enjambements sind natürlich eine Hilfe bei diesem Changieren.

Auch der Knobelbecher mit seinen beiden Bedeutungen "passt" hier in beiden Interpretationen. Es freut mich, dass Dir dieses Bild gefiel.

Die Bilder dieses Gedichts sind sicher nicht die eines kühlen Norddeutschen, also für mich auch ein wenig experimentell.

Vielleicht sind sie jetzt hinsichtlich der intendierten Bedeutung etwas klarer geworden. Wie sie gelesen und verstanden werden, ist für mich hochinteressant und ich danke Dir für Deine Meinung dazu.

Liebe Grüße

Herbert
 
G

gitano

Gast
Phonetik/Metrik

Lieber HerbertH!
Vom Inhalt her finde ich es eine reizvolle Idee, das Weben (als Sinnbild) auch in metrischer Hinsicht umzusetzen. Das Fliegen des Schiffchens in jede neue Zeile, sehr schön ausgedacht!
Nicht alle Enjabemnets halte ich für gelungen, bzw. sonett-typisch. Nach meinem Leseeindruck verbinden sich hier auf etwas unglückliche Weise einige metrische Probleme mit phonetischen Aspekten.

Deiner Bitte entsprechend, möchte nachfolgend versuchen meine Eindrücke etwas darzustellen:

Mit Hilfe der Betonungsabstufungen (siehe: Deutsche Metrik, Christian Wagenknecht) und dem Abgleich von quantisierender und qualitativer Metrik, sowie einigen Aspekte zur Phonetik, kann man die "Konflikte" etwas besser verdeutlichen. Ich benutze auch die Zeichen aus Wagenknechts Metrik:
- lange Silbe (quantisierende Metrik), bzw. akzentuierte Silbe (qualitative Metrik)
v kurze Silbe (quantisierende Metrik), bzw. Nebenbetonung/Senkungs Silbe (qualitative Metrik)
/ einfache Zähsur
// deutliche Zäsur
Hauptbetonung:4
Nebenbetonung:3
einsilbige Füllungen mit kurzem Vokal:2
Vorsilben/Endungen:1

Z1: "Du wirkst Damaste" (inhaltlich schön)
Hier treten zweierlei Konflikte auf:
1)
quantisierend: - -(v v) - - v
qualitativ: v-v-v
Hier stehen lange tontragende Silben im Konflikt zur akzentuierten (jambischen) Metrik (wie noch häufiger im Text)
2)
auch innerhalb der akzentuierten Metrik gibt es das Problem, daß die Silben nur wenig Unterschiede in ihrer Schwere aufweisen, dies "verwischt" die Akzente: Ich lese hier am Beginn der Zeile eine:3 4 3 4 1...und dies auch nur auf Grund von "Hilfsregeln". Der Konflikt zur Lautdauer (klangtragende lange Vokale: Du, Da) und das mehrere Laute umfassende wir-ks -t.
Regelmäßigkeit wäre gegeben wenn die Füllungen zwischen den Hauptakzenten weder von der Klangdauer noch von der Betonungsstärke her zu den Hauptakzenten in Konflikt sind.
Freilich kann man mal punktuell soetwas auch als gestalterisches Mittel GEZIELT einsetzen.

kurzes i und langes a..ist in Kombination (als klangtragende Vokale) Häufig etwas problematisch (sehr gegensätzlich), umgekehrt schon eher

Z2:
Schießt das Schiffchen (unreine zweisilbige Alliteration, langes und kurzes i, man kann dies auch als einsilbige Alliteration deuten...) in rauschend steckt das sch ja auf einer Nebenbetonung (schwächer) mitten im Wort...gehört also nicht mehr zur Alliteration...klanglich wirkt es natürlich
Hier würde ich übrigens syntaktisch richtiger empfinden:
und schießt das Schiffchen rauschend vor DEN Bug der Wünsche, sollte sich das Schiffchen schon vor dem Bug befinden, wäre DEM natürlich i.O...nur dann würde ich nach Schiffchen ein Komma setzen und nach Wünsche ebenso,
und schießt das Schiffchen, rauschend vor dem Bug der Wünsche (Einfügung/ Nebensatz), durch die Kette Zug um Zug,

Z3:
Kette Zug um Zug
Ich lese hier: 4 3 2 3
Probleme wie in Z1
Die Vokalhäufungen kollidieren mit dem abflachendem Metrum.

Z4:
des Raums in Bäume
"Raums" als Verkürzung von Raumes ist sowohl metrisch als auch klanglich ein Hilfskonstrukt und ist sprachlich unsauber
Vorschlag: im Raum durch Bäume

Z5:
gebrochner (Verkürzung, siehe oben)
klanglich gibt hier das ch einein Kontrast zu den weichen, stimmlosen (wenig Aspiration) Silben wie weich, web, Säume

Z6:
Urds ist klar die Hauptbetonung,(4)
Kleid, Nonn, plan-,Flug sind Nebenbetonungen
das Urds wirkt sehr dominant (wenig klangtragend im Sinne von langen Vokalen > sonett-typisch), gewollt?

Z7:
Skulds zu Schuld
Siehe Alliteration oben
gewordner Trug : Verkürzung (metrisches Hilfskonstrukt?)
phonetisch: die Verkürzung in Kombination mit langen Vokal klingt nicht

Z9:
Sehr flüssig, fügt sich sehr gut ins Metrum

Z10:
liegt jetzt (siehe Z1, Metrik)
von Knobechers Tritt zertanzt
wenn Knobechers eine Person ist i.O., sonst Syntaxproblem

Z12:
Saatgut neuer (siehe Z1, Konflikt, lange Silben/Metrik)

Z14:
Farbenketten Chaos neu (siehe Z1)

Insgesamt fällt noch auf, daß die Anleihen aus „antiqiertem“ Sprachgebrauch“ und zeitgemäßem Sprachgebrauch sich durchmischen. An mehreren Stellen im Text kommt es auch deshalb zu Syntax-/ phonetischen Problemen, besonders bei den Verkürzungen.

Meiner Ansicht nach ist die klassisch italienische Form in weiblicher Kadenz auch Klangtragender als eine männliche Kadenz.

Besonders die Füllungen zwischen den Hauptbetonungen sind im Text oft eher unklar als klar. Dies beeinträchtig die Eindeutigkeit des jambischen und damit auch den Klangeindruck eines regelmäßiges Sprachflusses. Positiv Fällt Z9 auf, die eindeutig klar in Metrum und Klangverteilung herausragt.
Die Hauptakzente (phonetisch) sind leider viel zu selten auf weibliche Endungen ans Ende der Zeile gesetzt. Sodass kaum Klangecho (der Reime) für den Fortgang der Sprache einen abgeschwächten Eindruck hinterläßt.

Soweit erst einmal von der Phonetischen Seite her…und mein rein persönlicher Eindruck.
Sicher ließe sich mit einigen Umstellungen und vor allem mit der Eleminierung der Verkürzungen/Betonungshäufungen einiges zum Eindeutigeren hin wenden.
Danke für Dein Vertrauen!
Liebe Grüße aus dem Taunus
gitano
 

HerbertH

Mitglied
Lieber gitano,

gut, dass ich Dich gefragt hatte, nochmal auf das Sonett zu schauen. Jetzt hatte ich gedacht, dass ich ein metrisch und klanglich ganz gutes Gedicht hinbekommen habe :) ...

Du liest und deutest eben Klänge ganz anders und das gefällt mir, denn damit erschließt sich mir langsam eine weitere Ebene der Lyrik.

Nach dem, was Du schreibst, wirken "u" und "a" für Dich fast immer schwer bzw. betont. Das "Da" in "Damaste" ist für mich klangtragend, aber eine kurze, unbetonte Silbe. Im "maste" ist der Höhepunkt des Wortes, trotz des auch nicht gerade langen "a", aber vor allem wegen des "s", das sich im "te" fast lautlos schließt. Wie das "Du" sich metrisch einfügt und ob sich ein Jambus bei "Du wirkst" ergibt, hängt sicherlich davon ab, ob man "Du" oder "wirkst" betonst. Ich betone natürlich auf "wirkst" :), und wegen der vielen Konsonanten (!) ist das für mich auch berechtigt. Das 'st' in "wirkst" harmoniert für mich mit dem "st(e)" von "Damaste". Auch die Silbendauer ist für mich anscheinend anders, wohl weil ich die Konsonanten - wie der Name sagt - mitklingen lasse. Das "Du" ist ein kurzer Tupfer, so wie das "Da", im "wirkst" und im "mast" sind die Längen, mit einem kurzen angehängten "e".

Bei "Kette Zug um Zug" egalisieren die "tt" die Kürze des ersten "e", "Zug" ist jeweils lang, durch das "Z" jeweils am Anfang weiter gelängt, das "um" dazwischen lese ich kurz, so wie ich es allerdings auch natürlich sprechen würde.

Auch den Kontrast der Vokallängen bei "schießt" und "Schiffchen" empfinde ich nicht als Kontrast der Silbenlängen, weil die langen "ff" mit dem auch nicht kurzen "ch" mitklingen und so die beiden anlautenden Silben gleichberechtigt lang sind. Die Alliteration geht für mich nicht nur bis zum "rauschend", sondern bis zu den "Wünschen" weiter, zumindest als ein klangliches Echo.

Ist das vielleicht der Unterschied? Für mich sind Konsonanten - auch klanglich - so wichtig wie Vokale, für Dich sind die Vokale anscheinend dominant.

"vor dem Bug": Dazu habe ich in einem vorigen Kommentar schon einiges gesagt, Stichwort "Changierende Bilder", ich möchte es deshalb gerne so stehen lassen.

"Urds" ist auch für mich die Hauptbetonung in Z6, mit (g)rollendem "r" und weich nachschwingendem "ds" (man muss das "r" nicht wirklich rollen, es reicht, es so klingen zu lassen).

"Skulds zu Schuld" ist natürlich keine Alliteration im eigentlichen Sinne, es spielt mit der (gefühlten) Verwandschaft von "Skuld" und "Schuld" und dem dreimaligen "u"-Laut, der für mich hier dreimal kurz ist, die Längen kommen wieder von den Konsonanten.

Die unterdrückten "e" in "Raums" und "gebrochner", die Du monierst, sind auch in meiner Sprache unterdrückt, ich sage wirklich "des Raums" statt des "des Raumes" und "gebrochner Flügel" statt "gebrochener Flügel". Vielleicht ist das Hochdeutsch, mit dem ich aufgewachsen bin, hier bei weitem nicht so sehr "rein", wie man denkt. Allerdings muß ich sagen, dass "des Raumes" mir mehr Schriftsprache zu sein scheint als gesprochenes Wort. Bei "gewordner" ist es ein Grenzfall, hier spreche ich normalerweise ein ganz kurzes "e" mit ("geword(e)ner"), wenn ich es denn spreche. Dies Wort ist mehr aus inhaltlichen Gründen wegen der Bedeutungen der Nornennamen hineingekommen, mit denen ich hier spiele.

"liegt jetzt": Hier gebe ich Dir recht, das "liegt" ist ziemlich schwer. Hier muss ich mir überlegen, ob ich es durch das inhaltlich und sprachlich nicht ganz so schöne "ist jetzt" ersetzen soll.

"Knobelbecher" hat zwei Bedeutungen: Würfelbesser und Soldatenstiefel, das ist m.E. so in Ordnung.

Bei "Saatgut neuer" und bei "Farbenketten Chaos neu" sehe ich keine wirklichen Probleme: Das "gut" ist hier zwar auch relativ lang, aber "Saat" und "neu" sind deutlich länger. Das "kett" wird durch die beiden "tt" wieder in der Länge aufgewertet und liest sich für mich einwandfrei.

Hinsichtlich weiblich/männlich: Die Wahl des gleichen Reims in den Terzetten führt hier zu einem gewissen Übergewicht männlicher Reime. Der gewählte Reim ist allerdings ziemlich klangtragend durch das klingende "n" und die abschliessenden "st" bzw. "zt".

Uff, das war eine sehr detaillierte Auseinandersetzung mit dem Text und
Deiner Analyse, die ich sehr schätze. Ich habe hier gelernt, wie variabel die Lesarten sein können und dürfen.

Tausend Dank noch mal und liebe Grüße

Herbert
 
G

gitano

Gast
Lieber Herbert!
Danke für Deine ausführliche Antwort! Dazu noch ein paar Anmerkungen:

Zitat:
„gut, dass ich Dich gefragt hatte, nochmal auf das Sonett zu schauen. Jetzt hatte ich gedacht, dass ich ein metrisch und klanglich ganz gutes Gedicht hinbekommen habe ...“

Meine Sicht kann nicht objektiv sein! Zu sehr stehe ich unter dem Einfluss traditioneller „Sonettkunst“, besonders der italienischen (natürlich auch Shakesp.). Die entsprechenden philologischen Abhandlungen habe ich natürlich gelesen (Th. Borgstedt, Topik des Sonetts, Weinmann Sonett-Idealität Sonett-Realität, historische Poetiken u.v.a. mehr) Im Vergleich mit den original sprachlichen Texten (besonders italienisch, spanisch) und auch den deutschen Übersetzungen, habe ich hier vieles gefunden was mir einleuchtete, was ich als ästhetisch, rhethorisch (was oft unterschätzt wird!) und phonetisch anspruchsvoll empfinde. Von daher ist meine Ästhetik sicher eher klassisch orientiert. …und noch etwas kommt hinzu: die Musikalität. Als ehemaliger Musiker und Sänger habe ich zum Klang der Sprache vielleicht ein etwas anderes Empfinden…kann sein. Bisher half mir dies.
Ich lese metrisch geordnete Texte oft so, als seien sie ein Musikstück…Sonette ähneln sich sehr mit Kompositionen.

Darüber hinaus galt und gilt mein Interesse (neben modern Experimentellen) den historischen Formen. Wenn mich etwas interessiert gehe ich den Dingen an die Wurzel…so auch beim Sonett, bei der Elegie, Vers libre etc.pp.

Zitat:
„Du liest und deutest eben Klänge ganz anders und das gefällt mir, denn damit erschließt sich mir langsam eine weitere Ebene der Lyrik.

Die Dialektik der Gegensätze führt ja oft zu (hoffentlich) produktiven Spannungen; es gibt die Chance zur Synthese oder Durchdringung, vielleicht auch zur Antagonie…wie auch immer. Ich sehe hier tolles Potential. Auch für mich ist es eine Freude, Gegensätzliche Auffassungen kennenzulernen. Was ich hasse sind Diskussionen wie : Wer hat Recht? ….weil sie häufig ins Nichts führen:

Meine Auffassung ist:
Tradition ist das Weiterreichen der Glut, nicht die Anbetung der Asche (weiß nicht mehr von wem der Satz stammt).


Wenn ich hauptsächlich Anmerkungen zu Vokalen schrieb, heißt dies nicht, dass die Konsonanten weniger wichtig sind….sind sie doch häufiger die „stimmhaften Laute“.
Es war mir unmöglich alle Eindrücke zu beschreiben…es würde viele Seiten füllen.
Der Schwerpunkt lag auf den Vokalen, weil diese im Zusammenhang mit den Reimen stehen, das Klangecho tragen.

Aus Deiner Antwort heraus habe ich nicht wirklich den Eindruck, dass meine Intension zur Wichtigkeit von Akzentschwerpunkten (Klangschwere der Silben) so angekommen ist, wie ich es meinte. Wenn annähernd gleichschwere Silben nebeneinander stehen „verwäscht dies das Metrum, stört damit die Melodie/Rhythmus…zumal wenn sowieso wenige „reine“ Jamben im Text erscheinen. Dazu ein Beispiel aus einem Text der überwiegend in betonungseindeutigen Jamben geschrieben ist (man achte auf den melodischen Schwung der Jamben>sonetttypisch im klassischen Sinne):

Am Zaun von Beet und Grün - da wacht ein Geist,
dem Eigentum im Kampf und Sieg verschrieben.
Und stets bereit mit Stahl und List zu hieben
dem Trott und wandelnd Zwerg der Nachbar heißt.

Inhaltlich sicher keine Glanznummer aber melodisch (wenn auch einfach) eindeutig jambisch….ohne Betonungsverschleifungen und klarem Wechsel zwischen schweren und eindeutig leichteren Silben.

Zitat:
Uff, das war eine sehr detaillierte Auseinandersetzung mit dem Text und
Ich stimme Dir zu!

Zitat:

Deiner Analyse, die ich sehr schätze.
Danke, habe ich gern gemacht.

Zitat:
Ich habe hier gelernt, wie variabel die Lesarten sein können und dürfen.

Das ist wohl so, ich bin aber immer noch der Meinung dass wir an vielen Punkten aneinander vorbei reden….macht nix, wird wohl über die konkreten Projekte dann.
Ich werde wohl lernen müssen mich noch klarer auszudrücken….

Und:
Ein Punkt der oft völlig in Sonetten untergeht ist die Rethorik innerhalb von (historischen) Sonetten. Der innere Disput in rethorischen Figuren in Szene gesetzt….ein Grund unter vielen, weshalb für mich das Sonett wirklich die Krone der lyrischen Dichtung ist. Wenn man aus alten Originalen liest, gewinnt man in etwa einen Eindruck davon, welche gedanklichen Dimensionen in einem 14 Zeilen Gedicht, melodisch-rhythmisch disputierend zu oft ungeahnten Einsichten/Ansichten führen.

Ich glaube jetzt habe ich mich wohl vollends als Sonettliebhaber geoutet :D

Schön finde ich mit Dir, dass es auch bei deutlichen Meinungsunterschieden immer um das geht was wir beide lieben: Lyrik

In diesem Sinne liebe Grüße
gitano
 

HerbertH

Mitglied
Aus Deiner Antwort heraus habe ich nicht wirklich den Eindruck, dass meine Intension zur Wichtigkeit von Akzentschwerpunkten (Klangschwere der Silben) so angekommen ist, wie ich es meinte. Wenn annähernd gleichschwere Silben nebeneinander stehen „verwäscht dies das Metrum, stört damit die Melodie/Rhythmus…zumal wenn sowieso wenige „reine“ Jamben im Text erscheinen. Dazu ein Beispiel aus einem Text der überwiegend in betonungseindeutigen Jamben geschrieben ist (man achte auf den melodischen Schwung der Jamben>sonetttypisch im klassischen Sinne):

Am Zaun von Beet und Grün - da wacht ein Geist,
dem Eigentum im Kampf und Sieg verschrieben.
Und stets bereit mit Stahl und List zu hieben
dem Trott und wandelnd Zwerg der Nachbar heißt.

Inhaltlich sicher keine Glanznummer aber melodisch (wenn auch einfach) eindeutig jambisch….ohne Betonungsverschleifungen und klarem Wechsel zwischen schweren und eindeutig leichteren Silben.
Lieber gitano,

auch in dem Vierzeiler gibt es Stellen, die - für mich nicht unbedingt, aber für die "reine" Lehre - problematisch genannt werden könnten: "Eigentum" und "wandelnd". Soll nur heißen: Was eindeutig schwere und leichte Silben sind, ist wahrscheinlich gar nicht objektiv zu klären, es bleibt immer eine subjektive Komponente. Für mich ist es eigentlich entscheidend, ob sich ein Sonett schlüssig und klangvoll lesen lässt.

Das ist sicherlich eine ziemlich musikalische Frage, da stimme ich Dir zu. Und wie so vieles oft eine Bauchentscheidung.

Und dann ist da noch die inhaltliche Frage. Auch hier gibt es eine klassische Sicht und eine moderne. (Beide Begriffe eher beschreibend zu verstehen als wertend :).) Persönlich finde ich es spannend, neue Inhalte in der klassischen Form darzustellen. Z.B. "Geier und Hyänen" http://www.leselupe.de/lw/titel-Geier-und-Hyaenen-89396.htm
was ich vielleicht heute anders schreiben würde, was mir aber immer noch gefällt.

Wie ich in anderem Zusammenhang schon einmal schrieb: Soo weit sind wir gar nicht auseinander. ;)

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Du wirkst Damaste, als des Schicksals Zäume,
und schießt das Schiffchen rauschend vor dem Bug
der Wünsche durch die Kette Zug um Zug.
Du ziehst das Netz des Raums auf Webstuhlbäume
und schaffst die Falten weich gewebter Säume
im Kleid der Nornen - Urds geplanter Flug
Verdandis, Skulds zu Schuld gewordner Trug
als Farbenglanz der Seide eitler Träume.
Zerfetzt, in Wirbeln aufgelöst, verwanzt
liegt jetzt, von Knobelbechers Tritt zertanzt,
das Regelmaß des Stoffes, ausgefranst,
als Saatgut neuer Muster ausgepflanzt,
bis Du vom Rocken Fäden spinnen kannst,
in Farbenketten Chaos neu verbannst.
 

HerbertH

Mitglied
Angeregt durch gitano und presque - Danke nochmal! - habe ich eine neue Version produziert, die einige Verbesserungen bringt.

Insbesondere sollte jetzt die Rolle der Bäume klarer sein. Auch ist das "Haus der Träume" aus inhaltlichen Gründen ersetzt worden. Die Atemlosigkeit der Enjambements habe ich etwas reduziert.

Ob das für alle jetzt die bessere Version ist, würde mich interessieren.

Ich bin mal gespannt.
 

HerbertH

Mitglied
Du wirkst Damaste für die Schicksalszäume,
und schießt das Schiffchen rauschend vor dem Bug
der Wünsche durch die Kette Zug um Zug.
Du spannst das Netz aus Raum um Lebensbäume
und straffst die Falten weich gewebter Säume
im Kleid der Nornen - Urds geplanter Flug
Verdandis, Skulds zu Schuld gewordner Trug
wird Farbenglanz der Seide eitler Träume.
Zerfetzt, in Wirbeln aufgelöst, zerfranst
liegt jetzt, von Knobelbechers Tritt zertanzt,
das Regelmaß des Stoffes, ausgestanzt,
als Saatgut neuer Muster ausgepflanzt,
bis Du vom Rocken Fäden spinnen kannst,
in Farbenketten Chaos neu verbannst.
 



 
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