Duft der Rose

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Sumpfkuh

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“I`m sorry I have to say it, but you look like you`re sad. Your smile is gone, i noticed it bad. The cure is if you let in just a little more love, I promise you this, a little`s enough.” (Angels & Airwaves)



„Was glaubst Du, wie warm es heute ist?“
Marie drehte ihren Kopf langsam nach links und schaute Lukas fragend an, der Direkt neben ihr lag.
Lukas schaute weiter in den Himmel, während er nach kurzem Überlegen antwortete: “Heute Morgen um zehn waren es achtzehn Grad auf unserer Terrasse“.
Neben der Verandatür hing ein altes, gusseisernes Thermometer. Es hing schon ewig dort, und Marie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer es eigentlich da hingehängt hatte, aber es sah hübsch aus, auf den weißen Klinkern, die mittlerweile eher grau waren.
„Ein schöner Tag“, sagte Marie und schaute wieder in die Wolken.
„Hmm“, brummte Lukas zustimmend.
„Könnte etwas kühler sein“, murmelte er, nachdem sie beide schweigend eine Minute in den Himmel gesehen hatten.
„Stimmt“, antwortete Marie, ohne ihn anzusehen, „aber im Schatten geht es eigentlich“.
Es war vier Uhr nachmittags, und die Hitze des Tages hatte ihren Höhepunkt erreicht und zog sich nun langsam zurück, um der Kühle des Abends zu weichen.
Sie waren noch nicht lange hier, vielleicht eine halbe Stunde.
Auf der Wiese mit den alten, hoch gewachsenen Bäumen waren sie schon oft gewesen.
Früher, als Sophia noch klein war, hatten sie hier oft Picknick gemacht.
Marie hatte dann auf der großen Decke gesessen und zugesehen, wie Lukas mit der Kleinen herumtobte, Ball und Fangen spielte, oder mit ihr Käfer und andere kleine Naturwunder entdeckte. Ab und zu kamen dann ein paar kleine Beinchen hastig angerannt, und kleine Babyhände zeigten ihr zitternd vor Aufregung Schätze, die mehr wert waren als alles Gold dieser Welt. Marie teilte ihre Begeisterung jedes Mal. Nicht, weil sie den alten Stein oder den ekeligen, pelzigen Käfer so entzückend fand, sondern weil sie diesen gewissen Glanz in den Augen ihres Kindes sah. Wenn sie dann in das Gesicht ihrer Tochter schaute, überflutete sie eine gigantische Welle von Liebe, die ihr fast den Atem nahm und die Tränen in die Augen drückte.
Dann umschlang sie ihr lachendes Kind und übersäte sein kleines, erhitztes Knubbelgesicht mit Küssen, bis es vor Freude kreischte.
„Weißt Du noch, als Sophia ihren ersten Schultag hatte? “, fragte Marie lächelnd, während ihre Augen eine Stelle am Himmel fixierten, an der nichts existierte.
Ohne eine Antwort von Lukas abzuwarten sprach sie weiter.
„Sie wollte unbedingt ihren Lieblingspullover anziehen, der dicke mit dem Pony drauf“.
Der Pullover existierte auch heute, vierundvierzig Jahre später noch. Es war ein Erinnerungsstück, das gut gepflegt in Sophias Schrank hing. Mit der Zeit war die weiße Farbe gelblich geworden und das Pony verblasst, obwohl sie ihn in Folie gewickelt hatte, aber ansonsten war er in einem guten Zustand. Manchmal nahm sie ihn heraus und setze sich damit auf das kleine Bett, um mit ihren Fingern über die struppige Wolle zu streichen.
„Sie hatte einen hochroten Kopf, weil sie so geschwitzt hat, aber sie wollte ihn partout nicht ausziehen“.
Lukas nahm ihre Hand und drückte sie. Sie blickte ihn nicht an, wusste aber, dass Tränen über sein Gesicht liefen.
Er hatte seine Tochter unendlich geliebt. Sie hatten eine spezielle Vater-Tochter Beziehung gehabt, und als Sophia in die Pubertät kam, war er der einzige gewesen, der zu ihr Zugang hatte.
Oft hatte Marie verzweifelt in der Küche gestanden und einen Kuchen gebacken, den eigentlich keiner essen wollte nachdem Sophia nach einem Streit polternd die Treppe hoch rannte und ihre Zimmertür krachend ins Schloss fiel.
Lukas ging dann zu ihr, und nach einer halben Stunde kamen beide lachend aus ihrem Zimmer. Manchmal war sie ein wenig neidisch auf diese tiefe Bindung zwischen den beiden, aber meistens spürte sie nur tiefe Zuneigung ihrem Mann gegenüber, der immer ruhig und gelassen blieb, komme was wolle.
Er war Maries Fels in der Brandung, er wusste immer, wann es ihr schlecht ging und fand immer das richtige Mittel, um sie aus ihrer Lethargie zu ziehen, als wäre seine spezielle Lebensaufgabe, seine Familie glücklich und fröhlich zu machen.
An einem Tag vor vielen Jahren war er von der Arbeit am Nachmittag nach Hause gekommen und hatte eine Pappschachtel in der Hand gehalten.
Marie hatte einen schlimmen Tag gehabt und so viel geweint, dass ihre Augen fast zugeschwollen waren. Sie hatte lange im Bad gestanden, um es vor ihm zu vertuschen, aber als er mit dieser Schachtel durch die Tür kam, wusste sie, dass er mal wieder intuitiv das Richtige getan hatte.
Als er den Deckel anhob, schlug sie entzückt die Hände vor den Mund. Ein Kerl aus Vollmilch grinste ihr frech entgegen, während er seine Partnerin fest im Arm hielt.
Dieser Herr kam ihr bekannt vor, genau wie der Rest des Kuchens, auf dem das stolze Paar trohnte.
Er hatte ihre Hochzeitstorte nachbacken lassen und das, obwohl an diesem Datum nicht mal ihr Hochzeitstag war.
Außerplanmäßige Geschenke und Aufmerksamkeiten waren nur eine Art ihr zu zeigen, wie sehr er sie liebte.
An diesem Abend aßen sie die komplette Torte mit den Fingern auf ihrem ausgebeulten Cordsofa vor dem Kamin und lauschten dem Knacken der Holzscheite im Feuer.
Später hatten sie Sex gehabt, wild und ungestüm wie sie es seit Sophias Tod nicht mehr gehabt hatten. Danach lagen sie sich schwitzend in den Armen und Marie spürte, wie mit jedem tiefen Atemzug Teile ihres gigantischen Turms aus Schmerz, Leid und innere Anspannung von ihr abfielen. Sie fühlte sich zum ersten Mal wieder lebendig.

„Sie trug ihn sogar noch, als er ihr schon längst zu klein geworden war. Das hat sie ausgesehen wie ein kleines Frettchen“, sagte Lukas lachend und drückte dabei ihre Hand noch fester.
„Stimmt“, kicherte Marie, „und dann habe ich ihn eines abends einfach in einen Karton gepackt und behauptet, dass er bei der Wäsche abhanden gekommen wäre. Meine Güte, ich glaube das hat sie mir nie verziehen“.
„Sie hat Dich sehr geliebt. Immer.“, sagte Lukas mit ruhiger Stimme.
Marie nickte zustimmend. „Sie hat uns soviel Glück beschert, unsere Kleine Prinzessin. So viele wundervolle Tage, so wunderbare Erinnerungen. Das ist einfach nicht fair. Warum nur unser kleines Mädchen?“ Die Gedanken an die furchtbaren Ereignisse ließen sie abbrechen.
Sie biss die Zähne so stark zusammen, dass sie Angst hatte, ihre Kieferknochen würden brechen, versuchte den Schmerz aus ihrem Bauch nicht herauf schleichen zu lassen. Aber die Erinnerungen fanden ihren Weg wie eine Schlange, die sich langsam kriechend ihrem Opfer nähert, um es dann völlig zu überrumpeln, sodass es kein Entkommen mehr gab.
Diese Nacht vor vielen, vielen Jahren, in der ihr kleines Mädchen nicht mehr nach Hause kam und niemals wiederkommen sollte.
Trotzdem hatte sie jedes Mal den Eindruck, sie wäre gerade erst aus der Tür gegangen, wenn sie nachdenklich auf ihrem Sofa saß und das große Bild von Sophia über dem Kamin betrachtete. Sie konnte fast noch ihr Lachen hören, als sie sich an diesem Abend verabschiedet hatte. Ihre blonden Locken wippten auf ihren Schultern, als sie durch den Regen zu ihrem kleinen Wagen lief, den sie ihr zum neunzehnten Geburtstag geschenkt hatten.
„Komm nicht zu spät“, hatte sie ihr noch hinterher gerufen, „und fahr vorsichtig“, aber das war eigentlich unnötig.
Sophia blieb nie die ganze Nacht weg und war auch ansonsten eine sehr verantwortungsbewusste junge Dame geworden, sie brauchte sich keine Sorgen zu machen.
Trotzdem wälzte sich Marie meistens stundenlang unruhig in ihrem Bett und fand keinen Schlaf, bis sie endlich den Schlüssel in der Haustür knacken hörte.
Sie winkte ihrer Mutter noch mal lachend zu, startete das Auto und fuhr aus der Straße und hinaus aus Maries Leben. Ein verblassender Blinker war das Letzte, das sie von ihrer Tochter gesehen hatte.
Als ihre Tochter starb, hatte sie geschlafen. Niemals konnte sie sich das verzeihen. Sie träumte friedlich, als ihr kleines Mädchen um ihr Leben kämpfte.
Die erste und einzige Nacht, in der sie ruhig schlief, seit Sophia allein das Haus verließ und auch nachdem sie für immer gegangen war.

„Du sollst nicht so denken.“, mahnte Lukas sie. „Es wird nichts an der Tatsache ändern, dass Sophia tot ist. Und mach Dir nicht wieder Schuldgefühle. Niemand trägt Schuld, niemand“. Seine letzten Worte zitterten, und sie wusste, dass er das nur sagte, um sie zu beruhigen.
In Wirklichkeit dachte er genau wie sie, dass es sehr wohl Schuldige gab.
All diese Leute. Alle diese Menschen, die sie an diesem Abend sahen und wegsahen.

„Sie tragen alle Blut an ihren Händen, das sich niemals abwaschen lassen wird“, sagte sie zornig.
Lukas ließ ihre Hand los und beugte sich über sie. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr tief in die Augen.
„Hör zu Marie, niemand trägt die Schuld an diesem furchtbaren Unglück. Ich vermisse sie auch, weiß Gott sie fehlt mir so sehr“, zitterte er und seine salzigen Tränen fielen auf ihre Lippen, während er weitersprach: „In jeder Stunde, jeder Minute wünsche ich mir, dass sie wieder bei uns wäre. Aber es ist passiert, und wir können die Zeit nicht zurückdrehen, um sie zu retten, ihr zu sagen sie soll zu Hause bleiben. Wir können es einfach nicht. Und quälen wir uns nicht nur selbst, wenn wir darüber nachdenken was alles hätte sein können?
Was bringt Dir der Zorn auf diese Menschen? Würdest Du Genugtuung empfinden, wenn man sie ausfindig machen könnte? Meinst Du, dass Du Dich dann besser fühlst? Selbst wenn man ihnen den Kopf abhackt, bringt das unser Mädchen nicht wieder. Du darfst Deinen Hass nicht übermächtig werden lassen, bitte Marie, vor allem nicht jetzt. Schließe Frieden mit diesen Menschen, vergib ihnen für Deine Tochter. Denn ich bin mir sicher, sie hat ihnen auch verziehen. Denk an die wundervolle Zeit, die wir mit ihr hatten und sei dankbar dafür und nicht wütend über das, was Du nicht bekommen kannst. Denk doch mal daran, wie das kleine Bündel in Deinen Armen lag, die blonden Haare noch feucht und es schmatzend an Deiner Brust gesaugt hat. Sie war so friedlich, so vollkommen, so wunderschön“.

Er drückte ihr einige feuchte Küsse auf ihren Mund und legte sich dann wieder neben sie.
„Du hast ja Recht“, antwortete Marie und nahm wieder seine Hand.
Sie dachte an den Tag, an dem sie ihre Tochter das erste Mal gesehen hatte. Es war eine schwere und sehr schmerzhafte Geburt gewesen, und sie war sehr schwach, als das Baby endlich auf der Welt war.
Aber dann öffnete Sophia ihre Augen, und jegliche Anstrengung fiel von Maries Körper wie ein schweres Tuch.
Sie führten ein unbeschwertes und glückliches Leben. Sicher gab es mal das ein oder andere Problem, aber sie alle drei waren optimistische Menschen, die ihr Leben genossen und die Gabe hatten, Freude zu empfinden, wenn der Himmel auch noch so grau zu sein schien.
Bis zu diesem Tag im Februar. Marie hatte immer gedacht, sie sei längst erwachsen, aber erst nachdem Sophia einige Tage begraben war, merkte sie, wie völlig hilflos und unbeholfen sie war. Lukas war ihr in dieser Zeit eine große Stütze, doch auch er litt unter dem Verlust so stark, dass er über Nacht völlig weiße Haare bekam.
Eines Morgens stand sie vor dem Spiegel und blickte in ihr blasses, gezeichnetes Gesicht.
Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und schienen jeglichen Glanz verloren zu haben.
Sie hatte einige Pfund verloren, und ihre Haare wirkten stumpf und strähnig.
Als sie sich so betrachtete, musste sich plötzlich lachen. Sie sagte zu ihrem Spiegelbild: „Na, Du dumme Gans, hast wohl gedacht, dass Dein Leben immer so weitergeht. Ein liebevoller Mann, eine wundervolle Tochter, ein Haus, zwei Mal im Jahr Urlaub und gemütliche Spielabende im Winter vor dem Kamin. Tja, da habe ich wohl eine Neuigkeit für Dich, das Märchen ist aus. Was hast Du geglaubt? Das ganze Leid und der Schmerz da draußen, hungernde Kinder mit Fliegen am Mund, sterbende Soldaten, die um ihr Leben flehen, Säuglinge, die lebend in Papierkörbe geschmissen werden, Männer die ihre Frauen halb tot prügeln, korrupte Politiker, dachtest Du, das geht Dich nichts an? Hast Du wirklich geglaubt, Dir könnte Derartiges nicht passieren? Nur, weil es im Fernseher und in der Zeitung war, ist es furchtbar, aber weit weg? Nein. Diesmal bist Du Diejenige. Deine Tochter steht nun auf der Titelseite, und das halbe Land heuchelt sein scheiß Mitleid. Aber mach Dir nichts draus, in einigen Wochen ist das vorbei, dann haben sie Dein Mädchen vergessen. Niemand wird mehr über sie sprechen, so, als ob sie nie existiert hätte. Dann kommt wieder jemand anderes an die Reihe.“
Marie schlug wild kichernd auf den Spiegel ein, bis er in viele Scherben zerbrach. Dabei zog sie sich tiefe Schnittwunden an der Hand zu, und sie ließ sich auf den Badezimmerboden sinken, um das Blut zu beobachten, das aus mehreren Wunden quoll. Der Anblick beruhigte sie. Der körperliche Schmerz löste einen Teil der seelischen Qualen.
Als Lukas sie später dort fand, war er furchtbar wütend geworden, zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ihn so erlebt. Später war ihr klar geworden, dass er sich lediglich um sie sorgte. Sie machten danach eine gemeinsame Psychotherapie, und auch wenn sie nie gedacht hätte, dass ihr so was helfen würde, fühlte sie sich besser nach den Gesprächen.
Tatsächlich war ein wunderschönes Bild von Sophia tagelang durch die Presse gegangen. Sie erinnerte sich genau, wo dieses Bild entstanden war. Vor zwei Jahren im Sommerurlaub in Spanien. Sie hatten viele Wanderungen und Fahrten gemacht, und eines Tages bestiegen sie einen Berg, von dessen Spitze die Aussicht so atemberaubend war, dass alle drei minutenlang nicht gesprochen hatten und jeder für sich den faszinierenden Blick auf das tosende Meer genoss, das sich an den Klippen brach, nur um einen neuen Anlauf zu nehmen bei dem Versuch, seinen Weg fortzusetzen.
Sie waren dort bis zu Dunkelheit geblieben, und während die Sonne tief im Meer versank war dieses Bild entstanden. Glücklich strahlte sie in die Kamera, ein Mädchen mit Zukunft.

„Meinst Du, ihr Tod hat irgendetwas verändert?“, fragte sie Lukas, der nachdenklich auf einem Grashalm kaute.
„Bestimmt. Ganz sicher sogar. Es hat die Leute wachgerüttelt. Sie haben über sich selbst nachgedacht. Auch wenn sie Sophia vielleicht mit der Zeit vergessen haben, werden sie dieses ungute Gefühl haben, wenn sie etwas sehen, das sie nicht sehen wollen.“, antwortete er nach einigen Sekunden.
„Vielleicht. Ich bin so stolz auf unser Mädchen. Sie war ein guter Mensch. Sie hätte nicht sterben dürfen, es ist nicht fair“, schluchzte Marie.
„Nein, das ist es nicht“, sagte er und streichelte ihr sanft über die vom Alter gezeichnete Wange.

Als die Polizei in dieser Nacht an ihrer Tür klingelte und ihnen die Mitteilung vom Tod ihrer einzigen Tochter brachte, wehten ihr feuchte Schneeflocken ins Gesicht. Der erste Schnee in diesem Jahr, der sich langsam, aber unwiederbringlich auf Gehwege, Häuserdächer, Wiesen und Felder legte. Eine weiße, dicke Schicht, die alles verhüllte und gleichzeitig den Tod ihres Kindes besiegelte, reell machte. Sie war das erste Mal sofort ohnmächtig zusammen gebrochen und später in ihrem ihr bizarr vorkommenden Wohnzimmer noch einmal, als sie die Umstände des Todes von dem mitfühlenden Polizisten hörte, dem selbst Tränen in den Augen standen. Lukas hatte ihre Hand gehalten, der Seelsorger hatte ihre Hand gehalten, man hatte sie umarmt, gedrückt, ihr tröstende Worte gesagt. An nichts von dem konnte sie sich erinnern. Lediglich an den Schnee, der ihr ins Gesicht wehte, als sie der Polizei die Tür öffnete.
Sophia wollte sich in einer Bar mit einigen Freunden treffen. Auf dem Weg dorthin kam ihr Wagen aus ungeklärten Gründen von der Straße ab, sie prallte mit der Beifahrertür gegen einen Baum und wurde anschließend in den Straßengraben geschleudert, wo das Auto auf der Fahrerseite liegen blieb.
Zu dieser Zeit war Sophia wahrscheinlich bewusstlos. Aber sie kam wieder zu sich, konnte sich aber nicht selbst befreien, da sie im Wagen eingeklemmt war. Ihr Bein war gebrochen, und sie hatte eine Platzwunde an der Stirn, ansonsten war sie aber in Ordnung. Keine inneren Verletzungen, stellte man später fest.
Sie befand sich auf einer rege befahrenen Straße, und selbst um diese Uhrzeit fuhren regelmäßig Wagen an ihr vorbei. Niemand hielt an, keiner rief die Polizei.
Zwar lag ihr Auto im Graben, war aber deutlich zu erkennen, versicherte man ihr.
Sophia versuchte sich selbst zu befreien, überall waren Kratzspuren, ihre Fingernägel waren abgebrochen. Wahrscheinlich hatte sie auch sehr lange um Hilfe geschrieen.
Aber sie schaffte es einfach nicht. Der Motor funktionierte nicht mehr, sie konnte kein Licht und keine Heizung einschalten.
Sie hat mindestens drei Stunden noch gelebt, erfuhr ihre Mutter erst viel später. Drei Stunden, in der ihr Mädchen um Hilfe rief, sich zu befreien versuchte und hilflos mit ansehen musste, wie ein Scheinwerferlicht nach dem anderen in der Dunkelheit verschwand, ohne langsamer zu werden.
Nicht mal ihre Freunde kamen auf den Gedanken, dass ihr etwas passiert sein könnte. Sie dachten, dass sie einfach zu Hause geblieben wäre. Irgendwann hatte sie sich so gut es ihr möglich war zusammengerollt, dann ist sie eingeschlafen und nicht mehr erwacht.
Sie war in ihrem Gefängnis erfroren.
In der heutigen Zeit an einer viel befahrenen Straße nach einem leichten Verkehrsunfall erfroren. Eine Krankenschwester, die zur Frühschicht unterwegs war, hatte dann letztendlich angehalten und die Feuerwehr gerufen.
Bis diese ankam, war sie durch die Beifahrerseite hineingeklettert und hatte versucht, Sophia zu befreien, aber auch sie schaffte es nicht, und das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Stunden tot.
„Sie hat ausgesehen, als ob sie schläft“, hatte die Krankenschwester ihnen später berichtet. „Ganz friedlich. Da war keine Spur von Angst oder Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesicht“.
„Wahrscheinlich hat sie den Tod irgendwann akzeptiert und mit ihrem Leben in Frieden abgeschlossen“, hatte Lukas einige Jahre später einmal gesagt, als sie mal wieder darüber sprachen.
Ihr Mädchen. So stark war sie gewesen, sogar den Tod noch angstfrei willkommen zu heißen.
Niemand hatte sich gemeldet, der an diesem Abend auf dieser Straße gefahren war. Natürlich nicht. Aber es gab einen großen Medienrummel und allgemeine Betroffenheit. In einer Sondersendung appellierte sogar Günther Jauch an die Zivilcourage, und sie bekamen sehr viel Post.
Auf Sophias Beerdigung mussten die Türen der Kapelle geöffnet bleiben, weil so viele Leute gekommen waren, um sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Viele von ihnen hatte Marie nie zuvor gesehen. Sie fragte sich, wie viele von denen an diesem Abend an ihrer sterbenden Tochter vorbei gefahren waren und aus unerfindlichen Gründen nicht angehalten hatten.

„Meinst Du, wir werden sie wieder sehen? Unsere Kleine? Und wie wird sie aussehen?“, wandte sich Marie an ihren Mann, der mit seinen Augen einigen Wolken auf ihrem Weg folgte.
„Ich bin mir ganz sicher, dass sie bereits auf uns wartet. Sie wird ein wundervoller Engel sein, so wie sie es immer gewesen ist“, antwortete Lukas und lächelte in den Himmel.
„Ja, Du hast Recht“, stimmte Marie zu und blickte auch schmunzelnd in das unendliche Blau.
Dieses furchtbare Ereignis hatte sie beide zu ernsteren, nachdenklicheren Menschen werden lassen, die nicht mehr uneingenommen an die Leichtigkeit des Lebens glaubten.
Sie wurden sehr vorsichtig in ihrem Umgang miteinander, und später fanden sie sogar zu einem zaghaften, fragilen Glück zurück. Denn sie hatten einander, und ihre Liebe war nicht zerbrochen, sondern gereift und zu etwas geworden, das nichts und niemand überwinden konnte.

Marie drehte ihren Kopf und blickte Lukas an, der träumend ins Nichts blickte. Liebevoll betrachtete sie ihren Mann, mit dem sie so lange glücklich gewesen war.
Die getrockneten Tränen hatten einen salzigen, weißen Film auf seinen Wangen hinterlassen, der Schmerz hatte tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben, aber durch das alte Gesicht sah sie immer noch den jungen Mann, in den sie sich einst verliebt hatte.
Zärtlich strich sie ihm über die Wange, und auch er drehte den Kopf, um sie anzusehen.
„Sag mal, hast Du eigentlich die Kaffeemaschine ausgestellt?“, fragte sie ernst.
„Weiß nicht. Ist doch auch egal, oder?“ antwortete er. Beide blickten sich einige Sekunden lang ernst an und fingen dann prustend an zu lachen.
Ein oder zwei Minuten kicherten sie laut, bis Marie die Bauchmuskeln wehtaten und Lukas zu husten begann.
„Wir haben gekämpft, oder?“, fragte Marie, nachdem sich beide beruhigt hatten.
„Jawohl, das haben wir, gnädige Frau“, sagte Lukas schmunzelnd.
„Aber am Ende haben wir doch verloren“, sagte Marie wehmütig und blickte auf die großen Baufahrzeuge, die hier nächste Woche mit ihren Arbeiten beginnen würden.
Die herrliche Wiese sollte einem Vergnügungspark weichen. Leider stand ihr Haus genau an der Stelle, wo zukünftig eine neue Autobahnzufahrt entstehen sollte.
Als sie das erste Mal Post von der Stadt bekamen, glaubten sie noch, sie könnten ihr Haus durch eine simple Verweigerung des Vergleichsangebotes, das man ihnen stellte, retten.
Aber man schrieb ihnen wieder, lud sie sogar zum persönlichen Gespräch ein.
Bei diesem Treffen hatten sie den Herren erklärt, warum ihnen dieses Haus so am Herzen hing, und dass sie niemals freiwillig ausziehen würden.
In diesem Haus war ihr Kind aufgewachsen, in diesem Haus hatten sie Freude und Schmerz gelebt, im Garten gespielt, gegrillt, gemeinsam die Wände gestrichen, lachend unter einem kaputten Rohr mit Wasser gespritzt, nachdem die erste Wut verflogen war, Lukas hatte selbst viele Veränderungen vorgenommen. Ganz zu schweigen von Sophias Kinderzimmer, das immer noch so eingerichtet war wie an dem Tag, an dem sie gegangen war.
Das Haus war ihnen angewachsen wie unentfernbares Muttermal, es war ein fester Bestandteil ihrer Familie, ein Buch der Erinnerungen.
Man hatte ihnen gesagt, dass sie durchaus Verständnis hätten für ihre persönliche Lage, aber man müsste doch an das Wohl der Allgemeinheit denken, und der Bau dieser Autobahnzufahrt würde so viele Leute in ihre Stadt bringen, und das würde Aufschwung bedeuten, was am Ende ja auch wieder ihnen zu Gute käme, und sie könnten doch in dem neuen Haus etwas neues aufbauen.
Nachdem sie beide sich nicht von einer Umsiedlung überzeugen lassen konnten, wurde der Mann ausfallend.
„Sie müssen das doch auch mal realistisch sehen Herr und Frau Dermann, Sie sind ja nun auch nicht mehr die jüngsten. Die ganze Stadt kann doch nun nicht Rücksicht nehmen auf ein altes Ehepaar, das sich weigert, aus ihrem uralten Haus auszuziehen und in ein paar Jahren eh…“
Da war Marie ausgeflippt. Sie schrie, dass es eine Unverschämtheit sei, wie hier mit ihnen umgangen werden würde und dass sie sich einen Anwalt nehmen würde.
Das hatten sie dann auch getan. Lange hatten sie gekämpft, nach und nach sahen sie zu, wie eine Familie nach der anderen aus ihren Häusern der Straße auszog, bis sie am Ende alleine zurückgeblieben waren.
Die Straße wirkte verwaist, und langsam kamen ihnen Zweifel, ob sie diesen ungleichen Kampf gewinnen könnten.
Vor Gericht wurde dann letztendlich gegen sie entschieden. Sie hatten das Haus bis zum Ende des folgenden Monats zu verlassen.
Man bot ihnen eine Dreizimmerwohnung in einem betreuten Wohnheim an. Einem Altersheim. Sie lehnten ab, und man überwies ihnen eine nicht unbeträchtliche Summe, die sie nicht wollten.
Ihr Haus war unbezahlbar. Sie fühlten sich, als hätte man ihnen für ihr Leben einen Scheck ausgestellt. Lange saßen sie an diesem Abend vor ihrem Kamin und überlegten, was sie noch tun konnten. Schweigen hüllte den Raum in ein dunkles Tuch, wobei lediglich das Feuer knackte, zischte und ihre Gesichter in warme Schatten legte.
Irgendwann hatte er sie dann angesehen und gesagt:“ Ich glaube, ich weiß, was wir tun können. Ja, ich denke, ich habe eine passable Lösung gefunden!“
Sie gaben am nächsten Tag die gesamte Summe anonym dem ortsansässigen Kinderheim.
Und sie zogen nicht aus. Sie ignorierten den Gerichtsbeschluss bis zuletzt. An dem Tag, nachdem sie das Haus räumen sollten, saßen sie gemütlich am Frühstückstisch, als das Abrissunternehmen vorfuhr und erstaunt feststelle, dass in dem Haus noch Leute lebten.
Als nächstes kam die Polizei und sie wurden aufgefordert, das Haus innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu räumen, und ihnen wurde angedroht, gerichtlich eine Entmündigung zu beantragen, falls sie nicht vernünftig wurden. Dann würde man sie doch in ein Altersheim stecken. Aber nicht in eine Dreizimmerwohnung, sondern in ein städtisches, wo jeweils zwei bis drei Personen auf einem Zimmer lebten. Männer und Frauen getrennt.
Das war nun heute Morgen gewesen.

„Nein, das haben wir nicht. Wir haben nicht verloren, Marie. Es gibt etwas, das uns niemand wegnehmen kann. Im Prinzip haben wir eigentlich sogar gewonnen und zwar auf der ganzen Linie“, sagte Lukas, während er Marie mit einem warmen Lächeln beschenkte.
„Ich verstehe Dich nicht. Selbst unsere Würde haben sie uns genommen. Ein Altersheim. Unsere Tochter haben sie einfach sterben lassen. Was ist das für eine Welt? Sag es mir? Wie kannst Du nur so unverbittert sein? Was haben wir denn noch? Was denn?“, entgegnete Marie mit Tränen in den Augen.
Lukas beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie auf die Stirn, mit der anderen Hand streichelte er über ihr struppiges, graues Haar.
„Dich und mich. Das größte Geschenk, das ich jemals bekommen habe, war das Leben.
Unsere Liebe, unsere wunderhübsche Tochter.
Viele Menschen sind kalt, innerlich tot. Aber wir, wir haben uns, verstehst Du?
Siebenundfünfzig Jahre voller Glück und Freude. Ich bin dankbar, sehr sogar, für das, was wir erlebt haben. Ich bin dankbar, dass wir unsere Tochter achtzehn Jahre lang bei uns haben durften. Stell Dir nur vor, wir hätten gar keine Kinder gehabt, wo wäre die Wärme in unserem Haus geblieben? Keine kleinen Füße, die über das Parkett rennen, keine angemalten Tapeten, kein Kindergeburtstag - wäre das nicht furchtbar gewesen? Und sie ist doch niemals gegangen, unser Mädchen. Wenn Du auf den Treppen gehst, oder unter der Dusche stehst, hast Du dann nicht auch das Gefühl, sie könnte jeden Moment hereinkommen? Ich spüre sie, auch jetzt, als wäre sie ganz nah bei uns. Es ist wie der Duft einer Rose. Wenn Du sie einmal gerochen hast, dann schwängert ihr Geruch Dein ganzes Bewusstsein, und selbst wenn sie schon längst verblüht ist, hast Du das Gefühl, sie immer noch riechen zu können. Du vergisst den Geruch niemals und so ist es auch mit Sophia. Sie ist nie wirklich gegangen. Ich bin sicher, sie wartet auf uns, woanders. Und wenn ich Dich nicht getroffen hätte, was wäre dann aus mir geworden? Haben wir nicht ein wundervolles Leben geführt? Denk nur an unsere schönen Tage am Meer, hier auf der Wiese, oder die Abende, an denen wir uns schlapp gelacht haben über völlig banale Dinge wie eine eingelaufene Unterhose.
Sieh Dich um. Ist es nicht wunderschön auf der Welt? Schau Dir die hohen Bäume an, das grüne Gras! Ja, morgen ist es nicht mehr da, aber wir durften damit leben. Es hat doch keinen Sinn, darüber nachzudenken, was alles sein könnte, denn es wird nicht sein. Besser ist es, dankbar und glücklich darüber zu sein, was man hatte.
Wie heißt es so schön? Die Erinnerung ist ein Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Und die Sache mit dem Haus und dem Altersheim - ich denke, das ist einfach ein Zeichen, jetzt nach Hause zu gehen. Glücklich und dankbar. Meinst Du nicht auch?“

„Ja, die Erinnerung. Aber sie ist nicht nur ein Paradies, sie ist auch eine Hölle aus der wir nicht entkommen können. Es tut so weh, an die schöne Zeit zu denken und zu wissen, dass man nicht das Geringste tun kann, um sie zurückzuholen. Ich fühle mich so hilflos.
Ich bin dankbar, ja das bin ich. Aber ich bin auch zornig und wütend. Warum musste unser Mädchen so früh gehen, warum nimmt man uns unser Haus und unser Leben? Warum?“, stöhnte Marie, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
„Weil es passiert. Einfach, weil die Welt sich dreht und es immer weiter geht. Sie wird sich auch noch drehen, wenn wir nicht mehr hier sind. Und viele Menschen werden leiden, jeden Tag. Und wahrscheinlich, ohne dass es jemand Fremden interessiert. Wenn Du jemanden weinen siehst, gehst Du dann hin und fragst, was er hat? Solange das „wie geht es Dir“ eine Floskel ist und das einzelne Schicksal höchstens für eine Woche betroffen macht, so lang wird die Welt sich einfach weiter drehen wie bisher und einzelne Schicksale sich einfach erfüllen. So ist eben.
Unsere Tochter hat mit ihrem Tod ein Zeichen gesetzt. Sie hat Menschen zum Nachdenken gebracht, vielleicht nicht lange, aber sie haben in sich geschaut und deshalb bin ich verdammt stolz auf sie. Was sie uns nicht nehmen können, das ist unser freier Wille. Wir entscheiden, was wir tun und wie wir miteinander umgehen.
Wir können das alles da draußen nicht ändern, aber wir können ein Zeichen setzten, Marie!“, sprach Lukas und wirkte dabei beinahe euphorisch.
„Ja, Du hast wohl Recht. Ich liebe Dich, Du elender Optimist“, antwortete Marie und drückte Lukas einen festen Kuss auf die Lippen.
„Sieh nur, die Sonne geht unter“, sagte sie und schaute auf den orangenen Ball am Himmel, der sich langsam zwischen den Bäumen senkte.
„Ist es nicht wunderschön?“, fragte sie.
„Das ist es, genauso schön wie Du bist“, lächelte Lukas und sah sie an. Seine Augen glänzten voller Liebe.
„Hör doch auf, ich bin eine alte, runzlige Frau.“, antwortete Marie und knuffte ihm in die Seite.
„Aber eine wunderschöne alte, runzelige Frau“, gab Lukas zurück.
„Und wenn Du lachst, dann sehen Deine Fältchen aus wie ein kleines Sonnensystem, bei dem ich jeden einzelnen Stern küssen möchte“, sagte er und lehnte sich zu ihr hinüber, um ihr Gesicht mit kleinen Küssen zu bedecken, genauso wie sie es damals mit Sophia gemacht hatte.
„Also junger Mann, ich muss doch schon sehr bitten, wie kommen Sie dazu, mich hier in der Öffentlichkeit so frivol zu küssen?“ scherzte Marie und drückte Lukas an sich.
Dann schauten sie gemeinsam dem Sonnenuntergang zu, der die gesamte Wiese in ein warmes Licht tauchte. Irgendwo in der Nähe zirpten ein paar Grillen.
Marie packte die Thermoskanne aus und beide tranken einen Becher des wohlig-warmen Gebräus.
Danach legten sie sich wieder nebeneinander auf das Gras und deckten sich mit einer Wolldecke zu.
„Habe ich Dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich Dich liebe?“, fragte Lukas.
„Ja, dann und wann hast Du es mal erwähnt. Ich liebe Dich auch…und ich wollte mich noch bei Dir bedanken. Dafür, dass Du immer da warst und es immer mit mir alter Furie ausgehalten hast. Und dass Du für mich mein Leben schön gemacht hast“, flüsterte Marie und kuschelte sich an ihn.
„Das habe ich nicht gemacht und das war auch gar nicht nötig, denn das Leben ist einfach von Natur aus schön, Schatz. Na gut, mit Dir ist es wahrscheinlich noch wesentlich schöner. Sonst wäre ich als alter Junggeselle geendet, der regelmäßig mit nur einem Socken herumgelaufen wäre, weil der andere spurlos verschwunden ist“.
Beide lachten und drückten sich noch näher aneinander.
Ein Vogel flog über ihnen in das Abendlicht. Irgendwo schrie ein Reiher. Weit entfernt hörten sie das Brummen der Autos auf der Schnellstraße.
Lange Zeit lauschten sie einfach den Geräuschen und genossen die letzten Lichtstrahlen.
„Irgendwie bin ich jetzt doch ziemlich glücklich, hier mit Dir“, flüsterte Marie.
Lukas antwortete nicht.
Sie drehte ihren Kopf zu ihm und sah ihn liebevoll an. Eine Träne löste sich aus ihren Augenwinkeln. Zärtlich strich sie ihm über die Wange und küsste ihn ein letztes Mal auf den Mund. Dann legte sie den Arm um ihn, um sich an ihn zu kuscheln. Marie dachte an ihr Mädchen, das hoch oben auf dem Berg steht und dem Meer und der Sonne fröhlich entgegen lacht. Ihr Haar weht im warmen Sommerwind und sie hebt eine Hand zum Winken.
Marie war müde, furchtbar müde.
 
hi,

ich hab die Geschichte inhaltlich erfasst und muss auch sagen, dass sie urtraurig ist. Soll genau heißen, mich reizte das Thema und mich reizte dein Stil. dennoch hab ich über ganz viele langatmige Passagen hinweg gelesen.

Ich verstehe das so, dass ein älteres Ehepaar mit ihrem Leben abschließen, weil mit ihnen etwas passieren soll, was sie nicht wollen.

Meine Anmerkungen:
1. Für ihre verständnisvolle Art ist der Einstieg in die geschichte zu sehr nach dem Motto "Wir haben uns nichts mehr zu sagen, deswegen reden wir über das Wetter!" gearbeitet. Mir ist schon klar, dass du auf ihren letzten Tag hinauswillst, wo man auch noch einmal das Wetter beleuchtet. Aber vielleicht böte es sich eher an, über details aus der Umgebung zu sprechen (wie das Thermometer).
2. Das hätte nämlich den Vorteil, dass die Geschichte nicht so zweiteilig dastehen würde. Ja, sie wirkt so, einerseits haben wir unsere Tochter früh verloren und andererseits wollen wir jetzt nciht mehr. Ich hab mich da zwischendrin gefragt, wieso denn nach all der Zeit plötzlich.
3. wenn du auf die Gerichtsverhandlungen und die Unverschämtheiten zwischendruch eingingest und mit der Geschicvhte der Tochter mischt, gibt es am Schluß ein Aha-Effekt und nicht das Gefühl von, und was kommt jetzt?
4. gibt es einige Stellen, die du getrost streichen könntest, um den Text insgesamt zu verdichten.
5. sind mir noch ein paar Rechtschreibfehler aufgefallen ... hier der wesentlichste ... direkt statt Direkt ... steht direkt am Anfang. :)
6. Also mir sind am Schluß die Tränen gekommen, da ist also Berührung... Aber wie sterben sie denn nun? Wie???
7. Klar, dass sie über ihre Tochter sprechen, aber ich weiß nicht, ob das das haupthema wäre ... zumindest nicht, wenn es um die Geschichte geht. Mach dir klar, was deine eigentlich Geschichte ist. Die Tochter fällt in die Rubrik Nebenhandlung...
8. Ich war total raus und hab mich gefragt, was du jetzt willst, als die Geschichte mit der Torte kam. Bitte, wo war der Zusammenhang. Am Schluß versteh ich das... aber da sind andere Leser schon weg. Es sind so Schlagblitze aus ihrem Leben, aber das muss vorher klarer werden, denn wir waren die ganze Zeit bei der Tochter und dann bei ihrer Pubertät, dass es dann nicht wieder um die Tochter geht, ist schwer zu verstehen, wenn ich nicht mal vermuten kann, dass sie sich töten wollen...

Sodale... man könnte ihn sicherer differenzierter zerpflücken, aber ich denke, diesen Text solltest du noch mal kräftig überarbeiten.
Ich finde die Geshcihcte gut und dein Stil ist sehr eingängig. Du erzählst sehr sensibel.

Hoffentlich, war ich nicht zu streng... :)

Herzliche Grüsse
Scarlett
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

eine so tolle Geschichte sollte möglichst fehlerfrei daher kommen, deshalb unterbreite ich dir einige Korrekturvorschläge:

Duft der Rose
Veröffentlicht von Sumpfkuh am 10. 09. 2006 19:58
“I`m sorry I have to say it, but you look like you`re sad. Your smile is gone, i noticed it bad. The cure is if you let in just a little more love, I promise you this, a little`s enough.” (Angels & Airwaves)



„Was glaubst Du, wie warm es heute ist?“
Marie drehte ihren Kopf langsam nach links und schaute Lukas fragend an, der [red] Direkt [/red] (direkt) neben ihr lag.
Lukas schaute weiter in den Himmel, während er nach kurzem Überlegen antwortete: “Heute Morgen um zehn waren es achtzehn Grad auf unserer Terrasse“.
Neben der Verandatür hing ein altes, gusseisernes Thermometer. Es hing schon ewig dort, und Marie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer es eigentlich da hingehängt hatte, aber es sah hübsch aus,(kein Komma) auf den weißen Klinkern, die mittlerweile eher grau waren.
„Ein schöner Tag“, sagte Marie und schaute wieder in die Wolken.
„Hmm“, brummte Lukas zustimmend.
„Könnte etwas kühler sein“, murmelte er, nachdem sie beide schweigend eine Minute in den Himmel gesehen hatten.
„Stimmt“, antwortete Marie, ohne ihn anzusehen, „aber im Schatten geht es eigentlich“.
Es war vier Uhr nachmittags, und die Hitze des Tages hatte ihren Höhepunkt erreicht und zog sich nun langsam zurück, um der Kühle des Abends zu weichen.
Sie waren noch nicht lange hier, vielleicht eine halbe Stunde.
Auf der Wiese mit den alten, hoch gewachsenen Bäumen waren sie schon oft gewesen.
Früher, als Sophia noch klein war, hatten sie hier oft Picknick gemacht.
Marie hatte dann auf der großen Decke gesessen und zugesehen, wie Lukas mit der Kleinen herumtobte, Ball und Fangen spielte, oder mit ihr Käfer und andere kleine Naturwunder entdeckte. Ab und zu kamen dann ein paar kleine Beinchen hastig angerannt, und kleine Babyhände zeigten ihr zitternd vor Aufregung Schätze, die mehr wert waren als alles Gold dieser Welt. Marie teilte ihre Begeisterung jedes Mal. Nicht, weil sie den alten Stein oder den ekeligen, pelzigen Käfer so entzückend fand, sondern weil sie diesen gewissen Glanz in den Augen ihres Kindes sah. Wenn sie [blue] dann [/blue] (dieses 3. dann in so kurzer Zeit ist überflüssig) in das Gesicht ihrer Tochter schaute, überflutete sie eine gigantische Welle von Liebe, die ihr fast den Atem nahm und die Tränen in die Augen drückte.
Dann umschlang sie ihr lachendes Kind und übersäte sein kleines, erhitztes Knubbelgesicht mit Küssen, bis [blue] es [/blue] (besser Sophia, sonst kreischt das Gesicht) vor Freude kreischte.
„Weißt [red] Du [/red] (du) noch, als Sophia ihren ersten Schultag hatte? (kein Leerfeld)“, fragte Marie lächelnd, während ihre Augen eine Stelle am Himmel fixierten, an der nichts existierte.
Ohne eine Antwort von Lukas abzuwarten(Komma) sprach sie weiter.
„Sie wollte unbedingt ihren Lieblingspullover anziehen, der dicke mit dem Pony drauf“.
Der Pullover existierte auch heute, vierundvierzig Jahre später(Komma) noch. Es war ein Erinnerungsstück, das gut gepflegt in Sophias Schrank hing. Mit der Zeit war die weiße Farbe gelblich geworden und das Pony verblasst, obwohl sie ihn in Folie gewickelt hatte, aber ansonsten war er in einem guten Zustand. Manchmal nahm sie ihn heraus und [red] setze [/red] (setzte) sich damit auf das kleine Bett, um mit ihren Fingern über die struppige Wolle zu streichen.
„Sie hatte einen hochroten Kopf, weil sie so geschwitzt hat, aber sie wollte ihn partout nicht ausziehen“.
Lukas nahm ihre Hand und drückte sie. Sie blickte ihn nicht an, wusste aber, dass Tränen über sein Gesicht liefen.
Er hatte seine Tochter unendlich geliebt. Sie hatten eine spezielle Vater-Tochter Beziehung gehabt, und als Sophia in die Pubertät kam, war er der einzige gewesen, der zu ihr Zugang[blue] hatte[/blue] (fand).
Oft hatte Marie verzweifelt in der Küche gestanden und einen Kuchen gebacken, den eigentlich keiner essen wollte(Komma) nachdem Sophia nach einem Streit polternd die Treppe hoch rannte und ihre Zimmertür krachend ins Schloss fiel.
Lukas ging dann zu ihr, und nach einer halben Stunde kamen beide lachend aus ihrem Zimmer. Manchmal war sie ein wenig neidisch auf diese tiefe Bindung zwischen den beiden, aber meistens spürte sie nur tiefe Zuneigung ihrem Mann gegenüber, der immer ruhig und gelassen blieb, komme(Komma) was wolle.
Er war Maries Fels in der Brandung, er wusste immer, wann es ihr schlecht ging und fand immer das richtige Mittel, um sie aus ihrer Lethargie zu ziehen, als wäre seine spezielle Lebensaufgabe, seine Familie glücklich und fröhlich zu machen.(größeren Absatz)
An einem Tag vor vielen Jahren war er von der Arbeit am Nachmittag nach Hause gekommen und hatte eine Pappschachtel in der Hand gehalten.
Marie hatte einen schlimmen Tag gehabt und so viel geweint, dass ihre Augen fast zugeschwollen waren. Sie hatte lange im Bad gestanden, um es vor ihm zu vertuschen, aber als er mit dieser Schachtel durch die Tür kam, wusste sie, dass er mal wieder intuitiv das Richtige getan hatte.
Als er den Deckel anhob, schlug sie entzückt die Hände vor den Mund. Ein Kerl aus Vollmilch grinste ihr frech entgegen, während er seine Partnerin fest im Arm hielt.
Dieser Herr kam ihr bekannt vor, genau wie der Rest des Kuchens, auf dem das stolze Paar trohnte.
Er hatte ihre Hochzeitstorte nachbacken lassen und das, obwohl an diesem Datum nicht mal ihr Hochzeitstag war.
Außerplanmäßige Geschenke und Aufmerksamkeiten waren nur eine Art(Komma) ihr zu zeigen, wie sehr er sie liebte.
An diesem Abend aßen sie die komplette Torte mit den Fingern auf ihrem ausgebeulten Cordsofa vor dem Kamin und lauschten dem Knacken der Holzscheite im Feuer.
Später hatten sie Sex gehabt, wild und ungestüm(Komma) wie[blue] sie es seit Sophias Tod nicht mehr gehabt hatten[/blue] (es nach Sophias Tod nicht mehr vorkam). Danach lagen sie sich schwitzend in den Armen und Marie spürte, wie mit jedem tiefen Atemzug Teile ihres gigantischen Turms aus Schmerz, Leid und [red] innere [/red] (innerer) Anspannung von ihr abfielen. Sie fühlte sich zum ersten Mal wieder lebendig.

„Sie trug ihn sogar noch, als er ihr schon längst zu klein geworden war. [red] Das [/red] (Da) hat sie ausgesehen wie ein kleines Frettchen“, sagte Lukas lachend und drückte dabei ihre Hand noch fester.
„Stimmt“, kicherte Marie, „und dann habe ich ihn eines abends einfach in einen Karton gepackt und behauptet, dass er bei der Wäsche abhanden gekommen wäre. Meine Güte, ich glaube(Komma) das hat sie mir nie verziehen“.
„Sie hat [red] Dich [/red] (dich) sehr geliebt. Immer.“, sagte Lukas mit ruhiger Stimme.
Marie nickte zustimmend. „Sie hat uns soviel Glück beschert, unsere [red] Kleine [/red] (kleine) Prinzessin. So viele wundervolle Tage, so wunderbare Erinnerungen. Das ist einfach nicht fair. Warum nur unser kleines Mädchen?“ Die Gedanken an die furchtbaren Ereignisse ließen sie abbrechen.
Sie biss die Zähne so stark zusammen, dass sie Angst hatte, ihre Kieferknochen würden brechen, versuchte den Schmerz aus ihrem Bauch nicht herauf schleichen zu lassen. Aber die Erinnerungen fanden ihren Weg wie eine Schlange, die sich langsam kriechend ihrem Opfer nähert, um es dann völlig zu überrumpeln, sodass es kein Entkommen mehr gab.
Diese Nacht vor vielen, vielen Jahren, in der ihr kleines Mädchen nicht mehr nach Hause kam und niemals wiederkommen sollte.
Trotzdem hatte sie jedes Mal den Eindruck, sie wäre gerade erst aus der Tür gegangen, wenn sie nachdenklich auf ihrem Sofa saß und das große Bild von Sophia über dem Kamin betrachtete. Sie konnte fast noch ihr Lachen hören, als sie sich an diesem Abend verabschiedet hatte. Ihre blonden Locken wippten auf ihren Schultern, als sie durch den Regen zu ihrem kleinen Wagen lief, den sie ihr zum neunzehnten Geburtstag geschenkt hatten.
„Komm nicht zu spät“, hatte sie ihr noch hinterher gerufen, „und fahr vorsichtig“, aber das war eigentlich unnötig.
Sophia blieb nie die ganze Nacht weg und war auch ansonsten eine sehr verantwortungsbewusste junge Dame geworden, sie brauchte sich keine Sorgen zu machen.
Trotzdem wälzte sich Marie meistens stundenlang unruhig in ihrem Bett und fand keinen Schlaf, bis sie endlich den Schlüssel in der Haustür knacken hörte.
Sie winkte ihrer Mutter noch mal lachend zu, startete das Auto und fuhr aus der Straße und hinaus aus Maries Leben. Ein verblassender Blinker war das Letzte, das sie von ihrer Tochter gesehen hatte.
Als ihre Tochter starb, hatte sie geschlafen. Niemals konnte sie sich das verzeihen. Sie träumte friedlich, als ihr kleines Mädchen um ihr Leben kämpfte.
Die erste und einzige Nacht, in der sie ruhig schlief, seit Sophia allein das Haus verließ und auch nachdem sie für immer gegangen war.

„Du sollst nicht so denken.“, mahnte Lukas sie. „Es wird nichts an der Tatsache ändern, dass Sophia tot ist. Und mach [red] Dir [/red] nicht wieder Schuldgefühle. Niemand trägt Schuld, niemand“. Seine letzten Worte zitterten, und sie wusste, dass er das nur sagte, um sie zu beruhigen.
In Wirklichkeit dachte er genau wie sie, dass es sehr wohl Schuldige gab.
All diese Leute. Alle diese Menschen, die sie an diesem Abend sahen und wegsahen.

„Sie tragen alle Blut an ihren Händen, das sich niemals abwaschen lassen wird“, sagte sie zornig.
Lukas ließ ihre Hand los und beugte sich über sie. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr tief in die Augen.
„Hör zu(Komma) Marie, niemand trägt die Schuld an diesem furchtbaren Unglück. Ich vermisse sie auch, weiß Gott(Komma) sie fehlt mir so sehr“, zitterte er und seine salzigen Tränen fielen auf ihre Lippen, während er weitersprach: „In jeder Stunde, jeder Minute wünsche ich mir, dass sie wieder bei uns wäre. Aber es ist passiert, und wir können die Zeit nicht zurückdrehen, um sie zu retten, ihr zu sagen(Komma) sie soll zu Hause bleiben. Wir können es einfach nicht. Und quälen wir uns nicht nur selbst, wenn wir darüber nachdenken(Komma) was alles hätte sein können?
Was bringt [red] Dir [/red] der Zorn auf diese Menschen? Würdest [red] Du [/red] Genugtuung empfinden, wenn man sie ausfindig machen könnte? Meinst[red] Du[/red] , dass [red] Du Dich [/red] dann besser fühlst? Selbst wenn man ihnen den Kopf abhackt, bringt das unser Mädchen nicht wieder. Du darfst [red] Deinen [/red] Hass nicht übermächtig werden lassen, bitte Marie, vor allem nicht jetzt. Schließe Frieden mit diesen Menschen, vergib ihnen für [red] Deine [/red] Tochter. Denn ich bin mir sicher, sie hat ihnen auch verziehen. Denk an die wundervolle Zeit, die wir mit ihr hatten und sei dankbar dafür und nicht wütend über das, was [red] Du [/red] nicht bekommen kannst. Denk doch mal daran, wie das kleine Bündel in [red] Deinen [/red] Armen lag, die blonden Haare noch feucht und es schmatzend an [red] Deiner [/red] Brust gesaugt hat. Sie war so friedlich, so vollkommen, so wunderschön“.

Er drückte ihr einige feuchte Küsse auf ihren Mund und legte sich dann wieder neben sie.
„Du hast ja Recht“, antwortete Marie und nahm wieder seine Hand.
Sie dachte an den Tag, an dem sie ihre Tochter das erste Mal gesehen hatte. Es war eine schwere und sehr schmerzhafte Geburt gewesen, und sie war sehr schwach, als das Baby endlich auf der Welt war.
Aber dann öffnete Sophia ihre Augen, und jegliche Anstrengung fiel von Maries Körper wie ein schweres Tuch.
Sie führten ein unbeschwertes und glückliches Leben. Sicher gab es mal das ein oder andere Problem, aber sie alle drei waren optimistische Menschen, die ihr Leben genossen und die Gabe hatten, Freude zu empfinden, wenn der Himmel auch noch so grau zu sein schien.
Bis zu diesem Tag im Februar. Marie hatte immer gedacht, sie sei längst erwachsen, aber erst nachdem Sophia einige Tage begraben war, merkte sie, wie völlig hilflos und unbeholfen sie war. Lukas war ihr in dieser Zeit eine große Stütze, doch auch er litt unter dem Verlust so stark, dass er über Nacht völlig weiße Haare bekam.
Eines Morgens stand sie vor dem Spiegel und blickte in ihr blasses, gezeichnetes Gesicht.
Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und schienen jeglichen Glanz verloren zu haben.
Sie hatte einige Pfund verloren, und ihre Haare wirkten stumpf und strähnig.
Als sie sich so betrachtete, musste sich plötzlich lachen. Sie sagte zu ihrem Spiegelbild: „Na, [red] Du [/red] dumme Gans, hast wohl gedacht, dass [red] Dein [/red] Leben immer so weitergeht. Ein liebevoller Mann, eine wundervolle Tochter, ein Haus, zwei Mal im Jahr Urlaub und gemütliche Spielabende im Winter vor dem Kamin. Tja, da habe ich wohl eine Neuigkeit für[red] Dich[/red] , das Märchen ist aus. Was hast [red] Du [/red] geglaubt? Das ganze Leid und der Schmerz da draußen, hungernde Kinder mit Fliegen am Mund, sterbende Soldaten, die um ihr Leben flehen, Säuglinge, die lebend in Papierkörbe geschmissen werden, Männer(Komma) die ihre Frauen halb tot prügeln, korrupte Politiker, dachtest[red] Du[/red] , das geht [red] Dich [/red] nichts an? Hast [red] Du [/red] wirklich geglaubt, [red] Dir [/red] könnte Derartiges nicht passieren? Nur, weil es im Fernseher und in der Zeitung war, ist es furchtbar, aber weit weg? Nein. Diesmal bist [red] Du [/red] Diejenige. Deine Tochter steht nun auf der Titelseite, und das halbe Land heuchelt sein scheiß Mitleid. Aber mach [red] Dir [/red] nichts draus, in einigen Wochen ist das vorbei, dann haben sie [red] Dein [/red] Mädchen vergessen. Niemand wird mehr über sie sprechen, so, als ob sie nie existiert hätte. Dann kommt wieder jemand anderes an die Reihe.“
Marie schlug wild kichernd auf den Spiegel ein, bis er in viele Scherben zerbrach. Dabei zog sie sich tiefe Schnittwunden an der Hand zu, und sie ließ sich auf den Badezimmerboden sinken, um das Blut zu beobachten, das aus mehreren Wunden quoll. Der Anblick beruhigte sie. Der körperliche Schmerz löste einen Teil der seelischen Qualen.
Als Lukas sie später dort fand, war er furchtbar wütend geworden, zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ihn so erlebt. Später war ihr klar geworden, dass er sich lediglich um sie sorgte. Sie machten danach eine gemeinsame Psychotherapie, und auch wenn sie nie gedacht hätte, dass ihr so was helfen würde, fühlte sie sich besser nach den Gesprächen.
Tatsächlich war ein wunderschönes Bild von Sophia tagelang durch die Presse gegangen. Sie erinnerte sich genau, wo dieses Bild entstanden war. Vor zwei Jahren im Sommerurlaub in Spanien. Sie hatten viele Wanderungen und Fahrten gemacht, und eines Tages bestiegen sie einen Berg, von dessen Spitze die Aussicht so atemberaubend war, dass alle drei minutenlang nicht gesprochen hatten und jeder für sich den faszinierenden Blick auf das tosende Meer genoss, das sich an den Klippen brach, nur um einen neuen Anlauf zu nehmen bei dem Versuch, seinen Weg fortzusetzen.
Sie waren dort bis zu Dunkelheit geblieben, und während die Sonne tief im Meer versank(Komma) war dieses Bild entstanden. Glücklich strahlte sie in die Kamera, ein Mädchen mit Zukunft.

„Meinst[red] Du[/red] , ihr Tod hat irgendetwas verändert?“, fragte sie Lukas, der nachdenklich auf einem Grashalm kaute.
„Bestimmt. Ganz sicher sogar. Es hat die Leute wachgerüttelt. Sie haben über sich selbst nachgedacht. Auch wenn sie Sophia vielleicht mit der Zeit vergessen haben, werden sie dieses ungute Gefühl haben, wenn sie etwas sehen, das sie nicht sehen wollen.“, antwortete er nach einigen Sekunden.
„Vielleicht. Ich bin so stolz auf unser Mädchen. Sie war ein guter Mensch. Sie hätte nicht sterben dürfen, es ist nicht fair“, schluchzte Marie.
„Nein, das ist es nicht“, sagte er und streichelte ihr sanft über die vom Alter gezeichnete Wange.

Als die Polizei in dieser Nacht an ihrer Tür klingelte und ihnen die Mitteilung vom Tod ihrer einzigen Tochter brachte, wehten ihr feuchte Schneeflocken ins Gesicht. Der erste Schnee in diesem Jahr, der sich langsam, aber unwiederbringlich auf Gehwege, Häuserdächer, Wiesen und Felder legte. Eine weiße, dicke Schicht, die alles verhüllte und gleichzeitig den Tod ihres Kindes besiegelte, [blue] reell [/blue] (real) machte. Sie war [blue] das erste Mal [/blue] (überflüssig) sofort ohnmächtig zusammen gebrochen und später in ihrem ihr bizarr vorkommenden Wohnzimmer noch einmal, als sie die Umstände des Todes von dem mitfühlenden Polizisten hörte, dem selbst Tränen in den Augen standen. Lukas hatte ihre Hand gehalten, der Seelsorger hatte ihre Hand gehalten, man hatte sie umarmt, gedrückt, ihr tröstende Worte gesagt. An nichts von dem konnte sie sich erinnern. Lediglich an den Schnee, der ihr ins Gesicht wehte, als sie der Polizei die Tür öffnete.
Sophia wollte sich in einer Bar mit einigen Freunden treffen. Auf dem Weg dorthin kam ihr Wagen aus ungeklärten Gründen von der Straße ab, sie prallte mit der Beifahrertür gegen einen Baum und wurde anschließend in den Straßengraben geschleudert, wo das Auto auf der Fahrerseite liegen blieb.
Zu dieser Zeit war Sophia wahrscheinlich bewusstlos. Aber sie kam wieder zu sich, konnte sich aber nicht selbst befreien, da sie im Wagen eingeklemmt war. Ihr Bein war gebrochen, und sie hatte eine Platzwunde an der Stirn, ansonsten war sie aber in Ordnung. Keine inneren Verletzungen, stellte man später fest.
Sie befand sich auf einer rege befahrenen Straße, und selbst um diese Uhrzeit fuhren regelmäßig Wagen an ihr vorbei. Niemand hielt an, keiner rief die Polizei.
Zwar lag ihr Auto im Graben, war aber deutlich zu erkennen, versicherte man ihr.
Sophia versuchte sich selbst zu befreien, überall waren Kratzspuren, ihre Fingernägel waren abgebrochen. Wahrscheinlich hatte sie auch sehr lange um Hilfe geschrieen.
Aber sie schaffte es einfach nicht. Der Motor funktionierte nicht mehr, sie konnte kein Licht und keine Heizung einschalten.
Sie hat mindestens drei Stunden noch gelebt, erfuhr ihre Mutter erst viel später. Drei Stunden, in der ihr Mädchen um Hilfe rief, sich zu befreien versuchte und hilflos mit ansehen musste, wie ein Scheinwerferlicht nach dem anderen in der Dunkelheit verschwand, ohne langsamer zu werden.
Nicht mal ihre Freunde kamen auf den Gedanken, dass ihr etwas passiert sein könnte. Sie dachten, dass sie einfach zu Hause geblieben wäre. Irgendwann hatte sie sich(Komma) so gut es ihr möglich war(Komma) zusammengerollt, dann ist sie eingeschlafen und nicht mehr erwacht.
Sie war in ihrem Gefängnis erfroren.
In der heutigen Zeit an einer viel befahrenen Straße nach einem leichten Verkehrsunfall erfroren. Eine Krankenschwester, die zur Frühschicht unterwegs war, hatte dann letztendlich angehalten und die Feuerwehr gerufen.
Bis diese ankam, war sie durch die Beifahrerseite hineingeklettert und hatte versucht, Sophia zu befreien, aber auch sie schaffte es nicht, und das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Stunden tot.
„Sie hat ausgesehen, als ob sie schläft“,[blue] hatte die Krankenschwester ihnen später berichtet[/blue] (berichtete die Krankenschwester später). „Ganz friedlich. Da war keine Spur von Angst oder Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesicht“.
„Wahrscheinlich hat sie den Tod irgendwann akzeptiert und mit ihrem Leben in Frieden abgeschlossen“, hatte Lukas einige Jahre später einmal gesagt, als sie mal wieder darüber sprachen.
Ihr Mädchen. So stark war sie gewesen, sogar den Tod noch angstfrei willkommen zu heißen.
Niemand hatte sich gemeldet, der an diesem Abend auf dieser Straße gefahren war. Natürlich nicht. Aber es gab einen großen Medienrummel und allgemeine Betroffenheit. In einer Sondersendung appellierte sogar Günther Jauch an die Zivilcourage, und sie bekamen sehr viel Post.
Auf Sophias Beerdigung mussten die Türen der Kapelle geöffnet bleiben, weil so viele Leute gekommen waren, um sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Viele von ihnen hatte Marie nie zuvor gesehen. Sie fragte sich, wie viele von denen an diesem Abend an ihrer sterbenden Tochter vorbei gefahren waren und aus unerfindlichen Gründen nicht angehalten hatten.

„Meinst[red] Du[/red] , wir werden sie wieder sehen? Unsere Kleine? Und wie wird sie aussehen?“, wandte sich Marie an ihren Mann, der mit seinen Augen einigen Wolken auf ihrem Weg folgte.
„Ich bin mir ganz sicher, dass sie bereits auf uns wartet. Sie wird ein wundervoller Engel sein, so wie sie es immer gewesen ist“, antwortete Lukas und lächelte in den Himmel.
„Ja, [red] Du [/red] hast Recht“, stimmte Marie zu und blickte auch schmunzelnd in das unendliche Blau.
Dieses furchtbare Ereignis hatte sie beide zu ernsteren, nachdenklicheren Menschen werden lassen, die nicht mehr [blue] uneingenommen [/blue] (unvoreingenommen) an die Leichtigkeit des Lebens glaubten.
Sie wurden sehr vorsichtig in ihrem Umgang miteinander, und später fanden sie sogar zu einem zaghaften, fragilen Glück zurück. Denn sie hatten einander, und ihre Liebe war nicht zerbrochen, sondern gereift und zu etwas geworden, das nichts und niemand überwinden konnte.

Marie drehte ihren Kopf und blickte Lukas an, der träumend ins Nichts blickte. Liebevoll betrachtete sie ihren Mann, mit dem sie so lange glücklich gewesen war.
Die getrockneten Tränen hatten einen salzigen, weißen Film auf seinen Wangen hinterlassen, der Schmerz hatte tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben, aber durch das alte Gesicht sah sie immer noch den jungen Mann, in den sie sich einst verliebt hatte.
Zärtlich strich sie ihm über die Wange, und auch er drehte den Kopf, um sie anzusehen.
„Sag mal, hast [red] Du [/red] eigentlich die Kaffeemaschine ausgestellt?“, fragte sie ernst.
„Weiß nicht. Ist doch auch egal, oder?“(Komma) antwortete er. Beide blickten sich einige Sekunden lang ernst an und fingen dann prustend an zu lachen.
Ein oder zwei Minuten kicherten sie laut, bis Marie die Bauchmuskeln wehtaten und Lukas zu husten begann.
„Wir haben gekämpft, oder?“, fragte Marie, nachdem sich beide beruhigt hatten.
„Jawohl, das haben wir, gnädige Frau“, sagte Lukas schmunzelnd.
„Aber am Ende haben wir doch verloren“, sagte Marie wehmütig und blickte auf die großen Baufahrzeuge, die hier nächste Woche mit ihren Arbeiten beginnen würden.
Die herrliche Wiese sollte einem Vergnügungspark weichen. Leider stand ihr Haus genau an der Stelle, wo zukünftig eine neue Autobahnzufahrt entstehen sollte.
Als sie das erste Mal Post von der Stadt bekamen, glaubten sie noch, sie könnten ihr Haus durch eine simple Verweigerung des Vergleichsangebotes, das man ihnen stellte, retten.
Aber man schrieb ihnen wieder, lud sie sogar zum persönlichen Gespräch ein.
Bei diesem Treffen hatten sie den Herren erklärt, warum ihnen dieses Haus so am Herzen hing, und dass sie niemals freiwillig ausziehen würden.
In diesem Haus war ihr Kind aufgewachsen, in diesem Haus hatten sie Freude und Schmerz gelebt, im Garten gespielt, gegrillt, gemeinsam die Wände gestrichen, lachend unter einem kaputten Rohr mit Wasser gespritzt, nachdem die erste Wut verflogen war, Lukas hatte selbst viele Veränderungen vorgenommen. Ganz zu schweigen von Sophias Kinderzimmer, das immer noch so eingerichtet war wie an dem Tag, an dem sie gegangen war.
Das Haus war ihnen angewachsen wie unentfernbares Muttermal, es war ein fester Bestandteil ihrer Familie, ein Buch der Erinnerungen.
Man hatte ihnen gesagt, dass sie durchaus Verständnis hätten für ihre persönliche Lage, aber man müsste doch an das Wohl der Allgemeinheit denken, und der Bau dieser Autobahnzufahrt würde so viele Leute in ihre Stadt bringen, und das würde Aufschwung bedeuten, was am Ende ja auch wieder ihnen zu Gute käme, und sie könnten doch in dem neuen Haus etwas [red] neues [/red] (Neues) aufbauen.
Nachdem sie beide sich nicht von einer Umsiedlung überzeugen lassen konnten, wurde der Mann ausfallend.
„Sie müssen das doch auch mal realistisch sehen(Komma) Herr und Frau Dermann, Sie sind ja nun auch nicht mehr die jüngsten. Die ganze Stadt kann doch nun nicht Rücksicht nehmen auf ein altes Ehepaar, das sich weigert, aus ihrem uralten Haus auszuziehen und in ein paar Jahren eh…“
Da war Marie ausgeflippt. Sie schrie, dass es eine Unverschämtheit sei, wie hier mit ihnen umgangen werden würde und dass sie sich einen Anwalt nehmen würde.
Das hatten sie dann auch getan. Lange hatten sie gekämpft, nach und nach sahen sie zu, wie eine Familie nach der anderen aus ihren Häusern der Straße auszog, bis sie am Ende alleine zurückgeblieben waren.
Die Straße wirkte verwaist, und langsam kamen ihnen Zweifel, ob sie diesen ungleichen Kampf gewinnen könnten.
Vor Gericht wurde [blue] dann [/blue] (überflüssig) letztendlich gegen sie entschieden. Sie hatten das Haus bis zum Ende des folgenden Monats zu verlassen.
Man bot ihnen eine Dreizimmerwohnung in einem betreuten Wohnheim an. Einem Altersheim. Sie lehnten ab, und man überwies ihnen eine nicht unbeträchtliche Summe, die sie nicht wollten.
Ihr Haus war unbezahlbar. Sie fühlten sich, als hätte man ihnen für ihr Leben einen Scheck ausgestellt. Lange saßen sie an diesem Abend vor ihrem Kamin und überlegten, was sie noch tun konnten. Schweigen hüllte den Raum in ein dunkles Tuch, wobei lediglich das Feuer knackte, zischte und ihre Gesichter in warme Schatten legte.
Irgendwann hatte er sie dann angesehen und gesagt:(Leerfeld)“ (kein Leerfeld)Ich glaube, ich weiß, was wir tun können. Ja, ich denke, ich habe eine passable Lösung gefunden!“
Sie gaben am nächsten Tag die gesamte Summe anonym dem ortsansässigen Kinderheim.
Und sie zogen nicht aus. Sie ignorierten den Gerichtsbeschluss bis zuletzt. An dem Tag, nachdem sie das Haus räumen sollten, saßen sie gemütlich am Frühstückstisch, als das Abrissunternehmen vorfuhr und erstaunt[red] feststelle[/red] (feststellte), dass in dem Haus noch Leute lebten.
Als nächstes kam die Polizei und sie wurden aufgefordert, das Haus innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu räumen, und ihnen wurde angedroht, [blue] gerichtlich eine Entmündigung zu beantragen[/blue] (dass gerichtlich eine Entmündigung beantregt wird) , falls sie nicht vernünftig wurden. Dann würde man sie doch in ein Altersheim stecken. Aber nicht in eine Dreizimmerwohnung, sondern in ein städtisches, wo jeweils zwei bis drei Personen auf einem Zimmer lebten. Männer und Frauen getrennt.
Das war nun heute Morgen gewesen.

„Nein, das haben wir nicht. Wir haben nicht verloren, Marie. Es gibt etwas, das uns niemand wegnehmen kann. Im Prinzip haben wir eigentlich sogar gewonnen und zwar auf der ganzen Linie“, sagte Lukas, während er Marie mit einem warmen Lächeln beschenkte.
„Ich verstehe [red] Dich [/red] nicht. Selbst unsere Würde haben sie uns genommen. Ein Altersheim. Unsere Tochter haben sie einfach sterben lassen. Was ist das für eine Welt? Sag es mir? Wie kannst [red] Du [/red] nur so unverbittert sein? Was haben wir denn noch? Was denn?“, entgegnete Marie mit Tränen in den Augen.
Lukas beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie auf die Stirn, mit der anderen Hand streichelte er über ihr struppiges, graues Haar.
„Dich und mich. Das größte Geschenk, das ich jemals bekommen habe, war das Leben.
Unsere Liebe, unsere wunderhübsche Tochter.
Viele Menschen sind kalt, innerlich tot. Aber wir, wir haben uns, verstehst[red] Du[/red] ?
Siebenundfünfzig Jahre voller Glück und Freude. Ich bin dankbar, sehr sogar, für das, was wir erlebt haben. Ich bin dankbar, dass wir unsere Tochter achtzehn Jahre lang bei uns haben durften. Stell [red] Dir [/red] nur vor, wir hätten gar keine Kinder gehabt, wo wäre die Wärme in unserem Haus geblieben? Keine kleinen Füße, die über das Parkett rennen, keine angemalten Tapeten, kein Kindergeburtstag - wäre das nicht furchtbar gewesen? Und sie ist doch niemals gegangen, unser Mädchen. Wenn [red] Du [/red] auf den Treppen gehst, oder unter der Dusche stehst, hast [red] Du [/red] dann nicht auch das Gefühl, sie könnte jeden Moment hereinkommen? Ich spüre sie, auch jetzt, als wäre sie ganz nah bei uns. Es ist wie der Duft einer Rose. Wenn [red] Du [/red] sie einmal gerochen hast, dann schwängert ihr Geruch [red] Dein [/red] ganzes Bewusstsein, und selbst(Komma) wenn sie schon längst verblüht ist, hast [red] Du [/red] das Gefühl, sie immer noch riechen zu können. Du vergisst den Geruch niemals und so ist es auch mit Sophia. Sie ist nie wirklich gegangen. Ich bin sicher, sie wartet auf uns, woanders. Und wenn ich [red] Dich [/red] nicht getroffen hätte, was wäre dann aus mir geworden? Haben wir nicht ein wundervolles Leben geführt? Denk nur an unsere schönen Tage am Meer, hier auf der Wiese, oder die Abende, an denen wir uns schlapp gelacht haben über völlig banale Dinge wie eine eingelaufene Unterhose.
Sieh [red] Dich [/red] um. Ist es nicht wunderschön auf der Welt? Schau [red] Dir [/red] die hohen Bäume an, das grüne Gras! Ja, morgen ist es nicht mehr da, aber wir durften damit leben. Es hat doch keinen Sinn, darüber nachzudenken, was alles sein könnte, denn es wird nicht sein. Besser ist es, dankbar und glücklich darüber zu sein, was man hatte.
Wie heißt es so schön? Die Erinnerung ist ein Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Und die Sache mit dem Haus und dem Altersheim - ich denke, das ist einfach ein Zeichen, jetzt nach Hause zu gehen. Glücklich und dankbar. Meinst [red] Du [/red] nicht auch?“
(kein Absatz)
„Ja, die Erinnerung. Aber sie ist nicht nur ein Paradies, sie ist auch eine Hölle(Komma) aus der wir nicht entkommen können. Es tut so weh, an die schöne Zeit zu denken und zu wissen, dass man nicht das Geringste tun kann, um sie zurückzuholen. Ich fühle mich so hilflos.
Ich bin dankbar, ja das bin ich. Aber ich bin auch zornig und wütend. Warum musste unser Mädchen so früh gehen, warum nimmt man uns unser Haus und unser Leben? Warum?“, stöhnte Marie, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
„Weil es passiert. Einfach, weil die Welt sich dreht und es immer weiter geht. Sie wird sich auch noch drehen, wenn wir nicht mehr hier sind. Und viele Menschen werden leiden, jeden Tag. Und wahrscheinlich, ohne dass es jemand Fremden interessiert. Wenn [red] Du [/red] jemanden weinen siehst, gehst [red] Du [/red] dann hin und fragst, was er hat? Solange das „wie geht es[red] Dir[/red] “ eine Floskel ist und das einzelne Schicksal höchstens für eine Woche betroffen macht, so [blue] lang [/blue] (lange) wird die Welt sich einfach weiter drehen wie bisher und einzelne Schicksale sich einfach erfüllen. So ist eben.
Unsere Tochter hat mit ihrem Tod ein Zeichen gesetzt. Sie hat Menschen zum Nachdenken gebracht, vielleicht nicht lange, aber sie haben in sich geschaut und deshalb bin ich verdammt stolz auf sie. Was sie uns nicht nehmen können, das ist unser freier Wille. Wir entscheiden, was wir tun und wie wir miteinander umgehen.
Wir können das alles da draußen nicht ändern, aber wir können ein Zeichen setzten, Marie!“, sprach Lukas und wirkte dabei beinahe euphorisch.
„Ja, [red] Du [/red] hast wohl Recht. Ich liebe [red] Dich, Du [/red] elender Optimist“, antwortete Marie und drückte Lukas einen festen Kuss auf die Lippen.
„Sieh nur, die Sonne geht unter“, sagte sie und schaute auf den orangenen Ball am Himmel, der sich langsam zwischen den Bäumen senkte.
„Ist es nicht wunderschön?“, fragte sie.
„Das ist es, genauso schön wie [red] Du [/red] bist“, lächelte Lukas und sah sie an. Seine Augen glänzten voller Liebe.
„Hör doch auf, ich bin eine alte, runzlige Frau.(kein Punkt)“, antwortete Marie und knuffte ihm in die Seite.
„Aber eine wunderschöne alte, runzelige Frau“, gab Lukas zurück.
„Und wenn [red] Du [/red] lachst, dann sehen [red] Deine [/red] Fältchen aus wie ein kleines Sonnensystem, bei dem ich jeden einzelnen Stern küssen möchte“, sagte er und lehnte sich zu ihr hinüber, um ihr Gesicht mit kleinen Küssen zu bedecken, genauso(Komma) wie sie es damals mit Sophia gemacht hatte.
„Also junger Mann, ich muss doch schon sehr bitten, wie kommen Sie dazu, mich hier in der Öffentlichkeit so frivol zu küssen?“(Komma) scherzte Marie und drückte Lukas an sich.
Dann schauten sie gemeinsam dem Sonnenuntergang zu, der die gesamte Wiese in ein warmes Licht tauchte. Irgendwo in der Nähe zirpten ein paar Grillen.
Marie packte die Thermoskanne aus und beide tranken einen Becher des wohlig-warmen Gebräus.
Danach legten sie sich wieder nebeneinander auf das Gras und deckten sich mit einer Wolldecke zu.
„Habe ich [red] Dir [/red] eigentlich schon mal gesagt, dass ich [red] Dich [/red] liebe?“, fragte Lukas.
„Ja, dann und wann hast [red] Du [/red] es mal erwähnt. Ich liebe [red] Dich [/red] auch…und ich wollte mich noch bei [red] Dir [/red] bedanken. Dafür, dass [red] Du [/red] immer da warst und es immer mit mir alter Furie ausgehalten hast. Und dass [red] Du [/red]für mich mein Leben schön gemacht hast“, flüsterte Marie und kuschelte sich an ihn.
„Das habe ich nicht gemacht und das war auch gar nicht nötig, denn das Leben ist einfach von Natur aus schön, Schatz. Na gut, mit [red] Dir [/red] ist es wahrscheinlich noch wesentlich schöner. Sonst wäre ich als alter Junggeselle geendet, der regelmäßig mit nur einem Socken herumgelaufen wäre, weil der andere spurlos verschwunden ist“.
Beide lachten und drückten sich noch näher aneinander.
Ein Vogel flog über ihnen in das Abendlicht. Irgendwo schrie ein Reiher. Weit entfernt hörten sie das Brummen der Autos auf der Schnellstraße.
Lange Zeit lauschten sie einfach den Geräuschen und genossen die letzten Lichtstrahlen.
„Irgendwie bin ich jetzt doch ziemlich glücklich, hier mit[red] Dir[/red] “, flüsterte Marie.
Lukas antwortete nicht.
Sie drehte ihren Kopf zu ihm und sah ihn liebevoll an. Eine Träne löste sich aus ihren Augenwinkeln. Zärtlich strich sie ihm über die Wange und küsste ihn ein letztes Mal auf den Mund. Dann legte sie den Arm um ihn, um sich an ihn zu kuscheln. Marie dachte an ihr Mädchen, das hoch oben auf dem Berg steht und dem Meer und der Sonne fröhlich entgegen lacht. Ihr Haar weht im warmen Sommerwind und sie hebt eine Hand zum Winken.
Marie war müde, furchtbar müde.

einfach zum Heulen schön!
lg
 

Somo

Mitglied
ähm, ich nehm jetz einfach ma vorweg sons vergess ichs:
flammarion, "du" "dich" usw muss nicht mehr groß geschrieben werden, weder in briefen noch anreden noch sonst wo.
von daher ist die korrektur in diese richtung..nicht so sehr von nöten.

so jetzt zum eigentlichen.
ich gebe offen zu, ab einem gewissen zeitpunkt habe ich einige passagen übersprungen.
es war einfach irgendwie..zu langatmig teilweise. woran ich mich aber vor allem gestoßen habe, war die übermäßig schmalzige ausdrucksweise der beiden hauptfiguren. selbst in trauer und schmerz, es fällt mir schwer es mir realistisch im kopf vorzustellen, dass die zwei da liegen und heulen und kichern und solche sachen sagen.
ein beispiel für eine mir persönlich sehr nah am kotzfaktor befindliche aussage (die jetzt zufälligerweise auch mit dem titel zu tun hat):
"Es ist wie der Duft einer Rose. Wenn Du sie einmal gerochen hast, dann schwängert ihr Geruch Dein ganzes Bewusstsein, und selbst wenn sie schon längst verblüht ist, hast Du das Gefühl, sie immer noch riechen zu können."

danach war für mich entgültig schluss.
also es mag ja eine schöne traurige geschichte sein. aber der stil in der wörtlichen rede ist mir zu schmalzig, wenn nicht unrealistisch.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

somo, deshalb hab ich Du, Dich, Dein auch rot angemerkt. und auch, weil es schon vorher nur in briefen groß geschrieben wurde, aber nicht in einer geschichte.
keiner zwingt dich, eine dir schmalzig erscheinende geschichte zu ende zu lesen und du hast auch ein recht auf eine eigene meinug - damit muss der autor dann eben klar kommen . . .
lg
 

Sumpfkuh

Mitglied
Hallo!

Vielen dank für eure Kommentare. Wundert mich ja schon fast, dass überhaupt jemand so einen langen Text liest ;-). Vielen Dank auch für die KOrrektur, ich werde mich umgehend damit befassen. Danke für die Mühe.
Also ich muß sagen, dass sie mir persönlich im Nachhiniein auch etwas zu lang erscheint, aber ich weiß einfach nicht wo ich sie kürzen könnte, weil ich immer das Gefühl habe, dass dann wichtige Informationen verloren gehen oder die Geschichte nicht mehr rund ist. Der Tochter Teil nimmt zu viel ein, am Ende dachte ich, ich müsste mal langsam zum Schluss kommen, deswegen sticht dieser Teil so herraus.
Trotzdem finde ich die Geschichte immer noch gut (und das habe ich eher selten nach einer Woche) und möchte sie nicht großartig umstellen. Aber kürzen wäre schon gut. Vielleicht hat jemand Vorschläge, was mang etrost weglassen könnte?
Vielen Dank,
die Sumpfkuh
 



 
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