Dunkle Stunden von der Sonne erhellt

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Die schwüle Hitze des Hochsommers lastete drückend auf ihr. Sie nahm es kaum wahr. Viel mehr drohte die Trauer, die sie nur schwer verdrängen konnte, sie in die Knie zu zwingen. Doch noch stand sie aufrecht, noch blieben ihre Augen trocken.
Bei der Ankunft begleiteten sie gemischte Gefühle. Am größten war die Angst davor was passieren würde, wenn sie sein Haus betraten. Zeit durchzuatmen, sich auf das Kommende vorzubereiten, gab es nicht. Ihre Beine fühlten sich ganz weich an, sehnsüchtig blickte sie zum Auto zurück. Davor weglaufen konnte sie nicht. Sie hätte es sich nie verziehen. Sie musste diese dunkelste aller Stunden überstehen.
Der langgezogene Ton der Türklingel kam ihr vor wie der Klang eines Kriegshorns, das zu dem Kampf ausrief, vor dem sie sich so sehr fürchtete. Schritte hinter der Tür kündigten den Moment der Wahrheit an und sie wusste so sicher, wie es Kapellen in Krankenhäusern gibt, dass der Damm jeden Augenblick brechen würde.
Ihr Cousin öffnete die Tür, ruhig und gefasst. Trotz der langen Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten, fiel die Begrüßung weder fröhlich noch euphorisch aus, dafür aber herzlich. Das Haus so voller Erinnerungen, als hätte es die letzten Wochen nicht gegeben, als wäre nichts von alledem geschehen. Die restliche Familie am Esstisch versammelt. Sie spürte trotz der Hitze im Raum eine aufsteigende Beklommenheit, als versuchte eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen zu greifen.
Ihre Tante nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz. Keiner der Anwesenden sah sie an, traute sich ein Wort zu sagen. Auch ihr wollten keine passenden Worte des Trostes einfallen. Der Raum wog schwer und die Unsicherheit Aller machte den Augenblick noch unerträglicher. Dann sprach ihre Tante, erzählte von seiner letzten Stunde, wie sie mit ihrem Sohn an seinem Bett saß, jeder von ihnen eine seiner Hände festhaltend, wartend, ängstlich und voller Verzweiflung. Zu wissen, dass er es nun hinter sich hatte, vermochte nicht die Trauer über den schrecklichen Verlust zu überdecken.
Von diesen letzten Momenten zu hören und sie vor ihrem geistigen Auge zu sehen, raubte ihr die Luft zu atmen. Tränen flossen, wollten nicht versiegen und sie wünschte sich weit, weit weg. Der Zeitpunkt das Haus zu verlassen und zum Friedhof zu fahren, ließ sie dagegen eine schwache Erleichterung spüren. Zumindest konnte sie nun dieses in Trauer getränkte Zimmer verlassen.
Vor dem Haus wurden sie von der Sonne begrüßt. Das Firmament strahlend blau, Sommer auf jedem Grashalm, jeder Pflanze und in jedem Baum. So wunderschön, als hätte er selbst das Wetter vom Himmel aus beeinflusst.
Mittlerweile war es Mittag geworden, die Hitze unerträglich und doch bitter süß. Am Friedhof vermischten sich Schweiß und Tränen zu einer salzigen Schicht auf ihren Gesichtern. Als sie den Raum mit den langen Stuhlreihen betraten, sah sie ihn. Sein Foto, mit einem schlichten Rahmen versehen, stand neben dem Sarg. Sein liebes Gesicht, durch ein angedeutetes Lächeln noch schöner wirkend, blickte zu den Versammelten hinüber. Und plötzlich wusste sie, dass die Sonne nicht bloß schien, um sie alle obgleich der Trauer zu erwärmen. Sie Sonne schien so kräftig um ihnen zu beweisen, dass sie auch morgen weiter scheinen würde.
 



 
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