E R N I

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Maribu

Mitglied
E R N I

Wi weern ene sünnerlich Familie!
Mien Broder Ernst, vun Moder nömt Erni, boren 1916, mien Süster Hannchen, boren 1923 un ik, de Nakamen Rudolf, nömt Rudi, keem 1936 to Welt. Uns Moder weer dunn al 41 Johr oolt.
As ik in de Lehr gung un en egen Menen harr, kreeg ik oft Wedderwöör un se keem mi vör as miene Grootmoder, de al lang in´n Graff leeg.
An Ernst kann ik mi blot swach besinnen. He keem vun´n Reichsarbeitsdienst gliek an de Front. Op´t mehrst kreeg ik vun em mit dörch vertellen vun uns Öllern oder Dööntjes vun sien lütte, miene grote Süster Hannchen. En Bild hung an´t Wand vun´n Wahnstuuv. Ernst mit vergnöögt Antlaat in Uniform.
Wi kregen 1943 Bescheed, dat he vermisst is. Ik kunn mit dissen Begreep nix bigahn. Blot, dat 'vermisst' beter weer as doot!
De Hapen, dat in Tokunft en Levensteken vun em keem oder he unverwohrens vör de Döör stunn, geev uns Moder nich op.
Mien Vader weer dor anners. He see an mien föfteihnsten Geboortsdag: "Dien Broder levt nich mehr! Vermisst is as verschollen. Verschollen enerworrns in Russland as hunnertdusend annere Soldaten. Dien Moder will dat aver nich begriepen. Du hest nu noog Grips in´n Kopp, ehr dat to verkloren, dat Töven na so langer Tiet sinnlos is. Wunner gifft dat nich!"
Ik weer as vun´n Kopp slaan un harr keene Antwoort. Ik wull wenen, aver de Tranen kemen nich. Liekers mutt ik sachts teemlich verbaast utsehen hebben, denn he se:"Du muttst nich trorig sien,Ernst weer blot dien Steefbroder. Ik bün nich de Vader. Dien Moder hett em mit inne Ehe broch. Ik heff em ehr to Leev op mien Naams nahmen. Sien Vader weer Janmaat, hett dien Moder dat Kind maakt un is utneiht!"
Ik leep verbiestert in mien Stuuv, smeet mi in´t Bett un heff denn in dat Küssen went. Aver nich wegen Ernst, sünner wegen mien Vader, wiel he dat so koolt, ahn Mitleed un Bedacht op mi, vertellt hett. Dat hett mi Maanden lang dörchenanner brocht.
Siet disse Tiet weer mien Verband to em nich mehr hartlich. Ik harr Mitleed mit mien Moder. Un Ernst, ehr Erni, seeg ik mit annern Ogen. Ik harr op eenmal dat Geföhl, dat ik em noch
richtig leef hebben kunn. - Villicht kummt he doch noch torüch!
As Kanzler Adenauer 1955 mit de Regeren vun Russland över de Torüchkunft vun de Kriegsgefangenen sprooken hett, geev dat enen Drift för uns Familie. In´n Januor 1956 kemen de letzten
na Huus. Dorbi weer uns Vedder Hans, even so oolt as Ernst.
Uns Moder hett sik mit ehr Süster vun Harten freut.
Kort achterna sprook mien Moder mit mi över Erni sien Vader:
"He hett sik op´n Schipp in de Maschien afrackert. As dat Kind ünnerwegens weer, hebbt wi foorts Verlööfnis fiert.
Walter hett denn afmustert un Arbeit op de Warft 'Blohm & Voss' funnen. Na twee Maanden, ene Week för uns Hochtiet, harr he en gresig Unfall. En Iesendreger hett sik vun´n Kraanhaken löst un em un twee annere Lüüd ünner sik begraven.
Siene Kollegen worrn swoor verletzt un Walter is doot bleven."
Moder hett dat vertellt ahn Spoor vun Trorigkeit. - Villicht weer dat al to lang her oder harr se de Hapen op en Weddersehn mit Ernst opgeven?
Mien Vader weer sietdem ünnerdörch wegen siener Lögen. Un eerst 1970 as he storv, heff ik em vergeven. Mien Beroop dwung mi in dissen Johr to´n Ümtug na Köln un ik weer froh, dat Hannchen ene Wahnung in Naverschop to uns Moder harr un se stütten kunn.
Twee- oder dreemal in´n Johr heff ik se in Hamborg besökt. Moder weer Anfang söventig un al en beten tüdelig.
In´n Harvst 1976 reep Hannchen an, dat Moder an Geelsucht liddt. Dree Weken later de unvermodens Bottschop: "Kumm op de Steed! Moder hett Krebs an de Bauchspeicheldrüse. Dat is nich mehr to opereren. Se is al ut´n Krankenhuus rutsmieten worrn."
Ik bün stracks mit de Iesenbahn to mien Familie kamen.
Moder leeg boomstill mit slaten Ogen in´n Bett. De Ünnerholen twischen Hannchen un mi weer dorüm lies, weer binah en Munkeln. Mit eenmal Moder ehr Stimm: "Erni, ik heff solang op
di tövt! Nu büst du doch noch rechttiedig kamen!"
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Maribu,

mal wieder gern gelesen: Eine tragische Geschichte, wie sie in vielen Familien in jener Zeit hätte spielen können. Der Schluss setzt dem Ganzen noch einen besonders traurigen Akzent auf.

Mein Lieblingsausdruck in diesem Text: "utneiht" - ich kenne so viele Begriffe noch aus meiner Kindheit und freue mich, wenn ich so etwas wieder einmal lese.

Gruß Ciconia
 

Maribu

Mitglied
Hallo Ciconia,

danke für Deine Zeilen und die Bewertung!

Ich habe das Gefühl, dass Mundartliches und Niederdeutsch in der Ll nicht so beachtet wird wie z.B. Kurzgeschichten oder Erzählungen.

Umso mehr freut mich Dein Interesse an der Plattdeutschen Sprache. "utneiht" is ebenso ungewohnt wie he is "doot bleven".
Könnte man ins Hochdeutsche nicht wörtlich übersetzen, weil es dann ziemlich "platt" wäre.

Liebe Grüße
Maribu
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Ich habe das Gefühl, dass Mundartliches und Niederdeutsch in der Ll nicht so beachtet wird
Hallo Maribu,

ja das ist wohl so, und das finde ich sehr schade. Wer sich mit Sprache beschäftigt - und das tun wir hier ja alle - sollte eigentlich auch Gefallen an Dialekten und der Niederdeutschen Sprache haben. Ich selbst kann zwar Plattdüütsch seit Kindheitstagen sehr gut verstehen (mündlich und schriftlich), aber leider nicht schreiben.

Also weitermachen - eigentlich sollte es doch genügend Nordlichter in diesem Forum geben, die Dich verstehen müssten!

Liebe Grüße
Ciconia
 



 
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