Easy Rider

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hucky

Mitglied
Die alte speckige Lederjacke flatterte über dem rot karierten Hemd, als er mit seiner alten Harley, wie fast jeden Abend im Sommer, seine Runden durch die Stadt drehte.
Der Auspuff seines Motorrads dröhnte laut bis in die Wohnzimmer der Häuser.
Er genoss seine Haare im Wind flattern zu lassen. Er fühlte sich stolz und allen überlegen, während er langsam durch die Straßen im Westen der Stadt fuhr.
Gerade kam er von seinem Gartengrundstück zurück, auf dem er den Nachmittag verbracht hatte.
Meistens war er alleine dort und daran hatte er sich inzwischen auch gewöhnt.
Was scherten ihn noch die anderen Menschen hier, dachte er mit tiefstem Zorn, während seine Augen unauffällig die Bürgersteige nach bekannten Personen absuchten.
Er wollte sich zeigen, wollte gesehen werden und wollte jedem hier beweisen, dass er nicht daran dachte klein bei zu geben und sich zu verkriechen.
Die Sache mit dem Motorradclub, in dem er lange Zeit den Vorsitz hatte, war schlecht gelaufen. Na und?
Hatte er nicht das Recht von dem jährlichen Motorradtreffen den Gewinn einzustecken?
Wer machte sich denn die meiste Arbeit, wer hatte die Homepage erstellt und wer kümmerte sich um alles?
Und da glaubten diese Leute, nur weil sie an den drei Tagen des Treffens etwas mithalfen, er müsste alles mit dem Club teilen?
Die hatten doch auch alle einen Job und keine Schulden.
Warum konnten die mich denn nicht verstehen, fragte er sich immer wieder.
Vielleicht hätte er aber auch seine Situation und seinen Standpunkt gleich von Anfang an auf den Tisch legen sollen.
Vielleicht hätte er nicht heimlich das Geld auf sein Konto umleiten lassen sollen.
Vielleicht hätte er nicht so stur auf seiner Meinung beharren sollen.
Vielleicht, vielleicht...
Was soll das jetzt noch, dachte er sich und schüttelte diese Gedanken ab, während er langsam von Süden kommend in die Hirschstraße einbog.
Der laute Klang seines Auspuffs wurde von den eng stehenden Häusern zurückgeworfen und verstärkt.
Als ihn vor acht Wochen sein Sohn verließ und zu seiner Mutter zurückgekehrt war, hatte ihn dass doch viel mehr getroffen. Aber niemals hätte er seinem Sohn zu irgendeinem Moment auch nur ein Zeichen seiner Traurigkeit zeigen können. Gefühle zeigen war etwas für Frauen und Memmen. Er war ein Mann und niemals würde er weinen.
Ein paar Schnäpse und viel Bier, dazu Speed oder Kokain, was gerade zur Hand war, halfen viel besser über seine Probleme hinweg, als sich hinzusetzten und zu weinen, oder gar Gefühle zu zeigen.
Das war sein Leben.
Basta!
Obwohl ihm sein siebzehnjähriger Sohn gesagt hatte, dass er Probleme mit seinem übermäßigen Drogen und Alkoholkonsum hatte, hätte er niemals daran gedacht, dass er sich deswegen von ihm abwandte.
Natürlich hatte er ihn durch die Drogen manchmal vernachlässigt, hatte Termine wegen der Lehrstelle oder der Schule im Rausch nicht wahrnehmen können. Und natürlich, das wusste er auch, waren diese Tage immer häufiger geworden im letzten Jahr.
Verdammt noch mal, ich hätte ihm sagen müssen, dass ich meine Probleme selbst nicht mehr in den Griff bekomme, flog ein nicht denkenswerter, nicht aussprechbarer Gedanke durch seinen Kopf.
Vielleicht wäre dann noch etwas zu retten gewesen.
Vielleicht hätte ich mich auch bei meinen Clubkameraden entschuldigen sollen.
Aber es war seine Stärke niemals „Entschuldigung“ zu sagen.
Seine Exfreundin hatte ihm gesagt, als sie vor einem Monat ihren letzten Koffer aus der gemeinsamen Wohnung holte, dass er seine Schwäche auf andere zuzugehen und sich auch einmal zu entschuldigen niemals zugeben könne und er deshalb ein hoffnungsloser Fall sei.
Was sie für Schwäche hielt war für einen Mann wie ihn eine Stärke.
Er hatte sie angegrinst und lächelnd mit den Schultern gezuckt: „Wenn du meinst.“
Dann hatte er sich umgedreht und die Tür geschlossen.
Er war in diesem Moment nur sauer gewesen.
Ohne sie, beziehungsweise ohne ihr Geld, konnte er die Wohnung nicht mehr halten und er musste in die kleine Hütte auf seinem Gartengrundstück ziehen.
Vor dem Friedrichsplatz ließ er den Motor aufheulen.
Er konnte seine ehemaligen Clubmitglieder auf den Stühlen vor dem kleinen Cafe in der Römerstraße sitzen sehen.
Mein Auftritt hier muss besonderst gut gelingen schoss es ihm durch den Kopf, während er sich langsam dem Cafe näherte.
Überheblich grinste er zu der glotzenden Menge hinüber und gab dann Gas.
Ich bin schon lange mehr als ihr jemals sein werdet, hämmerte er sich ein.
Er wusste auch, dass er ganz alleine war.
Er raste die Römerstraße hinunter und bog in die Nibelungenstraße ein.
Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt, gegenüber dem ehemaligen Hotel, stellte er seine Maschine ab und stieg herunter.
Er stellte sich neben das Motorrad und kramte seine Zigaretten aus der Jacke.
Am Gürtel seiner Lederhose hing sein Messer und in der Tasche steckte das Sturmfeuerzeug. Er kramte es heraus und betrachtete es abwesend.
Er fuhr sich durch das zerzauste Haar und wusste einen Moment nicht was er als nächstes tun sollte.
Er steckte sich eine Zigarette in den Mund und stieg wieder auf seine Harley Davidson.
Er schaute nach Westen und wusste dass er niemals aufgeben würde, egal was auch noch kommen würde.
In den letzten Strahlen der untergehenden Sonne wirkte er auf seinem Motorrad wie ein schwarzer Scherenschnitt gegen die Leinwand eines rotglühenden Himmels, der seine Motorradromantik mit all ihren Attributen auf ein überdimensionales Gemälde geworfen hatte.
Der lonesome Easy Rider war Wirklichkeit geworden und war aus seinen Träumen herausgefahren in sein reales Leben.
Er erkannte, dass Träume und Wirklichkeit oft nichts miteinander gemein hatten, dass es manchmal besser wäre, wenn Träume, Träume bleiben würden.
„Du kannst nur hoffen dass nicht alle deine Träume in deinem Leben wahr werden“, hatte ihm einmal sein Großvater gesagt. Erst jetzt, da er in einen imaginären Westen mit seiner grenzenlosen Freiheit blickte, schien er diesen Satz bitterlich verstanden zu haben.
Höhnisch schienen ihm die Götter seines Lebens anzugrinsen und er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen.
Seine Träume hatten sich in der täglichen Realität zu Alpträumen verkehrt.
Seine Träume und seine Vorstellungen waren ihm geschenkt geworden und er konnte sie nicht mehr zurückgeben.
Was scherte sich irgendjemand darum, dass er diese Träume doch gar nicht so gewollt hatte, wie sie ihn jetzt als undurchdringliches Spinnennetz umfingen.
Er zündete sich die Zigarette an und sog kräftig den ersten Zug ein.
Ihm war klar geworden, dass er zur Karikatur seiner Träume geworden war.
Mit der Zigarette im Mundwinkel trat er den Anlasser herunter und sofort begann der Auspuff wieder zu dröhnen.
Noch einmal stieß er den Rauch seiner Zigarette aus und gab dann Gas.
Ohne sich umzudrehen fuhr er vom Parkplatz. Immer weiter fuhr er hinein, in seinen eigenen, in einer Spirale sich abwärts drehenden, Rotglühenden ewigen Alptraum.
 



 
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