Eddie Ziegler und seine Freunde

2,00 Stern(e) 2 Bewertungen

RobertMarkus

Mitglied
Eddie Ziegler und seine Freunde​

1​

[ 4]Eduard Ziegler hasste sein Leben. Am Morgen hatte ihm seine zweite Ehefrau Susanne mitgeteilt, dass sie ihn verlassen würde und war sofort zu Eduards Bruder gezogen, mit dem sie seit drei Jahren eine heimliche Affäre hatte. Gegen halb eins hatte ihn dann ein Anruf seines Sohnes Eduard jr. erreicht. Eduard jr. war sein ein und alles. Das einzig Sinnvolle, was er in seiner ersten Ehe zustande gebracht hatte. Eduard jr. war gerade mit zwei Kumpels im Urlaub in Thailand. Und nun hatte man seinen Sohn bei der Ausreise mit fünf Kilo Heroin im Gepäck erwischt.

[ 4]Wie gesagt, er hasste sein Leben. Eduard Ziegler, seine Freunde würden ihn sicherlich Eddie nennen – dummerweise hatte er keine Freunde - war seit geschlagenen 26 Stunden im Dienst. Und gerade eben war ein neuer Notfall gemeldet worden. Irgendein bescheuerter Kerl hatte sich im prasselnden Regen von einem Auto überfahren lassen. Warum konnten diese Idioten bei dem Wetter auch nicht zu Hause bleiben?
„Dr. Ziegler?“ hörte er eine Stimme sagen.
Er öffnete die Augen und sah in das Gesicht von Sandra Brauer. Ein schönes Gesicht.
„Ich bin wach.“ antwortete er.
„Der Notfall trifft jeden Moment ein. Das OP-Team ist bereit.“
Während sie sprach, erhob er sich von der Liege im Ruheraum, auf der er es sich die letzte halbe Stunde bequem gemacht hatte.
„Geht es ihnen nicht gut, Dr. Ziegler? Sie sehen erschöpft aus.“ fragte ihn Schwester Sandra und machte ein sorgenvolles Gesicht.
„Alles bestens. Es ging mir noch nie besser.“ sagte er, klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter und verließ mit ihr den Raum.

2​

Stimmen.
„Blutdruck fällt weiter.“
„In seinem Brustkorb sieht es aus wie in einer Sushibar.“
„Sauerstoffsättigung fällt.“
„Eine Klemme, bitte.“
„Wenn der es überlebt, dann trete ich wieder in die Kirche ein.“
„Sauerstoffsättigung bei 80.“
„Habt’ ihr schon gehört? Dr. Nowak lässt sich scheiden.“
„Könntet ihr bitte den Schnabel halten und euch auf den Patienten konzentrieren.“
„Nulllinie! Wir haben einen Herzstillstand.“
„Himmel! Den Defi’, aber dalli!“

3​

[ 4]„Zeitpunkt des Todes: Null Uhr elf.“ sagte Eduard Ziegler resigniert.
In Momenten wie diesen hasste Eduard nicht nur sein Leben, sondern auch seinen Job. Er hatte die Blutungen im Brustkorb des Patienten zum Stillstand gekriegt, obwohl er solch üble innere Verletzungen seit seinen Einsätzen für Ärzte ohne Grenzen in diversen Kriegsgebieten nicht mehr gesehen hatte. Alles war bestens gelaufen, doch plötzlich hatte der Körper nicht mehr gewollt. Das Herz hatte einfach beschlossen, dass es genug war und aufgehört zu schlagen. Eduard sah in das bleiche Gesicht des Patienten. Er sieht eher aus wie fünfzig, als Anfang sechzig. Sein Haar war pechschwarz, nur über den Schläfen hatten sich einige wenige graue Haare durchgesetzt.
„Da war nix zu machen. Kein Grund sich hängen zu lassen, Ed.“ sagte Dr. Posener und verließ den OP.
„Wie war sein Name?“ fragte Eduard.
“Hans-Jürgen Schaaf. Er war Pastor.” antwortete ihm Sandra.
“Ein Geistlicher? Ein toller Abschluss für einen grandiosen Tag.“ sagte er verbittert. „Gibt es Verwandte?“
„Ja. Seine Tochter. Sie wartet draußen. Soll ich?“ sagte Sandra und strich mit ihrer Hand sanft über seinen Rücken.
„Nein. Das ist meine Aufgabe. Danke Sandra. Ich... Heilige Scheiße!“ Eduard Ziegler versagte die Stimme.
„Was ist, Dr. Ziegler?“ Sie blickte ihn irritiert an und sah, dass er auf den Leichnam starrte. Eduard Ziegler war innerhalb weniger Sekunden jegliche Gesichtsfarbe abhandengekommen.
„Heilige Scheiße.“ wiederholte er. „Holen sie sofort das OP-Team zurück.“
„Was?“
„Er lebt noch. Er lebt!“ Eduard Ziegler stürzte zum EKG und schaltete das Gerät wieder an, das die zweite OP-Schwester Natalie nach Feststellen des Todeszeitpunktes abgeschaltet hatte. Das EKG gab einen regelmäßigen Sinusrhythmus von sich. Ungläubig starrte er wieder auf das schlagende Herz im offenen Brustkorb. Er hatte es bisher immer für eine dumme Angewohnheit gehalten, seinen Blick im OP noch einmal schweifen zu lassen, bevor er ihn verließ. Aber er hatte nie daran gedacht, dass er dadurch noch einmal ein Leben retten könnte. Er hatte sich gerade abwenden wollen, als sein toter Patient die Augen öffnete.
„Aber er war doch tot. Er war doch eindeutig tot.“ sagte Sandra ungläubig.
„Das OP-Team, Sandra! Schnell.“ schrie er in ihre Richtung. „Ich habe keine Lust ihn ein zweites Mal zu verlieren.“
Sandra rannte los.
Ja. Du warst tot. Eindeutig tot.
„Es ist ein Wunder.“ dachte er und machte sich an die Arbeit.
Als Eddie Ziegler zwei Tage später die nächste Nachtschicht antrat, konnte er sich vor Freunden kaum retten.
 



 
Oben Unten