Edward der Schreckliche

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Antaris

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Edward der Schreckliche

Ich habe nie viel von Katzen gehalten, obwohl einige meiner Freunde mit Vertretern dieser Spezies zusammenleben und sogar freundschaftliche Beziehungen zu ihnen pflegen.

Ich weiß, dass die Samtpfoten es gut meinen, wenn sie um einen herum schnurren, und dass sie es weniger gut meinen, wenn sie anfangen, mit dem Schwanz zu schlagen. Trotzdem hielt ich es für eine Schnapsidee, eine Katze anzuschaffen, und das Katzentier, das eines Nachmittags unsicher durch unsere Wohnung tappte, war mir von Anfang an suspekt.

„Nun reg dich mal wieder ab“, beschwichtigte mein Mensch und strich mir über den Rücken. „Das ist ein ganz liebes kleines Kätzchen, schau nur!“

Für Katzen habe ich mich nie interessiert, sonst wäre mir vermutlich gleich aufgefallen, dass mit dem Burschen etwas nicht stimmte. So hielt ich ihn nur für einen arroganten Schleimer. Der Neuankömmling tat so, als sei ich gar nicht da, strich aber immer wieder meinem Menschen um die Beine und schnurrte anbiedernd. In den Ohren entdeckte ich eine verräterische Tätowierung. Er hat gesessen, folgerte ich. Das muss nichts bedeuten. Alle Insassen eines Tierheims schwören, dass sie völlig unschuldig hinter Gitter geraten sind, und auf einige Kandidaten mag das zutreffen.

Unwillkürlich sträubte sich mein Nackenfell. „Na, na, Alter, meinst du nicht dass du jetzt übertreibst?“ Jovial tätschelte mir mein Mensch die Kruppe, aber dass er mich ‚Alter’ nannte, trug nicht gerade zur Aufhellung meiner Stimmung bei. Schließlich war er der Beamte im Vorruhestandsprogramm, nicht ich. Um des lieben Friedens willen gab ich aber klein bei und verzog mich in meinen Korb.

Von dort aus beobachte ich die Katze genauer. Mit ihrem adrett gezeichneten grauweißen Fell verfügte sie über ein ansprechendes Äußeres, dass den Menschen sicher besonders gut gefiel. Für mein Empfinden bewegte sie sich allerdings ein bisschen zu forsch und zu lässig in der fremden Wohnung. Da sprang sie doch tatsächlich auf das Sofa und ließ ihre glattgeleckte Kehrseite in die Lieblingssitzkuhle meines Menschen plumpsen!

Ich sprang auf. „Tiere gehören nicht auf die Polstergarnitur“, knurrte ich direkt vor ihrer Nase, „also sieh schleunigst zu, dass du da runter kommst.“

Die Katze gähnte demonstrativ und fixierte mich mit ihren halb geöffneten grünen Augen. „Am besten sage ich gleich, wie die Dinge für dich stehen, und da ich wenig Lust habe, mich zu wiederholen, höre lieber gut zu“, sprach sie herablassend. „Dies ist bis auf weiteres mein Zuhause, und ich lege wenig Wert darauf, es mit einem Hund zu teilen. Sollte deine Anwesenheit hier unabdingbar sein, empfehle ich dir, meine Gegenwart zu meiden.“ Daraufhin kehrte sie mir den Rücken zu und rollte sich zusammen.

Gerade wollte ich sie mit einem Nasenstüber daran erinnern, dass ich meine eigene Meinung zu ihrem Einzug hatte, da spürte ich die Hand meines Menschen an meinem Halsband. „Jetzt reicht es aber“, schimpfte er. „Den armen Edward lässt du jetzt in Ruhe, damit er sich eingewöhnen kann. Am besten gehen wir für eine Weile nach draußen.“

Er zerrte mich in den Flur, schnappte sich die Leine, und ehe ich mich versah, hatten wir das Haus verlassen. Ich wunderte mich nicht nur über die körperlichen Kräfte, die wütende Zweibeiner entwickeln können, sondern auch über den plötzlichen Drang meines Menschen nach draußen. Normalerweise muss ich mich dreimal täglich etwa eine halbe Stunde vor der Zeit zur Garderobe begeben, erwartungsfroh die Leine, die dort hängt, anschauen und mit dem Schwanz wedeln. Wenn sich mein Mensch am anderen Ende der Leine festhält, zerre ich ihn nach draußen und schleife ihn quer durch den Park bis zur Hundewiese. Das ist vor allem an heißen Sommertagen eine unselige Plackerei, die ich aus purem Verantwortungsbewusstsein auf mich nehme, denn wenn ich ihn in Ruhe lasse, wird er sich irgendwann überhaupt nicht mehr bewegen. Vielleicht wächst er dann vor dem Fernseher fest.
Aus Pflichtgefühl trabe ich auch den angefaulten Holzstücken hinterher, die er quer über die Hundewiese wirft, und bringe sie zu ihm zurück. Diese unbedarfte Welpenspiel ist sehr wichtig für Menschen, es hält sie fit und beweglich.

Als ich an jenem Nachmittag auf der Hundewiese ankam, gehörte die Gymnastizierung meines Menschen nicht zu meinen Prioritäten. Zuerst erzählte ich den anderen Hunden von dem Schicksal, das mir diesen fragwürdigen Hausgenossen beschert hatte.

„Nun übertreib mal nicht“, wiegelte Einstein, der Golden Retriever ab. „So ein kleines Tier kann keine ernsten Schwierigkeiten machen.“

„Nur an der Vorderpfoten sind scharfe Krallen“, berichtete die Pudeldame Lissy. „Der Rest ist ungefährlich, wenn nicht sogar ausgesprochen weich und freundlich. Ich hätte auch so gerne ein Kätzchen, das meinen Schlafplatz warm hält wenn ich nicht da bin,“ meinte sie verzückt.

„Das Katzenvieh ist rotzfrech“, hechelte ich entnervt. „Es macht sich gleich auf dem Sofa breit und meint, ich hätte zu kuschen.“

„Bestimmt machst du dir nur unnötig Sorgen“, sprach Sir Henry, ein Jack Russelterrier aus der Oberstadt. „Die meisten Stubentiger sind ganz in Ordnung. Wenn bei schlechtem Wetter mein Mensch nicht so lange Spaziergänge machen will, wüsste ich nicht, was ich den ganzen Tag zuhause ohne meine Katze täte.“

Von der Doggen-Dortje bis zum Pekinesen-Bobo erklärte mir ein Hund nach dem anderen, wie unproblematisch Hunde und Katzen neben- und miteinander leben können. „Hält denn niemand etwas von der Idee, Katzen einfach den nächstbesten Baum heraufzujagen?“ jaulte ich schließlich mitten auf der Wiese.

Entgeistert starrten mich die übrigen Hunde an. „Ich darf doch bitten,“ meldete sich Rocco erbost. „Wir sind alle kluge, zivilisierte Hunde und keine ungehobelten Bauerntölen. Über solche primitiven Aktionen sollten wir nicht einmal nachdenken,“ sprach er mit einem auffallend pastoralen Unterton in seiner tiefen Stimme. Ich konnte den eingebildeten Dobermann aus der Eden-Bar noch nie leiden.

Resigniert zog ich meinen Menschen nach Hause. Zu meinem Entsetzen hatte sich die Katze inzwischen über meinen alten Tennisball hergemacht und ihn mit ihren Krallen stark aus der Form gebracht. Ich suchte mein Spielzeug zusammen, legte es in meinen Korb und mich darauf. Wenn ein Zwei- oder Vierbeiner nun meinem Korb zu nahe kam, knurrte ich rein präventiv.

Dass Drohungen nicht viel nützen würden, hatte ich mir schon am Nachmittag gedacht, als ich entdeckte, dass sogar mein Korb bereits nach Katze roch. Tatsächlich fehlte mein frisch angenagter Kauknochen, als ich spätabends vom letzten Rundgang mit meinem Menschen zurückkam, und nach dem Morgenspaziergang am folgenden Tag entdeckte ich, dass jemand versucht hatte, seine Krallen an meiner altersschwachen Beißwurst zu schärfen. Natürlich tat das Katzentier so, als habe es überhaupt nichts zu tun mit meinen Sorgen. Gleichgültig blickten die grünen Augen durch mich hindurch, dann ging die Katze in die Küche und begann lustlos ihr Futter zu fressen. Dabei bekam sie viel besseres Futter als ich, das wusste ich, seit ich zum ersten Mal die Katzenschüssel blank schlecken durfte, und überhaupt hieß es ständig: Edward hier, Edward da!

Auch die Sache mit dem Sonntagskuchen geht auf Edwards Konto. Mein Mensch pflegt nämlich, nach unserem Morgenspaziergang ein oder zwei Stücke leckeren Sahnekuchen in der Konditorei zu holen. Kaum stand der Kuchen auf dem frisch gedeckten Tisch, klingelte das Telefon, und während mein Mensch dem Anrufer lang und breit von dem neuen Haustier erzählte, sprang dieses auf den Tisch und beroch das Schwarzwälder Kirschtortenstück.

„Nicht schlecht“, meinte Edward und machte sich über das üppige Sahnetürmchen am breiten Rand her.

„Tiere gehören auch nicht auf den Tisch,“ knurrte ich, „erst recht nicht mit allen vier Pfoten.“

„Ich bin gleich fertig.“ Edward blinzelte verschlagen. Immer dünner wurden die Sahneverzierungen unter der erstaunlich flinken Katzenzunge. „Wenn du nicht heraufkommen willst, gebe ich dir den Rest eben herunter,“ meinte er und schob energisch seinen Katerschädel unter den Teller. Mit einem scheußlichen Klirren zerplatzte das gute Porzellan auf dem Fußboden, der Kuchen krümelte und die Schlagsahne spritzte bis auf den antiken Perserteppich. Im anderen Zimmer schepperte der Telefonhörer auf der Gabel, aber bis mein Mensch endlich im Zimmer stand, hatte sich Edward längst unter das Sofa verzogen.

„Und nun rate mal, wen dieser Trottelmensch dafür nach Strich und Faden ausgeschimpft hat?“ brummte ich, als ich danach Sir Henry von den Ereignissen erzählte.

Nachdenklich legte er seinen kleinen, bunten Kopf auf die Seite. „Das ist meisten so, dass Katzen besseres Futter als Hunde bekommen“, meinte er dann. „Wenn sich Dein Mensch erst mal an die Katze gewöhnt hat, wird er vernünftig, und die Tüddelei lässt nach. Die Sache mit dem Tennisball macht mir allerdings Sorgen. Katzenkrallen können normalerweise keinem Tennisball etwas anhaben.“

„Das war ein ganz besonderer Tennisball,“ bestätigte ich, „alt und mit einer schönen Patina, ein unersetzliches Unikat. Meine Beißwurst zieht auch schon Fäden vom Krallenwetzen. So etwas bekomme ich bestimmt nicht wieder, weil mein Mensch nicht mehr auf den Hundeplatz will. Ich glaube, er wird zu alt für solche Späße.“

„Einen Kratzbaum habt ihr nicht?“ unterbrach mich Sir Henry,

„Einen kleinen in der Küche und einen großen im Wohnzimmer, alles nigelnagelneu“, bestätigte ich. Mein Mensch hatte einen halben Tag gebraucht, um das sperrige Gerümpel zusammen zu schrauben.

„Merkwürdig“, meinte Sir Henry.

Als mein Mensch abends zuhause die Blumen gießen wollte zog er die aufgelösten Reste meines Kauknochens aus der Kanne. Die Katze war verschwunden. Mein Mensch hatte eine Katzenklappe in die Haustüre gebaut. Natürlich wusste ich, dass Katzen in einem Haus fast jederzeit kommen und gehen dürfen, und kein Mensch von ihnen erwartet, dass sie irgendwelche Verantwortung übernehmen. Mich wurmte es sehr, dass der Herr Kater erst im Morgengrauen wieder zurückkam. Er rollte sich auf dem Sofa zusammen und schlief bis kurz vor Mittag.

„Stimmt es, was von dir erzählt wird“, sprach Edward mit scheinheiliger Freundlichkeit, nachdem sie sich zum Aufstehen entschlossen hatte. „Hundeschule ohne Abschluss?“

„Ich weiß nicht, was dich das angeht“, brummte ich.

„Nun ja, es ist auch nicht so wichtig“, säuselte die Katze. „Ich werde mir ohnehin mein eigenes Bild von den geistigen Fähigkeiten der Kreaturen meiner Umgebung machen. Es muss wirklich schlimm sein, keine Katze zu sein. Ich fürchte, du kämst nicht einmal auf die Idee, das Klo zu benutzen, wenn dein Mensch mal zu lange weg bleibt.“

„In dieser Hinsicht kann ich dich beruhigen“, knurrte ich, trottete zum Katzenklo und hob mein Bein. Als ich das zufriedene Grinsen in Edwards Gesicht sah, ahnte ich schon, dass ich diesem verschlagenen Widerling irgendwie auf den Leim gegangen war.

Edward stolzierte zum Katzenklo, schnupperte und rümpfte die Nase. „Entsetzlich!“ jammerte er. „Ob der Gestank je wieder aus dem Plastik herausgeht? Die Einstreu muss auf jeden Fall komplett gewechselt werden. Bis dahin kann ich dieses Ding nicht mehr benutzen.“

Eine Stunde später stand eine beachtliche, streng nach Katze riechende Pfütze auf dem Küchenfußboden. Als mein Mensch zurückkam, bekam ich einen Klaps mit einer zusammengerollten Zeitung, und er schimpfte mit mir wie mit einem Welpen. Der Gipfel der Ignoranz war jedoch die ernsthafte Empfehlung, mir eine Scheibe an dem lieben Edward abzuschneiden, der so toll sein Klo benutzte!

„Gib mir ein Messer, und ich schnitze eine ganze Packung Frolics aus dem Schätzchen“, knurrte ich genauso ernst zurück, aber mein Mensch verstand mich nicht. Er blickte mich nur kummervoll an.

„Ich glaube, ich brauche professionelle Hilfe für dich“, sagte er.

Die hoffte er vom Tierarzt zu erhalten, mit dem er umgehend einen Termin vereinbarte. Ein Tierarzt, das konnte keine angenehme Begegnung werden, dachte ich sorgenvoll. Für einen kranken Hund, der sich nicht wehren kann, mag ein Tierarzt akzeptabel sein, aber seit einer kleinen Ohrenentzündung vor ein paar Jahren wollte ich mit Veterinärmedizinern nichts zu tun haben.

„Sie schnippeln dir was weg, in der Hoffnung, dass du artiger wirst,“ bemerkte Edward schadenfroh.

Nachmittags auf der Hundewiese mied ich die Gesellschaft der anderen Hunde, allein schon, weil ich mich wegen der Schlappe mit dem Katzenklo unsäglich schämte.

„Pst, Kumpel“, wisperte jemand hinter mir. Ich erschrak, obwohl mich nur Sir Henry angrinste. „Ich habe mich bei meiner Katze nach deinem neuen Mitbewohner erkundigt“, berichtete er. „Edward, alias Schnurri, alias Amadeus, alias weiß-der-Kuckuck-sonst-noch-wer, es ist immer der selbe schäbige grauweiß gescheckte Kater. Offensichtlich hast du wirklich ein Problem mit dieser Katze.“

„Er hat gesessen, dieser Schurke“, sagte ich.

„Mehrmals“, bestätigte Sir Henry, „und wo immer er auftaucht, scheint es Ärger zu geben. In seiner Umgebung verschwinden immer wieder andere Haustiere unter seltsamen Umständen. Dieser Kater ist ein Psychopath ...“

„Ich bringe ihn um, dann ist er aus dieser Welt verschwunden“, knurrte ich.

„Sachte, sachte“, erwiderte Sir Henry. „Wenn dir der Katzenpelz zufällig zwischen die Zähne rutscht, haben die Menschen gleich ein Tatmotiv und dich am Kanthaken. Die ganze Härte der Gesetze und der kommunalen Gefahrenabwehrverordnungen wird mit Wesenstest und allem Pipapo über dich hereinbrechen. Ehe du dich versiehst, wirst du als gefährlicher Hund eingestuft und wanderst für den Rest deines Lebens hinter Gitter. Nein, lasse deine Pfoten tunlichst aus dem Spiel.“

Ich schluckte. Mein kleiner Terrierfreund musste es wissen. Er hielt sich einen Staatsanwalt als Menschen. „Vielleicht ist es im Tierheim gar nicht so schlimm. Ich habe jedenfalls wenig Lust, mich weiter von diesem Katzenvieh schikanieren zu lassen“, sagte ich.

„Lass dich nicht zu Kurzschlusshandlungen hinreißen“, entgegnete Sir Henry. „Kannst Du zahlen?“

„Was?“

„Du brauchst einen Spezialisten“, entschied Sir Henry, „jemanden, der dein Problem routiniert und unauffällig aus der Welt schafft. Der Service kostet allerdings ein paar größere Kauknochen.“

„Kein Problem“, hechelte ich, „ich lege noch einen neuwertigen Quitscheigel aus Gummi drauf, aber es muss schnell gehen. Ich habe einen Tierarzttermin am Freitag – sehe ich etwa krank aus?“

„Du siehst aus wie ein Hund, der mit den Nerven ziemlich herunter ist. Ich will sehen, was ich tun kann“, versprach Sir Henry schwanzwedelnd und verabschiedete sich.

Die nächste harte Probe für mein Nervenkostüm wartete schon in Gestalt der beiden Neffen meines Menschen an der Haustür. Sie wollten das Kätzchen sehen, den lieben Edward streicheln und mit ihm spielen. Dass sie dazu an mein Spielzeug wollten, sah ich absolut nicht ein. Ich knurrte, fletschte die Zähne und schnappte einmal zur Warnung ins Leere, als die beiden halbstarken Ignoranten meinem Korb zu nahe kamen. Dafür griff mir mein Mensch ganz gemein ins Genick und schalt mich mit Worten, die ich lieber nicht wiederholen möchte.

Immerhin stellte sich der von Sir Henry versprochene Spezialist bereits beim Spätabendspaziergang vor. Aus dem pechschwarzen Nichts des Gesträuchs am Parkrand materialisierte sich ein Deutsch-Drahthaarrüde, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.

„Wo ist das Problem, das ich beseitigen soll?“ begann er ohne Umschweife. Ich beschrieb ihm die Katze und beobachtete ihn aufmerksam. Ein netter, unauffälliger Kerl, dachte ich zunächst, aber seine kalten, ungewöhnlich ruhigen Augen verrieten den abgebrühten Profi.

„Vier Kauknochen und den Quitscheigel, und alles wird nach einem Jagdunfall aussehen, wenn das Kätzchen unten im Stadtwald gefunden wird“, sprach er ungerührt. „Zwei Kauknochen bei Auftragsannahme, der Rest ist nach der Ausführung fällig.“

„Muss ich sofort zahlen? Ich habe gerade keinen Kauknochen bei mir, kann ich keinen Kredit bekommen? Die Sache ist nämlich dringend“, antwortete ich.

„Fünf Kauknochen für einen Eilauftrag“, forderte er. „Die Anzahlung bleibt. Gib mir Bescheid, wenn du zahlen kannst.“ Daraufhin verschwand er im Gebüsch, ohne sich noch einmal umzuschauen.

„Gib dir keine Mühe,“ sagte mein Mensch, als ich wieder zuhause vor dem Schrank mit den Kauknochen stand und betont freundlich mit dem Schwanz wedelte. „Du erwartest doch keine Belohnung für die Heldentat gegenüber den armen Kindern heute, oder?“

Am nächsten Tag setzte mein Mensch den anbiedernd schnurrenden Edward in einen neu gekauften Katzentransportkäfig, und trug ihn übervorsichtig ins Auto auf den Beifahrersitz. Mich schnallte er in bewährter Manier mit dem Hundesicherheitsgut auf der Rückbank fest, dann setzte er sich wild entschlossen hinter das Steuer und fuhr los.

„Ach je, ist mir schlecht! Warum muss es hier so nach Hund stinken?“ begann Edward zu jammern, noch ehe wir das Viertel verlassen hatten. Gerade als das Auto auf die Schnellstraße bog, begann Edward zu würgen. Mein Mensch schaute einen Augenblick zu lange auf den Katzenkäfig, dann gelang es ihm gerade noch rechtzeitig auf die Bremse zu steigen, ehe das Auto einem langsamen LKW ungesund nahe kam. Die alten Gurte drückten schmerzhaft - aber sie hielten. Der Katzenkäfig kullerte in den Fußraum, öffnete sich und heftig fluchend sprang Edward auf den Beifahrersitz. „Hallo, kann mal jemand aufmachen und den Hund rausschmeißen?“ rief er.

Mein Mensch reagierte zunächst nicht, er war zu beschäftigt, das Auto auf der Fahrspur zu halten. Als er dann nach Edward griff, sprang das Katzenbiest zuerst vorne hinter die Windschutzscheibe. „Ich bin nicht das richtige Tier zum Einfangen“, entschied er, als mein Mensch ihn dort zu fassen versuchte. Wieselflink sprang Edward neben mich auf die Rückbank.

Eingeengt von dem Gurtzeug kam ich nicht an ihn heran, egal, wie ich mich wand, aber meine Chance sollte ich bekommen. „Ihr Menschen seid nicht sonderlich originell. Wetten, dass ich hier nur auf ‚Rot’ zu drücken brauche?“ sagte Edward. Schon lagen seine Pfoten auf dem Verschluss meines Gurtzeuges, und ich war frei. Selbstverständlich versuchte ich, diesen widerwärtigen Kater zu fassen. Ich sprang nach vorne, das Auto geriet ins Schlingern, und ein furchterregender Knall markierte das unerwartet frühe Ende der Reise.

Mein Mensch, der Kater und ich blieben heil bei diesem Unfall, nur das Auto sah nicht mehr gut aus. Die Polizisten schimpften arg mit meinem Menschen und sagten, dass es grob fahrlässig sei, einen so großen Hund wie mich frei im Auto zu transportieren. Einer hielt derweil den überlegen grinsenden Edward auf dem Arm und kraulte ausgiebig sein Kinn.

Dieser verflixte Kater plant wieder irgendetwas Übles, schoss mir spontan durch den Kopf.

Schließlich transportierte der Pannendienst das Autowrack ab. Wortlos zog mein Mensch mir den Maulkorb über, der für den Tierarztbesuch gedacht war, setzte Edward in den Transportkorb, und wir machten uns auf den Weg zur nächsten Straßenbahnstation.

„Steht dir gut, der Nasenschoner. Du solltest ihn öfter tragen, wenigstens solange du dich noch in der zivilisierten Welt bewegst.“ Edward lächelte süffisant als mir mein Mensch zuhause den Maulkorb abnahm.

Ich stellte mich taub, trottete schnurstracks zu meinem Korb und rollte mich zusammen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Edward, der auf das Sofa sprang und sich selbstverständlich auf dem schönsten Brokatkissen niederließ. Bestimmt war es kein Zufall, dass er mich dabei stets im Blickfeld behielt.

Was für eine Gemeinheit würde dieser Kater als nächstes aushecken? Zu behaupten, dass mich die halb geschlossenen, kalten Katzenaugen beunruhigten, wäre eine starke Untertreibung gewesen. Eine unangenehme Eigenschaft an Katzen ist, dass niemand sie kommen hört, wenn sie es nicht wollen. Normalerweise ist auf meine Nase Verlass, aber da bereits die ganze Wohnung nach Katzenklo duftete, würde mir die verstärkte Witterung nicht sofort auffallen, wenn die Katze plötzlich an meinem Korb stand.

Ich musste das heimtückische Katzentier im Auge behalten. Das war schwierig, ich war sehr müde, und meine Augenlider wurden immer schwerer. Irgendwann würde mein Mensch ohnehin den Fernseher und das Licht ausknipsen, um zu Bett zu gehen. Dann war ich mit dem Kater allein. Im Dunklen konnte er sich anschleichen und seine unheilvollen Pläne an mir vollenden. War nicht Edwards Verhalten im Auto Beweis genug, dass er sich nicht scheute, sein Leben und das meines Menschen zu riskieren, um mir zu schaden?

Dieses ach so niedliche Kätzchen ging über Leichen, und ich konnte es nicht aufhalten. Die Lichter des altmodischen Kronleuchters verschwammen, das Wohnzimmer schien sich von den Rändern her aufzulösen und im finsteren Schlund der Nacht zu versinken. Edwards Konturen wuchsen beängstigend. Lässigen Schrittes kam er näher, aber ich vermochte nicht aufspringen, geschweige den davonlaufen. Eine gespenstische Macht fesselte mich reglos in meinem Korb. Voller Entsetzen blickte ich in sein hochmütig grinsendes Katergesicht, als er, groß wie ein Zirkuslöwe, direkt vor mir stand. „Schluss mit lustig“, verkündete er, „Entweder du oder ich, und wenn Du nicht unnötig herumzappelst wird es schnell gehen für dich.“

Ich konnte nicht einmal bellen! Mit ungeahnten Kräften legten sich Edwards übelriechende Pranken um meinen Hals und raubten mir den Atem. Ich wand mich, spürte die Krallen in meinem Körper, schnappte vergebens nach der Katze – bis meine Zähne etwas Warmes, Weiches zu fassen bekamen.

Mein Mensch schrie und fluchte so entsetzlich dass ich den Wortlaut lieber nicht widerholen möchte. Ich öffnete die Augen und sah seinen Unterarm unter dem zerfetzten Flanellärmel in allerlei ungesunden Farben schillern. Dann bemerkte ich Edward. Er saß hinter meinem Nacken in meinem Korb und leckte sich ganz unbeteiligt die Innenseiten seiner Vorderpfoten.

Ich rieb mir mit den Vorderpfoten die Augen und blinzelte. Sollte das alles nur ein gewöhnlicher Hundealptraum gewesen sein? Die Überlegung war müßig, denn gleich am nächsten Morgen brachte mich mein Mensch ins Tierheim. „Ich komme nicht mehr mit ihm zurecht“, sagte der Verräter und erzählte von den Ereignissen der vergangenen Tage, ohne auf die Rolle einer gewissen grauweißen Katze angemessen einzugehen.

„Ein Rottweilerrüde, nicht mehr ganz jung und vor allem nicht verträglich mit Kindern oder wenigstens anderen Haustieren, das wird schwierig“, sinnierte die Frau, die mich in den Zwinger führte.

Seither sitze ich also hinter Gittern. Das Leben hier ist nicht gerade angenehm, es ist so eintönig wie das Futter, aber richtig schlimm ist es auch nicht. Wenn ich Glück habe, kommen Leute, die mich ein bisschen länger als gewöhnlich ausführen, aber das Wichtigste ist: Es gibt keine Katzen im Hundehaus.
 
P

Parsifal

Gast
Liebe Antaris,

ich habe Deine Katzengeschichte aus der Hundeperspektive mit Vergnügen gelesen und kann die Hundegefühle verstehen. "Wer liebt schon ein Tier, das einem dauernd sein Arschloch zeigt?" hat mal ein kluger Beobachter geschrieben.

"Mit ihrem adrett gezeichneten grauweißen Fell verfügte sie über ein ansprechendes Äußeres, dass den Menschen sicher besonders gut gefiel.

Eine Anmerkung: Mit ihrem adrett gezeichneten grauweißen Fell verfügte sie über ein ansprechendes Äußeres, das[strike]s[/strike] den Menschen sicher besonders gut gefiel.

Herzlichst
Parsifal
 

Zefira

Mitglied
Ich habe mich köstlich amüsiert; am schönsten fand ich die Sache mit dem Auftragskiller... allerdings bezweifle ich, ob eine Katze das Schluß eines Sicherheitsgurts aufbekommt. Oder haben die andere Schlösser? Egal, trotzdem eine gepfefferte Geschichte.
 
Bravo, Antaris. Das ist ja wirklich spannend. Ein "schleichendes Unheil", dieser Edward. Aber ich sah Dich irgendwo mit einer Katze im Arm. Auf wessen Seite stehst Du nun eigentlich??? ;)

Mir fielen zwei oder drei Stellen auf: ...hinter Gitter[strike]n[/strike] geraten...; gefiel (hat Parsifal schon bemerkt); ...zwei Stücke feinem Sahnekuchen in der Konditorei zu holen... (feinem klingt komisch, vielleicht ist es mundartlich?)

LG
Rolf-Peter
 

Antaris

Mitglied
Schleichendes Unheil

Hallo Ihr Aufmerksamen,

danke für Eure Rückmeldungen! Ich denke, ich habe die von Euch gefundenen Macken aus dem Text gut genug entfernt, aber meldet Euch ruhig wenn Ihr nochwas findet.

@Parsifal: Ja, Hunde riechen komisch, ewig schmutzig, müssen zur Unzeit pinkeln und kacken, fressen Aas und erschreckend viele Dinge, die sie nicht fressen sollten, sie sind laut, haaren entweder oder müssen für teures Geld getrimmt werden, und sie machen eine Menge Arbeit. Nie hätte ich geglaubt, dass es jemals so weit kommt, aber ich würde meinen dicken, schwarzbraunen Schäferhund nie wieder hergeben!

@Zefira: Das mit den Sicherheitsgurtschlössern ist völlig unterschiedlich, manche gehen ziemlich schwer auf, manche fast von selbst (älterer Mitsubishi). Wir hatten schon Katzen, die Türklinken, Schranktüren, und sogar den Kühlschrank aufgekriegt haben, da wundert mich nicht mehr viel...

@Rolf-Peter: so ganz daneben liegst Du mit Deiner Frage nicht. Ich glaube zwar nicht, dass einer von den beiden lesen kann, aber so lange beide Tiere im Zimmer sind kann ich mir keine Parteinahme erlauben. Fakt ist, dass ich mein Hundchen nicht auf dem Arm halten kann obwohl er es sehr gerne möchte, und dass ich Atemnot kriege, wenn er versucht, mir auf den Schoß zu springen. Das liebe Kätzchen läßt sich nur von mir füttern und geht dann zu meinem Mann wenn es Streicheleinheiten oder auf den Arm möchte. Fakt ist auch, dass der Hund ein viel besserer Mäusefänger als die Katze ist. Vor allem hat er nicht den Ehrgeiz, sie in der Küche wieder frei zu lassen.

LG

Antaris
 

Chinasky

Mitglied
Tolle Geschichte! Die Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit gegenüber dem sinistren Edward hat geradezu etwas Tragisches! Das erinnert mich auch an gute Thriller-Drehbücher. Lediglich der letzte Absatz ist überflüssig wie Katzenhaare auf dem Teppich. Er rundet die Geschichte nicht etwa, sondern würgt sie ab. Ein offenes Ende mit den Optionen endloser Gefangenschaft oder Einschläferung wäre der sonstigen Qualität angemessener gewesen!
 
Also, als Katzen- und Hundefrauchen hat mich dieses Werk total erfreut. Besonders diese Plage mit Katzenhaaren. Beim lesen, fühlte ich mich direkt in dieses Geschehen hineinversetzt....toll
Gruß *
 
R

Rote Socke

Gast
Hi Antaris,

nun, sie ist mir ja bekannt, die Katzengschicht' und schön, sie wieder hier lesen zu dürfen.
Wann darf ich sie im Büchlein lesen?

LG
Söckchen
 



 
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