Ehrenwerte Absichten

JCC

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Ehrenwerte Absichten





Giorgio Marti tot aufgefunden
In den frühen Morgenstunden des 2. März 1924 ist Giorgio
Marti von einem Freund erschossen in seiner Wohnung
aufgefunden worden.
Marti, der vor 18 Jahren aus Italien kam und sich in unserer
Stadt niederließ, hinterläßt zwei erwachsene Kinder,
Alessandra und Franco.
Die Polizei hat in diesem Fall noch keine Anhaltspunkte,
Freunde und Verwandte weigern sich standhaft, ihre
Aussagen zu machen.




„Mein Bruder wird mich davon abhalten wollen. Womöglich würde er versuchen, mich umzubringen. Aber andererseits muß man der Sache ein Ende bereiten.“
„Hör zu, Alessandra, ich bin mir sicher, daß er geradewegs ins Gefängnis wandert, wenn ich meine Story veröffentliche. Aber ich weiß natürlich nicht, wie gefährlich der Rest der Familie ist... man könnte dir, soweit ich weiß, einen Platz in einem Zeugenschutzprogramm besorgen, aber wenn es dir zu unsicher ist...“
Sie soll sich bloß nicht so anstellen, dachte Rick, als ob ihr Bruder sie kaltmachen würde...
„Wenn es dir zu unsicher ist, lasse ich dich außen vor.“
„Das wird weniger erfolgversprechend sein?“
Natürlich. Natürlich! Was denkt sie denn?
Er lächelte sie lieb an.
„Ja, das stimmt schon.“
„Ich helfe dir.“
„Gut. Ich bin stolz auf dich.“
„Hm...“
„Immerhin, es ist auch nicht der erste Mafiaprozeß in dieser Stadt...“
„Womöglich aber der erste erfolgreiche.“
„Hey, wird schon schiefgehen.“
Solange sie nur mich nur weiter mit Informationen versorgt.
„Komm her, Liebling.“
„Tut mir leid, Rick, ich muß gehen. Ruf mich an, wenn du mit der Zeitung gesprochen hast.“
„Sicher. Mach's gut.“


Rick brachte Alessandra zur Tür, sah die Tür zuklappen und war wieder allein. Er drehte sich um und blickte in den runden Spiegel, der in seiner Diele hing. Sein Spiegelbild blickte triumphierend zurück. Selbstzufrieden strich er sich durch die braunen Haare und lächelte in sich hinein.
Seit dem Tod des alten Paten führte der junge Franco die ehrenwerte Organisation weiter, doch Alessandra wollte aussteigen. Er würde ihr dabei helfen. Und sich nebenbei einen Namen als Journalist machen, schließlich saßen nicht viele so nah an der Quelle, daß sie einen großen, einen ganz großen Bericht über einen Mafiaboß und das Ende seiner Karriere bringen konnten.
Wenn das bedeutete, ein bißchen nett zu einer kleinen Italienerin zu sein, nichts leichter als das.
Zumal es gut sein konnte, daß sie durch seinen Bericht selbst für ihre Verwicklungen in die Geschäfte ihres Bruders vor Gericht käme, aber so spielte das Leben nun mal. Kein Grund, sie deswegen zu beunruhigen, sonst ginge ihnen vielleicht sogar der Bruder durch die Lappen.


Draußen im Treppenhaus hallten Alessandras Schritte. Sie ging durch die Haustür und setzte ihren Weg auf dem Bürgersteig fort. Keine schöne Gegend. Auf der Straße spielten ein paar schmutzige Kinder, mit den gleichen dunklen Haaren und der gebräunten Haut wie auch sie selbst.
Sie hob ihren langen, schmalen Rock etwas hoch und stieg über ein paar Abfälle hinweg.
Was sein mußte, mußte sein.


Wer zum Teufel wagte es, zu dieser Zeit bei ihm anzuklingeln?
Rick schaute auf die Uhr und gähnte. Halb zwei. Er wußte, daß die Italienerin seinen Anruf erwartete, aber es gab noch nichts neues, und außerdem war das ja wohl kaum ein Grund... Mißgelaunt rief er irgendetwas Unverständliches in Richtung Tür, zog sich schnell eine Hose, ein Hemd und Socken an und schlurfte im Halbschlaf durch die Wohnung.
Er öffnete die Tür, und bevor er Zeit hatte, sie wieder zuzuknallen, standen die beiden Männer in seiner Wohnung.


„Ziehen Sie sich an. Sie haben einen Termin.“
„Habe ich das...“, murmelte er und schlüpfte in seine Schuhe, die in der Diele standen. Es erschien ihm klüger, darüber keine Diskussion vom Zaun zu brechen. Er hätte es sich denken können. Schön, wenn der große Franco es nicht billigte - kein Bericht.
Ohne Ruhm konnte er leben. Andersrum gestaltete die Sache sich schwieriger.
Er zog seine Jacke an, während er sich diese zwei Sekretäre näher anschaute. Keine großen, dunklen Wandschränke mit Narben im Gesicht... wäre er ihnen tagsüber auf der Straße begegnet, hätte er sie womöglich wirklich für Sekretäre oder Buchhalter oder andere kleine Bürowürstchen gehalten, wie sie so mit herunterhängenden Armen dastanden, der eine schon mit etwas schütterem Haar, in ihren unauffälligen Anzügen. Wie er feststellte, beulten die Anzüge in Hüfthöhe etwas. Er beschloß, es nicht drauf ankommen zu lassen.
„Ich bin fertig. Was möchte Ihr Chef denn von mir?“
„Er wird Ihnen ein Manuskript abkaufen.“
„Wie? Was denn für eins?“
„Das, das Sie für ihn geschrieben haben, natürlich. Wenn Sie es jetzt bitte holen würden...“


Er zögerte einen Moment, sah seine Besucher an, sah zu Boden und seufzte, ging dann ins Wohnzimmer.
Aus einer Schublade holter er die noch nicht ganz fertiggestellte Reportage.
„Die Durchschläge auch.“
„Es gibt keine. Der Text ist bisher nur ins Unreine getippt.“
Die zwei Sekretäre brauchten nur wenige Minuten, um sich vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu überzeugen. Er würde Stunden brauchen, um das Ergebnis wieder aufzuräumen. Aber das war jetzt wohl das geringste Problem.
„Gehen wir.“


Eine Viertelstunde später stiegen er und seine Begleiter am Hafen aus. Die beiden steuerten mit ihm zielsicher auf eine Kneipe zu, die selbst zu dieser Zeit noch hell erleuchtet war. Allerdings traten sie nicht durch den Haupteingang, sondern durch eine Seitentür, und stiegen dann ein paar Treppen hoch. Schließlich kamen sie durch eine Tür in eine Art Wohnzimmer, das durch ein warmes Licht erhellt wurde und mit einigen Sesseln, einem Sofa und einem Tisch ausgestattet war.
Als sie eintraten, erhob sich der junge Mann, der in einem Sessel gesessen hatte, und streckte Rick die Hand hin.
„Franco Marti.“
„Rick...“
„Ich kenne Ihren Namen. Nehmen Sie Platz.“
Die beiden Männer, die ihn hergeführt hatten, verschwanden, und sein Gastgeber und er setzten sich einander gegenüber, durch den Tisch getrennt.
„Haben Sie mir etwas mitgebracht?“
Rick zog das Manuskript aus der Tasche und reichte es wortlos seinem Gegenüber.
„Haben Sie noch irgendwo eine Kopie? Bei Freunden, im Bankschließfach?“
„Nein.“
„Gut. Ich bin froh, daß wir uns so einigen konnten. Ich verlasse mich darauf, daß es stimmt, was sie mir sagen. Ich werde nicht gern betrogen.“
Rick fuhr durch den Kopf, daß er auch nicht gerne nachts um zwei in irgendwelche Hafenkneipen verschleppt wurde, um arroganten jungen Italienern eine Freude zu machen, aber er hielt den Mund. Franco zog seine Brieftasche hervor.
„Wieviel hätten Sie von der Zeitung für die Reportage bekommen?“
Rick nannte eine Zahl und Franco reichte ihm einige Geldscheine. Als er sie gerade in die Tasche steckte, öffnete sich die Tür.
Alessandra trat ein.
„Oh, Rick!“
„Du kennst ihn?“
Rick stöhnte auf.
„Du hättest mir sagen sollen, daß du ihm das Manuskript verkaufst, dann hätte ich dir mein Exemplar eben rüberbringen können...“
„Du hast kein Exemplar“, zischte Rick sie an.
Franco war aufgestanden und blickte wütend zwischen seiner Schwester und dem Journalisten hin und her.
Rick wandte sich an ihn: „Glauben Sie mir...“
„Natürlich“, erwiderte er.
Ohne seine Schwester weiter zu beachten, zog er eine Pistole und befahl Rick, nach unten zu gehen. Er selbst folgte ihm, und sie ließen Alessandra allein im Zimmer zurück.
Sie zog ein kleines, schwarzes Gerät aus der Handtasche.


Die beiden Männer traten hinaus in die kühle Nachtluft.
„Sie hätten es nicht so versuchen sollen“, sagte Marti.
Er hielt die Pistole noch in der Hand.
Eine Gestalt kam aus der Kneipe, warf einen Blick auf das, was sich vor ihm abspielte, und schaute dann eilig weg.
Marti wies Rick an, um das Gebäude herumzugehen, zum Hafenbecken.
Er gehorchte.
Das Wasser war schwarz, nur einige Lichter vom Gebäude hinter ihnen und der Vollmond spiegelten sich darin und ließen die Ölschlieren glänzen.
Marti schwieg. Rick stand am Rand des Beckens und starrte aufs Wasser. Wenn er sich einfach hineinfallen ließ... zu verlieren hatte er nichts. Nein, wirklich nicht, der Miene seines Gegners nach zu urteilen.
Doch da hörte er dessen Stimme.
„Stellen Sie sich mit dem Gesicht zu mir, mit dem Rücken zum Hafenbecken.“
Rick kam der Aufforderung nach. Bevor Rick die Augen schloß, sah er noch, wie Marti die Pistole hob und mit ausgestreckten Armen auf ihn zielte.
Da zerschnitt ein ohrenbetäubender Knall die Stille des nächtlichen Hafens.


Rick ließ sich nach hinten fallen, er bekam vor Panik nicht einmal mehr genug Luft zum Schreien. Erst das kalte, stinkende Hafenwasser brachte ihn wieder zur Besinnung. Er schwamm mühsam zu einer rostigen Trittleiter und wunderte sich unterwegs, was er, das Ziel, hier überhaupt tat.
Er kletterte aus dem Wasser und blickte sich um.


Marti lag in einer Blutlache und stöhnte leise. Um ihn herum standen einige bewaffnete Männer, ein weiterer, offenbar ein Sanitäter, kniete an seiner Seite.
Alessandra und einer der dunkel gekleideten Männer kamen auf ihn zu. Er sah eine Polizeimarke aufblitzen, und ihm wurde eine Decke gereicht.
Erbost wandte er sich an die Frau: „Was fiel dir ein...“
„Was willst du? Es hat funktioniert.“
„Hattest du das ganze mit der Polizei abgesprochen?“
„Nein. Ich habe ihnen nur versprochen, daß ich sie rufe, wenn's was zu sehen gibt.“
Rick stöhnte auf. Marti wurde gerade auf einer Krankentrage weggebracht, begleitet von einigen Polizeibeamten.
Er wickelte sich in seine Decke und blickte den Polizisten, der neben Alessandra stand, vorwurfsvoll an. Der verspürte offenbar plötzlich das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen.
„Sie wissen, von alleine kommen wir in so eine Organisation nicht rein. Da brauchen wir schon Leute, die...“
Er zuckte hilflos mit den Achseln.
„Ich bin froh, daß es so gut gelaufen ist“, sagte Alessandra zu dem Polizisten, „wir können uns ja morgen auf der Wache melden, falls Sie noch Fragen haben...“
„In Ordnung“, sagte der Polizist und wandte sich zum Gehen, „gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Nach und nach verließen die Polizisten den Platz, bis Rick und Alessandra wieder allein waren.


„Es tut mir leid“, sagte sie, „ich mußte ihn aus dem Weg schaffen lassen...“
„Ich weiß ja, es ist ja nichts passiert.“
Idiotin.
„Es hat mir mit Sicherheit keinen Spaß gemacht, aber was sein muß...“
„Ist doch in Ordnung.“
„Ich wollte endlich das haben, worauf ich so lange warten mußte...“
„Ich verstehe dich schon.“
„Denn jetzt übernehme ich die Führung.“
„Was?“
„Es tut mir wirklich leid, Rick.“
Sie zog eine Waffe aus dem Bund ihres Rockes.
„Stell dich da hin, mit dem Gesicht zu mir, mit dem Rücken zum Hafenbecken.“
„Das ist doch nicht wahr...“
„Nun mach schon“, forderte sie ihn in freundlichem Ton auf, „machen wir uns die Sache nicht schwerer, als sie ohnehin schon ist.“
Er nahm dieselbe Stellung wie schon vor einer Viertelstunde ein.
„Spätestens morgen hast du doch die Polizei wieder hier...“
„Und? Du hast es selbst gemerkt, sie schaffen es nicht. Sie brauchen schon einen Insider, der ihnen hilft. So wie mich - oder dich.“
Sie hob die Pistole.
„Mein Bruder hätte sich das Spielchen oben im Haus sparen können... naja, er ist dumm, er wäre sowieso früher oder später im Knast gelandet. Aber ich nehme die Dinge lieber selbst in die Hand. Bei mir wird es keine undichten Stellen geben, keine Reporter, keine Verräter.“
Rick schoß der Gedanke durch den Kopf, daß ihr Bruder das sicher auch gedacht hatte.
Es war sein letzter.
Der Körper klatschte schwer auf das schwarze Wasser.


Die Italienerin drehte sich um und ging auf die erleuchteten Fenster der Hafenkneipe zu. Dort würde sich schon ein dienstbarer Geist finden, um die Reste des erfolgreichen Manövers diskret verschwinden zu lassen.
 

Nina

Mitglied
Wenn dies nur eine Kurzgeschichte sein soll: Schade, denn es wurde grade erst interessant.
Mir persönlich fehlte noch eine gewisse Tiefe, damti meine ich, dass du ruhig etwas mehr beschreiben könntest. Z. B. die Umgebung, was die Charaktere fühlen, sehen, etc. Ist nur mein persönlicher Eindruck. Auf jeden Fall hatte ich Lust bis zum Ende zu lesen.
Nur weiter so!!!
 

JCC

Mitglied
Danke.

Ich weiß, Charaktere sind nicht gerade meine Stärke. ;)
Normalerweise schreibe ich nicht solche Geschichten (hier im Leselupe-Forum habe ich auch noch ein paar andere), das ist bisher der einzige Krimi, aber ich werde noch mal versuchen, ihn zu überarbeiten.

Allerdings wüßte ich nicht, wie die Geschichte noch weitergehen sollte - ich denke, sie ist abgeschlossen.
 

Nina

Mitglied
Wenn es eine Kurzgeschichte ist, dann ist es eine Kurzgeschichte. Jeder hat mal "klein" angefangen. Auf jeden Fall wollte ich nur mal kurz sagen, dass ich Lust hatte weiterzulesen.
 

Zefira

Mitglied
Also, ich fands spannend.
EIn bißchen mehr Tiefe - dürfte ruhig sein, aber andererseits ist gerade diese Straffheit schön tough und paßt zu der Geschichte.
Der Dialog ist ganz am Anfang ein bißchen gestelzt. "Andererseits muß man der Sache ein Ende bereiten", das hat Alessandra bestimmt nicht gesagt...?
Ich würde übrigens den letzten Absatz weglassen. Laß es ruhig mit dem Aufklatschen des Körpers enden - das ist schön dramatisch.
Alles Gute,
Zefira
 

JCC

Mitglied
Hmhmhm... ich weiß nicht. Klingt das wirklich so unecht am Anfang?

Ja, das mit dem letzten Absatz könnte sein, das überleg ich mir noch mal.

Danke für den Hinweis.
 



 
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