Liebe Selene,
wie versprochen, will ich hier den Rhythmus analysieren.
In Deinem Gedicht dominiert die Betonungszählung - nicht die Silbenzählung.
Unter Rhythmik verstehe ich den zeitlichen und gefühlsmäßigen Verlauf des Rhythmus, Stärke der Betonung, Zeitdauer der Silben, Wichtung der Silben.
Ich gebe die Wichtung, wie ich sie fühle, hier mal in Zahlen an, diese können aber abhängen vom Leser und seiner Stimmung.
Die dadadaad-Formen hier nur zur Verdeutlichung des jeweiligen Rhythmus, "aa" heißt Länge, nicht notwendigerweise Betonung.
Sterne leuchten Dunkelheit
Der erste Vers setzt den Rhythmus.
daadad daadad daadad dad
dabei liegt eine besondere Betonung auf Sterne.
"Sterne" erhält zusätzlich eine Spannung und Dehnung.
3 0 1 0 2 00
Mein blaues Kleid wird schwarz
setzt einen Kontrapunkt. sehr schön.
Mit besonderer Betonung auf "blaues"
0 2 0 1 0 1
dadaadad daad dad dad
Ich erfahr die Grausamkeit
Jetzt folgt ein weiterer Wechsel, der aber in der zeitlichen Folge sehr angebracht ist und die Spannung hält.
Ich und er- wird rhythmisch zusammengezogen.
dadadaad da dadadaad
0 0 3 0 2 0 1
Mein Blut wird zähes Harz.
wieder sehr einfach,
dad daad dad da-dad daad
0 3 0 1 0 2
Realität wird Illusion
dadadadaad dad dadadaad
Hier folgt erneut ein Bruch, der geht aber noch, die Zeit wird gehalten. Eine Art Synkope.
0 0 0 2 0 0 1
Ich wandere auf Zwischenwegen
Wieder ein Rhythmuswechsel
dadaadadad dadaadadaadad
0 2 0 0 0 2 0 0 0
So höre ich den tiefen Hohn
dad daad dadad da daadad daad
0 2 0 0 0 2 0 2
Wiederholt die Brüche in der ersten Strophe, hält die Spannung
Und will mich schlafen legen.
dad daad dad daadad daadad
0 1 0 2 0 2 0
Schafft einen gewissen Abschluß
Illusion ist Realität
dadadaad dad dadadadaad
Zerstört die bisher aufgebaute Rhythmik des ganzen.
0 0 1 0 0 0 0 1
Meine Welt wächst Aeonen weit
dadadaad dad dadaadad daad
0 0 2 2 1 2 2
Hier klappt es bereits nicht mehr richtig, das Gedicht ist kaum noch vortragbar, der Vers wird nur noch durch die Stabreime gehalten.
Ich ernte, was ihr sät
dadaadad dad dad daad
0 2 0 0 0 2
das fügt sich wieder einigermaßen ein.
Und verernte meine Zeit.
dadadaadad daadad daad
0 0 1 0 1 0 2
Dunkelheit gebirt Sternenlicht
dadadaad dadaad dadadaad
1 0 1 0 1 1 0 1
Das plätschert, das "Gewicht" des Verses entspricht aber den anderen.
Meine Welt ist groß
daadad daadad daad
1 0 1 0 2
einfacher, gewöhnlicher Rhythmus, der Vers reiht sich aber in den Freien Rhythmus ein.
Hier gibt es eure Felder nicht
dadadadadadaadadad
0 0 0 0 0 2 0 0
Fällt heraus
Und Zeit fällt in meinen Schoß.
dadaad dad dad dadad daad
0 2 0 0 2 0 3
Dieser Vers fällt vollständig aus der Rhythmik. Er (zer-)stört das Gedicht, statt es abzuschließen.
3 0 1 0 2 00 ->6
0 2 0 1 0 1 ->4
0 0 3 0 2 0 1 ->6
0 3 0 1 0 2 ->5
0 0 0 2 0 0 1 ->3
0 2 0 0 0 2 0 0 0 ->4
0 2 0 0 0 2 0 2 ->6
0 1 0 2 0 2 0 ->5
0 0 1 0 0 0 0 1 ->2
0 0 2 2 1 2 2 ->7
0 2 0 0 0 2 ->4
0 0 1 0 1 0 2 ->4
1 0 1 0 1 1 0 1 ->5
1 0 1 0 2 ->4
0 0 0 0 0 2 0 0 ->2
0 2 0 0 2 0 3 ->7
-> relatives "Gewicht" der Zeile
Insgesamt stört mich am meisten der letzte Vers.
(Den Inhalt finde ich dagegen im Gegensatz zu anderen gelungen, einschließlich des "kosmischen" Ansatzes.)
Freundliche Grüße aus Dresden.