Ein Baum, drei Elfen und eine Geschichte

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Astrid

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„Der Baum muss mit rauf!“
Die Große, Schlanke, sehr elegant im beigefarbenen Hosenanzug, hielt mir den Fotoapparat hin. „Hier durchgucken und dann einfach drücken.“
Dann ging sie zu den anderen, die wie drei Elfen im Gras saßen, wie ein Frühlingshauch; sich mit der einen Hand abstützend die eine, den Rock weit über die Beine gebreitet wie Flügel die andere.
„Komm setz dich neben uns“ sagten sie zu der Hellen.
„Nein, das passt nicht und der Baum soll doch mit rauf“ sagte diese und stellte sich hinter die Frauen. So stand sie sehr elegant in ihrem Hosenanzug und wirkte wie ein Gast, der eher zufällig zu der lustigen Damengesellschaft gestoßen war.
Ich machte zwei Fotos, einmal im Hochformat, einmal quer, hockte mich hin, spürte nicht das schmerzende Knie und wusste, welche Verantwortung ich da übernommen hatte: der Baum musste mit rauf!
„Alles klar“ sagte ich, „mit Baum“ und gab den Fotoapparat zurück. Die Hosenanzugdame guckte noch immer skeptisch.


Die anderen saßen jetzt im Café. Es war Seminarpause und ich hatte kurz gezögert, ob ich mitgehen sollte. Doch mir schwirrte der Kopf von den Informationen der letzten Stunden und ich wollte ihn mir wieder leer laufen. Der Zufall führte mich in den nahe gelegenen Park. Ich ging wie ein Zuschauer auf den Wegen zwischen Menschen, die Ball spielten, grillten, sich sonnten, verliebt auf der Bank saßen oder im Schatten lasen. Ich nahm sie kaum wahr, mein Kopf beschäftigte sich mit der Geschichte, die ich schreiben wollte, doch ich konnte sie noch nicht fassen, die Figuren waren noch verschwommen, es gab eigentlich nur dieses Gefühl, ein Wunsch, wie ein kleines Brennen unter der Haut.
Ich glaube nicht an Zufälle.

So sah ich die vier Frauen, oben auf dem kleinen, gras bewachsenen Hügel. Ihr lebhaftes Lachen traf sich mit dem Brennen unter meiner Haut; mein Gesicht entspannte sich und der Kopf war wohlig leer. Es gab nur noch diese Frauen und mein Bauch sagte plötzlich: „Ja!“.
Ich verlangsamte meinen Schritt, musste sie anschauen. Schließlich sah die Eine zu mir herüber. Sie hielt ihre Hand dabei über die Augen, sagte etwas zu der Großen und dann schauten sie alle zu mir. Für einen Moment fühlte ich mich unwohl, wie ertappt, „der Lauscher an der Wand“ kam mir plötzlich in den Kopf, nicht wissend, wer das einmal sagte.

„Hallo“ – Die Frau mit der Hand über den Augen winkte mich heran. „Ob Sie uns fotografieren könnten?“
Ich schritt zu ihnen, ja ich genoss es und fühlte mich ein bisschen geehrt, dass ich es war, die diese Aufgabe erfüllen durfte. Ich musterte die Frauen im Gras, die wie junge Mädchen aussahen und überlegte, wie die mit dem hellen Hosenanzug zu ihnen passte.


Sie hieß Anneliese und hätte fast nicht kommen können. Wegen Kurt. Kurt war ihr Mann, nicht gesund, sehr hilfebedürftig und noch hilfebedürftiger und kranker, wenn Anneliese etwas vorhatte. Und Anneliese hatte nie etwas vor. Doch eines Tages traf der Brief von Christa ein – „endlich habe ich die Adressen von dir und Hannelore rausgekriegt, wir wollen uns treffen, Karin hat schon zugesagt, bitte komm, es ist so lange her, dass wir uns sahen. Wir wollen uns einen richtig schönen Tag machen wie früher, nur wir Mädchen.“
„Mädchentag“ dachte Anneliese und warf sich einen grimmigen Blick zu, als sie das alte Mädchen im Spiegel sah. Zuerst hatte sie den Brief vor Kurt versteckt, vielleicht auch vor sich selbst, weil sie nicht wusste, ob sie darauf eingehen sollte. Doch die Lust, die anderen wieder zu sehen, siegte und die Aussicht, einmal aus dieser Enge hier raus kommen zu können. Ihre Mädchen - was waren sie für eine tolle Truppe gewesen, damals. Clique würde ihr Enkel heute sagen, wenn sie einen hätte. Was wohl aus den anderen geworden war?

Kurt sträubte sich, Kurt wurde krank, Kurt stänkerte, beleidigte, erpresste, wollte sie halten – Anneliese fuhr, fast hätte sie den Zug verpasst. Den Zug nach Berlin, wo sie damals mit den Freundinnen in der Schule war – in einem anderen Leben musste das gewesen sein.
Sie hatte sich das Beste angezogen, was sie in ihrem Kleiderschrank finden konnte – doch als die Mädchen sie sahen, zogen sie sie auf. „Annelie, du siehst aus wie eine Chefin!“
„Ja, genau wie früher, weißt du noch, wo man dich für unsere Lehrerin gehalten hat, weil du uns alle überragt hast.“
Das andere Leben hatte sie eingeholt, wieder geholt, die Erinnerungen sprudelten, wollten erzählt werden, „weißt du noch, weißt du noch?“ Die Sätze nicht beenden, nur anreißen, wie im Zeitraffer, zu viele waren es und wer wusste schon, wann man sich wieder sah?
Karin war die Lustigste von ihnen. Sie trug ein geblümtes Kleid, ihre Haare schimmerten rötlich in der Sonne. „Färbst du?“ fragte Christa, deren ehemalige dunkle Locken nun mit grauen Strähnen durchzogen waren.
Karin lachte nur: „Vielleicht.“ Sie zog sich die Schuhe aus und ließ sich ins Gras fallen. „Gott ist das schön!“
Hannelore ließ sich neben sie plumpsen, zupfte an ihrem Rock, verteilte ihn über ihre Beine.
„Findest du deine Beine immer noch zu dick?“
„Na dünner sind sie bestimmt nicht geworden. Überhaupt alles hier“, meinte Hannelore und zupfte nun auch an der Bluse über dem Bauch. „Manchmal kann ich mich selbst nicht sehen, aber ich schaffe es einfach nicht, abzunehmen, ich esse eben zu gern.“
„Ach Hanne“, Karin legte den Arm um sie „Du lebst doch nur einmal! Außerdem“, sie begann, die Freundin zu kitzeln, „ist bei dir wenigstens ordentlich was dran! Das gefällt doch den Männern!“ Hannelore kicherte. „Stimmt doch, Frau Lehrerin, oder?“ Karin sah zu Anneliese.
„Ach hör auf“ murmelte diese und dachte eine Sekunde lang an Kurt.

„Seht mal, die Frau dort auf dem Weg, wir könnten Sie fragen, ob sie uns fotografiert.“
Karin winkte.

So traf ich sie, die Große, Schlanke, elegant im Hosenanzug mit dem kleinen Schatten auf dem Gesicht, der nicht zu passen schien zu der Lebhaftigkeit der anderen.

„Alles klar“ sagte ich, „mit Baum“, gab den Fotoapparat zurück und wünschte allen noch einen schönen Tag. Ich weiß nicht, ob sie Hannelore, Christa, Karin und Anneliese hießen, ich weiß nicht, ob die Große einen Kurt zu Hause hat, der sauer war, weil sie ging, ich weiß nicht einmal, woher die Frauen sich kannten.

Am Ausgang des Parks traf ich die anderen, die im Café waren. „Und, warst du spazieren?“
„Mmm."
Es gelang mir nicht, ihnen zuzuhören oder auf ihre Fragen zu antworten, denn auf einmal konnte ich meine Figuren greifen und ich begann augenblicklich in meinem Kopf die Geschichte zu schreiben, die ich schon so lange schreiben wollte…
 
M

Melusine

Gast
Hallo Astrid,
nette kleine Alltagsgeschichte, gefällt mir. (Ich denke mir auch oft Geschichten aus über die Leute, die mir zufällig begegnen...)
Fehlerchen: Einmal hast du deine "Anneliese" irrtümlich "Annemarie" genannt.

LG Mel
 

Astrid

Mitglied
Hallo Melusine

Ich danke dir für dein aufmerksames Lesen, habe den Fehler gleich behoben. So oft gelesen und doch nicht aufgefallen... Freut mich, dass dir die kleine Episode gefallen hat. Ich wünsche dann auch dir weiterhin viel Spaß beim Ausdenken und Schreiben von Geschichten über andere Leute oder wie auch immer. Noch einen schönen Sonntag!
Astrid
 



 
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