Ein Diener der Vernunft

wowa

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Ein Diener der Vernunft

XXX war Rationalist.
Wurde z.B geweint in seiner Gegenwart, blieb er kühl, war unangenehm berührt. Emotionale Überschwemmungen machten ihn misstrauisch, er unterstellte eine Spekulation auf sein Mitgefühl. Mit Gefühlen hatte er schlechte Erfahrungen gemacht.
Sie blieben ihm ein Mysterium, suspekt, widerstrebten jeder Einordnung und waren im eigentlichen Sinne eine Beleidigung der Vernunft.
Sein Credo war das Kausalitätsprinzip. Es hatte biografisch ein wenig gedauert, bis diese Einsicht gereift war, doch schließlich und nicht zuletzt mit ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung wurde die binäre Logik zu seiner Lebensphilosophie. In der Folge wurde vieles einfacher und selbst seine chaotische Triebstruktur, ein Konglomerat widersprüchlicher Empfindungen, ließ sich nun schematisieren und beherrschen.
„Mein Ich ist Herr im eigenen Haus,“ pflegte er lächelnd zu antworten, wenn man ihn bewunderte ob seiner Gelassenheit.
Doch alles fließt und selbst der optimal Gepanzerte ist tributpflichtig. Auch XXX konnte sich dieser Erkenntnis nicht verschließen. Zu jener Zeit, als alles gut schien, fasste er den Entschluss, eine Familie zu gründen. Geeignete Kandidatinnen gab es und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Mit tiefem, schwer formulierbaren Unbehagen schaute er später zurück auf seine Versuche, mit anderen Menschen, Frauen, ein gemeinsames bürgerliches Leben aufzubauen.
Die Geschlechter sind bekanntlich nur bedingt für einander geeignet, bei Dominanz und krassem Machtgefälle führt der Weg in die Sprachlosigkeit und Depression. Möglicherweise wäre ein Mann die bessere Wahl gewesen, zumal bei ähnlicher Denkungsart. Gleichviel, diese Option schied aus, XXX war hetero, fraglos.
Die Frauen, die er traf und mit denen er liiert war in seiner erotisch aktiven Phase, sagten ausnahmslos, nie zuvor sei ihnen ein derart gefühlskalter Mann begegnet. Wobei, - und das war für sie das eigentlich Erstaunliche, gefühlskalte Männer gab es schließlich genug, - dieser sein Defizit nicht als schmerzhafte Leerstelle empfand, sondern im Gegenteil die völlige Abwesenheit emotionaler Wärme bejahte, sogar als Fortschritt begriff auf seinem Weg zu absoluter individueller Widerspruchsfreiheit.
Sein erster Versuch gemeinsamer Lebensplanung scheiterte an diesem hohen Anspruch. Recht bald war beiden klar, dass sich hier die Falschen getroffen hatten und man trennte sich sachlich und ohne Groll. Die Scheidung verlief unproblematisch.
Die folgende Ehe hielt länger, war aber nicht glücklicher. Seine zweite Ehefrau nahm sich nach einem offenbar quälenden Entfremdungsprozess das Leben und klagte in einem Abschiedsbrief seine Gewalt an: keine direkte, persönliche, sondern eine strukturelle, die unterscheidet, isoliert und aussortiert. Eine Freundin veröffentlichte die letzten Worte und sorgte damit für erregte Diskussionen. Dieser radikale, verzweifelt destruktive Schritt ließ sich nicht ignorieren, nicht einordnen, verlangte nach einem Echo.
Nachdem er sie begraben hatte, fühlte er etwas ähnlich einem veritablen inneren Flächenbrand und lodernde Schuldgefühle verlangten seinen Tod.
Reflexartig löschte er diese Feuer mit großen Mengen hochprozentigen Alkohols, wohl auch in der Hoffnung auf baldige Erlösung.
Stattdessen kam er nach wiederholtem öffentlich – auffälligen Verhalten in die geschlossene Psychiatrie, man setzte ihn auf Wasser und allmählich tauchte er auf aus seinen roten Nebeln.
Die obligatorische Zwangstherapie nach der Entgiftung war seine Rettung. Behutsam und emphatisch entlastete man ihn von der Verantwortung für die Tote. Gierig sog er den Freispruch auf und schon bald entließ man ihn mit günstiger Sozialprognose.
Die Konjunktur hatte zwischenzeitlich angezogen und er fand einen Job in der Softwareindustrie. Einige Jahre später tauchten in der Stadt kleine Spuckzettel auf, sogenannte Schleckis :
„XXX lebt noch – wir sollten ihn töten!“
Es war ihm unangenehm, seinen Namen in der Öffentlichkeit zu lesen. Darüber hinaus maß er der Geschichte keine Bedeutung bei.
Wenig später überfuhr ihn nachts ein Auto, als er mit dem Fahrrad von der Spätschicht nach Hause radelte. Er war sofort tot. Die Fahrerin des Unfallwagens, Zeugen identifizierten eindeutig mehrere Frauen im Fahrzeuginneren, wurde nie gefunden.
Man setzte ihn bei neben seiner Frau. Es war eine schöne Beerdigung.
 



 
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