Ein Fisch im Wasser

Sebahoma

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Lustlos lief der kleine Patrick zur Bushaltestelle. Während das Wetter am Wochenende zwar schon kühl, aber noch trocken und sonnig war, zeigte es sich heute von seiner hässlichen Herbstseite. Es war grau und es regnete. Die Bäume ließen die Blätter fallen, die vom kalten Wind umhergewirbelt wurden. Montag war wirklich der blödeste Tag in der ganzen Woche. Patrick patschte durch die Pfützen und kam schließlich an der Bushaltestelle an. Kurz darauf kam der Bus und warf beim Anfahren eine kleine nasse Fontäne auf die Wartenden. Patrick stieg ein. „Hey Patrick, war dein Wochenende auch so langweilig? Endlich wieder Schule, was?“, rief einer seiner Mitschüler ihm durch den ganzen Bus zu. Aber Patrick hatte an diesem Morgen keine Lust auf diese Idioten. Nicht genug, dass er jetzt wieder eine ganze Woche zuhören und lernen musste, nein, er musste sich auch noch mit diesen nervigen Typen herumschlagen. Er setzte sich ganz nach vorne, näher traute er sich nicht an sie heran. Sollten sie ihn doch einfach in Ruhe lassen mit ihrem angeberischen Gerede über Bands und Mitschülerinnen. Er konnte ihre Stimmen im Hintergrund hören, aber er dachte nicht darüber nach, was sie sagten. Es war ihm egal. Er lehnte seinen müden Kopf an die feuchte Fensterscheibe.

Konnte nicht wieder Samstag sein? Dann würde er wieder mit seinem Vater wegfahren, weit weg, zu den großen Teichen, wo es ein Boot gab und viele Abenteuer auf sie warteten. An diesem Wochenende waren sie mit einem Boot weit raus gefahren. Sein Vater hatte ihm versprochen, dass sie einen ganz großen Fisch fangen werden. So groß, wie Patrick ihn noch niemals gesehen hatte. Bald saßen beide im Boot und sein Vater steuerte das Ruderboot mitten auf den großen Teich. Hier war es ganz still, man hörte nichts, keine Autogeräusche, kein Geschrei, nichts, nur manchmal ein leises Schlürfen vom Wasser, das durch das Boot zur Seite gedrängt wurde. Überall um sie herum nur Wasser, das Ufer schien so weit weg. Wer weiß, wie tief es ist und was sich da alles drin versteckt, dachte Patrick. Aber zusammen mit seinem Vater machte es ihm keine Angst. Im Gegenteil, Patrick fühlte sich so geborgen in diesem Boot. Solange sein Vater hier war, konnte ihm nichts und niemand etwas anhaben und heute hatte er seinen Vater für sich allein.

Sein Vater warf eine Angel in den Teich, die mit einem leisen Schmatzen im See versank. Patrick lehnte sich aus dem Boot und berührte mit seiner Hand die Wasseroberfläche. So weich war das Wasser. Er setzte sich wieder auf und atmete die kühle Waldluft ein. Dies hier musste wirklich eine andere Welt sein, fernab vom Stress des Alltags, als würde die Zeit stillstehen. Plötzlich zerrte etwas an der Angel und sein Vater hielt sie mit ganzer Kraft fest. Nach und nach zog er die Schnur weiter ein und ein riesiger Fisch tauchte aus dem scheinbar unendlichen Tief des Sees auf. Er guckte ganz überrascht, als hätte er nicht damit gerechnet, jemals auch nur eine Menschenseele auf diesem See anzutreffen. Er zappelte an der Schnur und Patricks Vater nahm ihn mit einem Kescher aus dem Wasser. „Na, was habe ich dir gesagt. Ganz schön groß, was?“, sagte er und Patrick kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Noch niemals hatte er einen so großen Fisch gesehen. Dann nahm sein Vater die Schnur aus dem Mund des Fisches und warf ihn zurück ins Wasser. „Nehmen wir den nicht mit nach Hause?“, fragte Patrick. „Nein, der muss zurück in seinen See, nur da fühlt er sich wohl!“, erklärte sein Vater. Kurz konnte Patrick noch die Konturen des schuppigen Seebewohners erkennen, dann war er wieder in seinem Reich verschwunden als wäre er niemals hier oben gewesen.

Ein plötzliches Bremsen des Busses riss Patrick an diesem Morgen aus seiner heilen Erinnerungswelt. So musste es auch dem Fisch am Wochenende ergangen sein, nur dass niemand Patrick zurückwarf. Er hörte wieder seine Mitschüler und spürte wie wenig Lust er auf diesen Tag hatte. Die Fensterscheibe war beschlagen, Wassertropfen liefen außen herunter. Er wischte ein Stück frei und konnte dennoch nur wenig sehen von der tristen Welt. Aber was war das? Lief da nicht ein Mann mit einem Fisch unter dem Arm durch den Regen? Schon war der Bus abgebogen und Patrick hatte den Mann aus den Augen verloren. Nein, eigentlich war es nicht möglich, dass hier jemand mit einem solchen Fisch durch die Stadt ging, er musste es sich eingebildet haben, weil er gerade noch an dieses Erlebnis dachte. Aber die Erinnerung an diese schönen Stunden gab ihm Mut. Auch wenn sein Vater nicht immer da war, er dachte bestimmt gerade an ihn. Sicher würden sie am nächsten Wochenende wieder etwas so Tolles unternehmen. Bis dahin würde er die paar Tage Schule doch locker hinter sich kriegen. Und seine Mitschüler? Die konnten ihm nichts anhaben, die hatten ja keine Ahnung, was ein Abenteuer war. Selbstbewusst stieg Patrick aus dem Bus.
 



 
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