Ein Gespräch im Park

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norawind

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Ein Gespräch im Park​
von Nora Wind

Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin, liebe ich die Stadt, und paradoxerweise vor allem wegen den Stadtparks. In jeder Stadt suche ich immer zuerst die Parks und dann die anderen Sehenswürdigkeiten auf. Im Park fühle ich mich ein bisschen wie im Urlaub. So wie eine große Hotelanlage, bieten die Parks nicht nur Ruhe und Entspannung an, sondern auch Unterhaltung, wenn man sich für eine Weile auf eine Parkbank setzt und sich kleine Spielplatzanimateure oder heranwachsende Fußballchampions anschaut. Nur die Jogger mag ich nicht, weil sie mich an den Straßenverkehr erinnern, vor dem man hier gerade Schutz sucht.
[ 4]Es war Ende April. Überall in der Stadt und besonders in den Parks blühte, duftete, zwitscherte und flatterte es. In der Nähe von meinem Haus gibt es drei wunderschöne große Parkanlagen. Wenn ich in den Park gehe, nehme ich immer ein Buch mit, doch oft komme ich gar nicht zum Lesen, so wie auch an diesem Tag. Nachdem ich eine Weile gelaufen war, setzte ich mich, um zu lesen, auf eine der Bänke, die um einen großen Teich in der Mitte des Parks standen. Die Enten waren bei ihren Balzspielen und machten richtig Krach. Die Kirchen absolvierten nach und nach ihr Sonntagsgeläut, was man an immer langsameren Glockenschlägen hören konnte. Im Park gab es auch eine kleine Kirche. Vor dem winzigen Eingang sah ich einen alten Mann stehen, der enttäuscht umherschaute - die Kirche war zu. Dann lief der Mann langsam zu meiner Bank und setzte sich. Ich merkte, dass ihn etwas beschäftigte und er nach einer Unterhaltung suchte. Ich sprach ihn an:
[ 4]„Komisch, dass die Kirche am Sonntag zu ist.“
[ 4]„Ich gehe sonst immer in die große Kirche am Friedensplatz hin“, sagte er, „dort beginnt der Gottesdienst aber schon um neun. Hab’ nicht geschafft heute, bin hierher gelaufen und, wie man’s sieht, umsonst. Na ja, dann gibt’s heute statt Kirchenbank ’ne Parkbank“, scherzte er, um sich zu trösten.
[ 4]„Kennen sie diesen Park schon lange?“ fragte er mich.
[ 4]„Nein“, sagte ich, “ich bin in diesem Bezirk gerade eingezogen.“
[ 4]„Ich wurde hier geboren und kenne diesen Park schon seit meiner Kindheit,“ erzählte er. „Früher war hier eine große Blumenwiese mit wunderschönen Rosensträuchern rund herum. Im Krieg schlug hier die Bombe ein, und später legte man an dieser Stelle den Teich an.“
[ 4]Er hielt inne und sah etwas abwesend vor sich hin, als wäre er in Gedanken wieder in seiner Kindheit. Dann erzählte er mir plötzlich, dass er Ende des Krieges als ein Siebzehnjähriger einberufen wurde und kurz danach verwundet in ein sowjetisches Krankenhaus kam.
[ 4]„Das verstehe ich bis heute nicht“, sagte er, „ warum alle dort so nett zu mir waren. Nachdem wir ihnen so viel Übel angetan hatten, müssten sie doch wütend und rachesüchtig gewesen sein, aber sie waren nett und behandelten mich wie einen normalen Patienten.“
[ 4]In dem Moment wurde mir klar, dass es die Frage war, auf die der Mann die Antwort in der Kirche suchte. Aus den Erzählungen meiner Mutter, die den Krieg als kleines Mädchen erlebt, ihren Lieblingsbruder durch den Krieg verloren hatte und beinahe verhungert wäre, wusste ich, welches Übel der Mann gemeint hatte. Aber das wollte ich einem unbekannten und schon genug mit dem Thema beschäftigten Menschen nicht erzählen.
[ 4]„Wahrscheinlich hatten am Ende des Krieges alle genug davon und wollten keine Feinde mehr sein, sondern einfach ganz normale Menschen“, sagte ich nur.
 

norawind

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Ein Gespräch im Park​
von Nora Wind

Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin, liebe ich die Stadt, und paradoxerweise vor allem wegen den Stadtparks. In jeder Stadt suche ich immer zuerst die Parks und dann die anderen Sehenswürdigkeiten auf. Im Park fühle ich mich ein bisschen wie im Urlaub. So wie eine große Hotelanlage, bieten die Parks nicht nur Ruhe und Entspannung an, sondern auch Unterhaltung, wenn man sich für eine Weile auf eine Parkbank setzt und sich kleine Spielplatzanimateure oder heranwachsende Fußballchampions anschaut. Nur die Jogger mag ich nicht, weil sie mich an den Straßenverkehr erinnern, vor dem man hier gerade Schutz sucht.
[ 4]Es war Ende April. Überall in der Stadt und besonders in den Parks blühte, duftete, zwitscherte und flatterte es. In der Nähe von meinem Haus gibt es drei wunderschöne große Parkanlagen. Wenn ich in den Park gehe, nehme ich immer ein Buch mit, doch oft komme ich gar nicht zum Lesen, so wie auch an diesem Tag. Nachdem ich eine Weile gelaufen war, setzte ich mich, um zu lesen, auf eine der Bänke, die um einen großen Teich in der Mitte des Parks standen. Die Enten waren bei ihren Balzspielen und machten richtig Krach. Die Kirchen absolvierten nach und nach ihr Sonntagsgeläut, was man an immer langsameren Glockenschlägen hören konnte. Im Park gab es auch eine kleine Kirche. Vor dem winzigen Eingang sah ich einen alten Mann stehen, der enttäuscht umherschaute - die Kirche war zu. Dann lief der Mann langsam zu meiner Bank und setzte sich. Ich merkte, dass ihn etwas beschäftigte und er nach einer Unterhaltung suchte. Ich sprach ihn an:
[ 4]„Komisch, dass die Kirche am Sonntag zu ist.“
[ 4]„Ich gehe sonst immer in die große Kirche am Friedensplatz hin“, sagte er, „dort beginnt der Gottesdienst aber schon um neun. Hab’ nicht geschafft heute, bin hierher gelaufen und, wie man’s sieht, umsonst. Na ja, dann gibt’s heute statt Kirchenbank ’ne Parkbank“, scherzte er, um sich zu trösten.
[ 4]„Kennen sie diesen Park schon lange?“ fragte er mich.
[ 4]„Nein“, sagte ich, “ich bin in diesem Bezirk gerade eingezogen.“
[ 4]„Ich wurde hier geboren und kenne diesen Park schon seit meiner Kindheit,“ erzählte er. „Früher war hier eine große Blumenwiese mit wunderschönen Rosensträuchern rund herum. Im Krieg schlug hier die Bombe ein, und später legte man an dieser Stelle den Teich an.“
[ 4]Er hielt inne und sah etwas abwesend vor sich hin, als wäre er in Gedanken wieder in seiner Kindheit. Dann erzählte er mir plötzlich, dass er Ende des Krieges als ein Siebzehnjähriger einberufen wurde und kurz danach verwundet in ein sowjetisches Krankenhaus kam.
[ 4]„Das verstehe ich bis heute nicht“, sagte er, „ warum alle dort so nett zu mir waren. Nachdem wir ihnen so viel Übel angetan hatten, müssten sie doch wütend und rachesüchtig gewesen sein, aber sie waren nett und behandelten mich wie einen normalen Patienten.“
[ 4]In dem Moment wurde mir klar, dass das die Frage war, auf die der Mann die Antwort in der Kirche suchte. Aus den Erzählungen meiner Mutter, die den Krieg als kleines Mädchen erlebt, ihren Lieblingsbruder durch den Krieg verloren hatte und beinahe verhungert wäre, wusste ich, welches Übel der Mann gemeint hatte. Aber das wollte ich einem unbekannten und schon genug mit dem Thema beschäftigten Menschen nicht erzählen.
[ 4]„Wahrscheinlich hatten am Ende des Krieges alle genug davon und wollten keine Feinde mehr sein, sondern einfach ganz normale Menschen“, sagte ich nur.
 

norawind

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Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin, liebe ich die Stadt, und paradoxerweise vor allem wegen den Stadtparks. In jeder Stadt suche ich immer zuerst die Parks und dann die anderen Sehenswürdigkeiten auf. Im Park fühle ich mich ein bisschen wie im Urlaub. So wie eine große Hotelanlage, bieten die Parks nicht nur Ruhe und Entspannung an, sondern auch Unterhaltung, wenn man sich für eine Weile auf eine Parkbank setzt und sich kleine Spielplatzanimateure oder heranwachsende Fußballchampions anschaut. Nur die Jogger mag ich nicht, weil sie mich an den Straßenverkehr erinnern, vor dem man hier gerade Schutz sucht.
[ 4]Es war Ende April. Überall in der Stadt und besonders in den Parks blühte, duftete, zwitscherte und flatterte es. In der Nähe von meinem Haus gibt es drei wunderschöne große Parkanlagen. Wenn ich in den Park gehe, nehme ich immer ein Buch mit, doch oft komme ich gar nicht zum Lesen, so wie auch an diesem Tag. Nachdem ich eine Weile gelaufen war, setzte ich mich, um zu lesen, auf eine der Bänke, die um einen großen Teich in der Mitte des Parks standen. Die Enten waren bei ihren Balzspielen und machten richtig Krach. Die Kirchen absolvierten nach und nach ihr Sonntagsgeläut, was man an immer langsameren Glockenschlägen hören konnte. Im Park gab es auch eine kleine Kirche. Vor dem winzigen Eingang sah ich einen alten Mann stehen, der enttäuscht umherschaute - die Kirche war zu. Dann lief der Mann langsam zu meiner Bank und setzte sich. Ich merkte, dass ihn etwas beschäftigte und er nach einer Unterhaltung suchte. Ich sprach ihn an:
[ 4]„Komisch, dass die Kirche am Sonntag zu ist.“
[ 4]„Ich gehe sonst immer in die große Kirche am Friedensplatz hin“, sagte er, „dort beginnt der Gottesdienst aber schon um neun. Hab’ heut' nicht geschafft, bin hierher gelaufen und, wie man’s sieht, umsonst. Na ja, dann gibt’s heute statt Kirchenbank ’ne Parkbank“, scherzte er, um sich zu trösten.
[ 4]„Kennen sie diesen Park schon lange?“ fragte er mich.
[ 4]„Nein“, sagte ich, “ich bin in diesem Bezirk gerade eingezogen.“
[ 4]„Ich wurde hier geboren und kenne diesen Park schon seit meiner Kindheit,“ erzählte er. „Früher war hier eine große Blumenwiese mit wunderschönen Rosensträuchern rund herum. Im Krieg schlug hier die Bombe ein, und später legte man an dieser Stelle den Teich an.“
[ 4]Er hielt inne und sah etwas abwesend vor sich hin, als wäre er in Gedanken wieder in seiner Kindheit. Dann erzählte er mir plötzlich, dass er Ende des Krieges als ein Siebzehnjähriger einberufen wurde und kurz danach verwundet in ein sowjetisches Krankenhaus kam.
[ 4]„Das verstehe ich bis heute nicht“, sagte er, „ warum alle dort so nett zu mir waren. Nachdem wir ihnen so viel Übel angetan hatten, müssten sie doch wütend und rachesüchtig gewesen sein, aber sie waren nett und behandelten mich wie einen normalen Patienten.“
[ 4]In dem Moment wurde mir klar, dass das die Frage war, auf die der Mann die Antwort in der Kirche suchte. Aus den Erzählungen meiner Mutter, die den Krieg als kleines Mädchen erlebt, ihren Lieblingsbruder durch den Krieg verloren hatte und beinahe verhungert wäre, wusste ich, welches Übel der Mann gemeint hatte. Aber das wollte ich einem unbekannten und schon genug mit dem Thema beschäftigten Menschen nicht erzählen.
[ 4]„Wahrscheinlich hatten am Ende des Krieges alle genug davon und wollten keine Feinde mehr sein, sondern einfach ganz normale Menschen“, sagte ich nur.
 



 
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