Ein Herbsttag

PaulIrini

Mitglied
Als ich heute morgen aus dem Fenster schaute, sah ich, dass die Welt schlecht war, verdammt schlecht, wie ich fand, denn nicht einmal das Laub an den Bäumen konnte sich halten, sondern wurde durch die erdrückenden Melancholie von den Ästen geholt, um nun, in einigen Monaten, von einer Schneedecke begraben zu werden. Wie lange noch soll das nur so weiter gehen? Am Horizont sehe ich die Ruinen der Stadt, von der gleichen Stadt, in der die Menschen jeden Tag auf und ab gehen, ohne Sinn und Zweck, ein unpersönliches Leben führen, nur an einer Sandburg arbeiten, die am Ende doch von einer Flut überspült werden wird.
Mein Augen entfernten sich des Horizontes, und ruhten nun auf dem Park, der von meinem Fenster aus zu sehen ist, und wo sich ein Bettler niedergelassen hatte. Er lag dort auf einer Bank, eingewickelt in irgendetwas, um der furchtbaren Herbstkälte zu entfliehen. Ich hatte gerade Tee gemacht, doch gefesselt von dem Anblick des Obdachlosen überhörte ich das Pfeifen des Wasserkessels. Erst als ich mich des Anblickes entziehen konnte, hörte ich auf den Kocher. Eilend erreichte ich die Küche, um ihn von der Gasflamme des Herdes zu entfernen. Vorsichtig füllte ich den Tee in eine Thermoskanne, ein praktisches Utensil, welches mir gestattet, in jedem beliebigen Zimmer meines Hauses Tee trinken zu können.
Was der Bettler wohl für den Tee geben würde?
Ich ging zurück in das Zimmer, welches ich zum Beobachten des Parkes verwendet hatte. Ich setzte mich an meine Arbeit, ich arbeitete gerne in diesem Zimmer. Seitdem ich allein lebe, seitdem ich Witwer bin, überhäufe ich mich mit Arbeit. Ich bin in einem Alter, in dem jeder vernünftige Mensch seine Rente genießen würde, ich arbeite zehn Stunden am Tag, mindestens. Aus Menschen mache ich mir nicht mehr viel.
Was der Bettler sich wohl aus Menschen macht?
In diesem Moment läutete es an der Tür. Ich wunderte mich, wer mich wohl zu dieser Zeit stören würde. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, war der Postbote, vielleicht gab es ein Packet für mich. In der Tat hatte ich mir Schlaftabletten kaufen müssen. Ich hatte nie in meinem Leben Schlaftabletten gebraucht, doch manchmal muss ich mich zum Schlafen zwingen.
Wie gut der Bettler wohl nachts schlafen kann - allein auf der Parkbank?
Doch ich täuschte mich, es war lediglich mein Nachbar, er schaute des Öfteren bei mir vorbei. Er war schwer übergewichtig, eine Tatsache, die ihn mir höchst unsympathisch machte. Er begrüßte mich fröhlich, und fragte mich, ob ich wohl Lust hätte, einen Kuchen mit ihm zu essen. Und in diesem Moment wurde mir plötzlich alles klar. Mein Nachbar konnte in diesem Moment nichts dafür, und doch musste es so sein. Wie hatte er nur die Verwegenheit, überhaupt zu fragen, wo er doch bereits einige Kuchen gegessen hatte?
Ich verneinte also, wartete bis er gegangen war, zog mir dann meinen Mantel an.
Es musste so sein!
Die Thermoskanne in der einen Hand ging ich in nach draußen. Die Sonne war hervorgekommen, es schien, als würde der Tag schön werden. Die Vögel zwitscherten. Es war angenehm kühl, nicht zu kalt.

Ich setzte mich zu dem Bettler. Dass ich den Geruch von Alkohol ertragen musste, war egal: Ich konnte etwas tun.
Denn in diesem Moment spürte ich zum ersten Mal Menschlichkeit, richtige Menschlichkeit.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo PaulIrini, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Dein Text ist wie ein kleiner Lichtstrahl an einem sehr trüben Herbsttag, auch wenn sich noch ein paar Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen haben, die den Glanz ein wenig trüben. Sonst hast Du das Thema "Einfach Menschsein" gut verpackt. -

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von DocSchneider

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