Ein Indianer

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Hundert Soldaten erschossen in Oklahoma einundzwanzig Indianer. Dachten die Generäle, doch es waren nur zwanzig an der Zahl, denn einer von ihnen kam mit seinem Leben davon, blieb aber dort sitzen, weil er ein bisschen Angst hatte, alleine nicht zurechtzukommen. Er hielt seinen Kopf auf die Hände gestützt, die Augen zu Schlitzen gekniffen. Mit großem Interesse betrachtete er seine Kameraden. Wie sanft ihre Gesichtszüge auf einmal waren, als wären sie tief in ihrem Innern für immer zufrieden. Wohl stoben sie als Geisterreiter unsichtbar durch die Lüfte, auf dem letzten Ritt in die Jagdgründe des Manitu. Er blieb alleine zurück. Verlassen und ganz ohne Mut. Wie einsam die Prärie nun war. Im Gedanken fühlte er sich von den Soldaten hintergangen – um den eigenen Tod betrogen.
Obwohl der Kummer sich um sein Herzen wand, ihn zur Eile vorantreiben wollte, blieb er bei seinen Brüdern, bis sie in der Hitze stanken.
Die Sonne klatschte im Westen auf die Erde herab, auf der Suche nach dem Mond heulte ein Kojote in die Welt. Der Indianer winkte seinen Freunden noch ein letztes Mal zu, warf sich auf sein Pferd, trat ihm in die Seiten und galoppierte an die Küste im Osten.
Vor dem Weißen Haus brach sein Pferd tot zusammen. Ein schwarzer Bengel sprang aus dem Schatten und hielt dem Gaul ein Büschel Gras ans Maul, gab sein Bemühen aber bald wieder auf. Der Indianer klopfte dem Jungen auf die Schulter, wobei er sagte: "Das Leben ist gemein, führe mich zum Präsidenten."
"Zum Präsidenten?", der Knirps kratze sich am Lockenkopf. "Hm, gut, ohnehin hat er nichts zu tun, er freut sich bestimmt."
In schwarzem Rock, mit polierten Stiefeln und blitzenden Sporen, stand der Präsident in seinem Arbeitszimmer. Die Schnauzenden spitz zu den Ohren gedreht, den Säbel kampfesbereit umgeschnallt und etwas zum Rauchen im Mund. Die Rothaut war beeindruckt - was für ein stattlicher Mann.
"Ein Indianer in meinem Haus? Ich bin überrascht. Was kann ich für dich tun?"
Beinahe unterwürfig trat der Indianer ein paar Schritte vor. Der schwarze Bengel wich nicht von seiner Seite, als wollte er nun alles, was der Indianer zu sagen hatte, mit seinem Beistand unterstreichen.
"Deine Soldaten haben meinen Stamm erschossen und mich dabei übersehen."
Der Präsident musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er schnalzte mit seinen Fingern und bellte: "Ich gratuliere."
"Alle sind sie tot. Was ist schon ein einzelner Indianer wert? Ich bitte um den Gnadenschuss."
"Das ist nicht möglich, roter Freund. Wir haben seit ein paar Tagen Frieden. Meinen Soldaten ist es in Friedenszeiten untersagt, einen Indianer zu erschießen. Es wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, als auf den nächsten Krieg zu warten. Aber ich mache mir Notizen und verspreche dir, du wirst einer der Ersten sein, der dann erschossen wird. Mein Ehrenwort. Und nun gehe, ich habe gleich Zimmerstunde bei meiner französischen Hure, du verstehst schon, ich bin ein vielbeschäftigter Mann, also verschwinde."
Traurig sah der Indianer den Präsidenten an.
Der Bengel gab ein leises Pfeifen von sich. "Du bist ein schlechter Präsident." Zweimal spuckte er aus, schämte sich fremd und zog die Rothaut am Ärmel aus dem Weißen Haus.
Draußen setzte sich der Indianer in den Sand. Sein kleiner Freund verschwand im Schuppen gegenüber. Nach einem Weilchen kam er auf einem prächtigen Schimmel angeritten, ein Gewehr in der zügellosen Hand. Aufmunternd war sein Lächeln. Der Indianer schien zu verstehen, er schwang sich hinter dem Jungen auf das Tier.
Die beiden ritten ein paar Tage und Nächte. Auf dem Schlachtfeld angekommen, ließ sich der Indianer zwischen seinen toten Kameraden nieder.
Der Knirps lud das Gewehr. Er war den Tränen nahe. Und hoch über ihnen, da kreiste schon ein Geier.
 



 
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