Ein Lächeln

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Soulstorm

Mitglied
Ich atmete auf, als der Bus endlich um die Straßenecke bog. Es begann leicht zu nieseln. Als die Türen aufklappten, blickte ich den Busfahrer überrascht an und erkannte in ihm einen alten Bekannten, der schon seit Längerem nicht mehr auf dem Fahrersitz gesessen hatte.
„Mensch Peter, das ist ja schön dich zu sehen. Seit wann fährst du denn wieder?“
„Heute ist mein erster Tag. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie froh ich bin wieder hinter dem Steuer zu sitzen, sonst würde ich wahrscheinlich zu Hause sitzen und zu viel nachdenken.“
„Und wie geht’s dir?“
„Muss ja. Wie heißt es so schön? Das Leben geht weiter. Aber lassen wir das.“ Peter winkte ab. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ich betrachtete ihn einen kurzen Augenblick. Acht Wochen waren vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Mir fiel auf, dass er dünner geworden war, doch seine braunen Augen strahlten dieselbe innere Zufriedenheit aus, wie sie es immer taten. Ich wusste was geschehen war. Ein anderer Busfahrer, hatte mich eingeweiht und erzählt, dass Peters Bruder verstorben war.
Dieses Thema verkniff ich mir jedoch. Für so etwas würde es nie die richtigen Worte geben und er erweckte ohnehin den Eindruck keinen gesteigerten Wert auf Trost spendende Floskeln zu legen.
Auf gewisse Weise war seine Art mit Schicksalsschlägen umzugehen beneidenswert. Selbst an diesem einen Freitag vor acht Wochen wirkte er so fröhlich wie immer, obwohl er gewusst hatte, wie schlecht es um seinen Bruder stand.
„Wo soll es denn hingehen? Willst du etwa verreisen?“ unterbrach Peter meine Gedankengänge und deutete auf meinen Koffer.
„Nein, ich mache einen Wochenendbesuch bei meinem Bruder in Hamm.“
„So so. Zum Bahnhof also?“ Ich nickte. Peter begann einige Knöpfe zu drücken und reichte mir schließlich die Fahrkarte.
Wie üblich nahm ich vorne Platz, darauf bedacht Abstand zu meinen Mitmenschen zu halten. Ihre mitleidigen oder gar angeekelten Blicke waren nicht zu ertragen. Nicht selten fragten die Leute sogar, was denn passiert sei und das war mir meist noch unangenehmer als angestarrt zu werden. Peter war da ganz anders. In seiner Nähe fühlte ich mich wohl. Denn er sah mich nicht an als sei ich ein selten gewordenes Tier und hatte so viel Anstand mich nicht so auszufragen, wie es ein Polizeibeamter bei einem Verhör zu tun pflegte.
Der Bus bog auf die Mastholter Straße ab. Mein Blick fiel auf die bunte Blätterpracht der Bäume, die allmählich den Gehweg bedeckte. Ich mochte den Herbst und vor allem den Winter, denn in dieser Zeit war es für mich leichter das Haus zu verlassen. Der Grund dafür bestand darin, dass ich mich gut einpacken konnte, mit einer Mütze auf dem Kopf und einem Schal der wenigstens die untere Hälfte meines Gesichtes verdeckte. Als größere Qual stellte sich hingegen der Sommer dar. T- Shirts, Röcke oder kurze Hosen zu tragen, daran war gar nicht zu denken, denn dies hätte mehr Aufmerksamkeit erregt als es jemanden wie mir lieb sein konnte.
Mittlerweile wurde der Regen stärker. Er fiel nun in langen Bindfäden vom Himmel. Ich beobachtete die Tropfen, die an den Fensterscheiben hinab liefen.
Als Kind glaubte ich immer, dass der Regen die Welt von dem hartnäckigen Schmutz rein wusch, der sich angesammelt hatte und manchmal wünschte ich mir diese Vorstellung bewahrt zu haben. Aber heute erinnerte mich das kühle Nass nur noch an den Tag im Oktober vor zwei Jahren. Der Tag an dem sich dieser schreckliche Arbeitsunfall ereignet hatte.
Ich spürte wie meine Augen feucht wurden. „Nein, nein, du darfst jetzt nicht weinen, “ sagte meine innere Stimme, „nicht hier, nicht jetzt.“
Schnell wandte ich den Blick wieder nach vorn.
„Und was machst du am Wochenende?“
Peter warf mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu.
„Ich denke ich werde mit meiner Frau schick essen gehen.“
„Das ist eine schöne Idee.“
„Und was unternimmst du mit deinem Bruder?“
„Oh, wir werden es uns wohl bei ihm gemütlich machen, mit DVDs und Knabberkram.“
„Als ich in deinem Alter war, da bin ich noch in Diskotheken herumgehüpft. Ist wohl nicht so dein Ding, was?“
„Das war es mal.“ antwortete ich.
„Warum kann es denn nicht wieder so sein?
Ich finde wirklich, dass du dir mehr zutrauen solltest. Es wird mit Sicherheit jemanden geben der dich mögen wird, auch wenn du nicht dem Ideal entsprichst. Ich mein, ich tue es doch auch.“
„Du, ja super.“
„Also was soll das denn heißen?“ fragte Peter mit einem gespielt entrüsteten Unterton. „Ich bin zwar alt, aber Geschmack habe ich trotzdem und meine Augen funktionieren auch noch ganz gut.“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Peter blickte durch den großen Rückspiegel.
„Siehst du, das meine ich. Dieses Lächeln wirft doch jeden Mann vom Hocker.“ Ich lachte laut auf.
„Weißt du, wenn jeder Mann eine Frau nur nach dem Äußeren beurteilen würde, dann wäre die Menschheit echt arm dran.
Meine Frau ist klein und rund, aber sie ist das liebenswürdigste Geschöpf, das mir je begegnet ist. Und ich bin mir ganz sicher, dass dir jemand begegnen wird, der dich so sehen wird, wie ich meine Frau sehe.“
„Wenn du meinst.“ murmelte ich.
„Ja, ich meine. Meine Güte, du bist ja ein ganz schön harter Brocken.“
Ich sah von der Seite Peters verschmitztes Grinsen.
Das stimmte. Meine Unnachgiebigkeit, hatte schon viele in den Wahnsinn getrieben. Doch genau diese Eigenschaft hatte mir bei dem Kampf zurück ins Leben geholfen und nicht die ganzen Medikamente oder Behandlungen. Das war es, was Peter und mich verband, der Gedanke nicht aufzugeben. Egal wie sehr ich auch mit meinem Schicksal haderte, das Leben stellte für mich ein wertvolles Geschenk dar.
„Nächster Halt, Robert- Koch- Straße.“ sagte die monotone Computerstimme.
Als der Bus hielt, drehte ich meinen Kopf zur Fensterscheibe. Zwei ältere Damen stiegen ein und setzten sich in den Vierer hinter mir.
Mit gesenkter Stimme redeten sie miteinander. Es war nicht meine Art Gespräche anderer zu belauschen, aber das was ich hörte ließ mich aufhorchen.
„Hast du eigentlich schon gehört was dem Wolfgang neulich im Zug passiert ist?“
„Wolfgang Schmidt? Der im Rollstuhl sitzt?“
„Ja genau der. Also: Der ganze Zug war voll, bis auf den letzten Platz. Es stieg ein junger Mann hinzu und der sagte doch tatsächlich, halt dich fest Marlies, „was für ein tolles Leben, der kriegt überall einen Sitzplatz.“
„Das ist ja eine Frechheit. Und wie ging es Wolfgang danach?“
„Ach du kennst ihn doch. Davon hat der sich gar nicht aus der Ruhe bringen lassen. Aber so etwas Unverschämtes.“
Ich schüttelte den Kopf. Sprüche von dieser Art waren mir nicht unbekannt. Doch im Gegensatz zu Wolfgang Schmidt warfen sie mich jedes Mal wieder aus der Bahn. „Hässliche Bratze“, „Kratergesicht“ und „Hackfresse“ waren die Top drei der Beleidigungen, die ich zu hören bekam. Wenn Mutter davon erfuhr, wurde sie jedes Mal aufs Neue ungehalten.
„Wie einfältig können Menschen sein? Denen sollte das auch mal passieren, damit sie begreifen was es heißt anders zu sein.“ pflegte sie zu sagen. Ich konnte ihre Wut verstehen, mir ging es nicht besser. Aber den Menschen die mich beleidigten, etwas Schlechtes an den Hals zu wünschen, ging mir entschieden zu weit. Das hatte niemand verdient. Dennoch war es mir um einiges lieber, wenn die Leute einen großen Bogen um mich machten, anstatt mein Äußeres zu kommentieren. Viele meiner ehemaligen Freunde hielten es so und sie dafür zu verurteilen wäre ungerecht gewesen, denn ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht.
„Wie läuft es mit dem Gesang?“ erkundigte sich Peter auf einmal.
Diese Ablenkung kam mir wie gerufen.
„Oh, ganz gut. Ich habe das Gefühl, dass ich von Tag zu Tag besser werde.“
„Großartig, dann wirst du wohl in ein paar Jahren auf einer Bühne stehen?“
„Nein, ganz sicher nicht.“ antwortete ich.
„Schade eigentlich, dass du dein Talent vergeudest.“
„Sieh mich doch an, hast du schon einmal jemanden wie mich auf einer Bühne gesehen?“
„Wäre mal was Anderes, als diese unnatürlichen Barbiepüppchen mit Zahnpastalächeln.“
„Die Leute wollen heutzutage nun mal jemanden fürs Auge.“
„Ach was. Sieh dir die ganzen alten Stars an. Zum Beispiel Rod Stewart, der ist heute so faltig wie ein zerknittertes Blatt Papier. Und früher, da war der auch nie eine Schönheit, aber Stimme, die hatte der schon immer.“
„Ich werd drüber nachdenken. Na ja, es gibt da einen Chor, der mich interessiert, aber ich bin noch nicht zu den Proben gefahren.“
„Dann wird es langsam Zeit.“
Mittlerweile hatte der Bus sich gut gefüllt. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass nur noch wenige Plätze frei waren.
„Nächster Halt Stadttheater.“
An der Haltestelle wartete ein junger Mann. Hastig begann ich in meiner Handtasche zu wühlen, die bis dahin auf dem Koffer vor mir gestanden hatte.
Noch ein paar Meter. Endlich! In der Hand hielt ich ein Taschenbuch und schlug es auf.
Der Bus hielt.
„Ist hier noch frei?“ fragte der Mann, nachdem er eingestiegen war.
Ich wagte es nicht mich ihm zuzuwenden und nickte stattdessen nur. Seufzend setzte er sich neben mich. Sein Bein berührte meines und der Duft eines guten Parfums stieg mir in die Nase. Das erste Mal seit langem war es mir nicht unangenehm jemanden so nah an mich heran zu lassen. Es war ein Hochgefühl, was in mir die Hoffnung weckte eines Tages wieder ein ganz normales Leben führen zu können.
„Entschuldigen Sie, aber lesen Sie ihre Bücher immer auf den Kopf gedreht?“ Es war eine sehr sanfte, tiefe Stimme, eine die sich in meinem Gedächtnis einbrennen würde. Ich spürte wie mein Gesicht warm wurde. „Sag schon was, irgendetwas na los, das ist eine gute Gelegenheit.“ hallte die innere Stimme in meinem Kopf wider.
„Ist mir gar nicht aufgefallen. Danke.“ murmelte ich. Das war wirklich das Blödeste was mir einfallen konnte.
„Keine Ursache.“
Vier Haltestellen fuhr er mit und als er ausgestiegen war, blickte ich verstohlen nach draußen um ihn wenigstens für einen Moment ansehen zu können. Er gefiel mir recht gut mit seinen kurzen, braunen Haaren, dem markanten Gesicht und der schlanken Figur. Mehr Zeit blieb mir nicht, denn schon rauschte der Bus an ihm vorbei.
Zehn Minuten später hielt Peter in der Haltebucht des Busbahnhofs.
Geduldig wartete ich, bis alle Fahrgäste ausgestiegen waren.
„Jetzt hättest du dich nur noch zu ihm drehen brauchen. Dieser Mann hat wirklich einen netten Eindruck gemacht.“ sagte Peter, als niemand mehr im Bus war. Er nahm seine blaue Mütze vom Kopf. Schwarze Haare durchzogen mit breiten, grauen Strähnen kamen darunter zum Vorschein.
Ich erhob mich von meinem Platz.
„Ach Peter, du weißt doch.“
„Ich weiß.“
Peter stand auf und streckte sich. Er war einen Kopf kleiner als ich mit meinen 1,75 m.
„Vielleicht schaffst du es irgendwann.“
„Ja, vielleicht.“
Wir sahen uns eine Weile schweigend an und es war mir so Tränen in Peters Augen glitzern zu sehen.
„Ich wünsche mir wirklich, dass du es schaffst. Mein Bruder, Markus, hat es nicht geschafft. Er hat einfach aufgegeben. Das ist nicht richtig. Absolut nicht.“ Peter schüttelte den Kopf. Unbeholfen tätschelte ich seine Schulter. In diesem Augenblick zeichneten sich auf seinem Gesicht Angst und Sorge ab. Er schluckte, bevor er weiter sprach:
„Sei froh über die Zeit, die dir gegeben ist und grübele nicht über das nach was gewesen ist oder was sein könnte. Beherzige diesen Rat bitte. Er ist das Einzige was ich dir geben kann.“
„Ich werde daran denken, ich verspreche es dir!“ sagte ich. In mir machte sich das Gefühl breit, dass hier der echte Peter vor mir stand und nicht der, der seine Sorgen weglächelte. Vorher war ich immer der festen Überzeugung gewesen, dass alles Schlechte auf der Welt sich über mir zusammenbraute und hatte vollkommen den Blick dafür verloren, dass auch andere Menschen litten.
„Ich muss los, sonst verpasse ich den Zug. Ähm… kann ich dich mit gutem Gewissen alleine lassen?“
„Mach dir keine Gedanken, es ist alles in Ordnung. Es hat gut getan das los zu werden. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende. Bis zum nächsten Mal.“
„Bis zum nächsten Mal.“
Bevor ich aus dem Bus aussteigen konnte, rief Peter noch einmal nach mir. Ich wandte mich ihm zu.
„Vergiss nicht, immer schön lächeln, Jasmin.“
„Ich werde es versuchen.“
Auf dem Bussteig zog ich mir die Kapuze über den Kopf, weil es immer noch wie aus Eimern goss. Mein Blick wanderte hinüber zu der großen Uhr. Noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt. Die Fußgängerampel war gerade grün geworden. Mit schnellen Schritten hastete ich hinüber und suchte die Toiletten auf. Ein unangenehmer Uringeruch stieg mir dort in die Nase, doch das störte mich nicht weiter. Ich stellte mich vor den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Der Brand in der Bäckerei, in der ich arbeitete hatte seine Spuren hinterlassen. Die Narben wirkten noch immer frisch. Meine Augenbrauen waren nicht mehr vollständig, aber meine rote Lockenmähne war wieder ein gutes Stück gewachsen, auch wenn es am Anfang nicht danach ausgesehen hatte. Über meine Lippen huschte ein kleines Lächeln. Und dieses Lächeln konnte sich wirklich sehen lassen. Leise summend wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab und verließ den Toilettenraum.
 
U

USch

Gast
Hallo Soulstorm,

eine schön erzählte Geschichte.
Leider haben sich einige Kommafehler eingeschlichen, die du korrigieren solltest. Hier ein paar Beispiele:

mit einer Mütze auf dem Kopf und einem [blue]Schal, der[/blue] wenigstens die untere Hälfte meines Gesichtes verdeckte.

Das war es [blue]mal", antwortete[/blue] ich.

Es wird mit Sicherheit jemanden [blue]geben, der[/blue] dich mögen wird,

Nächster Halt, Robert- Koch- [blue]Straße", sagte[/blue] die monotone Computerstimme.

Es war nicht meine Art Gespräche anderer zu belauschen, aber das was ich [blue]hörte, ließ [/blue]mich aufhorchen.

Wie einfältig können Menschen sein? Denen sollte das auch mal passieren, damit sie [blue]begreifen, was [/blue]es heißt anders zu [blue]sein", pflegte[/blue] sie zu sagen

Schau auch den darauf folgenden Text mal durch.

Viel Spass und Erfolg in der LL!

Liebe Grüße
Uwe
 

Soulstorm

Mitglied
Ein Lächeln

Ich atmete auf, als der Bus endlich um die Straßenecke bog. Es begann leicht zu nieseln. Als die Türen aufklappten, blickte ich den Busfahrer überrascht an und erkannte in ihm einen alten Bekannten, der schon seit Längerem nicht mehr auf dem Fahrersitz gesessen hatte.
„Mensch Peter, das ist ja schön dich zu sehen. Seit wann fährst du denn wieder?“
„Heute ist mein erster Tag. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie froh ich bin wieder hinter dem Steuer zu sitzen, sonst würde ich wahrscheinlich zu Hause sitzen und zu viel nachdenken.“
„Und wie geht’s dir?“
„Muss ja. Wie heißt es so schön? Das Leben geht weiter. Aber lassen wir das.“ Peter winkte ab. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ich betrachtete ihn einen kurzen Augenblick. Acht Wochen waren vergangen seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Mir fiel auf, dass er dünner geworden war, doch seine braunen Augen strahlten dieselbe innere Zufriedenheit aus, wie sie es immer taten. Ich wusste was geschehen war. Ein anderer Busfahrer hatte mich eingeweiht und erzählt, dass Peters Bruder verstorben war.
Dieses Thema verkniff ich mir jedoch. Für so etwas würde es nie die richtigen Worte geben und er erweckte ohnehin den Eindruck keinen gesteigerten Wert auf Trost spendende Floskeln zu legen.
Auf gewisse Weise war seine Art mit Schicksalsschlägen umzugehen beneidenswert. Selbst an diesem einen Freitag vor acht Wochen wirkte er so fröhlich wie immer, obwohl er gewusst hatte, wie schlecht es um seinen Bruder stand.
„Wo soll es denn hingehen? Willst du etwa verreisen?“, unterbrach Peter meine Gedankengänge und deutete auf meinen Koffer.
„Nein, ich mache einen Wochenendbesuch bei meinem Bruder in Hamm.“
„So so. Zum Bahnhof also?“
Ich nickte. Peter begann einige Knöpfe zu drücken und reichte mir schließlich die Fahrkarte.
Wie üblich nahm ich vorne Platz, darauf bedacht Abstand zu meinen Mitmenschen zu halten. Ihre mitleidigen oder gar angeekelten Blicke waren nicht zu ertragen. Nicht selten fragten die Leute sogar was denn passiert sei und das war mir meist noch unangenehmer als angestarrt zu werden. Peter war da ganz anders. In seiner Nähe fühlte ich mich wohl. Denn er sah mich nicht an als sei ich ein selten gewordenes Tier und hatte so viel Anstand mich nicht so auszufragen, wie es ein Polizeibeamter bei einem Verhör zu tun pflegte.
Der Bus bog auf die Mastholter Straße ab. Mein Blick fiel auf die bunte Blätterpracht der Bäume, die allmählich den Gehweg bedeckte. Ich mochte den Herbst und vor allem den Winter, denn in dieser Zeit war es für mich leichter das Haus zu verlassen. Der Grund dafür bestand darin, dass ich mich gut einpacken konnte, mit einer Mütze auf dem Kopf und einem Schal, der wenigstens die untere Hälfte meines Gesichtes verdeckte. Als größere Qual stellte sich hingegen der Sommer dar. T- Shirts, Röcke oder kurze Hosen zu tragen, daran war gar nicht zu denken, denn dies hätte mehr Aufmerksamkeit erregt als es jemanden wie mir lieb sein konnte.
Mittlerweile wurde der Regen stärker. Er fiel nun in langen Bindfäden vom Himmel. Ich beobachtete die Tropfen, die an den Fensterscheiben hinab liefen.
Als Kind glaubte ich immer, dass der Regen die Welt von dem hartnäckigen Schmutz rein wusch, der sich angesammelt hatte und manchmal wünschte ich mir diese Vorstellung bewahrt zu haben. Aber heute erinnerte mich das kühle Nass nur noch an den Tag im Oktober vor zwei Jahren. Der Tag an dem sich dieser schreckliche Arbeitsunfall ereignet hatte.
Ich spürte wie meine Augen feucht wurden. „Nein, nein, du darfst jetzt nicht weinen, “ sagte meine innere Stimme, „nicht hier, nicht jetzt.“
Schnell wandte ich den Blick wieder nach vorn.
„Und was machst du am Wochenende?“
Peter warf mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu.
„Ich denke ich werde mit meiner Frau schick essen gehen.“
„Das ist eine schöne Idee.“
„Und was unternimmst du mit deinem Bruder?“
„Oh, wir werden es uns wohl bei ihm gemütlich machen, mit DVDs und Knabberkram.“
„Als ich in deinem Alter war, da bin ich noch in Diskotheken herumgehüpft. Ist wohl nicht so dein Ding, was?“
„Das war es mal“, antwortete ich.
„Warum kann es denn nicht wieder so sein?
Ich finde wirklich, dass du dir mehr zutrauen solltest. Es wird mit Sicherheit jemanden geben der dich mögen wird, auch wenn du nicht dem Ideal entsprichst. Ich mein, ich tue es doch auch.“
„Du, ja super.“
„Also was soll das denn heißen?“, fragte Peter mit einem gespielt entrüsteten Unterton, „ich bin zwar alt, aber Geschmack habe ich trotzdem und meine Augen funktionieren auch noch ganz gut.“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Peter blickte durch den großen Rückspiegel.
„Siehst du, das meine ich. Dieses Lächeln wirft doch jeden Mann vom Hocker.“
Ich lachte laut auf.
„Weißt du, wenn jeder Mann eine Frau nur nach dem Äußeren beurteilen würde, dann wäre die Menschheit echt arm dran.
Meine Frau ist klein und rund, aber sie ist das liebenswürdigste Geschöpf, das mir je begegnet ist. Und ich bin mir ganz sicher, dass dir jemand begegnen wird, der dich so sehen wird wie ich meine Frau sehe.“
„Wenn du meinst“, murmelte ich.
„Ja, ich meine. Meine Güte, du bist ja ein ganz schön harter Brocken.“
Ich sah von der Seite Peters verschmitztes Grinsen.
Das stimmte. Meine Unnachgiebigkeit hatte schon viele in den Wahnsinn getrieben. Doch genau diese Eigenschaft hatte mir bei dem Kampf zurück ins Leben geholfen und nicht die ganzen Medikamente oder Behandlungen. Das war es, was Peter und mich verband, der Gedanke nicht aufzugeben. Egal wie sehr ich auch mit meinem Schicksal haderte, das Leben stellte für mich ein wertvolles Geschenk dar.
„Nächster Halt, Robert- Koch- Straße“, sagte die monotone Computerstimme.
Als der Bus hielt, drehte ich meinen Kopf zur Fensterscheibe. Zwei ältere Damen stiegen ein und setzten sich in den Vierer hinter mir.
Mit gesenkter Stimme redeten sie miteinander. Es war nicht meine Art Gespräche anderer zu belauschen, aber das was ich hörte ließ mich aufhorchen.
„Hast du eigentlich schon gehört was dem Wolfgang neulich im Zug passiert ist?“
„Wolfgang Schmidt? Der im Rollstuhl sitzt?“
„Ja genau der. Also: Der ganze Zug war voll, bis auf den letzten Platz. Es stieg ein junger Mann hinzu und der sagte doch tatsächlich, halt dich fest Marlies, „was für ein tolles Leben, der kriegt überall einen Sitzplatz.“
„Das ist ja eine Frechheit. Und wie ging es Wolfgang danach?“
„Ach du kennst ihn doch. Davon hat der sich gar nicht aus der Ruhe bringen lassen. Aber so etwas Unverschämtes.“
Ich schüttelte den Kopf. Sprüche von dieser Art waren mir nicht unbekannt. Doch im Gegensatz zu Wolfgang Schmidt warfen sie mich jedes Mal wieder aus der Bahn. „Hässliche Bratze“, „Kratergesicht“ und „Hackfresse“ waren die Top drei der Beleidigungen, die ich zu hören bekam. Wenn Mutter davon erfuhr, wurde sie jedes Mal aufs Neue ungehalten.
„Wie einfältig können Menschen sein? Denen sollte das auch mal passieren, damit sie begreifen was es heißt anders zu sein“, pflegte sie zu sagen. Ich konnte ihre Wut verstehen, mir ging es nicht besser. Aber den Menschen, die mich beleidigten, etwas Schlechtes an den Hals zu wünschen, ging mir entschieden zu weit. Das hatte niemand verdient. Dennoch war es mir um einiges lieber, wenn die Leute einen großen Bogen um mich machten, anstatt mein Äußeres zu kommentieren. Viele meiner ehemaligen Freunde hielten es so und sie dafür zu verurteilen wäre ungerecht gewesen, denn ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht.
„Wie läuft es mit dem Gesang?“, erkundigte sich Peter auf einmal.
Diese Ablenkung kam mir wie gerufen.
„Oh, ganz gut. Ich habe das Gefühl, dass ich von Tag zu Tag besser werde.“
„Großartig, dann wirst du wohl in ein paar Jahren auf einer Bühne stehen?“
„Nein, ganz sicher nicht“, antwortete ich.
„Schade eigentlich, dass du dein Talent vergeudest.“
„Sieh mich doch an! Hast du schon einmal jemanden wie mich auf einer Bühne gesehen?“
„Wäre mal was Anderes, als diese unnatürlichen Barbiepüppchen mit Zahnpastalächeln.“
„Die Leute wollen heutzutage nun mal jemanden fürs Auge.“
„Ach was. Sieh dir die ganzen alten Stars an. Zum Beispiel Rod Stewart, der ist heute so faltig wie ein zerknittertes Blatt Papier. Und früher, da war der auch nie eine Schönheit, aber Stimme, die hatte der schon immer.“
„Ich werd drüber nachdenken. Na ja, es gibt da einen Chor, der mich interessiert, aber ich bin noch nicht zu den Proben gefahren.“
„Dann wird es langsam Zeit.“
Mittlerweile hatte der Bus sich gut gefüllt. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass nur noch wenige Plätze frei waren.
„Nächster Halt, Stadttheater.“
An der Haltestelle wartete ein junger Mann. Hastig begann ich in meiner Handtasche zu wühlen, die bis dahin auf dem Koffer vor mir gestanden hatte.
Noch ein paar Meter.
Endlich! In der Hand hielt ich ein Taschenbuch und schlug es auf.
Der Bus hielt.
„Ist hier noch frei?“, fragte der Mann, nachdem er eingestiegen war.
Ich wagte es nicht mich ihm zuzuwenden und nickte stattdessen nur. Seufzend setzte er sich neben mich. Sein Bein berührte meines und der Duft eines guten Parfums stieg mir in die Nase. Das erste Mal seit langem war es mir nicht unangenehm jemanden so nah an mich heran zu lassen. Es war ein Hochgefühl, was in mir die Hoffnung weckte eines Tages wieder ein ganz normales Leben führen zu können.
„Entschuldigen Sie, aber lesen Sie ihre Bücher immer auf den Kopf gedreht?“ Es war eine sehr sanfte, tiefe Stimme, eine die sich in meinem Gedächtnis einbrennen würde. Ich spürte wie mein Gesicht warm wurde. „Sag schon was! Irgendetwas, na los! Das ist eine gute Gelegenheit“, hallte die innere Stimme in meinem Kopf wider.
„Ist mir gar nicht aufgefallen. Danke“, murmelte ich. Das war wirklich das Blödeste was mir einfallen konnte.
„Keine Ursache.“
Vier Haltestellen fuhr er mit und als er ausgestiegen war, blickte ich verstohlen nach draußen um ihn wenigstens für einen Moment ansehen zu können. Er gefiel mir recht gut mit seinen kurzen, braunen Haaren, dem markanten Gesicht und der schlanken Figur. Mehr Zeit blieb mir nicht, denn schon rauschte der Bus an ihm vorbei.
Zehn Minuten später hielt Peter in der Haltebucht des Busbahnhofs.
Geduldig wartete ich, bis alle Fahrgäste ausgestiegen waren.
„Jetzt hättest du dich nur noch zu ihm drehen brauchen. Dieser Mann hat wirklich einen netten Eindruck gemacht“, sagte Peter, als niemand mehr im Bus war. Er nahm seine blaue Mütze vom Kopf. Schwarze Haare durchzogen mit breiten, grauen Strähnen kamen darunter zum Vorschein.
Ich erhob mich von meinem Platz.
„Ach Peter, du weißt doch.“
„Ich weiß.“
Peter stand auf und streckte sich. Er war einen Kopf kleiner als ich mit meinen 1,75 m.
„Vielleicht schaffst du es irgendwann.“
„Ja, vielleicht.“
Wir sahen uns eine Weile schweigend an und es war mir so Tränen in Peters Augen glitzern zu sehen.
„Ich wünsche mir wirklich, dass du es schaffst. Mein Bruder, Markus, hat es nicht geschafft. Er hat einfach aufgegeben. Das ist nicht richtig. Absolut nicht“, Peter schüttelte den Kopf. Unbeholfen tätschelte ich seine Schulter. In diesem Augenblick zeichneten sich auf seinem Gesicht Angst und Sorge ab. Er schluckte, bevor er weiter sprach:
„Sei froh über die Zeit, die dir gegeben ist und grübele nicht über das nach was gewesen ist oder was sein könnte. Beherzige diesen Rat bitte. Er ist das Einzige was ich dir geben kann.“
„Ich werde daran denken, ich verspreche es dir!“, sagte ich. In mir machte sich das Gefühl breit, dass hier der echte Peter vor mir stand und nicht der, der seine Sorgen weglächelte. Vorher war ich immer der festen Überzeugung gewesen, dass alles Schlechte auf der Welt sich über mir zusammenbraute und hatte vollkommen den Blick dafür verloren, dass auch andere Menschen litten.
„Ich muss los, sonst verpasse ich den Zug. Ähm… kann ich dich mit gutem Gewissen alleine lassen?“
„Mach dir keine Gedanken, es ist alles in Ordnung. Es hat gut getan das los zu werden. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende. Bis zum nächsten Mal.“
„Bis zum nächsten Mal.“
Bevor ich aus dem Bus aussteigen konnte, rief Peter noch einmal nach mir. Ich wandte mich ihm zu.
„Vergiss nicht, immer schön lächeln, Jasmin.“
„Ich werde es versuchen.“
Auf dem Bussteig zog ich mir die Kapuze über den Kopf, weil es immer noch wie aus Eimern goss. Mein Blick wanderte hinüber zu der großen Uhr. Noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt. Die Fußgängerampel war gerade grün geworden. Mit schnellen Schritten hastete ich hinüber und suchte die Toiletten auf. Ein unangenehmer Uringeruch stieg mir dort in die Nase, doch das störte mich nicht weiter. Ich stellte mich vor den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Der Brand in der Bäckerei, in der ich arbeitete hatte seine Spuren hinterlassen. Die Narben wirkten noch immer frisch. Meine Augenbrauen waren nicht mehr vollständig, aber meine rote Lockenmähne war wieder ein gutes Stück gewachsen, auch wenn es am Anfang nicht danach ausgesehen hatte. Über meine Lippen huschte ein kleines Lächeln. Und dieses Lächeln konnte sich wirklich sehen lassen. Leise summend wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab und verließ den Toilettenraum.
 

Soulstorm

Mitglied
Hallo Uwe!

Danke, dass du mich auf die Kommafehler aufmerksam gemacht hast. Ich hoffe ich habe jetzt alle so weit korrigiert.
Sollte dir noch ein Fehler auffallen, dann kannst du dich ja noch einmal melden.


LG,
Soulstorm
 
U

USch

Gast
Hallo Claudia,
noch ein paar Kleinigkeiten:

Schwarze [blue]Haare, durchzogen[/blue] mit breiten, grauen [blue]Strähnen, kamen[/blue] darunter zum Vorschein

[red]Wir sahen uns eine Weile schweigend an und es war mir so Tränen in Peters Augen glitzern zu sehen.[/red]
Für mich holpert der Satz etwas: vielleicht lieber so:
Wir sahen uns eine Weile schweigend an [blue]und ich hatte das Gefühl (oder den Eindruck), dass Tränen in Peters Augen glitzern.[/blue]

Das [blue]ist nicht richtig. Absolut nicht." Peter schüttelte den Kopf. [/blue]

Liebe Grüße
Uwe
 

Soulstorm

Mitglied
Ein Lächeln

Ich atmete auf, als der Bus endlich um die Straßenecke bog. Es begann leicht zu nieseln. Als die Türen aufklappten, blickte ich den Busfahrer überrascht an und erkannte in ihm einen alten Bekannten, der schon seit Längerem nicht mehr auf dem Fahrersitz gesessen hatte.
„Mensch Peter, das ist ja schön dich zu sehen. Seit wann fährst du denn wieder?“
„Heute ist mein erster Tag. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie froh ich bin wieder hinter dem Steuer zu sitzen, sonst würde ich wahrscheinlich zu Hause sitzen und zu viel nachdenken.“
„Und wie geht’s dir?“
„Muss ja. Wie heißt es so schön? Das Leben geht weiter. Aber lassen wir das.“ Peter winkte ab. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ich betrachtete ihn einen kurzen Augenblick. Acht Wochen waren vergangen seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Mir fiel auf, dass er dünner geworden war, doch seine braunen Augen strahlten dieselbe innere Zufriedenheit aus, wie sie es immer taten. Ich wusste was geschehen war. Ein anderer Busfahrer hatte mich eingeweiht und erzählt, dass Peters Bruder verstorben war.
Dieses Thema verkniff ich mir jedoch. Für so etwas würde es nie die richtigen Worte geben und er erweckte ohnehin den Eindruck keinen gesteigerten Wert auf Trost spendende Floskeln zu legen.
Auf gewisse Weise war seine Art mit Schicksalsschlägen umzugehen beneidenswert. Selbst an diesem einen Freitag vor acht Wochen wirkte er so fröhlich wie immer, obwohl er gewusst hatte, wie schlecht es um seinen Bruder stand.
„Wo soll es denn hingehen? Willst du etwa verreisen?“, unterbrach Peter meine Gedankengänge und deutete auf meinen Koffer.
„Nein, ich mache einen Wochenendbesuch bei meinem Bruder in Hamm.“
„So so. Zum Bahnhof also?“
Ich nickte. Peter begann einige Knöpfe zu drücken und reichte mir schließlich die Fahrkarte.
Wie üblich nahm ich vorne Platz, darauf bedacht Abstand zu meinen Mitmenschen zu halten. Ihre mitleidigen oder gar angeekelten Blicke waren nicht zu ertragen. Nicht selten fragten die Leute sogar was denn passiert sei und das war mir meist noch unangenehmer als angestarrt zu werden. Peter war da ganz anders. In seiner Nähe fühlte ich mich wohl. Denn er sah mich nicht an als sei ich ein selten gewordenes Tier und hatte so viel Anstand mich nicht so auszufragen, wie es ein Polizeibeamter bei einem Verhör zu tun pflegte.
Der Bus bog auf die Mastholter Straße ab. Mein Blick fiel auf die bunte Blätterpracht der Bäume, die allmählich den Gehweg bedeckte. Ich mochte den Herbst und vor allem den Winter, denn in dieser Zeit war es für mich leichter das Haus zu verlassen. Der Grund dafür bestand darin, dass ich mich gut einpacken konnte, mit einer Mütze auf dem Kopf und einem Schal, der wenigstens die untere Hälfte meines Gesichtes verdeckte. Als größere Qual stellte sich hingegen der Sommer dar. T- Shirts, Röcke oder kurze Hosen zu tragen, daran war gar nicht zu denken, denn dies hätte mehr Aufmerksamkeit erregt als es jemanden wie mir lieb sein konnte.
Mittlerweile wurde der Regen stärker. Er fiel nun in langen Bindfäden vom Himmel. Ich beobachtete die Tropfen, die an den Fensterscheiben hinab liefen.
Als Kind glaubte ich immer, dass der Regen die Welt von dem hartnäckigen Schmutz rein wusch, der sich angesammelt hatte und manchmal wünschte ich mir diese Vorstellung bewahrt zu haben. Aber heute erinnerte mich das kühle Nass nur noch an den Tag im Oktober vor zwei Jahren. Der Tag an dem sich dieser schreckliche Arbeitsunfall ereignet hatte.
Ich spürte wie meine Augen feucht wurden. „Nein, nein, du darfst jetzt nicht weinen, “ sagte meine innere Stimme, „nicht hier, nicht jetzt.“
Schnell wandte ich den Blick wieder nach vorn.
„Und was machst du am Wochenende?“
Peter warf mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu.
„Ich denke ich werde mit meiner Frau schick essen gehen.“
„Das ist eine schöne Idee.“
„Und was unternimmst du mit deinem Bruder?“
„Oh, wir werden es uns wohl bei ihm gemütlich machen, mit DVDs und Knabberkram.“
„Als ich in deinem Alter war, da bin ich noch in Diskotheken herumgehüpft. Ist wohl nicht so dein Ding, was?“
„Das war es mal“, antwortete ich.
„Warum kann es denn nicht wieder so sein?
Ich finde wirklich, dass du dir mehr zutrauen solltest. Es wird mit Sicherheit jemanden geben der dich mögen wird, auch wenn du nicht dem Ideal entsprichst. Ich mein, ich tue es doch auch.“
„Du, ja super.“
„Also was soll das denn heißen?“, fragte Peter mit einem gespielt entrüsteten Unterton, „ich bin zwar alt, aber Geschmack habe ich trotzdem und meine Augen funktionieren auch noch ganz gut.“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Peter blickte durch den großen Rückspiegel.
„Siehst du, das meine ich. Dieses Lächeln wirft doch jeden Mann vom Hocker.“
Ich lachte laut auf.
„Weißt du, wenn jeder Mann eine Frau nur nach dem Äußeren beurteilen würde, dann wäre die Menschheit echt arm dran.
Meine Frau ist klein und rund, aber sie ist das liebenswürdigste Geschöpf, das mir je begegnet ist. Und ich bin mir ganz sicher, dass dir jemand begegnen wird, der dich so sehen wird wie ich meine Frau sehe.“
„Wenn du meinst“, murmelte ich.
„Ja, ich meine. Meine Güte, du bist ja ein ganz schön harter Brocken.“
Ich sah von der Seite Peters verschmitztes Grinsen.
Das stimmte. Meine Unnachgiebigkeit hatte schon viele in den Wahnsinn getrieben. Doch genau diese Eigenschaft hatte mir bei dem Kampf zurück ins Leben geholfen und nicht die ganzen Medikamente oder Behandlungen. Das war es, was Peter und mich verband, der Gedanke nicht aufzugeben. Egal wie sehr ich auch mit meinem Schicksal haderte, das Leben stellte für mich ein wertvolles Geschenk dar.
„Nächster Halt, Robert- Koch- Straße“, sagte die monotone Computerstimme.
Als der Bus hielt, drehte ich meinen Kopf zur Fensterscheibe. Zwei ältere Damen stiegen ein und setzten sich in den Vierer hinter mir.
Mit gesenkter Stimme redeten sie miteinander. Es war nicht meine Art Gespräche anderer zu belauschen, aber das was ich hörte ließ mich aufhorchen.
„Hast du eigentlich schon gehört was dem Wolfgang neulich im Zug passiert ist?“
„Wolfgang Schmidt? Der im Rollstuhl sitzt?“
„Ja genau der. Also: Der ganze Zug war voll, bis auf den letzten Platz. Es stieg ein junger Mann hinzu und der sagte doch tatsächlich, halt dich fest Marlies, „was für ein tolles Leben, der kriegt überall einen Sitzplatz.“
„Das ist ja eine Frechheit. Und wie ging es Wolfgang danach?“
„Ach du kennst ihn doch. Davon hat der sich gar nicht aus der Ruhe bringen lassen. Aber so etwas Unverschämtes.“
Ich schüttelte den Kopf. Sprüche von dieser Art waren mir nicht unbekannt. Doch im Gegensatz zu Wolfgang Schmidt warfen sie mich jedes Mal wieder aus der Bahn. „Hässliche Bratze“, „Kratergesicht“ und „Hackfresse“ waren die Top drei der Beleidigungen, die ich zu hören bekam. Wenn Mutter davon erfuhr, wurde sie jedes Mal aufs Neue ungehalten.
„Wie einfältig können Menschen sein? Denen sollte das auch mal passieren, damit sie begreifen was es heißt anders zu sein“, pflegte sie zu sagen. Ich konnte ihre Wut verstehen, mir ging es nicht besser. Aber den Menschen, die mich beleidigten, etwas Schlechtes an den Hals zu wünschen, ging mir entschieden zu weit. Das hatte niemand verdient. Dennoch war es mir um einiges lieber, wenn die Leute einen großen Bogen um mich machten, anstatt mein Äußeres zu kommentieren. Viele meiner ehemaligen Freunde hielten es so und sie dafür zu verurteilen wäre ungerecht gewesen, denn ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht.
„Wie läuft es mit dem Gesang?“, erkundigte sich Peter auf einmal.
Diese Ablenkung kam mir wie gerufen.
„Oh, ganz gut. Ich habe das Gefühl, dass ich von Tag zu Tag besser werde.“
„Großartig, dann wirst du wohl in ein paar Jahren auf einer Bühne stehen?“
„Nein, ganz sicher nicht“, antwortete ich.
„Schade eigentlich, dass du dein Talent vergeudest.“
„Sieh mich doch an! Hast du schon einmal jemanden wie mich auf einer Bühne gesehen?“
„Wäre mal was Anderes, als diese unnatürlichen Barbiepüppchen mit Zahnpastalächeln.“
„Die Leute wollen heutzutage nun mal jemanden fürs Auge.“
„Ach was. Sieh dir die ganzen alten Stars an. Zum Beispiel Rod Stewart, der ist heute so faltig wie ein zerknittertes Blatt Papier. Und früher, da war der auch nie eine Schönheit, aber Stimme, die hatte der schon immer.“
„Ich werd drüber nachdenken. Na ja, es gibt da einen Chor, der mich interessiert, aber ich bin noch nicht zu den Proben gefahren.“
„Dann wird es langsam Zeit.“
Mittlerweile hatte der Bus sich gut gefüllt. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass nur noch wenige Plätze frei waren.
„Nächster Halt, Stadttheater.“
An der Haltestelle wartete ein junger Mann. Hastig begann ich in meiner Handtasche zu wühlen, die bis dahin auf dem Koffer vor mir gestanden hatte.
Noch ein paar Meter.
Endlich! In der Hand hielt ich ein Taschenbuch und schlug es auf.
Der Bus hielt.
„Ist hier noch frei?“, fragte der Mann, nachdem er eingestiegen war.
Ich wagte es nicht mich ihm zuzuwenden und nickte stattdessen nur. Seufzend setzte er sich neben mich. Sein Bein berührte meines und der Duft eines guten Parfums stieg mir in die Nase. Das erste Mal seit langem war es mir nicht unangenehm jemanden so nah an mich heran zu lassen. Es war ein Hochgefühl, was in mir die Hoffnung weckte eines Tages wieder ein ganz normales Leben führen zu können.
„Entschuldigen Sie, aber lesen Sie ihre Bücher immer auf den Kopf gedreht?“ Es war eine sehr sanfte, tiefe Stimme, eine die sich in meinem Gedächtnis einbrennen würde. Ich spürte wie mein Gesicht warm wurde. „Sag schon was! Irgendetwas, na los! Das ist eine gute Gelegenheit“, hallte die innere Stimme in meinem Kopf wider.
„Ist mir gar nicht aufgefallen. Danke“, murmelte ich. Das war wirklich das Blödeste was mir einfallen konnte.
„Keine Ursache.“
Vier Haltestellen fuhr er mit und als er ausgestiegen war, blickte ich verstohlen nach draußen um ihn wenigstens für einen Moment ansehen zu können. Er gefiel mir recht gut mit seinen kurzen, braunen Haaren, dem markanten Gesicht und der schlanken Figur. Mehr Zeit blieb mir nicht, denn schon rauschte der Bus an ihm vorbei.
Zehn Minuten später hielt Peter in der Haltebucht des Busbahnhofs.
Geduldig wartete ich, bis alle Fahrgäste ausgestiegen waren.
„Jetzt hättest du dich nur noch zu ihm drehen brauchen. Dieser Mann hat wirklich einen netten Eindruck gemacht“, sagte Peter, als niemand mehr im Bus war. Er nahm seine blaue Mütze vom Kopf. Schwarze Haare durchzogen mit breiten, grauen Strähnen kamen darunter zum Vorschein.
Ich erhob mich von meinem Platz.
„Ach Peter, du weißt doch.“
„Ich weiß.“
Peter stand auf und streckte sich. Er war einen Kopf kleiner als ich mit meinen 1,75 m.
„Vielleicht schaffst du es irgendwann.“
„Ja, vielleicht.“
Wir sahen uns eine Weile schweigend an und ich hatte den Eindruck, dass in Peters Augen Tränen glitzerten.
„Ich wünsche mir wirklich, dass du es schaffst. Mein Bruder, Markus, hat es nicht geschafft. Er hat einfach aufgegeben. Das ist nicht richtig. Absolut nicht.“ Peter schüttelte den Kopf. Unbeholfen tätschelte ich seine Schulter. In diesem Augenblick zeichneten sich auf seinem Gesicht Angst und Sorge ab. Er schluckte, bevor er weiter sprach:
„Sei froh über die Zeit, die dir gegeben ist und grübele nicht über das nach was gewesen ist oder was sein könnte. Beherzige diesen Rat bitte. Er ist das Einzige was ich dir geben kann.“
„Ich werde daran denken, ich verspreche es dir!“, sagte ich. In mir machte sich das Gefühl breit, dass hier der echte Peter vor mir stand und nicht der, der seine Sorgen weglächelte. Vorher war ich immer der festen Überzeugung gewesen, dass alles Schlechte auf der Welt sich über mir zusammenbraute und hatte vollkommen den Blick dafür verloren, dass auch andere Menschen litten.
„Ich muss los, sonst verpasse ich den Zug. Ähm… kann ich dich mit gutem Gewissen alleine lassen?“
„Mach dir keine Gedanken, es ist alles in Ordnung. Es hat gut getan das los zu werden. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende. Bis zum nächsten Mal.“
„Bis zum nächsten Mal.“
Bevor ich aus dem Bus aussteigen konnte, rief Peter noch einmal nach mir. Ich wandte mich ihm zu.
„Vergiss nicht, immer schön lächeln, Jasmin.“
„Ich werde es versuchen.“
Auf dem Bussteig zog ich mir die Kapuze über den Kopf, weil es immer noch wie aus Eimern goss. Mein Blick wanderte hinüber zu der großen Uhr. Noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt. Die Fußgängerampel war gerade grün geworden. Mit schnellen Schritten hastete ich hinüber und suchte die Toiletten auf. Ein unangenehmer Uringeruch stieg mir dort in die Nase, doch das störte mich nicht weiter. Ich stellte mich vor den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Der Brand in der Bäckerei, in der ich arbeitete hatte seine Spuren hinterlassen. Die Narben wirkten noch immer frisch. Meine Augenbrauen waren nicht mehr vollständig, aber meine rote Lockenmähne war wieder ein gutes Stück gewachsen, auch wenn es am Anfang nicht danach ausgesehen hatte. Über meine Lippen huschte ein kleines Lächeln. Und dieses Lächeln konnte sich wirklich sehen lassen. Leise summend wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab und verließ den Toilettenraum.
 
Musterbeispiel

Es sind Texte wie diese, die mir die LL manchmal verleiden. Eine wie ein Nudelteig ausgewalzte Geschichte, mit vielen abgegriffenen und ausgelaugten Wendungen ("bunte Blätterpracht, verschmitztes Grinsen, Tränen glitzern usw."), sentimental bis zum Geht-nicht-mehr, unwahrscheinlich im Ablauf, dafür mit viel falschem "positivem Denken" aufgepeppt. Der Text ist so literaturfern wie möglich. Und die Kritik beschäftigt sich mit Kommafehlern ... Das ist noch ärger.

Es macht mir keinerlei Spaß, so etwas zu verreißen. Aber ich wollte mal ein Beispiel liefern für das, was ich "Hobbymalgruppe" nenne. Mit Kunst auch nur im weitesten Sinn hat das nicht das Geringste zu tun. Zum Glück gibt's hier auch ganz anderes.

Arno Abendschön
 



 
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