chrissieanne
Mitglied
Gestern hab ich mir den Wecker gestellt, was ich sehr selten tue.
Ein Mensch wurde beerdigt, den ich nicht kannte.
Ein Gast wurde beerdigt, den ich kaum kannte.
Für mich war er einer von den verschrullten Einzelgängern, die es so häufig zu uns verschlägt.
Extrem verschrullt allerdings, fand ich.
Immer griesgrämig, setzte er sich jahrelang allabendlich als einer der ersten Gäste an den Tresen und muffelte, grummelte, lästerte.
Anfangs mochte ich ihn deshalb überhaupt nicht leiden. Bis ich mich an seine Art gewöhnte und feststellte, dass es in seinem grantelnden Gewese einen ausgesprochen feinen, trockenen Humor zu entdecken gab.
Kaum hatte ich mich an ihn gewöhnt - ja fast liebgewonnen - bekam er die Diagnose, die ich von seinen Tresenfreunden erfuhr.
Er kam nur noch selten, nur noch zu seiner, sich ewig streitenden Skatrunde und wenn, dann fehlte dem Knurren und Murren der Witz, und da es so aussah, als wäre alles doch nicht so arg, fand ich ihn nur noch ätzend.
Jedes Interesse an seiner Krankheit hat er weggebissen.
Und da er nur noch so selten kam, so ist das in der Kneipenwelt, vergaß ich ihn fast.
Einmal sagte ein Bekannter von ihm, er sei verschwunden. Alle dachten, er sei tot - ich hörte kaum hin.
Eines Donnerstags, Siggis Skattag, kam Siggi - abgemagert aber lebendig. Er war nur zu Kur. Ohne jemanden etwas zu sagen - typisch.
"Der Tod steht ihm gut" witzelte sein Skatkumpel, Salzstangen aus dem Behältnis auf dem Tresen fummelnd.
"Also hör mal", sagte ich entsetzt, "das ist nun doch etwas makaber."
"Wieso? Wir befürchteten alle, er sei nicht mehr am leben, nun sitzt er da, schlecht gelaunt wie immer, aber lebendig und erholt sieht er aus, oder?"
Ja. Stimmt. Aber zum ersten Mal hat er auf diese spezielle Art abgenommen. Eingefallen. Jedoch entspannt eingefallen. Nach der Kur ist die klassische Krebsabmagerung zu sehen, aber er sieht trotzdem erholt aus.
Danach kam er nicht mehr.
Einmal, es mag eine Woche nach dieser Skatrunde gewesen sein, lief ich gestreßt, in Zeitdruck auf dem Weg zur Arbeit, schnell noch Brot kaufen, die Hauptstraße entlang. Siggi kam mir entgegen. Ich dachte nur, oh nein bitte nicht, keine Zeit - schaute ihn an - erschrak. Er grüßte, ich grüßte. Unverbindlich distanziert wie immer, wenn ich Gästen außerhalb begegne. Er unverbindlich distanziert, weil die Welt für ihn schon Vergangenheit war.
Kurz danach, vorgestern, erfuhr ich, das er tot ist. Vor zwei Wochen hat er beschlossen, dass er keinen Bock mehr hat. Ist nicht mehr zum Arzt gegangen, und hat seine Beerdigung geplant.
Die war dann eine sehr persönliche. Sein Abschiedsbrief wurde vorgelesen. Und Gedichte, die er in den letzten Tagen geschrieben hat. Angst, Wut. Und eine klare Ansage zu seinem Unglauben an Auferstehung und Christentum und Leben nach dem Tod usw. Und dass er nicht sterben wollte.
"Meine Lebenssonne ist untergegangen und will einfach nicht mehr aufgehen. Ich verabschiede mich und gebe jedem von euch eine Träne mit auf dem Weg."
Und ein Brief eines dreizehnjährigen Mädchens, die er betreut hat. Die ihn geliebt hat wie einen Vater. Der Typ war Sozialarbeiter. Ich fass es nicht.
Ein Mensch wurde beerdigt, den ich nicht kannte.
Ein Gast wurde beerdigt, den ich kaum kannte.
Für mich war er einer von den verschrullten Einzelgängern, die es so häufig zu uns verschlägt.
Extrem verschrullt allerdings, fand ich.
Immer griesgrämig, setzte er sich jahrelang allabendlich als einer der ersten Gäste an den Tresen und muffelte, grummelte, lästerte.
Anfangs mochte ich ihn deshalb überhaupt nicht leiden. Bis ich mich an seine Art gewöhnte und feststellte, dass es in seinem grantelnden Gewese einen ausgesprochen feinen, trockenen Humor zu entdecken gab.
Kaum hatte ich mich an ihn gewöhnt - ja fast liebgewonnen - bekam er die Diagnose, die ich von seinen Tresenfreunden erfuhr.
Er kam nur noch selten, nur noch zu seiner, sich ewig streitenden Skatrunde und wenn, dann fehlte dem Knurren und Murren der Witz, und da es so aussah, als wäre alles doch nicht so arg, fand ich ihn nur noch ätzend.
Jedes Interesse an seiner Krankheit hat er weggebissen.
Und da er nur noch so selten kam, so ist das in der Kneipenwelt, vergaß ich ihn fast.
Einmal sagte ein Bekannter von ihm, er sei verschwunden. Alle dachten, er sei tot - ich hörte kaum hin.
Eines Donnerstags, Siggis Skattag, kam Siggi - abgemagert aber lebendig. Er war nur zu Kur. Ohne jemanden etwas zu sagen - typisch.
"Der Tod steht ihm gut" witzelte sein Skatkumpel, Salzstangen aus dem Behältnis auf dem Tresen fummelnd.
"Also hör mal", sagte ich entsetzt, "das ist nun doch etwas makaber."
"Wieso? Wir befürchteten alle, er sei nicht mehr am leben, nun sitzt er da, schlecht gelaunt wie immer, aber lebendig und erholt sieht er aus, oder?"
Ja. Stimmt. Aber zum ersten Mal hat er auf diese spezielle Art abgenommen. Eingefallen. Jedoch entspannt eingefallen. Nach der Kur ist die klassische Krebsabmagerung zu sehen, aber er sieht trotzdem erholt aus.
Danach kam er nicht mehr.
Einmal, es mag eine Woche nach dieser Skatrunde gewesen sein, lief ich gestreßt, in Zeitdruck auf dem Weg zur Arbeit, schnell noch Brot kaufen, die Hauptstraße entlang. Siggi kam mir entgegen. Ich dachte nur, oh nein bitte nicht, keine Zeit - schaute ihn an - erschrak. Er grüßte, ich grüßte. Unverbindlich distanziert wie immer, wenn ich Gästen außerhalb begegne. Er unverbindlich distanziert, weil die Welt für ihn schon Vergangenheit war.
Kurz danach, vorgestern, erfuhr ich, das er tot ist. Vor zwei Wochen hat er beschlossen, dass er keinen Bock mehr hat. Ist nicht mehr zum Arzt gegangen, und hat seine Beerdigung geplant.
Die war dann eine sehr persönliche. Sein Abschiedsbrief wurde vorgelesen. Und Gedichte, die er in den letzten Tagen geschrieben hat. Angst, Wut. Und eine klare Ansage zu seinem Unglauben an Auferstehung und Christentum und Leben nach dem Tod usw. Und dass er nicht sterben wollte.
"Meine Lebenssonne ist untergegangen und will einfach nicht mehr aufgehen. Ich verabschiede mich und gebe jedem von euch eine Träne mit auf dem Weg."
Und ein Brief eines dreizehnjährigen Mädchens, die er betreut hat. Die ihn geliebt hat wie einen Vater. Der Typ war Sozialarbeiter. Ich fass es nicht.