Ein Tag am Meer

Cäcilie

Mitglied
Ein Tag am Meer

Es ist etwas passiert, was ich nicht verstehe.
Gestern noch war die Welt vollkommen in Ordnung, doch heute frage ich mich, ob ich langsam anfange zu spinnen.
Aber ich sollte von vorne beginnen, und so versuchen, etwas Licht in das Dunkel der vergangenen Tage zu bringen.

Ich habe seit Montag frei, heute ist Donnerstag.
Und wenn eines klar war, dann dass ich ein paar dieser freien Tage am Meer verbringen wollte. Das zumindest hatte ich mir am Montag früh vorgenommen. Und das war auch der Grund, warum ich am Montag Nachmittag noch schnell den längst fälligen Ölwechsel am Auto in Angriff genommen hatte - und daher auch genau wusste, dass mein Kilometerzähler bei stolzen 300.056 km stand. Als eingefleischte Do-it-yourself-Frau erledigte ich solcherlei Dinge nicht nur selbst, sondern führte auch sorgfältig Buch darüber.

Aber dann kommt dieses Loch, dessen ich mir erst heute bewusst geworden bin.

Ich ging also Montag Abend schlafen mit dem festen Vorsatz, Dienstag in aller Frühe ans Meer zu fahren.
Als ich am frühen Morgen erwachte, fielen mir allerdings tausend Dinge ein, die in jedem Fall noch vorher zu erledigen waren.
Also verschob ich meinen Ausflug, erledigte tausend Dinge und besuchte Abends meine Freundin Rita, mit der ich schon sehr lange nicht mehr gesprochen zu haben glaubte.
Was ich seltsam fand war Ihre Begrüßung \"Na, schon wieder da?\"
Ich schob es auf die Tatsache, dass ich mich lange Zeit nicht hatte blicken lassen, dachte an ihre feine Ironie, die sie bestens anzubringen weiß, und antwortete nur \"Wurde ja wohl mal wieder Zeit.\" Ihren daraufhin etwas rätselhaften und erstaunten Blick ignorierte ich.
Wir redeten fast die ganze Nacht hindurch. Es war fast 4.00 Uhr früh als ich mich verabschiedete. \"Ich muss wohl mal los,\" sagte ich ihr \"Schließlich wollte ich eigentlich heute früh ans Meer fahren. Aber nun werd ich wohl erst gegen Mittag loskommen.\"
Rita starrte mich entgeistert an und fragte \"Warum bist Du dann erst wieder zurückgekommen?\"
\"Wie? Zurückgekommen?\" fragte ich. \"Na ja\" entgegnete sie \"Du warst doch gerade erst am Meer\".
Ich fragte mich ernsthaft, was sie unter gerade erst verstand. Schließlich lag mein letzter Aufenthalt an der Küste bereits mehrere Wochen zurück. Als ich sie vorsichtig darauf hinwies, fing sie an zu lachen. \"Meine Liebe\" sagte sie \"Du bist wohl etwas verwirrt. Was ist denn mit Dienstag ? Zählst du deinen Tagesausflug nicht mit ?\"
Ich gebe zu, dass ich mich in diesem Moment tatsächlich etwas verwirrt fühlte.
\"Was soll mit Dienstag sein?\" fragte ich \"Gestern hab ich noch alles mögliche erledigt, um morgen - na ja, nachher - starten zu können.\"
\"Willst Du mich verarschen ?\" Rita sah mich an, als zweifele sie an meinem Verstand. \"Du warst doch Dienstag am Meer und hast mich sogar noch von dort aus angerufen, um mir anzukündigen, dass du demnächst vorbeikommen würdest.\"
Nun war ich vollkommen perplex. Was redete meine Freundin da für ein Zeug ? Wer war hier jetzt verwirrt ? Doch wohl nicht ich, sondern eher sie. Immerhin, es war Mittwoch, nach 4.00 Uhr früh und wirklich Zeit, sich schlafen zu legen. \"Ach weißt Du was\", sagte ich \"ich bin ziemlich müde. Ich glaube es wird Zeit, dass ich verschwinde. Ich ruf Dich morgen noch mal an.\" Das stimmte zwar nicht, ich war das Gegenteil von müde nach dieser komischen Unterhaltung, aber mir viel nichts besseres ein. Und vielleicht musste ich ja wirklich erst mal meine Gedanken sortieren.
Irgendwie wirkte sie merkwürdig distanziert, als sie mich zur Haustür begleitete. Ich schob es auf Ihren momentanen Stress bei der Arbeit und machte mich auf den kurzen Weg nach Hause. Dort stellte ich erfreut fest, dass die Tageszeitung bereits im Briefkasten lag.
Ich war noch ziemlich aufgedreht. Also kochte ich mir eine Kanne Kaffee und beschloss, den Mittwoch mit einer ausführlichen Nachrichtenlektüre zu beginnen. Schließlich hatte ich frei und es war egal, ob ich heute früh oder heute Mittag ans Meer fahren würde.
Dann jedoch, bei dem ersten genaueren Blick auf die Zeitung, packte mich ein leichtes Frösteln.
Die Zeitung war datiert mit Donnerstag, 9. Mai. Das war nun völlig unmöglich. Heute war Mittwoch!
Am Montag hatte ich beschlossen, ans Meer zu fahren. Am Dienstag dann tausend Kleinigkeiten erledigt und abends Rita besucht. Und jetzt, heute früh, musste demnach Mittwoch sein!
Nach dem ersten Erschrecken musste ich lachen über dieses offensichtlichen Druckfehler. Einen Tag zu verwechseln, wie peinlich. Aber während ich noch so vor mich hin kicherte sprang mein Radiowecker an. Und der Moderator kündete für den heutigen Donnerstag allen Zuhörern blauen Himmel, weiße Wölkchen und überhaupt sonniges Wetter an.
Für den heutigen Donnerstag ? Ja spinnen die denn alle ? Jetzt wunderte ich mich doch sehr. Konnte es tatsächlich sein, dass sich nicht nur meine Dorfzeitung sondern auch ein Radiosender im Datum täuschte ? Oder sollte tatsächlich Donnerstag sein ?
Aber das war völlig unmöglich. Schließlich wusste ich genau, wie ich die letzten Tage verbracht hatte.
Nur zur Vorsicht schaltete ich nun auch noch den Fernseher ein. Jedoch auch dort wurden gerade die Frühnachrichten für Donnerstag, den 9. Mai verlesen.
Jetzt wurde ich unruhig. Sollte ich einen kompletten Tag verschlafen haben ? Anders konnte ich mir dies nicht erklären.
Oder war das alles nur ein sehr kurioser Traum, aus dem ich gleich erwachen würde ?
Ich beschloss keinen Kaffee mehr zu trinken, sondern mich sofort schlafen zu legen. Und ich hoffte auf ein Erwachen am Mittwoch Mittag, das alles wieder ins rechte Licht rücken würde.

Das nächste, was ich wahrnahm, war das Läuten meines Telefons. Ich rappelte mich hoch, griff nach dem Hörer, und hörte am anderen Ende der Leitung Ritas Stimme. Sie bedankte sich für die Postkarte, die ich ihr geschrieben hatte. \"Moment mal,\" stoppte ich ihren Redefluss \"ich bin noch etwas schläfrig. Von was für einer Postkarte sprichst Du?\"
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich erst 5 1/2 Stunden geschlafen hatte. Es war halb elf. \"Na, die Postkarte vom Meer, bist Du immer noch nicht wieder beieinander?\" kicherte Rita, \"Du kamst mir gestern - na ja oder eher heute früh - auch schon so verwirrt vor.\" \"Hey\" sagte ich, \"es ist gerade mal 5 ½ Stunden her, seit ich mich hingelegt habe. Ich bin noch etwas müde. Aber nicht verwirrt, bitte!\"
Aber ganz sicher war ich mir nicht. Was war bloß los hier ? Postkarte, Meer ?
Und sofort fiel mir auch wieder diese komische Verwechslung der Wochentage in der Zeitung, im Radio und sogar im Fernseher ein. \"Sag mal\" fragte ich vorsichtig, \"Welcher Tag ist heute ?\" \"Na Donnerstag natürlich\" kam die prompte Antwort. \"Was ist los mit dir ? Erst kannst du dich nicht an deinen Tagesausflug ans Meer erinnern, und jetzt fragst du mich, welcher Tag heute ist. Ist alles okay mit Dir ?\" Ich war fassungslos und wusste im Moment keine rechte Antwort.
\"Ja,\" brummelte ich dann, \"es ist alles okay, ich bin wohl noch nicht ganz wach. Donnerstag, ja.\"
\"Wo warst Du denn nun eigentlich?\" fragte Rita weiter, \"die Karte ist wunderschön, aber ich kann den Poststempel nicht entziffern.\" Meine Gedanken rotierten, aber ich konnte mit Ritas Worten einfach nichts anfangen. So sehr ich mich bemühte, nichts von dem was sie sagte löste den Knoten, der sich offensichtlich in meinem Gedächtnis befand.
\"Rita,\" flüsterte ich vorsichtig, \"Ich weiß nicht genau was Du meinst. Noch mal, von was für einer Postkarte sprichst du ?\"
\"Na von der, die ich heute früh von Dir bekommen habe. Nun mach doch nicht so ein Geheimnis daraus, was soll das denn?\"

Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. Von was verdammt noch mal sprach meine Freundin ?
Ich hatte keine Ahnung, wie ich diesem Gespräch eine andere Richtung geben sollte. Aber ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Soviel war sicher. Also antwortete ich recht knapp, redete mich mit meiner Müdigkeit heraus und versprach, mich später noch einmal zu melden.

Allerdings war ich kein bisschen müde mehr. Ich saß senkrecht im Bett und fühlte mich völlig durcheinandergewirbelt.
Soweit also die Vorgeschichte.

Und jetzt zerbreche ich mir den Kopf darüber, wer hier spinnt, Rita oder ich, die Zeitung, das Radio, die Fernseh-Fuzzis, oder vielleicht wir alle ?

Ich fange noch einmal von vorne an mit meinen Überlegungen.
Okay, am Montag hab ich beschlossen ans Meer zu fahren. Am nächsten Tag hab ich Kleinigkeiten erledigt. Das muss Dienstag gewesen sein. Und abends hab ich mich mit Rita getroffen und bis zum frühen Morgen - also Mittwoch - geredet. Aber wenn dieser frühe Morgen nun Donnerstag gewesen ist - und das scheint offensichtlich der Fall zu sein - dann muss ich wohl die Kleinigkeiten am Mittwoch erledigt haben. Was aber war dann am Dienstag ? Kann ein ganzer Tag verflossen sein, ohne dass ich es bemerkt haben sollte ? Und woher hat Rita von mir eine Postkarte bekommen, wenn ich doch die ganze Zeit hier war ? Oder, wenn ich nicht hier war, wo war ich dann gewesen ? Und warum kann ich mich nicht daran erinnern ?
Mir schwirrt der Kopf.

Da die Sonne scheint, beschließe ich, mich auf meinen Balkon zu verziehen, und dort weiter nachzudenken. Gerüstet mit einer Flasche Mineralwasser und Sonnencreme lasse ich mich in meinen Liegestuhl fallen. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich fühle mich gleich schon ein bisschen besser. Ich strecke mich genüsslich aus, schließe die Augen und frage mich: Also, was war Dienstag, was war Dienstag ?

Während ich so vor mich hin döse, tauchen plötzlich bisher unbekannte Bilder vor meinem Auge auf.

Ich sehe mich in meinem Auto sitzen und durch die Nacht fahren. Ich weiß nicht, wohin ich fahre, aber scheinbar habe ich ein Ziel. Und dann sehe ich mich an einem Strand. Es ist ganz früh am Morgen. Alles ist noch ruhig, weder Touristen noch Einheimische sind unterwegs. Ich hab einen ganzen Strand für mich allein. Nord- oder Ostsee ? Keine Ahnung. Die etwas stärkeren Wellen lassen eher auf die Nordsee schließen - aber sicher bin ich mir nicht. Ich laufe barfuss am Strand entlang und beobachte, wie ringsum das Leben erwacht. Ich höre eine Möwe schreien, die sich auf ihrem - vielleicht ersten - Flug an diesem Morgen bemerkbar macht.
Und als hätte sie mit ihren Schreien den Rest der Sippe geweckt, bin ich plötzlich von einer ganzen Schar Möwen umgeben. Kreischend und krächzend segeln sie über meinen Kopf hinweg, als wollten sie mich - den frühen Eindringling in ihr Refugium - verscheuchen.
Ich setze mich am Rand einer Düne auf ein Stück Treibholz und starre auf das Wasser, das mich einmal mehr mit den gleichmäßigen Bewegungen seiner Wellen gefangen nimmt. Ich bleibe eine ganze Weile dort sitzen und denke an gar nichts. Bis es mir zu kühl wird.
Dann stehe ich auf und laufe weiter am Strand entlang - immer genau dort, wo der Sand von den Wellen wieder und wieder überspült wird, und deshalb feucht und ziemlich fest ist. Die Muscheln und Steine, die hier vereinzelt liegen, haben von ihren Farben noch nichts eingebüßt. Das Salzwasser rauscht regelmäßig über sie hinweg und die Sonne hat keine Chance sie zu trocknen, und ihnen damit das Leuchten zu nehmen.
Ich bewundere die strahlenden Farben und Muster, die die Natur hier geschaffen hat. Es gibt rote, gelbe, rosafarbene, bläuliche, hellgraue und grüne Steine und Muscheln. Die Steine sind zum Teil wunderschön gemasert, haben Streifen oder kreisförmige farbige Einschlüsse. Einen dieser Steine stecke ich ein. Er ist rosafarben und hat ganz gleichmäßige dünne weiße Streifen. Er ist ungefähr so groß wie ein kleines Hühnerei. Ich werde ihn zu Hause in eine Schale mit Wasser legen, denke ich, damit er weiterhin so schön glänzt. Während ich weitergehe, begleitet vom gleichmäßigen Rauschen der Wellen, überkommt mich der Wunsch eins zu werden mit dem Element Wasser.
Es ist noch früh am Tag und niemand ist unterwegs außer mir. Also lasse ich meine Klamotten im noch taufeuchten Dünenhafer liegen und gehe ins Wasser. Zuerst ist es sehr kühl, aber mit jedem Schritt verfliegt ein wenig von der Kälte und schließlich tauche ich komplett ein in das Meer. Ich schwimme ein paar Züge. Irgendetwas glitschiges streift mein Bein, aber es stört mich nicht. Ich schwimme weiter. Der Strand entfernt sich, aber nicht so weit, dass es gefährlich wäre. Dennoch, stehen kann ich hier nicht mehr.
Ich spiele mit den Wellen, tauche unter einer etwas größeren hindurch und entdecke beim Auftauchen eine Möwe, die neben mir herschwimmt. Sie scheint gar nicht scheu zu sein und bleibt ganz ruhig, auch als ich näher an sie heranpaddele.
Aber als ich meine Hand nach ihr ausstrecke um sie zu berühren macht sie sich laut zeternd davon.
Ich bin ein bisschen enttäuscht und schwimme wieder zurück an den Strand. Dort lasse ich mich in den Dünensand fallen und schlafe ein.

Ich schrecke plötzlich von meinem Liegestuhl hoch und weiß nicht genau, wo ich bin. Eben noch am Strand und jetzt hier auf dem Balkon, unter mir die üblichen Straßengeräusche. Ich brauche eine Weile um zu begreifen, dass ich wohl eingedöst sein muss. Genau dort weiterträumen, denke ich noch, und tatsächlich finde ich mich an diesem Strand - irgendwo - wieder.

Ich wache auf, weil die Sonne auf meiner Haut zu brennen beginnt, und schlüpfe schnell wieder in meine Sachen, die neben mir liegen. Es ist sehr warm geworden inzwischen.
Der Sand brennt unter meinen Füßen, als ich weitergehe. Hatte ich nicht eigentlich auch Schuhe dabei ? Wohl nicht.
Ich laufe weiter am Strand entlang und treffe auf die ersten Menschen dieses Tages.
Ein Pärchen mit Kleinkind müht sich gerade mit dem Aufbau eines Sonnensegels ab und gräbt eine große Kühltasche halb in den Sand ein. Offensichtlich wollen sie den ganzen Tag am Strand verbringen. Ich winke zu ihnen hinüber und gehe weiter.
Hinter der nächsten Düne öffnet gerade jemand die Fensterläden eines kleinen Strandlokals. Ich beschließe, dort einen Eiskaffee zu trinken. Es ist wirklich ungewöhnlich warm für die Jahreszeit und ich nicke dankbar, als der Besitzer des Lokals mir anbietet, einen Sonnenschirm aufzustellen.
Er hantiert geschickt mit dem großen Leinenschirm, der auf einer mächtigen Holzkonstruktion thront, und dreht ihn so, dass ich schließlich im Halbschatten sitze. Dann bringt er meinen Eiskaffee und setzt sich zu mir. Noch sind keine weiteren Gäste hier, die seine Aufmerksamkeit beanspruchen könnten. \"Ein schönes Fleckchen Erde,\" sage ich \"und so ruhig.\"
Er lacht: \"Ja, noch. Aber in spätestens einer Stunde wird es voll werden. Bleiben Sie länger hier ?\"
\"Ich weiß es noch nicht\" antworte ich. \"Haben Sie ein Telefon hier ?\"
Er hat eins. Und ich rufe Rita an um ihr zu sagen, dass ich sie demnächst mal wieder besuchen werde. Sie fragt, wo ich gerade bin, und ich antworte nur \"Am Meer\". Ob ich ihr eine Postkarte schicke, möchte sie wissen. \"Ja klar\" antworte ich.
Der nette Lokalbesitzer hat tatsächlich Postkarten und sogar auch Briefmarken. Ich schreibe ein paar Zeilen an Rita und werfe die Karte in den Briefkasten, der hinter dem Strandlokal steht.

Ich wache mit rasendem Herzen auf. Was hab ich da gerade geträumt - verdammt ? Genau das, was Rita mir weismachen wollte ? Ein Tag am Meer, ein Anruf, eine Postkarte ?
Aber sie hat ja wirklich eine Postkarte bekommen. Was für eine nur ? Ich war doch die ganze Zeit hier.
Oder vielleicht doch nicht ? War das gerade kein Traum, sondern eine Erinnerung an diesen ominösen Dienstag, der in meinem Gefühl doch gar nicht stattgefunden hat ?
\"Verena sei vernünftig!\" sage ich laut zu mir selbst und stehe entschlossen aus meinem Liegestuhl auf. Es ist doch alles ganz einfach zu überprüfen, denke ich. Ich verlasse meine Wohnung und gehe zu meinem Auto. Komischerweise steht es nicht dort, wo ich meine, es zuletzt abgestellt zu haben. Aber ich kann mich täuschen. Ich schließe auf und lasse mich auf den Fahrersitz fallen. Für einen Moment sitze ich dort mit geschlossenen Augen und warte auf eine Erinnerung oder irgendetwas.
Aber es kommt nichts. Also beuge ich mich vor und schaue auf den Kilometerstand: 300.056. Na also, das ist eindeutig. Genau dieser Kilometerstand findet sich auch auf dem kleinen Ölwechselaufkleber wieder, den ich mir zur Erinnerung ins Cockpit geklebt haben.
Ich spinne also nicht. Ich bin seit Montag Nachmittag nicht einen einzigen Kilometer gefahren. Trotzdem weiß ich noch nicht, was es mit dieser Postkarte auf sich hat, die Rita bekommen haben will. Ich überlege, ob ich zu ihr gehen soll um mir die Karte anzusehen. Aber ich verwerfe den Gedanken gleich wieder. Irgendwie kommt mir das alles zu blöd vor.
Die Karte kann nicht von mir sein. Das wird sich sicher alles irgendwie aufklären.

Beruhigt will ich aussteigen, als ich plötzlich im Augenwinkel etwas auf dem Beifahrersitz wahrnehme, was nicht dorthin gehört. Es ist ein rosafarbener Stein mit weißen Streifen. Trotz der sommerlichen Wärme überläuft mich ein kalter Schauer.
Das kann nicht sein, sage ich mir, das ist völlig unmöglich. Ich greife nach dem Stein und erwarte fast, dass er sich als eine Halluzination erweist und verschwindet. Aber das tut er nicht. Er ist da und er ist ganz real.
Wie im Traum gehe ich zurück in meine Wohnung, setze mich auf meinen Liegestuhl und betrachte eindringlich den Stein in meiner Hand. \"Wie kommst du hierher ?\" frage ich ihn. Natürlich bekomme ich keine Antwort.
Ich gehe in die Küche, fülle eine Glasschale mit Wasser und lege den Stein vorsichtig hinein. Mit der Schale in der Hand gehe ich wieder zurück auf den Balkon und starre den jetzt viel hübscher aussehenden, glänzenden Stein an. Ich wünschte, er könnte mir all die Fragen beantworten, die im Moment auf mich einstürzen.

Okay, nur mal angenommen ich wäre tatsächlich am Meer gewesen - schließlich gibt es jetzt diesen Stein als Materie gewordenes Beweisstück - kann es vielleicht sein, dass ich in einem dem Schlafwandel ähnlichen Zustand unterwegs gewesen bin ? Schlafwandler erinnern sich auch nicht an ihre nächtlichen Ausflüge.
Aber das passt dann trotzdem nicht mit meinen Kilometerzähler zusammen. Es sind mindestens 200 km bis zum nächsten Strand. Und überhaupt - wo genau sollte ich eigentlich gewesen sein ? Selbst als ich mir die Traumbilder wieder in Erinnerung rufe gibt es nichts in ihnen, was mir irgendeinen Hinweis auf die genaue Örtlichkeit hätte geben können.

Kann der Tachometer und damit der Kilometerzähler vielleicht einfach kaputt, stehen geblieben sein ? Das würde zumindest eine Sache erklären. Es lässt mir keine Ruhe. Ich gehe noch mal zu meinem Auto und fahre eine Runde um den Block. Tacho und Kilometerzähler funktionieren einwandfrei.
Und doch finde ich noch weitere Indizien, die für einen kürzlichen Strandausflug sprechen. Sand auf meiner Fußmatte zum Beispiel, den ich vorher gar nicht wahrgenommen hatte. Und im Kofferraum - im Kofferraum finde ich meinen Rucksack und meinen Fotoapparat. Der eingelegte Film ist fast vollständig belichtet.
Mit zitternden Fingern spule ich ihn zurück und nehme ihm aus der Kamera. Ich werde dieses komische Rätsel lösen, koste es was es wolle.
Ich laufe zur nahegelegenen Drogerie und frage nach einer Sofortentwicklung. Ja, das geht. In zwei Stunden kann ich die Bilder abholen. Die Wartezeit werde ich mir auf dem Balkon vertreiben. Ich lege mich also wieder in der Sonne, blinzele ab und zu zu meiner Uhr, aber die Minuten scheinen zu Stunden zu werden.

Ich sitze am Strand. In der einen Hand den rosafarbenen Stein mit den weißen Linien, in der anderen ein Fischbrötchen.
Ich kaue vergnügt vor mich hin und schaue den Segelbooten zu, die vor der Küste kreuzen.
Es hat ein wenig aufgefrischt und der leichte Wind hat unzählige Drachenbesitzer an den Strand gelockt. Es ist ein schönes Bild, diese vielen bunten Figuren vor dem knallblauen Himmel. Ich stecke den Stein in meine Hosentasche, lege das Brötchen neben mich und krame aus meinem Rucksack die Kamera hervor, um ein paar Fotos zu machen. Ich bin dermaßen versunken in die Fotografiererei, dass ich nicht bemerke wie der Wind allmählich eine Sandschicht über mein halb aufgegessenes Fischbrötchen weht. Als ich die Kamera wieder einpacke sehe ich das Schlamassel und bemühe mich fluchend, den Sand halbwegs abzuschütteln. Trotzdem knirscht es mächtig beim weiteressen. Aber egal, auch das gehört zum Meer.
Der Wind wird jetzt stärker und allmählich ziehen diese ganz speziellen Wolken auf, die man nur an der Küste beobachten kann. Die Drachen tanzen am Himmel und ihre Besitzer bekommen Schwierigkeiten. Es ist jetzt zu böig, um weiterhin Formationen zu fliegen, so wie sie es vorher getan haben. Schnüre verheddern sich. Es kommt zu kleineren Reibereien beim Einfangen der bunten Flieger und nach und nach verschwindet einer nach dem anderen.
Auch die Segelboote werden weniger.
Es scheint, als würde ein kleiner Sturm aufziehen. Wunderbar, ich liebe Stürme.
Erleichtert stelle ich fest, dass ich in meinem Rucksack noch einen dicken Wollpullover habe, und ziehe ihn schnell über.
Der Wind zerrt an meinen Haaren und ich fange an, ein wenig zu frösteln. Jetzt ist kein Mensch mehr hier zu sehen und auch kein Boot mehr unterwegs. Ich bin wieder allein am Strand, so wie heute früh. Wie spät mag es sein ? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Ich stehe auf und stemme mich dem Wind entgegen.
Das Meer ist sehr unruhig geworden, es brodelt und kocht. Schon weit vor der Küstenlinie türmen sich die weißen Schaumberge auf und klatschen dann wieder in sich zusammen, bevor sie mit der nächsten Welle an den Strand donnern. Die Gischt fliegt bis fast an die Dünen, dorthin, wo ich gerade stehe und dieses Schauspiel verfolge.
Wie schnell sich doch das Wetter am Meer ändert. Wieder einmal überkommt mich dieses Gefühl der Winzigkeit, der völligen Bedeutungslosigkeit, angesichts der Naturgewalten, die sich hier vor meinen Augen darbieten.
Ich beobachte eine Weile, bis wohin die stärksten Wellen den Strand überspülen und gehe dann genau dort hin.
Und so stehe ich dann barfuss inmitten der tosenden Wellen und des brüllenden Winds. Ich schließe kurz die Augen. Aber es wird mir schwindelig dabei, also öffne ich sie wieder. Gischt sprüht mir ins Gesicht und eine etwas größere Brandungswelle, der ich nicht mehr rechtzeitig ausweichen kann, erwischt mich. Nass bis an die Knie fange ich an zu schlottern. Aber weg möchte ich hier eigentlich trotzdem nicht. Ich ziehe meinen Pullover noch enger um mich herum und versuche, meine klappernden Zähne so gut wie möglich zu ignorieren.
Die nächste Welle durchnässt mich fast vollständig. Und jetzt fängt es auch an zu regnen.
Ich werfe noch einen Blick auf das windgepeitschte Wasser und wende mich dann schweren Herzens ab, um zurückzugehen.
Wohin eigentlich ?
Während der Regen unaufhörlich in mein Gesicht klatscht, gehe ich zurück in die Richtung, aus der ich heute morgen kam.
Vorbei an dem kleinen Strandlokal, dass jetzt - mit wieder verschlossenen Fensterläden - so geduckt wirkt, als wolle es sich vor dem Unwetter hinter der Düne verstecken. Vorbei an der Stelle, wo die Kleinfamilie ihr Lager aufgeschlagen hatte. Natürlich ist niemand mehr dort. Und vorbei an der Düne, in der ich mich nach meinem Bad hatte trocknen lassen. Ich muss bei dem Gedanken an die heiße Sonne etwas grinsen. Es müsste ja jetzt gar nicht warm sein, aber trocken wäre schon schön.
Vorbei auch an dem Strandabschnitt mit den bunten Muscheln und Steinen, von denen man im Moment gar nichts mehr sehen kann. Ich taste nach meinem rosafarbenen Stein. Er ist noch da.
Und dann bin ich plötzlich bei meinem Auto. Es steht auf einem Parkplatz, wenige Meter vom Strand entfernt.
Ich steige ein und merke erst jetzt so richtig, wie kalt mir inzwischen ist. Ich greife nach der auf dem Rücksitz liegenden Decke und wickle mich in sie ein. Aber ich denke auch, dass ich bald losfahren muss. Eine heiße Badewanne wäre jetzt genau das richtige. Ich starte den Wagen und mache mich im strömenden Regen auf die Heimfahrt.

Ich erwache, weil mir kalt ist. Es ist schon etwas dämmerig und ich habe das komische Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben. Der Film, ja verdammt, der Film. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich noch Glück haben könnte.
Es ist kurz vor acht und es kann sein, dass die Drogerie noch geöffnet ist. Ich werfe mir schnell eine Jacke über und laufe hinüber zur Drogerie. Und ja - die Tür lässt sich noch öffnen. Ich zahle für die Schnellentwicklung und laufe schnell wieder nach Haus. Dann lasse ich mich auf mein Sofa fallen und öffne neugierig den Umschlag. Zwanzig Bilder fallen mir entgegen und verteilen sich auf dem Teppich vor mir. Es ist unheimlich. Die Motive sind mir allesamt bekannt. Ich habe sie heute im Laufe des Tages vor Augen gehabt. Bunte Drachen vor blauem Himmel. Bunte Steine und Muscheln auf hellem Sand. Das Meer ganz ruhig. Das Meer ganz stürmisch. Ein kleines Strandlokal mit aufgestelltem Sonnenschirm - huch - ich bin selbst auf dem Bild. Wer hat diese Aufnahme gemacht ? Wohl der Lokalbesitzer, mutmaße ich. Habe ich ihn darum gebeten ? Ich wundere mich ein bisschen. Und noch ein seltsames Bild: Ein Wasserbild mit einer Möwe, die auf den Wellen schaukelt. Neben dem Vogel sehe ich etwas undeutlich einen Kopf aus dem Wasser schauen und eine Hand, die nach der Möwe zu greifen scheint. Auch das habe ich heute geträumt - oder mich daran erinnert ? Was denn nun ? Bin ich das ? Und wenn ja, wer hat mich dann fotografiert ?

Ich sitze auf meinem Sofa und fange langsam an, die ganze Geschichte als wirklich passiert zu akzeptieren. Zwar verstehe ich das alles nicht, aber es gibt eindeutige Beweise. Es gibt die Fotos, es gibt diesen Stein, es ist Sand in meinem Auto, Rita hat einen Anruf und eine Postkarte von mir bekommen. Und mir fehlt nach wie vor ein Tag in meiner Erinnerung. Ich kann also wirklich nur am Meer gewesen sein, und es anschließend völlig vergessen haben. Warum auch immer.
Aber ich habe meine Traumbilder und ich habe Fotos. Ich kann mir also zumindest eine Erinnerung basteln, und endlich auch Rita irgendetwas erzählen, damit sie mich nicht für verrückt hält. Halte ich mich selbst für verrückt ? Ja, irgendwie schon.
Wie konnte mir so etwas passieren ? Und ein Rätsel bleibt auch weiterhin offen. Wie kann ich mit meinem Auto am Meer gewesen sein, ohne dass mein Kilometerzähler sich gerührt hat ?
Aber ich will mich heute nicht mehr wundern. Ich schmeiße die sandige Jeans, die ich im Bad finde in die Waschmaschine und rufe Rita an. \"Hey\", sage ich \"meine Fotos sind fertig. Magst Du sie sehen ?\"
\"Ja gerne,\" antwortet sie \"willst Du gleich vorbeikommen ?\" Wir verabreden uns für 21.00 Uhr.
Mir bleibt zum Ausschmücken meines Tages am Meer noch eine halbe Stunde. Ich schlage meinen Auto-Atlas auf, um mir ein kleines, hoffentlich relativ unbekanntes Stückchen Küste zu suchen, an dem ich Dienstag gewesen sein könnte, ohne es zu bemerken.

***

Ich freu mich über Kritik und Anregungen!
 

Zefira

Mitglied
Liebe Cäcilie,

eine tolle Idee hast Du in dieser Geschichte umgesetzt, obwohl es Dir vielleicht einige Leser übelnehmen werden, daß die Lösung fehlt - mir persönlich macht das nichts aus, im Gegenteil.

Insgesamt neigst Du aber ein wenig zum - verzeih - Drumherumreden. Die immer Verwunderung der Erzählerin z.B. muß nicht immer wieder erwähnt werden, die ergibt sich aus der Situation selbst. Für mein Gefühl dauert es auch zu lange, bis sie sich endgültig entschließt, dem Rätsel auf den Grund zu gehen.

Ich habe den Text z.T. mal durchlektoriert. Bei den Szenen am Meer habe ich dann aufgehört, weil es da für mein Gefühl nichts zu ändern gibt; sie gefallen mir sehr gut, sind schön und stimmmungsvoll erzählt.

Ein Tag am Meer

Es ist etwas passiert, was ich nicht verstehe.
Gestern noch war die Welt vollkommen in Ordnung, doch heute frage ich mich, ob ich langsam anfange zu spinnen.
[strike]Aber ich sollte von vorne beginnen, und so versuchen, etwas Licht in das Dunkel der vergangenen Tage zu bringen.[/strike] (Klassischer Aufhänger – kann man streichen)

Ich habe seit Montag frei, heute ist Donnerstag.
Und wenn eines klar war, dann dass ich ein paar dieser freien Tage am Meer verbringen wollte. Das zumindest hatte ich mir am Montag früh vorgenommen. Und das war auch der Grund, warum ich am Montag Nachmittag noch schnell den längst fälligen Ölwechsel am Auto in Angriff genommen hatte - und daher auch genau wusste, dass mein Kilometerzähler bei stolzen 300.056 km stand. Als eingefleischte Do-it-yourself-Frau erledigte ich solcherlei Dinge nicht nur selbst, sondern führte auch sorgfältig Buch darüber.

Aber dann kommt dieses Loch, dessen ich mir erst heute bewusst geworden bin.

Ich ging also Montag Abend schlafen mit dem festen Vorsatz, Dienstag in aller Frühe ans Meer zu fahren.
Als ich am frühen Morgen erwachte, fielen mir allerdings tausend Dinge ein, die [strike]in jedem Fall[/strike] noch vorher zu erledigen waren.
Also verschob ich meinen Ausflug, erledigte tausend Dinge (gut!) und besuchte [red] abends[/red] meine Freundin Rita, mit der ich schon sehr lange nicht mehr gesprochen zu haben glaubte.
Was ich seltsam fand war ihre Begrüßung "Na, schon wieder da?"
Ich schob es auf die Tatsache, dass ich mich lange Zeit nicht hatte blicken lassen, dachte an ihre feine Ironie, die sie bestens anzubringen weiß, und antwortete nur "Wurde ja wohl mal wieder Zeit." Ihren [strike]daraufhin[/strike] etwas rätselhaften und erstaunten Blick ignorierte ich.
Wir redeten fast die ganze Nacht hindurch. Es war fast 4.00 Uhr früh als ich mich verabschiedete. "Ich muss wohl mal los," sagte ich [strike]ihr[/strike]. "Schließlich wollte ich eigentlich heute früh ans Meer fahren. Aber nun werd ich wohl erst gegen Mittag loskommen." (Finde ich merkwürdig, dass sie über diese Sache nicht schon früher reden, wenn sie die ganze Nacht hindurch reden!)
Rita starrte mich entgeistert an und fragte "Warum bist Du dann erst wieder zurückgekommen?"
"Wie? Zurückgekommen?" fragte ich. "Na ja" entgegnete sie,"Du warst doch gerade erst am Meer".
Ich fragte mich ernsthaft, was sie unter gerade erst verstand. Schließlich lag mein letzter Aufenthalt an der Küste bereits mehrere Wochen zurück. Als ich sie [strike]vorsichtig[/strike] (warum vorsichtig?) darauf hinwies, fing sie an zu lachen. \"Meine Liebe\" sagte sie \"Du bist wohl etwas verwirrt. Was ist denn mit Dienstag ? Zählst du deinen Tagesausflug nicht mit ?\"
Ich gebe zu, dass ich mich in diesem Moment tatsächlich etwas verwirrt fühlte.
\"Was soll mit Dienstag sein?\" fragte ich \"Gestern hab ich noch alles mögliche erledigt, um morgen - na ja, nachher - starten zu können.\"
\"Willst Du mich verarschen ?\" Rita sah mich an, als zweifele sie an meinem Verstand. \"Du warst doch Dienstag am Meer und hast mich sogar noch von dort aus angerufen, um mir anzukündigen, dass du demnächst vorbeikommen würdest.\"
Nun war ich vollkommen perplex. Was redete meine Freundin da für ein Zeug ? Wer war hier jetzt verwirrt ? [strike]Doch wohl nicht ich, sondern eher sie[/strike]. Immerhin, es war Mittwoch, nach 4.00 Uhr früh und wirklich Zeit, sich schlafen zu legen. \"Ach weißt Du was\", sagte ich \"ich bin ziemlich müde. Ich glaube es wird Zeit, dass ich verschwinde. Ich ruf Dich morgen noch mal an.\" Das stimmte zwar nicht, ich war das Gegenteil von müde nach dieser komischen Unterhaltung, aber mir viel nichts besseres ein. Und vielleicht musste ich ja wirklich erst mal meine Gedanken sortieren.
Irgendwie wirkte sie merkwürdig distanziert, als sie mich zur Haustür begleitete. Ich schob es auf Ihren momentanen Stress bei der Arbeit und machte mich auf den kurzen Weg nach Hause. Dort stellte ich erfreut fest, dass die Tageszeitung bereits im Briefkasten lag.
Ich war noch ziemlich aufgedreht. Also kochte ich mir eine Kanne Kaffee und beschloss, den Mittwoch mit einer ausführlichen Nachrichtenlektüre zu beginnen. Schließlich hatte ich frei und es war egal, ob ich heute früh oder heute Mittag ans Meer fahren würde.
(Finde ich auch nicht ganz schlüssig – erst will sie unbedingt weg, und dann findet sie immer andere Gründe, es aufzuschieben? Warum sagst Du nicht besser gleich, dass sie unsicher geworden ist und auf das Datum gucken will? Das würde auch erklären, dass ihr Blick dann gleich auf das Datum fällt – ein normaler Zeitungsleser guckt nämlich kaum auf das Datum.)
Dann jedoch, bei dem ersten genaueren Blick auf die Zeitung, packte mich ein leichtes Frösteln.
Die Zeitung war datiert mit Donnerstag, 9. Mai. Das war nun völlig unmöglich. Heute war Mittwoch!
Am Montag hatte ich beschlossen, ans Meer zu fahren. Am Dienstag dann tausend Kleinigkeiten erledigt und abends Rita besucht. Und jetzt, heute früh, musste demnach Mittwoch sein!
Nach dem ersten Erschrecken musste ich lachen über dieses offensichtlichen Druckfehler. (Diese Selbstsicherheit, mit der sie den Fehler gleich bei der Zeitung vermutet, nehme ich ihr auch nicht ganz ab nach dem Vorangegangenen!) Einen Tag zu verwechseln, wie peinlich. Aber während ich noch so vor mich hin kicherte sprang mein Radiowecker an. Und der Moderator kündete für den heutigen Donnerstag allen Zuhörern blauen Himmel, weiße Wölkchen und überhaupt sonniges Wetter an.
Für den heutigen Donnerstag ? Ja spinnen die denn alle ? Jetzt wunderte ich mich doch sehr. Konnte es tatsächlich sein, dass sich nicht nur meine Dorfzeitung sondern auch ein Radiosender im Datum täuschte ? Oder sollte tatsächlich Donnerstag sein ?
Aber das war völlig unmöglich. Schließlich wusste ich genau, wie ich die letzten Tage verbracht hatte.
Nur zur Vorsicht schaltete ich nun auch noch den Fernseher ein. Jedoch auch dort wurden gerade die Frühnachrichten für Donnerstag, den 9. Mai verlesen.
[strike]Jetzt wurde ich unruhig[/strike]. (Das muß nicht immer wieder kommen, unruhig und verwundert ist sie doch schon die ganze Zeit!) Sollte ich einen kompletten Tag verschlafen haben ? Anders konnte ich mir dies nicht erklären.
Oder war das alles nur ein sehr kurioser Traum, aus dem ich gleich erwachen würde ?
Ich beschloss keinen Kaffee mehr zu trinken, sondern mich sofort schlafen zu legen. Und ich hoffte auf ein Erwachen am Mittwoch Mittag, das alles wieder ins rechte Licht rücken würde.

Das nächste, was ich wahrnahm, war das Läuten meines Telefons. Ich rappelte mich hoch, griff nach dem Hörer, und hörte am anderen Ende der Leitung Ritas Stimme. Sie bedankte sich für die Postkarte, die ich ihr geschrieben hatte. \"Moment mal,\" stoppte ich ihren Redefluss \"ich bin noch etwas schläfrig. Von was für einer Postkarte sprichst Du?\"
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich erst 5 1/2 Stunden geschlafen hatte. Es war halb elf. \"Na, die Postkarte vom Meer, bist Du immer noch nicht wieder beieinander?\" kicherte Rita, \"Du kamst mir gestern - na ja oder eher heute früh - auch schon so verwirrt vor.\" \"Hey\" sagte ich, \"es ist gerade mal 5 ½ Stunden her, seit ich mich hingelegt habe. Ich bin noch etwas müde. Aber nicht verwirrt, bitte!\"
Aber ganz sicher war ich mir nicht. Was war bloß los hier ? Postkarte, Meer ?
Und sofort fiel mir auch wieder diese komische Verwechslung der Wochentage in der Zeitung, im Radio und sogar im Fernseher ein. \"Sag mal\" fragte ich vorsichtig, \"Welcher Tag ist heute ?\" \"Na Donnerstag natürlich\" kam die prompte Antwort. \"Was ist los mit dir ? Erst kannst du dich nicht an deinen Tagesausflug ans Meer erinnern, und jetzt fragst du mich, welcher Tag heute ist. Ist alles okay mit Dir ?\" Ich war fassungslos und wusste im Moment keine rechte Antwort.
\"Ja,\" brummelte ich dann, \"es ist alles okay, ich bin wohl noch nicht ganz wach. Donnerstag, ja.\"
\"Wo warst Du denn nun eigentlich?\" fragte Rita weiter, \"die Karte ist wunderschön, aber ich kann den Poststempel nicht entziffern.\" (Hier frage ich mich wieder, warum sie nicht schon bei dem Gespräch früher gefragt hat, wo ihre Freundin genau gewesen ist; wäre das nicht das Natürlichste gewesen?) Meine Gedanken rotierten, aber ich konnte mit Ritas Worten einfach nichts anfangen. So sehr ich mich bemühte, nichts von dem was sie sagte löste den Knoten, der sich offensichtlich in meinem Gedächtnis befand.
\"Rita,\" flüsterte ich vorsichtig, \"Ich weiß nicht genau was Du meinst. Noch mal, von was für einer Postkarte sprichst du ?\"
\"Na von der, die ich heute früh von Dir bekommen habe. Nun mach doch nicht so ein Geheimnis daraus, was soll das denn?\"

[strike]Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. Von was verdammt noch mal sprach meine Freundin ?[/strike] (Die Verwunderung muß nicht immer wieder betont werden – die ergibt sich ja aus dem Gespräch!)
Ich hatte keine Ahnung, wie ich diesem Gespräch eine andere Richtung geben sollte. Aber ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Soviel war sicher. Also antwortete ich recht knapp, redete mich mit meiner Müdigkeit heraus und versprach, mich später noch einmal zu melden.

Allerdings war ich kein bisschen müde mehr. Ich saß senkrecht im Bett und fühlte mich völlig durcheinandergewirbelt.
Soweit also die Vorgeschichte.

Und jetzt zerbreche ich mir den Kopf darüber, wer hier spinnt, Rita oder ich, die Zeitung, das Radio, die Fernseh-Fuzzis, oder vielleicht wir alle ?

Ich fange noch einmal von vorne an mit meinen Überlegungen.
Okay, am Montag hab ich beschlossen ans Meer zu fahren. Am nächsten Tag hab ich Kleinigkeiten erledigt. Das muss Dienstag gewesen sein. Und abends hab ich mich mit Rita getroffen und bis zum frühen Morgen - also Mittwoch - geredet. Aber wenn dieser frühe Morgen nun Donnerstag gewesen ist - und das scheint offensichtlich der Fall zu sein - dann muss ich wohl die Kleinigkeiten am Mittwoch erledigt haben. Was aber war dann am Dienstag ? Kann ein ganzer Tag verflossen sein, ohne dass ich es bemerkt haben sollte ? Und woher hat Rita von mir eine Postkarte bekommen, wenn ich doch die ganze Zeit hier war ? Oder, wenn ich nicht hier war, wo war ich dann gewesen ? Und warum kann ich mich nicht daran erinnern ?
Mir schwirrt der Kopf.
(Der ganze Absatz kann entfallen, das weiß der Leser alles schon!)

Da die Sonne scheint, beschließe ich, mich auf meinen Balkon zu verziehen, und dort weiter nachzudenken. Gerüstet mit einer Flasche Mineralwasser und Sonnencreme lasse ich mich in meinen Liegestuhl fallen. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich fühle mich gleich [strike]schon[/strike] ein bisschen besser. Ich strecke mich genüsslich aus, schließe die Augen und frage mich: Also, was war Dienstag, was war Dienstag ?

So weit erst mal. Im weiteren Text ist mir dann nur noch aufgefallen, daß sie anscheinend ohne Schuhe ans Meer gefahren ist - das kann ich nicht glauben, so was tut doch kein vernünftiger Mensch. Es hat in der Geschichte selbst ja auch keine Funktion, soweit ich erkennen kann.

Liebe Grüße,
Zefira
 

Cäcilie

Mitglied
Liebe Zefira,

ganz herzlichen Dank für Deine ausführlichen und kritischen Hinweise.
Mit der häufigen Wiederholung der Verwunderung Verenas hatte ich darstellen wollen, daß sie einfach nicht begreifen kann, was passiert ist. Anfangs ist sie sehr sicher, daß ihre Freundin spinnt. Aber nach und nach wächst ihre Verunsicherung, bis sie sich schließlich den offensichtlichen "Tatsachen" fügt, ohne sie aber wirklich nachvollziehen zu können.
Das ist mir wohl nicht so gut gelungen und wirkt insgesamt übertrieben.
Ich werde die Geschichte nochmal überarbeiten und auch versuchen, die "Unstimmigkeiten" zu beseitigen.
Lösen werde ich das Rätsel aber auch in der Überarbeitung nicht - ich mag Geschichten mit offenem Ende, die man mit der eigener Phantasie "weiterspinnen" kann.

Also nochmals vielen Dank und liebe Grüße
Cäcilie
 



 
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