Ein Tag beim Eurokorps

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Meinen Alterssitz habe ich gefunden: In einem Hauptquartier des Eurokorps. Dort werde ich meinen Lebensabend sicher verbringen können. Zur Probe bin ich heute einen Tag lang da. Als blonde Frau bin ich dort vor gleichnamigen Witzen geschützt. Diese Streitmacht steht auch zu meiner persönlichen Verteidigung bereit. Denn schließlich bin ich eine Bürgerin Europas. Auf die Toilette darf ich dort noch alleine gehen, aber davor wartet einer. Wahlweise aus einem der zehn Staaten, die dem Eurokorps angehören. Der Beschützer trägt natürlich eine Kampfuniform.

Überhaupt diese Uniformen!

Tarnkleidung, die in einem Urwald nicht auffällt, aber in einem vor Chrom und Glas blitzenden Gebäude schon. Schließlich ist man aber in einem Hauptquartier und gezwungen, in derartiger Kleidung plus Springerstiefeln herumzulaufen, das Barett griffbereit in der Hosentasche. Kampfanzüge sind gut. Sie sind schmutzunempfindlich, figurfreundlich und unterscheiden sich bei den einzelnen Nationen nur geringfügig. Mal dort mehr braun oder grün, mal woanders mehr schwarz. Die deutsche gefällt mir aber am besten.

Vorerst trage ich aber noch meinen persönlichen hauseigenen Kampfanzug: Jeans und Polohemd. Damit falle ich schon genug auf, auch wenn es in einem derartigen Hauptquartier ein paar (uniformierte) Frauen gibt. Im Speisesaal mit Papiertischdecken herrscht ein Geräuschpegel wie auf einem Schlachtfeld. Die Essensausgabe gefällt mir. Keine falschen Freundlichkeiten, kein langes Palaver. Der Koch lässt einem zehn Millisekunden Zeit, um sich zwischen Fisch und Omelett zu entscheiden und noch weniger, um zu antworten. Zack, zack. Sein Kollege füllt dann das Gewünschte wortlos auf einen Teller. Wie angenehm. Ist doch furchtbar, dieses Gesäusel welches man sonst woanders hört: Hach, mir ist heute eigentlich so nach Fisch an Mango, aber im Prinzip eher nach Pommes mit Mayo und ich bin zwar Vegetarier, aber heimlich esse ich dann hier doch vielleicht lieber das Schnitzel ... Nix da. Gegessen wird, was auf den Teller kommt.

Und diese Anreden! Immer mit Dienstgrad! Ist doch auch angenehm. Kein Herr oder Frau. Einfach nur auf die Schulterklappen geschaut und los. Und überwiegend Männer. Keine weibliche Übermacht, die rumzickt. Keine Frauen, die sich gegenseitig ausstechen wollen. Was hat die für eine Frisur, ist die geschminkt, die könnte auch mal abnehmen. Nee. Stattdessen wohlbehütet unter lauter Männern, die auf gepackten Seesäcken sitzen, weil sie irgendwann irgendwohin müssen. Vielleicht. Die deswegen auch über dreißig Impfungen ihr Eigen nennen und Angst haben, als Sondermüll entsorgt zu werden. Die gescheiterte Beziehungen sammeln, weil sie zum Teil alle zwei Jahre in ein anderes Hauptquartier versetzt werden. Wozu? Schließlich sind wir von Freunden umzingelt.

Und jetzt machen Sie sich über das Eurokorps schlau. Oder wussten Sie nicht, dass es das gibt?

Schnell, denn wer weiß, wie lange Europa existiert.
 

rothsten

Mitglied
Hallo Doc,

jetzt wird es interessant: Herr rothsten hängt nach seinem letzten breitbeinigen Kanonenschuss ja weit aus dem Fenster. Mal gucken, ob er Klarblick durch die Scheiben Deines Textes hat, oder doch nur ein Zerrbild sieht und runterfällt.

Wie auch immer, ich nehme die Prüfung an. ;)

So, genug geblödelt. Jetzt Tacheles. Der Text hat eine dreigeteilte Handlungsebene:

Ich habe den Text mal gelesen (*räusper*) und denke, ihn entschlüsselt zu haben: Es geht um drei Arten der Ruhestörung. Hieraus erwächst der Wunsch und die Hoffnung, es möge wenigstens im Alter still und entspannt zugehen.

Wir haben zwei satirische Elemente: Sozialkritische Aspekte in Bezug auf Selbstbestimmtheit im Alter, Aussehen im Alter und das Chaos in einer Familie.

Das Militär als Bild ins Komische verkehrt, das als Nährlösung für die drei anderen Elemente dient.

1)
Es fängt an mit einer Aussicht auf den Ruhestand der Prot. Es geht um Selbstbestimmtheit, die einem im Alter abhanden kommen kann (Altersheim, Pflegestufen etc.). Das Rundumpaket militärischer Personalstrukur verspricht hier Vollverpflegung und Rumdumversorgung bei voller Integration des Einzelnen.

2)
Sodann folgt eine Huldigung der Uniform. Uniformität ist hier als Bild gemeint. Dahinter steckt der Wunsch der Prot, dem Schönheitswahn und dem ständigen Krampf ums Adrettsein zu entfliehen. In der Uniformität ist jeder gleich, es gibt kein hässlich, es gibt kein schön. Es gibt nur noch Menschen, die sich optisch auf Augenhöhe bewegen. Das entspannt. Das fördert ebenso die Ruhe im Ruhestand.

3)
Es folgt das Bild des Eurokorps. Warum das Eurokorps und nicht zB die Bundeswehr, fragte ich mich. Ich folgte der Empfehlung des Erzählers und bemühte Wikipedia. Dort: Das Korps stellt Kräfte für EU- und NATO-Missionen, u. a. für die schnelle Eingreiftruppe der NATO.


Schnelle Eingreiftruppe also, denn wo das Chaos regiert sind Improvisation und Flexibilität gefragt. Und somit ist klar, welche Ruhestörung hier gemeint ist: das blanke Chaos und der ganz normale Wahnsinn im Strudel einer Großfamilie. Beim Korps wird nicht gemurrt, dort wird gespurt. Statt Zeter und Mordio auf dem Küchentisch herrscht Sittsamkeit. Chaos allenthalben, das schürt die Sehnsucht nach Zucht und Ordnung des Militärs.

Schade finde ich, dass dieses dritte Bild nicht auch aufs Alter bezogen ist. Das weicht ab von dem roten Faden, der vorher gesponnen wurde. Es kann noch funktionieren, dazu müsste aber das Alterstypische dieses Permanenzstresses ausgearbeitet werden.

Man kann den Text auf eine Formel herunterbrechen: Wann kommt die Rente und habe ich endlich dann meine Ruhe?

Ich hoffe das beste! :D

Mir gefällt der scheinbare Widerspruch: Das Militär sorgt für Ruhe, Entspannung und Erholung. Das ist ziemlich satirisch, denn das eigentliche Wesen wird bis zur Unkenntlichkeit überspitzt und sogar ins Gegenteil verkehrt. Gut gemacht!

Einen Wermutstropfen sehe ich darin, dass noch die aktuelle Flüchtlingskrise bzw die Dämmerung der EU verhackstückt wird. Das war nicht nur nicht nötig, das verwischt etwas die Ruhestörung und bringt eine Dimension ins Spiel, die weit größer ist als die der Prot. Ihr Schicksal verliert an Bedeutung, der Fokus wird weggelenkt von ihr auf das große Ganze. Schade! Somit reichts nicht ganz für vorne. :(


lg
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
O Mann rothsten, jetzt weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Du hast den Text sehr genau GELESEN. Auch verstanden? Du hast ihn zu gut verstanden. Ob das gut oder schlecht für den Autoren ist, kann ich nicht entschlüsseln.

Du hast den Text vollkommen überinterpretiert. Fast nichts von dem, was Du GELESEN haben willst, habe ich gemeint. Und auch hier weiß ich nicht, wessen Fehler das ist: Meiner oder deiner???

Leider habe ich keine Vergleichsmöglichkeit, da sich niemand sonst äußert. Wenn ich mich jetzt aus der Deckung wage, wissen alle, was gemeint ist.

Egal. Mach es doch nicht so kompliziert mit Deiner Deutung. Der Text nimmt das Eurokorps an sich und seine Strukuren aufs Korn. Mehr nicht. Um das Ganze satirisch zu überhöhen, überlegt sich eine blonde Frau, dort ihren Lebensabend zu verbringen, da sie als Europa-Mitglied Anspruch auf Schutz durch das Korps hat. Das führt zu allerhand satirischen Überlegungen.

Das ist alles.

Der Text wurde vor längerer Zeit geschrieben, als der Euro wackelte. Deshalb der letzte Satz. Jetzt passt er auch wieder, deshalb ließ ich ihn drin. Verstehe aber Deinen Einwand.

Danke für die Wertung.


Uns kann nichts passieren, denn wir haben ja das Eurokorps. :)


LG DS
 

molly

Mitglied
Hallo Doc,

ich habe Deine Geschichte so gelesen, wie Du es gemeint hast: einfach witzig und ein wenig satirisch.

""Zur Probe bin ich heute einen Tag lang da. Als blonde Frau bin ich dort vor gleichnamigen Witzen geschützt. ""

Also ich wäre auch zum Probe Tag mitgekommen.
Schon allein wegen dem Witzschutz.

Viele Grüße

molly
 

rothsten

Mitglied
Egal. Mach es doch nicht so kompliziert mit Deiner Deutung.
Wer hat die Deutungshoheit, die Autorin oder der Kritiker?

Ich habe Deinen Text gelesen. Das Gelesene weckte in mir Assoziationen. Diese habe ich Dir geschildert. Nimm sie oder lass es, ich werde mich dafür nicht rechtfertigen.

Du bist eine erfahrene Schreiberin. Vielleicht kannst Du nicht einfach so einen Text schreiben, der nur eine Ebene hätte. Du bist geübt in Satire. Vielleicht kannst Du nicht einfach nur eine platte Pointe konstruieren, vielleicht schreibst Du auch immer zwischen den Zeilen, auch ohne es zu merken. Vielleicht fällt es Dir schwerer, einen eindimensionalen Text zu schreiben als einen vielschichtigen.

Wenn dem so wäre, läge der Fehler nicht bei dir? Auch wer einfach schreiben, sollte sich darüber im Klaren sein, was er schreibt.

Soweit von mir.

lg
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo rothsten, es mir zu viele Vielleichts in Deinem Kommentar. Vielleicht schreibe ich ganz einfach und baue unbewusst viele Ebenen ein. Vielleicht ist es genau andersherum und es wird so oder so verstanden. Mir wurde mal gesagt, es bleibe ein "Schleier" über meinen Texten.

Vielleicht ist das auch gut so.

Vielleicht nicht.

Vielleicht lassen wir das so stehen.

:)


LG DS
 
S

steky

Gast
Hallo, @DocSchneider,

ich lese Deinen Text als Einführung in den Eurokorps (von dem ich bis dato nichts wusste), als Tag der offenen Tür, wenn man so will - nicht mehr und nicht weniger. Insofern ist der Titel Deines Textes gut gewählt, er suggeriert, dass es sich hierbei um einen Einblick in den Eurokorps handelt.

Ein paar Sachen sind mir aufgefallen:

Meinen Alterssitz habe ich gefunden: In einem Hauptquartier des Eurokorps.
Diese beiden Sätze gehören zusammen; weil der erste eine Frage aufwirft, die der zweite beantwortet. Nach dem Doppelpunkt würde ich demnach zur Kleinschreibung greifen.

Mal dort mehr braun oder grün, mal woanders mehr schwarz.
Ich bin mir nicht sicher, aber sollte es nicht heißen: "Mal dort mehr Braun oder Grün, mal woanders mehr Schwarz"? Heißt es in dem Fall nicht: das Braun?

Ist doch furchtbar, dieses Gesäusel[red]Komma[/red] welches man sonst woanders hört
Den Satz danach würde ich in Anführungszeichen setzen.

Das war´s auch schon. Danke für diesen Ausflug!


LG
Steky
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Meinen Alterssitz habe ich gefunden: in einem Hauptquartier des Eurokorps. Dort werde ich meinen Lebensabend sicher verbringen können. Zur Probe bin ich heute einen Tag lang da. Als blonde Frau bin ich dort vor gleichnamigen Witzen geschützt. Diese Streitmacht steht auch zu meiner persönlichen Verteidigung bereit. Denn schließlich bin ich eine Bürgerin Europas. Auf die Toilette darf ich dort noch alleine gehen, aber davor wartet einer. Wahlweise aus einem der zehn Staaten, die dem Eurokorps angehören. Der Beschützer trägt natürlich eine Kampfuniform.

Überhaupt diese Uniformen!

Tarnkleidung, die in einem Urwald nicht auffällt, aber in einem vor Chrom und Glas blitzenden Gebäude schon. Schließlich ist man aber in einem Hauptquartier und gezwungen, in derartiger Kleidung plus Springerstiefeln herumzulaufen, das Barett griffbereit in der Hosentasche. Kampfanzüge sind gut. Sie sind schmutzunempfindlich, figurfreundlich und unterscheiden sich bei den einzelnen Nationen nur geringfügig. Mal dort mehr braun oder grün, mal woanders mehr schwarz. Die deutsche gefällt mir aber am besten.

Vorerst trage ich aber noch meinen persönlichen hauseigenen Kampfanzug: Jeans und Polohemd. Damit falle ich schon genug auf, auch wenn es in einem derartigen Hauptquartier ein paar (uniformierte) Frauen gibt. Im Speisesaal mit Papiertischdecken herrscht ein Geräuschpegel wie auf einem Schlachtfeld. Die Essensausgabe gefällt mir. Keine falschen Freundlichkeiten, kein langes Palaver. Der Koch lässt einem zehn Millisekunden Zeit, um sich zwischen Fisch und Omelett zu entscheiden und noch weniger, um zu antworten. Zack, zack. Sein Kollege füllt dann das Gewünschte wortlos auf einen Teller. Wie angenehm. Ist doch furchtbar, dieses Gesäusel welches man sonst woanders hört: Hach, mir ist heute eigentlich so nach Fisch an Mango, aber im Prinzip eher nach Pommes mit Mayo und ich bin zwar Vegetarier, aber heimlich esse ich dann hier doch vielleicht lieber das Schnitzel ... Nix da. Gegessen wird, was auf den Teller kommt.

Und diese Anreden! Immer mit Dienstgrad! Ist doch auch angenehm. Kein Herr oder Frau. Einfach nur auf die Schulterklappen geschaut und los. Und überwiegend Männer. Keine weibliche Übermacht, die rumzickt. Keine Frauen, die sich gegenseitig ausstechen wollen. Was hat die für eine Frisur, ist die geschminkt, die könnte auch mal abnehmen. Nee. Stattdessen wohlbehütet unter lauter Männern, die auf gepackten Seesäcken sitzen, weil sie irgendwann irgendwohin müssen. Vielleicht. Die deswegen auch über dreißig Impfungen ihr Eigen nennen und Angst haben, als Sondermüll entsorgt zu werden. Die gescheiterte Beziehungen sammeln, weil sie zum Teil alle zwei Jahre in ein anderes Hauptquartier versetzt werden. Wozu? Schließlich sind wir von Freunden umzingelt.

Und jetzt machen Sie sich über das Eurokorps schlau. Oder wussten Sie nicht, dass es das gibt?

Schnell, denn wer weiß, wie lange Europa existiert.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Steky,

vielen Dank für Dein richtiges! Verständnis des Textes und die Wertung. Wenn ich dann auf diese Weise noch mit dem Eurokorps bekannt machen konnte, ist ja alles bestens. Lesen bildet. :)


Den Rat mit der Kleinschreibung nach dem Doppelpunkt habe ich befolgt. Das andere ist meines Wissens richtig. Da ich einen Monolog geschrieben habe, enfallten die Anführungszeichen.


LG DS
 



 
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