Ein Tag im Leben eines Schülers

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Katjuscha

Mitglied
Ein Tag im Leben eines Gymniasasten

6.00 Uhr
Die schönste Zeit des Tages. Doch da: Das nervenraubende Geräusch des Weckers dringt an dein Ohr. Wo ist nur der Hammer? Dein linkes Auge öffnet sich langsam. Doch schon hörst du das feine Stimmchen deiner kleinen Schwester, die dir mit einem Megaphon ins Ohr brüllt: "Aufstehen!!!" Da werden alle deine Sinne auf einmal wach - Klausur in Mathe, Vortrag in Geschichte und ein Test in Chemie. Was für ein Wunder, dass du heute Nacht überhaupt eine Auge zu getan hast. Es geht los: Zähneputzen, Bettmachen, Anziehen, Piranhas füttern, matschige Cornflakes, Schwester in den Kindergarten und schon stehst du vor einer Art Gebäude, in dem man dir schon seit mindestens sieben Jahren einbleut, was für ein Versager du bist und was du alles noch nicht weißt. Dein Herz rutscht in Richtung Magengegend und deine Laune auf den Nullpunkt. Deine Leidensgenossen warten schon zitternd (vor Kälte?), knietief in Zigarettenstummeln versunken, auf dem Schulhof, bis man ihnen den Eintritt in die Höhle des Löwen gewährt. Deine Mundwinkel hängen bis zu den Schultern.

Erste Stunde Kunst
Mist, schon wieder das Kopfkissen vergessen! Du fragst dich, wozu du überhaupt hergekommen bist und fällst in eine barmherzige Ohnmacht. Erst zum Klingelzeichen wirst du wieder munter. Mathe: In einem Haufen klappernder Zähne begibst du dich in den Matheraum, der natürlich am anderen Ende der Schule liegt. Dort angekommen, wischst du erst mal die Schweißtropfen deines Vorgängers von der Bank. Dann stürzt du dich auf deinen Hefter und schaust verzweifelt auf die undefinierbaren Zahlenketten. Es klingelt. Die Lehrerin verteilt freudestrahlend (ihrer Schandtat bewusst) Aufgabenzettel. Nach 45 Minuten akrobatischer Lösungsversuche gibst du schließlich die Abschrift vom Blatt deines Banknachbarn ab. Erst in der nächsten Stunde erfährst du, dass es zwei Arbeitsgruppen gab.

Geschichte
Du stehst vor der Klasse und starrst auf deinen Stichpunktzettel. Die Buchstaben tanzen Tango und du wunderst dich über deine Sauklaue. Du bemerkst den bohrenden Blick des Lehrers und bekommst Ohrensausen. Plötzlich nimmst du ein breites Grinsen auf den Gesichtern deiner Mitschüler wahr. Gebannt starrt man auf die Rückseite deines Blattes. Verwirrt betrachtest du dir das Objekt der Aufmerksamkeit genauer. Ein nacktes Strichmännchen strahlt dich an. Deine kleine Schwester scheint wohl gerade den Unterschied zwischen Mami und Papi bemerkt zu haben. Rot über beide Ohren setzt du deinen Vortrag fort. Kurz darauf ertönt ein erlösendes Zeichen. Du lässt Dich vom Schülerstrom mitziehen und landest natürlich da, wo du gar nicht hin wolltest. Nach etlichen blauen Flecken und Prellungen erreichst du den Raum, in dem man dich als nächstes beglücken wird, stellst dort deine Mappe ab und stürmst auf den Schulhof.

Große Pause
Nachdem du durch einen Haufen Zigarettenstummel mit Wurstsemmeln gestakst bist, erreichst du endlich den Kiosk, wo du dir ein paar Schokoriegel erstehst, weil die Stullen von Mutti wieder zu gesund belegt sind.

10.30 Uhr
Der Stress geht weiter - Politik. Schon nach wenigen Minuten sitzt du bis zum Hals in einem Haufen von Arbeitsblättern, die es zu übersetzen gilt. Nach einer heißen Diskussion über den Wirtschaftskreislauf schleppst du dich gähnend in den gefährlichsten Teil der Schule: dem Chemie/Physik/Biologietrakt. Ein leichter Geruch von Schwefelsäure steigt dir in die Nase, der bei jedem Schritt stärker wird. Benebelt begibst du dich auf deinen Platz. Kurz nach dem Klingelzeichen klappt die Lehrerin, glücklich über ihr Meisterwerk, die beschriebene Tafel mit chemischen Aufgaben auf. Kurz darauf tritt stilles Köpferauchen ein. Dir fliegen sämtliche chemische Formeln durch den Kopf, die du bis jetzt gelernt hast. Die schönsten davon schreibst du auf. Danach führt die Lehrerin noch einen Versuch durch, der nicht funktionieren will. Doch sie versichert euch, daß ihr ihr glauben müßt. Doch du bekommst davon nicht viel mit, da du gerade dabei bist, den Bandsalat in deinem Walkman zu entwirren. Must dir wohl doch endlich mal einen Discman anschaffen. Doch auch die 2700 Sekunden gehen vorbei und treiben dich für zwei Stunden ins Computerkabinett. Nach ein paar Spielen "Minesweeper" mahnt der Lehrer zur Arbeit. Doch gerade das ist dein Problem. Der Computer macht nämlich stets genau das Gegenteil von dem, was er machen soll. Nachdem er mehrmals abgestürzt ist (Zum Glück nicht auf die Erde) und du den Lehrer um den letzten Nerv gebracht hast, klingelt es plötzlich.

Mittagspause!
Wieder beginnt der Kampf im Treppenhaus und deine blauen Flecke werden zahlreicher, bis du dich zu einer kilometerlangen Schlange vorgearbeitet hast. Nach langem Warten hast Du schon die Möglichkeit, die nette Kantinenfrau bei ihrer täglichen Arbeit zu beobachten. Mit peinlicher Genauigkeit und Perfektion gibt sie jedem Schüler so viele Kartoffeln wie er möchte - höchstens fünf. Bei einem raschen Blick auf den Essenplan entpuppt sich der vermeintliche Gulasch als Kalbsschnitzel. Das Fleisch findest du zufällig unter einer Kartoffel. Die Kartoffeln schmecken nach Seife. Du merkst wieder mal, wie abwechslungsreich das Schulessen doch ist, denn letzte Woche schmeckten sie noch nach altem Fisch. Nachdem du die unverdauten Reste in den überfüllten Abfalleimer gekippt hast, torkelst du mit etwas verstörtem Magen zurück zum Informatikraum. In der letzten Stunde hängen deine Augen nur noch am Sekundenzeiger deiner Uhr und du halb unter dem Tisch. Dann endlich um

14.25 Uhr
das erlösende Zeichen. Du nimmst alle deine Kräfte zusammen und stürmst zur Schule hinaus und zur Straßenbahn, die wie immer total überfüllt ist. An deiner Haltestelle wirst du dann hinauskatapultiert und stolperst nach Hause. Dort erwartet dich statt einer Mütze Schlaf ein Zettel voller Aufgaben: Schwester abholen, Abwaschen, Einkaufen, Wäsche abnehmen,... Du machst natürlich den Fehler, deine Schwester zuerst abzuholen, und so stehst du nun mit ihr in der Schlange an der Kasse im Supermarkt. Plötzlich ist sie verschwunden. Erschreckt reckst du deinen Hals nach ihr. In diesem Moment ruckelt dein Einkaufswagen und wird von einer Ladung Micky-Maus-Heften, Überraschungseiern, Popcorn und Süßigkeiten untergraben. "Das müssen wir auch noch kaufen!" Nun völlig entnervt, schreist du deine kleine Schwester an, sie solle den Müll wieder zurückbringen. Als sich jedoch lautes Protestgeheul bei ihr einstellt, versprichst du ihr einen Schokoriegel und bringst die Sachen allein zurück, weil die Leute schon gucken. Du stellst dich nun wieder hinten an und denkst, während du wartest, über den Sinn deines trostlosen Lebens nach. Zu Hause angekommen, schiebst du deine Schwester an deine Mutter ab und erledigst dann die anderen netten Aufgaben.

19.00 Uhr
Du bist fertig und willst gerade aufatmen, da fällt dir ein, daß du zu morgen noch einen Deutschaufsatz schreiben musst. Dem Ende nahe raufst du alle Sinne zusammen und schreibst den erforderlichen Text. Nach produktiven zweieinhalb Stunden bist du fertig (nicht nur mit dem Aufsatz). Nach einem dürftigen Abendbrot schleppst du dich ins Bad. Sauber poliert und gestriegelt fällst du gegen

22.00 Uhr todmüde ins Bett, um am nächsten Morgen in aller Frische wieder auf der Matte zu stehen.

6.00 Uhr
Die schönste Zeit des Tages ...
 
N

niclas van schuir

Gast
Hallo Katja, sprachlich und inhaltlich sicherlich ein bemerkenswerter Text. Aber ..: er zeigt das Problem dieses Forums mal wieder auf. Eine Kinder(!)geschichte?
Wir müssen uns hier etwas zum Alter einfallen lassen, was mir allerdings bisher auch noch nicht gelungen ist.
Gruß, Nic
 

Katjuscha

Mitglied
Jugenliteratur

Vielleicht sollte man Tim einfach mal sagen, dass er das Forum umnennen soll in Kinder- und Jugendliteratur oder Geschichten für Kinder und Jugendliche. Im letzten Jahr auf der Leipziger Buchmesse wurde das Thema Jugendliteratur auch sehr detailliert besprochen und man hat auch dort festgestellt, dass Literatur für Jugendliche ganz schändlich behandelt wird. Es fängt schon im Buchladen an: Wo stellt man Bücher für Teens hin? Zu den Kinderbüchern, wo dann der Dreijährige in sein Pappbilderbuch beißt oder zu den Erwachsenen, die die Jugendliteratur nicht von der Kinderliteratur unterscheiden können. Und dann finden die Armen 12-17jährigen die Literatur nicht, die extra für sie geschrieben ist und kaufen sich die Triviallitertur für Erwachsene, weil sie die gute noch nicht verstehen oder sich nicht heran wagen. Und wer liest dann die Jugendliteratur? Die Eltern? Die Lehrer und andere Pädagogen? Das ist echt schade drum, denn es gibt wirklich sehr gute Jugendliteratur auf dem Markt. Wir können ja einen Verein gründen: Rettet die Jugendliteratur e.V. oder Poliert das Image der Jugendbücher e.V. oder so. (o:
 
N

niclas van schuir

Gast
Kinder- bzw. Jugendliteratur

Obwohl ich mich nicht als kompetent betrachte, nur weil ich hin und wieder in diesem Forum eine Geschichte veröffentliche, teile ich Katjas Meinung, dass Kinder- und Jugendliteratur zweierlei Genres sind. Eine Unterteilung oder Berücksichtigung gleich welcher Art in der LL wäre durchaus hilfreich - für Leser und Autoren.
Diese Diskussion kommt immer wieder auf, auch was Qualtität und Schwierigkeit der Sprache in solchen Beiträgen angeht.
Gibt es eine Lösung?
 

Criss Jordan

Mitglied
hm, Lösungen gibt es...

aber sind sie durchzuziehen? Wohl eher nicht.

Hier im Forum gäbe es rein theoretisch die Möglichkeit, ein neues Unterforum für Jugendliteratur zu eröffnen. Aber ein Vorschlag an die Admins zu diesem Thema wird schlußßletztendlich genauso enden wie er, ähnlich gelagert, bereits im SF + F 'gelöst' wurde: Eignes Forum NEIN, aber ihr könnt ja im Titel kenntlich machen.... bla bla bluff.
Es ist aber auch verständlich, wollte man für jedes Genre und untergenre ein eignes Forum eröffnen, wäre die Übersichtlichkeit der Lupe doch enormst eingeschränkt. Deshalb ist diese Titel-Kennzeichnung vielleicht wirklich ein gutes Mittel, bis einem bessres einfällt...


Mir jedenfalls hat dieses 'Tagebuch' wirklich gut gefallen, und ich würde mich freuen, wenn sowas kein Einzelstück hier in der Lelu bliebe....


Criss
 

Katjuscha

Mitglied
Jugendliteratur

Hallo Criss,

danke für dein Lob. Aber ich streike vehemennt dagegen, die Jugendliteratur als eine Untergruppe der Kinderliteratur abzustempeln. Beide sind gleichrangig und existieren nebeneinander. Dass sie fließend ineinander übergehen, ist klar. Deshalb könnt man das ganze Forum doch Kinder- und Jugenliteratur nennen, oder ist das zu lang?

Beste Grüße von Katja
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo an alle!

Auch ich als Moderator kann nur Vorschläge machen. Aber soweit ich weiß, laufen Gespräche darüber bei den Admins. Ich werde mal nachhaken.

Trotzdem solltet ihr hier nur über die Geschichte selbst sprechen und lieber in der "Allgemeinen Diskussion" einen extra Thread aufmachen.

Viele Grüße, hera
 
N

niclas van schuir

Gast
Hera - mit Verlaub -, ich bin über die beachtliche Qualität der Sprache "gestolpert", und das hat sehr wohl etwas mit der Geschichte zu tun.
Im Übrigen darf ich dich daran erinnern, dass du selbst bei einem meiner Beiträge eine ähnlich Diskussion geführt hast.
Kein gleiches Recht für alle? Das ist nämlich ein Thema, da fällt mir auch einiges zu ein!
Aber im Grunde hast du Recht. Wir könnten uns auch in einem Diskussionsforum darüber auseinander setzen.
Gruß, Nic
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo niclas van shuir!

In der von dir erwähnten Diskussion ging es um deinen Sprachstil. Hier aber geht es längst nicht mehr um die Geschichte sondern um ein Thema, dass hier unter jeder Kindergeschichte stehen könnte.
Aber ich will nicht streiten. Ich wollte lediglich verhindern, dass dieser Thread verschoben werden muss, weil er zur "Allgemeinen Diskussion" geworden ist.

Viele Grüße, hera
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Katjuscha,

mir sind die Tränen gekommen über das Schicksal der armen überforderten Kindlein. Wieviel leichter haben wir es damals doch gehabt: Aufstehen zwischen fünf und halb sechs; Frühstück (ohne Margarine!) Brot mit Molke-Eiweiß; in ungeheizten dunklen Zügen zur Schule fahren. Die Fahrschüler durften in einem kalten Klassenraum auf den Beginn des Unterrichts warten. In der Pause Anstehen mit dem Kochgeschirr: Schulspeisung. Später, auf einer anderen Schule, 45 Minuten Schulweg zu Fuß, Straßenbahn konnten sich nur die Begüterteren leisten, und wer ein Fahrrad besaß, war ein König; nach der Schule 45 Minuten zurück, bei jedem Wetter. Wenn wir Gedichte zu lernen hatten, hieß es: „Schreibt euch das ab“ – von anderen, die nicht alles verloren hatten. Wie die Ausstattung von Physik- und Chemieräumen aussah, läßt sich ahnen. Im Musikraum ein Klavier und ein Plattenspieler. – Waren wir Übermenschen, weil wir es trotzdem geschafft haben?

Ich weiß nicht, ob es Jugendliteratur ist, wenn man Jugendliche mit wohlfeilen Klischees bedient.

Nachdenklich
Parsifal
 

GabiSils

Mitglied
Criss,

mein Vorschlag, ein Jugendliteraturforum zu eröffnen, wurde zwar zur Kenntnis genommen, bisher hat sich aber nichts ergeben. Anscheinend ist der Vorschlag auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Ich bin absolut der Meinung, daß ein solches Forum wichtig wäre, auch für die jungen Autoren!

Gabi
 

Katjuscha

Mitglied
Schule früher und heute

Hallo Parsifal,

sicherlich war die Schule früher um einiges härter als heute. Aber dies hier ist ein ironischer Text. Es ist keine Beschwerde. Und Klischees gehören zur Ironie. Für Schüler in einem gewissen Alter ist Schule meist etwas Lästiges - egal ob 1945 oder 2002. Außer vielleicht in der dritten Welt, wo man froh ist, wenn man sich leisten kann, dass die Kinder nicht arbeiten müssen, sondern lernen dürfen. Ein ähnlicher Text hätte vor 60 Jahren natürlich ganz anders ausgesehen - vielleicht mit einem Augenzwinkern weniger. Außerdem ist dieser Text für heutige Schüler selbst gedacht und ich weiß, dass er bei ihnen gut angekommen ist.

Katjuscha

P.S. Ich bin übrigens sehr gern zur Schule gegangen - trotz Aufstehen um halb 5 und einer Stunde Fahrt mit Bus oder der Bahn. Vielleicht werde ich deshalb auch Pauker (o:
 

Scintilla

Mitglied
Parsifal?

Ich glaube, jeder meint, sein Leben sei schwer und entbehrungsreich gewesen, und jeder ist stolz, etwas draus gemacht zu haben. Die Kinder, die heute zur Schule gehen werden ihren Kindern und Enkeln mit großer Wahrscheinlichkeit auch von einem schweren Leben berichten. Und sie werden recht haben, denn jede Generation hat es leichter als die vorherige und jede Generation glaubt es der vorherigen nicht. Das ist das Leben! Und soll man deshalb die Kinder zu seinem eignen schweren Leben zwingen, nur weil man selbst es durchmachen mußte? Ich denke, die Menschen können nur Individuen werden/sein, wenn sie jeder eine eigne Geschichte haben, eine besondere, eine einmalige.
Und dass die eignen Probleme immer wichtiger erscheinen, als die der anderen, ist wohl hinlänglich bekannt. Manchmal versucht man zwar, über den Tellerrand zu blicken, aber wenn dann jemand aus der Nachbarschaft über Probleme jammert, fragen wir uns heimlich doch immer wieder: Meiiii, die/der hat Probleme, wenn der/die wüßte was ich erst durchmache grade....


Ist es so? oder ist es so?

Grüßle!

Scintilla
 



 
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