Ein Traum

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huwawa

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Zweihundert Autos!

Sebastian starrte missmutig durch die Auslage des Verkaufsraumes im Autohaus Blechmaier auf die Straße. Diese feuchtkalten Spätherbsttage waren keine guten Zeiten für Autoverkäufer. "Weiss der Kuckuck, warum die Leute immer erst im Frühjahr Lust verspüren, ihren fahrbaren Untersatz zu erneuern", murmelte er leise vor sich hin und dachte mit Unbehagen an sein Umsatz - Minus, das er bis zum Jahresende noch aufholen sollte.

"Grüß Gott" riss ihn eine Stimme aus seinen trüben Gedanken. Sebastian fuhr zusammen. Er hatte den Mann, der plötzlich neben ihm stand überhaupt nicht kommen gehört. "Grüß Gott, was kann ich für sie tun?", erwiderte er mit gewohnheitsmäßiger Freundlichkeit und versuchte den überraschenden Besucher blitzschnell zu taxieren. Seltsamerweise ließ ihn jedoch seine sonst so ausgeprägte Menschenkenntnis diesmal völlig im Stich, der Mann schien in keine der für Autokäufer typischen Kategorien zu passen. "Ich interessiere mich für ihre Fahrzeuge", erklärte der Fremde mit einer angenehmen, etwas sonoren Stimme.

Fahrzeuge, überlegte Sebastian, er hat Fahrzeuge gesagt, nicht Autos. Vielleicht hat er keinen Führerschein und will eines dieser Kleinstmobile, wie wir sie seit kurzem ja auch anbieten. Als "echter" Automobilist verachtete er zwar diese "Käseglocken auf vier Rädern", wie er sie gelegentlich nannte, nicht jedoch als Verkäufer, denn es ließen sich recht ordentliche Gewinne damit erzielen. "An welche Art von Fahrzeug hatten sie gedacht", erkundigte er sich noch eine Spur freundlicher als zuvor. "Nun, wir brauchen ein Fahrzeug, mit dem wir alles möglichst schnell überall hin transportieren können", war die ziemlich kryptische Antwort und während der Fremde "wir" sagte, glitt sein Blick zur Sitzgarnitur in der Ecke des Schauraumes.

Jetzt erst bemerkte Sebastian, dass dort jemand saß, das Gesicht von ihm abgewandt, er konnte nur die Schultern und das hellblonde Haar sehen, aber nicht erkennen, ob es sich um einen Burschen oder ein Mädchen handelte. Eine junge Person schien es jedenfalls zu sein, vielleicht noch ein Kind. "Ja, ja, solche Fahrzeuge könnten wir wohl alle brauchen", sagte er, fast mehr zu sich selbst, als zu seinem Kunden. Er war etwas verwirrt und musste sich auf seine Aufgabe als Verkäufer konzentrieren, ehe er weiterfragte: "Wie groß haben Sie sich ihr Fahrzeug ungefähr vorgestellt und wie viele PS sollte es haben?" Also, wir haben schon an einen etwas größeren Schlitten gedacht, meinte der Fremde und was die Leistung betrifft, sollte sie nicht zu knapp bemessen sein. Allerdings muss ich Ihnen gestehen, dass wir es nicht gewohnt sind mit Pferdestärken, sondern mit Rentieren zu rechnen, aber so groß wird der Unterschied ja nicht sein".

Sebastians Erstaunen und Verwirrung wurden immer größer. Einerseits über den sonderbaren Menschen, von dem ihm beinahe schien, dass er ihn zum Narren halten wollte, andererseits über sich selbst, dass er sich dies so ruhig gefallen ließ. Aber irgend etwas hinderte ihn, dem Mann eine schroffe und abweisende Antwort zu geben. Er strömte eine Ruhe aus, welche in Sebastian ein Gefühl der Vertrautheit entstehen ließ wie zu jemanden, den man schon sehr lange kennt. "Nun", meinte er, auf die entsprechenden, im Schauraum ausgestellten Fahrzeuge weisend, "da kann ich Ihnen unsere kompakte Großraumlimousine empfehlen, es gibt sie mit Benzin-oder Dieselmotoren, langem und kurzem Radstand, oder auch mit Allradantrieb. Vielleicht wäre aber ein Geländewagen die noch bessere Alternative für Sie, hier hätten wir ein ganz hervorragendes amerikanisches Modell, mit der zusätzlich lieferbaren Arktisausrüstung wären Sie bestens für den kommenden Winter gerüstet!"

Nun wirkte der Besucher ein wenig unschlüssig, mit einem fragenden Blick suchte er nach seinem Begleiter, der sich auch tatsächlich aus seinem Sitz erhob und näher kam. Seltsamerweise konnte sich Sebastian auch jetzt noch kein richtiges Bild von dieser Person, die einesteils erwachsen, andererseits ausgesprochen kindlich wirkte, machen. Ohne ein Wort zu sagen, schienen sich die beiden ungewöhnlichen Kunden mit den Augen zu verständigen, dann wandte der Mann sich wieder Sebastian zu. "Ja, Ihre Fahrzeuge gefallen uns sehr gut, meinte er mit einem leichten Lächeln, ich denke, wir werden uns für beide Modelle entscheiden."

"Beide Modelle, sie wollen zwei Autos kaufen?" Staunte Sebastian und die Aussicht auf eine satte Provision ließ seine Stimme leicht erzittern. "Nein, nein, nicht zwei", erwiderte sein Gegenüber und das Lächeln um seine Mundwinkel verstärkte sich: "Wir brauchen zweihundert, einhundert Großraumlimousinen und einhundert Geländewagen." "Zw.. Zw.. zwei.. zweihundert Autos", stammelte Sebastian, der Kerl muss doch verrückt sein, dachte er und automatisch formten seine Lippen die Gedanken in seinem Kopf zu Worten: "Das gibt es doch gar nicht, das ist doch unmöglich!" "Doch, doch das gibt es", widersprach ihm sein Gast geduldig, "wir brauchen dreißig für Europa, sechzig für Asien, fünfzig für Afrika, fünfzig für Amerika, und zehn für Australien, die pazifischen Inseln müssen wir ohnehin mit dem Flugzeug versorgen."

Sebastian glaubte, den Boden unter seinen Füßen schwanken zu fühlen. Zweihundert Autos! Er versuchte überschlagsmäßig, seine Provision zu errechnen, unglaublich, er würde Margit das VZ-SR7 Cabrio kaufen können, von dem sie so schwärmte, in grün-metalise und mit Alufelgen! Zwar spürte er in seinem Innersten, dass er es eigentlich gar nicht glauben durfte, es konnte einfach nicht wahr sein, aber die Aussicht auf den märchenhaften Auftrag überstrahlte alle anderen Gefühle. Diese Chance durfte er sich einfach nicht entgehen lassen! Mit beiden Händen fasste er nach dem Mann neben ihm: "Zweihundert Autos, zweihundert"!? schrie er fast hinaus, beschwörend und fragend zugleich.

"Ja, ja, zweihundert Autos, ich weiß", antwortete der Mann, aber - es war nicht mehr der Fremde, es war Sebastians Kollege Andreas, ebenfalls Verkäufer im Autohaus Blechmaier, der ihm gegenüberstand. "Du solltest nicht immerzu daran denken, damit machst du dich doch ganz verrückt!" Verrückt, dachte Sebastian, ja das ist es, Andreas hat recht ich, werde langsam verrückt von diesem Druck, immer verkaufen zu müssen. "Mir fehlt ja auch noch eine ganze Menge auf mein Kontingent", fuhr Andreas fort, "aber du wirst sehen, mit dem Weihnachtsgeschäft schaffen wir es schon!"

Margit, die hübsche blonde Kollegin von der Rezeption, zu der sich Sebastian ganz besonders hingezogen fühlte, war inzwischen zu den beiden Männern getreten. "Ich habe dich vorhin minutenlang aus dem Schaufenster starren gesehen", meinte sie schnippisch. "Wovon hast du eigentlich geträumt, vom Weihnachtsmann, oder vom Christkind?" "Von beiden", murmelte Sebastian, aber so leise, dass ihn niemand hören konnte, denn Träume sollten dort bleiben, wo sie geträumt wurden!
 
D

Denschie

Gast
Hallo huwawa,
eine sehr gelungene Geschichte.
Ein bisschen störend empfinde ich bein
Lesen die Schrägstriche an der wörtlichen
Rede.
Eine Sache habe ich mir überlegt:
wäre der Schluss nicht noch eine Spur lustiger,
wenn du am Anfang nicht erwähnen würdest,
dass Sebastian 200 Autos verkaufen muss?
So ahnt man als Leserin schon, was es mit den
200 Autos auf sich hat, die der Kunde "bestellt".
dachte mit Unbehagen an sein Umsatz -Soll von zweihundert Wagen bis zum Jahresende, von dem er noch weit entfernt war.
diesen Satzteil würde ich weglassen.
Gruß,
Denschie
 



 
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