Ein Vorlesemärchen für die Kuschelzeit

TKelebek

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Hoch oben über den Wolken wohnte der allmächtige Herrscher der Welt in seinem prachtvollen Turm. Er musste so hoch oben wohnen, damit er seine ganze wundervolle Erde jederzeit, wenn es ihm danach beliebte, überblicken konnte. Er war sehr stolz auf sein Werk. Jeden Tag beobachtete er das bunte Treiben und erfreute sich daran.

In letzter Zeit blickte der allmächtige Herrscher jedoch traurig auf die Erde hinab. Es gefiel ihm nicht mehr, was er dort sah. Mürrisch blickende Gesichter an jeder Ecke, gelangweilte Kinder lungerten umher. Dafür sah er umso mehr hektische Erwachsene, die die Straßen entlangliefen, als wären sie auf der Flucht. Er konnte nicht mehr die Freude des Lebens spüren. Die Heiterkeit hatte sich wohl versteckt, auch die Gutmütigkeit ließ sich nicht mehr blicken. Die Barmherzigkeit war schon lange nicht mehr da und die Vernunft traute sich fast nicht mehr gesehen zu werden.

Der allmächtige Herrscher schüttelte den Kopf, was war nur mit der Welt geschehen? Hatten denn die Menschen nicht alles, womit es sich gut zu leben lohnte? Er konnte den Reichtum erkennen. Kostbare Schätze lagen in greifbarer Nähe, doch den Leuten waren sie langweilig geworden. Die Gesundheit begleitete sie auf allen Wegen und dennoch jammerten sie über jedes Ziepen und jede kleine Überanstrengung ließen ihn ihre Klagelaute vernehmen. Sie übertönten sogar die Klagelaute der armen Tiere, die sie eingesperrt hielten und achtlos ihren Tag überließen.

Nein, so konnte es nicht mehr weitergehen. Er musste eine Lösung finden, sonst würde seine schöne Erde ein Ort des Schreckens werden. So kam es, dass er den kleinen Boten zu sich rief: „Kleiner Bote, du bist mein getreuer Gefährte und bist mir immer gut zur Seite gestanden. Mein Vertrauen in dich ist groß, denn auch groß ist dein Herz und allein deine Schlauheit verlangt, dass ich dich zur Lösung dieses Rätsels auf die Erde schicke. Ich weiß, dass du herausfinden wirst, was die Menschen so plagt und ihnen das Leben so sehr schwer zu machen scheint. Die Dringlichkeit hat allerhöchstes Ausmaß erreicht und so bitte ich dich, als letzten Ausweg, bringe mir schnell Antworten, damit wir die Menschen auf der Erde noch retten können.“

So begab sich der kleine Bote auf seine Reise. Als Lichtgestalt sollten ihn die Menschen nicht erkennen. Nicht einmal fühlen sollten sie ihn. Heimlich wollte er sie beobachten, hinter das große Geheimnis ihres Unglücks kommen.
Der kleine Bote wusste nicht, was ihn erwartete. Fast verließ ihn der Mut, als er endlich auf der Erde angekommen war. Seine leuchtenden Zehenspitzen berührten die ersten Grashalme und die Sonnenstrahlen kitzelten seine Schultern. Bunte Blätter wiegten sich sanft im Wind. Prächtige Farben soweit das Auge blickte. Welch Schönheit diese Erde bieten konnte. Er hielt kurz inne und atmete ein Stück davon ein.

DIE EITELKEIT
Lautes Gezeter riss den kleinen Boten aus seinen Träumen. Erschrocken drehte er sich um und sah zwei hübsche Mädchen laut schreiend in einem Hof auf und ab laufen. Sie zerrten sich an den Haaren und an den Röcken. Hühner flatterten auf und scheuchten davon. Die Mädchen stießen sich an, sie pöbelten wie die schlimmsten Wirtshausbrüder. An einem Eckpfeiler im hintersten Winkel des Bauernhofes lehnte eine gar seltsame Federgestalt, die schier amüsiert das Treiben beobachtete. Das hämische Grinsen war nicht zu übersehen, obwohl ansonsten die Gestalt einen sehr gepflegten Eindruck machte. Das bunte Gefieder schillerte nach allen Seiten, es war wunderbar anzuschauen. Einzig der kräftige Schnabel konnte bestimmt böse Wunden zufügen und das boshafte Gelächter der Gestalt ließ auch keinen Zweifel daran, diesen zu gebrauchen.

Neugierig geworden, ging der kleine Bote auf die Federgestalt zu. Mit langsamen Schritten, um niemanden zu erschrecken. Doch der kleine Bote war bereits entdeckt worden. Von oben herab musterte ihn die Gestalt mit einem kurzen, unfreundlichen Seitenblick und krähte sogleich: „Was suchst du hier in meinem Hof?“ „Ich bin der kleine Bote. Ich habe mich auf die Reise gemacht, um die Menschen besser verstehen zu lernen. Und wer bist du?“ Die Federgestalt erwiderte nicht ohne Stolz: „Ich bin die Eitelkeit. Ich bin hier, damit die Menschen wissen, was Schönheit bedeutet.“ Der kleine Bote freute sich, dass diese Gestalt die Menschen dazu brachte, die Schönheit der Erde zu erkennen: „Also bist du hier, um diesen beiden Mädchen Einhalt zu gebieten? Damit sie sich umsehen und entdecken wie schön es hier ist?“ Die Federgestalt lachte laut gackernd. Oh wie sie sich schüttelte und dabei ihre bunten Gefieder rascheln ließ: „Durch mich ist der Streit erst entstanden. Ich habe den Mädchen ihre eigene Schönheit erkennen lassen und nun haben sie nur noch Augen für ihr eigenes Spiegelbild. Eine will schöner als die andere sein.“ Der kleine Bote sah, wie die Mädchen aufeinander losgingen, sich am Boden wälzten und ihre hübschen Gesichter gegenseitig in den Schlamm drückten.

Der allmächtige Herrscher musste unbedingt sofort erfahren, dass die Eitelkeit schuld an den Ärgernissen der Erde hatte und der kleine Bote rannte zu der Lichtung, wo er zuerst angekommen war. Da tönte ein Hilfeschrei aus dem Wald. Nur Umrisse waren von der Lichtung aus zu erkennen und so musste der kleine Bote näher an den Waldrand gehen, um nachsehen zu können.

DIE HABGIER
Ein Stück weiter im Wald lag ein Mann bereits halbnackt auf dem Boden. Einzig ein grauer Umhang bedeckte seinen Körper, den scheinbar ein gut gekleideter, wohlhabender Mann auch noch an sich reißen wollte. Nur mit letzter Kraft konnte der arme Mann den Umhang noch bei sich behalten. Hinter ihm stand eine räudige Bockgestalt und feuerte den reichen Mann an. Wie ein Mensch auf zwei Beinen lief der Bock aufgeregt hin und her. Der kleine Bote schlich sich näher zu dem Geschehen, da wurde er sogleich vom Bock entdeckt: „Misch dich bloß nicht ein, wer bist du überhaupt?“ „Ich bin der kleine Bote. Ich habe mich auf die Reise gemacht, um die Menschen besser zu verstehen. Und wer bist du?“ Der Bock baute sich vorm kleinen Boten auf und antwortete mit erhobener Brust: „Ich bin die Habgier. Ich bin hier, um den Menschen zu zeigen, wie sie reich werden können.“ Da freute sich der kleine Bote, dass die Habgier sich darum kümmerte, dass niemand auf der Erde mehr arm sein musste und er sprach ihm sein Lob aus. Da schüttelte sich der Bock vor Lachen: „Ich bin doch nicht da, um den Schwachen zu helfen, oder sehe ich selbst etwa wie ein Schwächling aus? Nur mit Reichtum kann man auf der Erde gut leben, nur die Reichen haben etwas zu sagen. Du siehst allerdings nicht reich aus. Was gebe ich mich mit dir ab? Los verschwinde, ehe ich dir Beine mache!“

Und so begann der kleine Bote zu laufen, zurück zur Lichtung und am liebsten zurück zum allmächtigen Herrscher, um ihm zu erzählen, dass er die Eitelkeit und die Habgier getroffen hatte.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo TKelebek, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von flammarion

Redakteur in diesem Forum
 

Nina H.

Mitglied
Für ein Märchen ist der Tonfall gut getroffen. Angenehm zu lesen, da kann man nicht meckern.

Eine Kleinigkeit:
Sie übertönten sogar die Klagelaute der armen Tiere, die sie eingesperrt hielten und achtlos ihren Tag überließen.
Es müsste "ihrem Tag" heißen. Aber ich würde mir überlegen, es gleich anders zu formulieren, da der Satz an sich meiner Meinung nach etwas "gestelzt" klingt.
 

steyrer

Mitglied
Nur eine Leseprobe

So hübsch das Märchen auch ist: Du veröffentlichst hier nur den Anfang einer über 70-seitigen Erzählung. Wie, um Gottes Willen, soll ich da eine Rezension schreiben?

steyrer
 



 
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