Ein Weihnachtsgeschenk

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Paloma

Mitglied
Es war gegen 17 Uhr. Die Fußgängerzone war, trotz des Nieselregens, sehr belebt. Es waren nur noch vier Tage bis Weihnachten. Die Menschen liefen, aufgescheucht wie Ameisen, vollbeladen mit Tüten und Taschen, hektisch hin und her. An der Ecke stand ein junger Mann, wahrscheinlich ein Student, verkleidet als Weihnachtsmann. Er versuchte trotz der Kälte, mit missmutigem Gesicht, für ein Kaufhaus Werbung zu machen, indem er kleine Präsente an die vorbeieilenden Leute verteilte. Von irgendwoher erklang: „Stille Nacht“ obwohl es alles anders als still war. „Weihnachten“ hatte die Menschheit voll im Griff.

Frank Mediner schlug den Kragen seines schwarzen Mantels höher und ging ziellos durch die Innenstadt. Er suchte nach einem Weihnachtsgeschenk für seine Frau. Nicht, dass er ihr unbedingt eine Freude machen wollte, es war mehr eine Verpflichtung. Dass er sich trotzdem die Mühe machte etwas passendes zu finden lag daran, dass er Diskussionen um den Grad seiner Liebe vermeiden wollte. Eigentlich wollte er nur ein friedliches Fest. Die Liebe zwischen seiner Frau und ihm hatte sich irgendwann davon gemacht. Geblieben war die Verantwortung für die Kinder und ein gewisser Grad an Bequemlichkeit. Ab und zu hatte er Affären, aber das war nichts ernstes, nichts was seine heile Welt aus den Fugen gebracht hätte. Er hatte es mit seinen 39 Jahren zu etwas gebracht und er würde dies nicht wegen eine Frau aufs Spiel setzen. Als erfolgreicher Rechtsanwalt hatte er in der Stadt einen guten Namen. Seiner Familie ging es gut, er hatte ein schönes großes Haus am Stadtrand und das seine Ehe nichts mehr taugte merkte ja schließlich keiner.
Vor dem Schaufenster eines Juweliers blieb er stehen und betrachtete die Auslagen. Sein Blick blieb an einem Solitärring hängen, den ein ziemlich großer Smaragd schmückte. Kurz entschlossen betrat er das Geschäft und kaufte das teure Stück mit der Gewissheit, dass seine Frau zufrieden sein würde. Wieder draußen im Regen überlegte er was er nun tun würde. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er ruhig noch einen Kaffee trinken konnte. Die Hände tief in den Taschen vergraben schlenderte er durch die Innenstadt. Ihm machte der Regen nicht allzu viel aus. Tropfend betraf er das kleine Café an der Ecke, das er öfter besuchte. Er hing seinen, mittlerweile doch ziemlich nassen, Mantel an die Garderobe und schauten entlang der Kuchentheke in die Ecke. Zu seinem Erstaunen war sein Lieblingsplatz gerade frei geworden. Zielstrebig ging er auf den Tisch zu und ließ sich auf einen der zierlichen Caféhausstühle nieder. Von hier aus konnte er alles gut überblicken. Er sah alle Gäste kommen und gehen und hatte auch die Haupteinkaufstraße im Auge. Die Kellnerin kam und er bestellte, wie immer, Capuccino und Schokoladentorte. Er sah durch die große Scheibe, an der die dicken Regentropfen hinunterliefen, hinaus in das geschäftige Treiben. Es hatte den Anschein als sei die Stadt noch voller geworden und die Menschen würden noch ein bisschen schneller laufen.
Auch hier im Café war Weihnachtsstimmung, ohne Unterlass dudelte „Jingle Bells“ in einem viel zu schnellen Takt.
Eine Frau, sie mochte so ungefähr in Franks Alter sein, trat aus dem Kaufhaus an der Ecke hinaus auf die Straße, sie humpelte ein wenig. Ihre blonden Haare hingen in nassen Strähnen wirr herab. Zögernd blieb sie stehen und zog den dünnen, abgetragenen Mantel fester zusammen. Die Kellnerin brachte die Bestellung und unterbrach Frank in seiner Beobachtung. Seine Augen suchten die Straße ab und er war erschrocken und erstaunt zugleich als er sie plötzlich in nächster Nähe sah. Sie hatte einen Schuhkarton aufgestellt und sich, nur notdürftig vor dem Regen geschützt, im Hauseingang gegenüber hingesetzt. Frank kniff die Augen zusammen und nur mit Mühe war es ihm möglich zu entziffern was auf dem Karton stand: „Ich bin in Not“ konnte er lesen. Er konnte sie jetzt genauer sehen und ihm stockte der Atem als er ihre Augen sah. Diese Augen würde er nie vergessen. Dieses Blau gab es nur einmal. Beinahe wäre er aufgesprungen und zu ihr hinaus in den Regen gerannt. Halb erhoben ließ er sich wieder zurück auf den Stuhl fallen. In seiner Erinnerung tauchte dieses Mädchen auf, mit den langen blonden Haaren, den tiefblauen Augen und dem Lachen, das er so sehr geliebte hatte. Sie waren so jung gewesen, sie 17 er gerade 22. Er dachte an diese verhängnisvolle Nacht, damals im August. Es war eine tolle Party gewesen. Sie hatten getanzt und getrunken und sich im Stadtpark, im hellen Mondschein geliebt. Er fühlte sich so stark und er konnte natürlich noch Auto fahren. Auf der Landstraße stadtauswärts war es dann passiert. Er hatte die Kontrolle über den Wagen verloren und war gegen einen Baum geprallt. Er war mit vielen kleinen Blessuren davon gekommen. Ihr rechtes Bein und die Hüfte waren mehrfach gebrochen. Ein halbes Jahr hatte sie im Krankenhaus gelegen, weil die Wunden nicht heilen wollten. Irgendeine Stelle entzündete sich immer wieder. Anfangs war er täglich zu ihr gegangen. Dann wurden seine Besuche seltener. Er wollte sie nicht mehr leiden sehen und er wollte sich nicht mehr schuldig fühlen. Und er wollte auch nicht mehr hören, dass sie nie wieder tanzen konnte. Er hatte nicht den Mut gehabt es ihr selber zu sagen. Einen Freund hatte er hingeschickt um ihr zu sagen, dass er für ein Jahr nach London ging. Kein Wort des Abschied war ihm möglich gewesen. Als er wiederkam war sie weg.

Frank saß unbeweglich an seinem Tisch und starrte hinaus. Er überlegte was sie wohl erlebt hatte und warum sie so tief gesunken war. Er malte sich aus wie es wäre, wenn er hinaus ginge, sie bei der Hand nähme und alles wäre so wie früher. Ob sie ihm verzeihen würde, wenn er ihr gestehen würde wie sehr er das Geschehene bereute und wie sehr er sie vermisst hatte in all den Jahren. Sein Herz klopfte wie wild und er spürte wie die alte Liebe heiß und innig in ihm aufflammte.

Eine Weile saß er noch vor seinem unberührten Kuchen , dann zahlte er und verließt das Café auf der anderen Seite. Mit einem großen, grünen Smaragdring fuhr er nach Hause in seine scheinbar heile Welt.
 
A

Arno1808

Gast
Weihnachtsgeschenk

Hallo Paloma,

Deine Geschichte gefällt mir gut.
Die Situation, in der Dein Frank sich befindet, dürfte wohl keine Seltenheit sein.
Sehr gut finde ich die Beschreibung der Motivation ... dass er Diskussionen um den Grad seiner Liebe vermeiden wollte... , denn ich denke, damit triffst Du für viele Menschen heute den Nagel auf den Kopf.

Etwas gestört hat mich Deine für mich teilweise nicht nachvollziehbare Kommasetzung.
In Passagen wie:
'Er versuchte, trotz der Kälte mit missmutigem Gesicht, für ein Kaufhaus Werbung zu machen, indem er kleine Präsente an die vorbeieilenden Leute verteilte.'

Das hört sich an, als würde er ein mißmutiges Gesicht machen, obwohl, und nicht weil es kalt ist.
Wenn Du die Satzkonstruktion so lassen möchtest, würde ich das Komma anders setzen.
[blue]er versuchte trotz der Kälte, mit mißmutigem Gesicht, für ein ...[/blue]
So stimmt der Sinn wieder.

Gruß

Arno
 

Paloma

Mitglied
Hallo Arno,

vielen Dank! Ja, dass mit den Kommas ist so eine Sache, manchmal machen sie mit mir was sie wollen. Dieses ist verrutscht! Leider habe ich noch nicht herausgefunden wie ich gepostete Texte ändern kann. Bleib aber dran :)
Liebe Grüße
Paloma
 

chrishilden

Mitglied
Sehr schöne geschichte! Obwohl ich solch eine Situation nicht erlebt hatte, trifft sie meiner Meinung nach den Nerv vieler Leute, die bei vielen Dingen einfach wegsehen, sei es bei einer vergangenen Liebesaffäre oder wo auch immer. Man sollte nicht einfach denken 'Sie merkt es ja nicht, für sie hat sich nichts geändert' sondern 'Wie kann ich es verantworten, dass ich nach solch einer Feigheit mich nicht einmal entschuldige!'
Viele Grüße
 



 
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