Ein Wiedersehen

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monti

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Ein Wiedersehen

In der Sendlinger Straße erblickte Lena einen Mann in blauem Jackett und grauer Kordhose, der ihr bekannt vorkam, er stand vor dem Schaufenster einer Buchhandlung und betrachtete die Auslagen, alles Bildbände. Er war groß und schmal gebaut, hatte dünnes blondes Haar, das sich im Wind kräuselte und eine hohe Stirn frei legte, am rechten Ohr trug er einen kleinen silbernen Ring. Auf einmal wusste sie, wer er war. Sie trat an ihn heran. „Hallo Berthold“, sagte sie. Langsam drehte sich der Angesprochene zu ihr um und runzelte die Stirn. „Du bist doch der Berthold. Erinnerst du dich? Wir haben uns letztes Jahr auf Kreta getroffen, in Matala.“
Der Mann sah sie misstrauisch von oben bis unten an. „Ich heiße nicht Berthold“, sagte er. „Und auf Kreta war ich im letzten Jahr gar nicht.“
Sie riss den Mund auf. „Oh, entschuldigen Sie, dann habe ich Sie verwechselt. Unglaublich. Sie sehen genauso aus wie jener Berthold. Der war Programmierer und las so viele Bücher.“
„Ich bin Programmierer. Und ich lese im Urlaub immer viele Bücher.“
„Dann waren Sie‘s wohl doch.“
Er deutete mit schlaffer Bewegung die Straße entlang. „Gehen Sie auch zum Sendlinger Tor?“ Sie nickte. „Auf Kreta war ich letztes Jahr nicht als Berthold, sondern als Michael“, sagte der Mann im Weitergehen. Er machte lange Schritte.
„Wieso als Michael? Ich verstehe kein Wort.“ Lena musste schneller gehen als sonst, um Schritt zu halten.
„Normalerweise heiße ich Michael. Aber nicht heute. Manchmal heiße ich auch Stefan. Berthold habe ich, wenn ich mich nicht irre, nur wenige Male geheißen.“
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“
„Am liebsten lasse ich mich Stefan rufen. Das klingt so nach Fanfare. Stefan! Der Name ist kompakt und luftig zugleich. An Sonntagen lasse ich mich auch mal Johannes rufen. Fühl mich dann wie ein Heiliger.“
Lena blieb stehen. „Sie tragen mehrere Namen? Das ist ja nicht normal.“
Der Mann blieb ebenfalls stehen und sah sich nach ihr um. „Wenn ich im Urlaub am Strand bin, lege ich mir den Namen Kornelius zu. Klingt doch irgendwie sandig, oder. Aber doch nicht Berthold.“
Sie setzten ihren Weg fort. Lena schüttelt ungläubig den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll. Und an mich erinnern Sie sich wirklich nicht.?“
Sie gelangten ans Ende der Sendlinger Straße. Der Mann blieb stehen. „Je länger ich Sie anschaue, desto bekannter kommen Sie mir vor. Haben Sie damals einen roten Bikini getragen?“
„Ja richtig. Und wir haben an der Strandbar etwas getrunken. Sie luden mich zu einem Cocktail ein. Ich heiße Lena.“
Der Mann schnipste mit den Fingern und ging weiter. „Richtig. Ich weiß es wieder. Lena. Wir tranken einen Cocktail und beobachteten die Volleyballspieler.“
„Ja, genau. Ich wusste doch, dass du es bist.“
„Und ich habe mich im Ernst als Berhold und nicht als Michael vorgestellt?“
„Ja, und wir haben uns geduzt.“
„Witzig. Mit den Namen komme ich allmählich durcheinander. Jetzt fällt mir ein, warum ich mich Berthold nannte: Ich habe einen Freund, der so heißt, er ist ein Frauenaufreißer. Ich dachte mir wahrscheinlich, der Name würde etwas bewirken. In Matala liefen nämlich so tolle Frauen rum. Hatten wir eine Affäre?“
„Nein, bei mir hast du es nicht geschafft. Du hast dir eine andere genommen. Die mit den Sommersprossen. Katja hieß sie.“
„Hm. Wirklich?“ Sie hatten den Platz am Sendlinger Tor erreicht. Vor dem Sendlinger Kino, neben einer Bude, wo Maronen verkauft wurden, blieben sie stehen. Passanten eilten an ihnen vorbei zur Treppe, die in den U-Bahn-Schacht führte.
„Wie heißt du denn heute?“, sagte Lena und sah ihm neugierig ins Gesicht.
Er stülpte die Lippen vor. „Hm, Georg. Mein Name für die freien Samstage. Aber dir zu Ehren kann ich auf Berthold umschalten.“
„Welcher Unterschied besteht denn zwischen Georg und Berthold? Ich meine charaktermäßig.“
„Och, Georg ist ein Ekelpaket, ein Egoist. Und Berthold wie gesagt ein Frauenheld. Zumindest versucht er einer zu sein.“
„Hm, sind mir beide nicht sympathisch.“
„Na gut, dann bin ich halt der Andi. Der ist okay und immer gut drauf. Grüß dich, ich bin der Andi. Gehen wir einen trinken?“ Er legte ihr seine Hand auf die Schulter und lachte.
Lena machte einen Schritt zurück. „Nein“, sagte sie.
„Ich lade dich zu einem Cocktail ein“, sagte der Mann.
„Nein“, sagte Lena nochmals und schüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht allein mit zehn Männern aus.“
Sie drehte sich um und eilte die Treppe hinunter zur U-Bahn.
 

anemone

Mitglied
Summ, summ, summ

Dumme Lena, die so einem Frauenheld widerstehen kann.
Für diese Geschichte bekommst du von mir eine Sechs.
Weil's so schön pascht!
 

Andi

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Hallo monti,
witzige Geschichte und Andi ist der Held! Vielleicht kann ich mich jetzt mit meinem albernen Pseudonym doch noch anfreunden. Liebe Grüße, Andi
 
liebe/lieber monti

machte sich der johannes aber doll mühe all das was in ihm ist zu benennen - hat georg ihm wohl zu viele freie samstage gegönnt...;-)

echt gut! und: schade um den verschwendeten cocktail am strand.

liebe grüße
carla
 



 
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