Ein Wunsch

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AdamSmith

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Als ich sehr klein war starben meine Eltern bei einem Autounfall. Sie waren auf dem Weg in den Urlaub und hatten mich bei meinen Großeltern gelassen. Ich weiß noch genau, wie ich an jenem Tag das Wohnzimmer betrat und meine Großmutter mit Tränen in den Augen ans Regal gelehnt stand – den Telefonhörer hatte sie noch in der Hand.
Meine Großeltern bekamen das Sorgerecht zugesprochen und so blieb ich bei Ihnen in ihrem kleinen Haus. Ich bekam mein eigenes Zimmer unterm Dach, ich ging hier zur Schule, ich fand hier Freunde und irgendwann war die Erinnerung, dass es einmal anders gewesen war verblasst, als hätte es das Davor nie gegeben.
Meine Großeltern waren stets für mich da und versuchten doch nicht die Rolle meiner Eltern einzunehmen. Jeden Morgen saß mein Großvater bereits am Frühstückstisch wenn ich die Treppe herunterkam und las Zeitung. Es roch im ganzen Haus bereits nach Kaffee. Wenn ich die Küche betrat faltete mein Großvater die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. Dann sah er mich an mit seinen grauen Augen, die schon die ganze Welt gesehen hatten und fragte mich, wie mein Tag aussehen würde. Dann hörte er mir zur, wie ich erzählte und dabei auf meinem Brot herumkaute. Manchmal wand er sich um zu meiner Großmutter, die am Herd stand und sagte zu ihr: „Bekomme ich noch etwas Kaffee mein Mädchen?“
Dann sagte sie lächelnd: „Immer noch bin ich dein Mädchen?“
Dann sagte er: „Und das wirst du mein Leben lang bleiben!“
Und sie schenkte im Kaffe ein. Wenn ich heute nachdenke waren diese die glücklichsten Momente meiner Kindheit. Manchmal ging Großvater abends, wenn er gerade von der Arbeit nach Hause gekommen war, ins Wohnzimmer und eine Schalplatte auf und ging er in die Küche und tanzte mit meiner Großmutter auf seine altmodische Art zu den Jazz-Klängen die durch das ganze kleine Haus schwebten.
Wenn es warm war saßen wir oft abends im Garten und ich und Großmutter lauschten Großvater, wie er seine Geschichten erzählte. Wir verbrachten ganze Sommer dort draußen, aber ich schwöre, dass er nie zweimal dieselbe Geschichte erzählte. Großmutter saß in ihrem Gartenstuhl und strickte furchtbare kratzende Socken für den Winter, die ich nie anzog und wenn ich einschlief trug Großvater mich hoch in mein Zimmer. Dann legte er mich in mein Bett und fragte mich ob mein Tag sich wirklich so entwickelt hatte, wie ich es ihm am Morgen erzählt hatte. Dann berichtete ich ihm alles was mir einfiel und er blieb bei mir sitzen, bis ich fertig war, dabei blickte er mich mit seinen grauen Augen und ich war mir niemals wieder so sicher, dass ich geliebt wurde. Manchmal wünsche ich mir, dass mir mehr eingefallen wäre, dass ich ihm hätte erzählen können. Wenn ich noch einmal die Chance hätte würde ich ihm eine Geschichte erzählen, die niemals endet.
Dann wurde Großvater krank und starb kurz darauf. Ich kann mich nur noch undeutlich erinnern, was ich damals fühlte. Die Leer in mir war endlos. Wir saßen auch danach noch an warmen Abenden im Garten und sie stand jeden Tag am Herd wenn ich frühstückte und ich erzählte ihr meine Geschichten. Großmutter war für mich da. Wie sie immer für mich da gewesen war. Sie ist der stärkste Mensch, den ich kenne. Wenn ich jedoch nachts an ihrem Zimmer vorbei ging, wenn sie dachte, dass ich schlief, konnte ich sie weinen hören. Das alles ist viele Jahre her. Aber wenn ich heute Großmutter besuche und über Nacht bleibe kann ich sie manchmal immer noch weinen hören.
Seid dem Tag, an dem Großvater starb habe ich einen Wunsch. Ich wünsche mir nichts fr mich, ich wünsche mir etwas für meine Großmutter. Ich weiß, dass so etwas normalerweise nicht geschieht, ich wünsche mir nichts so sehr wie, dass Großvater zurückkommt und noch ein letztes Mal mit meiner Großmutter in der Küche tanzt. Zu der Musik auf den alten Schallplatten. Diesen einen Gedanken werde ich jeden Tag meines Lebens haben.
 



 
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