Ein anderer grauer Tag

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Cathexe

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Liebe Lesenden,
diese Geschichte ist mein erstes Werk in dieser Richtung, ich weiß nicht mal, ob sie in dieser Rubrik richtig ist.
Ich bin gespannt, was ihr dazu meint und bin für Lob, Kritik und Verbesserungen dankbar!

Heute war wieder einer dieser mausgrauen Tage: Langweilig, verregnet und für Mathilda ohne Aussicht auf ein Stück Käse oder ein Eckchen Wurst aus dem Kühlschrank. Schon als Mathilda aufstand, wusste sie das. Sie fühlte es, das Grau, seine bleierne Schwere füllte sie aus, lag wie ein Wackerstein in ihrem Inneren. Darum zog sie sich auch genau so an wie sie sich fühlte, nachdem sie sich endlich aus den Federn gequält hatte: Zu ihrer wolkengrauen Pluderhose wählte sie die regengraue Bluse, dazu marmorgraue Kniestrümpfe und ihre höhlengrauen Schuhe. Was anderes kam gar nicht in Frage.
Mathilda war nämlich eine richtig graue Maus: Ihr Fell hatte dieselbe Farbe wie die hässlichen Betonklötze draußen am Stadtrand, ohne irgendwelche besonderen Schattierungen, sie war schlicht und einfach grau – langweilig grau. An den Ohren hatte sie ein paar dichtere Grauhaarbüschel, ihr Kopfhaar - ebenfalls so grau wie es nur grau sein konnte – hing oft strähnig herunter und war ohne jeden Glanz. Selbst ihr Schwanz war von feinem grauem Flaum überzogen und bildete an der Spitze eine sich zuweilen widerspenstig kringelnde Wirbellocke. Aber an Tagen wie heute hatte selbst der Kringel keine Lust, seiner Kringelbestimmung nachzukommen und hing einfach schlaff herab.
Mathilda seufzte und tippelte zu ihrem Frühstückstischchen. Im Schrank waren nur noch ein paar kümmerliche Brotkrumen von gestern, nicht der Rede wert.
„Was für ein blöder Tag!“ grummelte Mathilda in ihre mausgrauen Schnurrbarthaare. „Da kann man sich ja gleich der Katze zum Fraß vorwerfen!“ und knallte die Schranktür zu. Sie setzte sich an den Tisch, stützte das Kinn auf Arme und starrte düster vor sich hin. Sie hatte Hunger. Und Langeweile. Wohin sollte sie nun gehen, um sich was Essbares besorgen? Ganz zu schweigen von Gesellschaft! In Gedanken ging sie alle Möglichkeiten durch.
Da sie eine graue Maus durch und durch war, und mit ihrem langweiligen Grausein kein Interesse der nachbarschaftlichen Mäuse erwecken konnte, gab es nur wenig Möglichkeiten:
„Ich könnte zu Hupsi gehen. Die hat wenigstens immer Milch und ein paar Kekse da.“ Überlegte sie. Aber dann müsste ich mir wieder ihre langweiligen Geschichten über den ach so tollen Mäuserich von gegenüber anhören, dachte sie weiter. „Auf keinen Fall! Da bleibt mir ja der Kekskrümel im Halse stecken, weil ich mein Gähnen nicht unterdrücken kann!“
„Wie wäre es mit Jo?“ Jo war der eingebildete, schöne, aber dumme Mäuserich aus der Mietwohnung nebenan. Sie hatte sich ein paar mal mit ihm zu einer Portion Büchsenmilch verabredet, und sich unglaublich über den Mausfatzke aufgeregt. Wie konnte eine Maus nur SO von sich eingenommen und überzeugt sein und dabei so oberflächlich und doof? „Nein!“ schnaubte Mathilda, die schon allein durch den Gedanken an Jo innerlich an die Decke ging, die in ihrer Behausung gar nicht so hoch war.
Mehr Mäuse kannte sie nicht. „Ich habe wohl nur die Wahl zwischen Katz und Bussard!“ jammerte Mathilda. Gerade wollte sie sich ihrem Selbstmitleid hingeben und sich mit dem gewittergrauen Gedanken, die einsamste Maus auf der Welt zu sein, wieder ins Bett legen, als es an der Tür klopfte. „Was ist?“ schnauzte Mathilda in Richtung Tür, ohne sich auch nur einen Mauseschritt zu rühren. Sie hatte beschlossen, dass es nichts und niemanden gab, das sie heute noch aufheitern konnte – da konnte sie ebenso grantelig zum Rest der Welt sein. Das war ihr gutes graues Recht!
„Hallo! Hier ist Kunigunde. Ich bin neu in der Mietwohnung unter dir. Mir war so langweilig, dass ich dachte, ich nutze das doofe Wetter und komm mal rauf um dich kennenzulernen. Ich habe Kuchen und Sahne unten, wenn du magst, kannst du mitkommen und wir unterhalten uns ein Weilchen.“
Kunigundes Stimme war hoch und piepsig, sie schien noch recht jung zu sein.
„Ich habe keine Zeit.“ Muffelte Mathilda von ihrem Stuhl aus. Wer war sie denn, dass sie sich von so einer Grünmaus ihre schlechte Laune verderben ließ? Der Gedanke an Kuchen und Sahne jedoch ließ ihren leeren Magen geräuschvoll vor sich hinknurren – und das war bestimmt kein graues Geräusch, sondern so laut wie das Brüllen eines gelblich lodernden Tigers!
„Was treibst du denn so? Es ist doch ein mausgrauer Tag, wie er im Buche steht, bei dem Wetter mag man nicht mal die eigene Pelzlaus vor die Tür jagen!“ piepste Kunigunde von der Tür her.
„Ich hab zu tun! Und außerdem habe ich keinen Hunger!“ Mathilda rührte sich nicht.
„Aber ich habe leckeren Nusskuchen, mit Haselnüssen und Mandeln drin! Meine Hausbewohner haben ihn gestern auf der Anrichte stehen gelassen. Das war ganz schön viel Arbeit, das große Stück in mein Mauseloch zu schleppen! Und für mich allein ist es sehr viel. Mach doch wenigstens mal die Tür auf, hier draußen ist es nicht so nett, mit dir zu reden.“
Mathilda verdrehte die Augen. Was war das für eine Nervensäge, die da unter ihr eingezogen war? „Ach lass mich in Ruhe!“ blaffte sie in der Hoffnung, dieses vorlaute Mausewesen nun endlich loszuwerden. Dennoch lief ihr das Wasser im Munde zusammen.
„Du bist ja ziemlich unfreundlich zu mir.“ kam es von jenseits der Höhlentür.
„Na und?“
„Na und fragst du? Ich bin neu hier und auch freundlich zu dir, obwohl wir uns nicht kennen. Warum also bist du so katzig? Ich könnte die Sahne übrigens auch warmmachen und mit einem Teebeutel würzen, schmeckt prima!“ Zum Teufel mit dieser Minimaus! Warum konnte sie heute nicht einfach in ihrer schlechten Laune baden und die Welt verdammen?
Widerwillig stand Mathilda auf und schlurfte zur Tür, schob den Riegel zurück und linste durch den Spalt.
Die Maus, die ihr entgegenblickte, ließ Mathilda schlucken. Sie entsprach überhaupt nicht dem Bild, das Mathilda sich in der kurzen Zwischenzeit von Kunigunde gemacht hatte: Sie war groß und dürr, hatte struppiges, graubraunfleckiges Fell und wilde glänzende Knopfaugen. Von wegen klein und niedlich! Sie trug einen zerschlissenen wild gemusterten lila Rock und eine Bluse, deren Farbgebung unmöglich zu bestimmen war: Von Knallgelb bis pink, grasgrün – alles enthalten. Die Haare standen Kunigunde in wirren Büscheln um den Kopf herum zu Berge, die Schwanzspitze zierte eine himmelblaue Schleife. Sie sieht aus wie eine lebendige Vogelscheuche, dachte Mathilda und starrte sie an. „Hallo!“ sagte Kunigunde. „Ich bin Kunigunde. Nett dich kennenzulernen!“ und streckte ihr die Mauspfote entgegen
Mathilda ergirff die Pfote und räusperte sich verlegen „Äh - hallo.“
„Was ist nun – Lust auf Sahne und Kuchen?“ wiederholte Kunigunde ihre Einladung. „Nun komm schon!“ Sie schien sich nicht im geringsten um Mathildas bedröppelt-graues Aussehen zu scheren.
Noch immer ungläubig über das, was sie da sah, stotterte Mathilda: “Äh – na ja – äh hm, okay.“ und folgte schlurfenden Schrittes Kunigunde, die Richtung Treppenhaus ging.
Durch einen Spalt in der Tür witschten sie in die Wohnung, huschten durch den Flur in die Küche, um in einem Loch hinter der Anrichte in Kunigundes Reich zu verschwinden.
„Hereinspaziert!“ bat Kunigunde Mathilda fröhlich herein. „Willkommen in meinem bescheidenen Reich!“
Uff, dachte Mathilda, als sie den Blick in Kunigundes Heim schweifen ließ. Wie sieht es denn hier aus? dachte sie. Wie in einer Räuberhöhle!
Und tatsächlich: Überall lagen Kleidungsstücke in den schrillsten Farben und Mustern herum, hier ein rosa-pink-braun gepunkteter Rock mit gelben Fransen, dort ein Pullunder mit grün-violetten Streifen. Unter dem Bett konnte sie einen einzelnen orangen Pumps erkennen. Mein Gott, sie könnte eine ganze Vogelscheuchenkompanie bekleiden! dachte Mathilda im Stillen.
Auf dem Tischchen an der Wand türmten sich Kuchenstückchen, Käsekrümel und Wurstenden neben angeknabberten Brotkanten und einer Untertasse voll milchähnlicher Flüssigkeit. Igittigitt – und hier soll ich mich hinsetzen? Die Frau braucht ein Aufräum- und Putzkommando, sonst nichts, verdrehte Mathilda innerlich die Augen.
„Du willst doch nichts behaupten, dass du dieses Chaos innerhalb der paar Tage, die du hier wohnst, hergestellt hast, oder?“ Mathilda konnte sich diesen bissigen Kommentar nicht verkneifen.
„Doch, natürlich!“ lautete Kunigundes Antwort – im vollen Brustton der Überzeugung´. „Ich kam hierher und habe einfach meinen Koffer ausgeleert. Ich muss jeden Tag sehen, was ich anzuziehen habe, damit ich für etwas davon mich entscheiden kann!“ Mathildas Kritik schien ihr nicht im Geringsten etwas auszumachen, im Gegenteil: Sie schien eher stolz auf ihr Durcheinander zu sein!
„Komm, setz dich! Ich mache inzwischen die Sahne warm. Und soll ich einen Teebeutel reintun? Er ist erst einmal benutzt und schmeckt immer noch gut – mach ich immer!“
„Wegen mir…“ grummelte Mathilda. Hoffentlich ist noch kein Schimmel dran, dachte sie.
Auf dem Weg zum Herd drehte Kunigunde sich um, schaute Mathilda geradewegs ins Gesicht und sagte: „Du hat eine super Gnaddelfalte zwischen den Augenbrauen,, weißt du das? Hast du die immer bei diesem Wetter?“ fragte sie und grinste breit.
„Hmpf.“ war Mathildas missmutiger Kommentar.
„Warte mal!“ Kunigunde flitzte in Richtung Schrank und verschwand fast darin. „Irgendwo muss er doch sein… - ah, hier! Sieh selbst!“ und sie kam mit einem kleinen Handspiegel zurück, dessen Rahmen mit rosa Perlchen besetzt war und hielt ihn Mathilda unter die Mausenase.
Mathilda starrte hinein – und tatsächlich: Eine unglaublich steile Schlechte-Laune-Falte markierte die Grenze zwischen ihren Augenbrauen. Das Deckenlicht warf einen dunklen Schatten zur Seite, so dass sie noch wulstiger aussah als sie in Wirklichkeit war. „Damit könnte man die Katze der ollen Hausmeisterin zu Tode erschrecken!“ rief Kunigunde begeistert. „Das würde ich zu gerne mal erleben, dass dieses Mistvieh endlich auch mal schrill kreischend davonspringt! Stell dir nur vor: Wir leuchten dein Gesicht mit einer kleinen Lampe an und halten eine Leselupe vor dein Gesicht. Dann brauchst du nur noch „BUH!“ zu machen, während das Biest zum Beispiel friedlich schlummert – die kriegt einen Schock fürs Leben! Herrlich!“ Kunigunde kringelte sich vor Lachen.
Wider Willen fühlte Mathilda, dass sie in Gedanken an einen zutiefst erschreckten Erzfeind schmunzeln musste -und gleichzeitig begann sich ihre Stirn zu glätten.
„Och nöööö!“ rief Kunigunde scheinbar enttäuscht, „lass doch die Falte noch etwas da! Kannst du die eigentlich noch granteliger machen? Wie siehst du aus, wenn du richtig wütend bist? Funkeln deine Augen dann bitterböse?“
„Ich weiß nicht. Ich habe keinen Spiegel oben.“
„Nein?“ Kunigunde war entsetzt: „Wie willst du dann wissen, wie du aussiehst oder ob deine Anziehsachen zum heutigen Tag passen?“
„Und eigentlich will ich das auch gar nicht wissen. Ich bin sowieso eine graue Maus.“
Mathildas Schmunzelansatz war vorüber, sie erinnerte sich wieder ihrer üblen Aufstehlaune.
„So wie du heute ausschaust, allerdings. So richtig GRAU!“ und dabei rollte sie das „r“ von „grau“ wie ein knurrender Hund, ganz tief hinten im Rachen. „Gefährlich GRAU – GRAU, GRAU!“ Fast wie Hundegebell stieß Kunigunde diese letzten Worte hervor. Dazu zog sie die Schnauzenwinkel nach oben, als würde sie gleich auf Mathildas Waden losbeißen.
Sie hielt in ihrem Gekicher inne. „Was ist?“ fragte sie, als sie Mathildas Miene sich verdunkeln sah.
„Du machst dich über mich lustig!“ antwortete Mathilda vorwurfsvoll. Und siehst dabei selber aus wie Nachbars Dackel Lumpi dachte sie weiter.
„Ich seh bestimmt gerade selber aus wie dieser Lumpi von unten, diese fette Dackel-Wurst mit den O-Beinen, oder?“ Und dabei drehte Kunigunde ihre vogelscheuchendünnen Mäusebeine nach außen und schwerfällig wackelte ein paar Schritte durch den Raum.
Nun konnte sich Mathilda das Lächeln nicht verkneifen.
„Das habe ich auch gerade gedacht“ gab sie zu.
„Scheußlich, dieser Köter. Und so fett, dass er bald mit dem Bauch auf dem Boden schleift.“ Kunigunde hockte sich auf allen vieren auf den Boden, versuchte gleichzeitig ihre Mäuseellbogen und –beine nach außen zu drehen und mit ihrem Bauch den Boden zu berühren. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und rollte über den Zimmerboden, und brüllte dabei vor Lachen:“ Haaahaaahaaa!“
Mathilda betrachtete die scheußlich kunterbunt gekleidete Maus, wie sie sich da am Boden kullerte und verzweifelt diesen Dackel nachzumachen versuchte, während sie sich gleichzeitig kaputtlachte – und spürte, wie sich ihre Schnauzenwinkel zu einem Grinsen verzogen. Wie verrückt diese Maus doch war!
Keuchend erhob sich Kunigunde vom Boden.
„Wie gut, dass wir Mäuse sind, was?“ strahlte sie Mathilda an.
„Jedenfalls besser als dummer Dackel sein.“ antwortete Mathilda.
„So jetzt brauche ich erstmal was zu trinken und zu essen. Ach du liebe Güte: Ich habe ganz vergessen, die Sahne aufzusetzen. Also: Teebeutel ja oder nein?“
„Ja, mit Teebeutel“ antwortete Mathilda und ihre schlechte Graulaune war wie weggeblasen.
 



 
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