Ein angehender Schriftsteller trifft einen volksnahen Intellektuellen ...

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Cyrano

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Na, und, was machst du denn jetzt so?

Ein angehender Schriftsteller Trifft auf dem Weinfest einen Volksnahen Intellektuellen...




„Also bin der volksnahe Intellektuelle“. Mit breitem, kollegialem Grinsen stand er vor mir, als sei er gerade eben erst aus der Menge aufgetaucht. Es war einer dieser ehemaligen Klassenkammeraden, die nach dem Abitur in der Versenkung verschwunden waren. „Ein Mensch, dem man seine Intelligenz nicht vorwirft“ Intelligenz... ja. Er war einer derer, die irgendein gruseliges dunkles Loch so dankbar verschluckt zu haben schien, und die es jäh zu solchen Anlässen, leider mit einer beeindruckenden Regelmäßigkeit, das ist zu bemerken, wieder auszuspucken pflegt. Vor der Begegnung mit einem Mitglied dieser Spezies hatte es mir den ganzen Abend gegraut. Und dann auch noch ein Intellektueller. Selbsternannt. Und volksnah, Entschuldigung.
Bis zu dieser Bemerkung muss die Unterhaltung schon eine knappe Stunde fortgedauert haben. Mindestens. Die Eintönige Musik und mein mittlerweile auch solchen Geschöpfen gnädig gestimmter Geist hatten glücklicherweise die meiste Zeit in jenem wohligen Dämmerschlaf verbracht, der es auch in der Schule erlaubt hat, dem Unterricht brav zu folgen, nebenbei Schiffe zu versenken, und, in einer Art gleichgültig interessierten Lethargie, noch die ein oder andere anerkannte Mitarbeit zu leisten.
„Also der Mensch, der dem gemeinen Wesen noch nahe steht, ohne seine Intelligenz vorgeworfen zu bekommen“. Es ging als noch weiter... und wieder dieses Wort...

Da ich bereits mit der Klimax eingestiegen bin, möchte ich nun doch einmal kurz versuchen, den Verlauf des mono-dialoges zu skizzieren, der es mir schließlich erst erlaubte, an jenem Hochgenuss menschlicher Wahrheitsfindung in perfektionierter Sebstcharaktrisation teilzuhaben. Hierfür ist an erster Stelle die Atmosphäre der Festlichkeit zu umreißen, auf welcher sich dieses ganz und gar nicht schicksalhafte Zusammentreffen ereignete.

Es war nämlich ein Weinfest.
Das ist eine jener Saufveranstaltungen, auf die neben dem üblichen Pöbel, Punks, Arbeitslosen und Jugendlichen bis 14 auch gesittetere Gäste zugelassen sind. Und selbst wenn hier der Bürgermeister beim Lotz in die Einfahrt kotzt ist dass OK.
In einer typischen deutschen Kleinstadt treffen auf einem Weinfest Welten aufeinander. Zumindest innerhalb des Horizontes eines typischen deutschen Kleinstadtbürgers. Ja, im schlimmsten Fall läuft hier sogar der volksnahe Intellektuelle dem Volke einmal über den Weg.
Die Musik ist ausgelassen, die Menschen sind es sowieso, wer es nicht ist, der ist krank, und wenn das nicht zutrifft, nun, dann lässt man sich hinter seinem Rücken über den Betreffenden aus.
Für so manches Trauerspiel, das ist nun wohl unschwer zu verfehlen, bietet jenes Weinfest also eine perfekte Kulisse. Einheit von Ort, Zeit und Handlung sind auch gegeben, und, weiß Gott, wäre es anders, es bliebe wohl einiges erspart.
Damit ist die Erzählung auch schon beim eigentlichen Gespräch angelangt(der Leser mag mir glauben, dass auf einem nicht literarischen Weinfest die Zeit niemals so schnell verfliegen will).
Solche Gespräche, kommen sie denn wirklich in der selbigen Fülle vor, in der ich sie in meinem noch kurzem nach - Schul Dasein erleben durfte, verlaufen immer nach ähnlichem Muster. Erst, und dass ist noch nicht verwerflich, wo es doch zumindest einen Anfang macht, wird man angesprochen. Es ist die Anrede in den meisten Fällen ein Kommentar zu Kleidung oder Aussehen, meist mit konkretem Bezug zu Veränderungen, die sich an selbigem seit der „gemeinsam“ verbrachten, ja, brüderlich geteilten Zeit eingestellt haben. Diese Einleitung ist immer als Kompliment gemeint, will sagen intendiert, darf sich aber keinesfalls so anhören, ja darf niemals, und unter keinen Umständen, jenen ironisch, kritischen Unterton missen lassen, der das Kompliment noch mehr als nur relativiert, der nämlich, und das ist unverzichtbar, einen ersten Reibungspunkt, eine Angriffsfläche zimmert.

Die Einleitung ist also immer dieselbe, und das hat seinen Grund. Es ist schließlich immens wichtig, zwar eine kollegiale Basis aufzubauen, ja, Freundlichkeit auszustrahlen. Gleichzeitig muss aber eine Gewisse Überlegenheit suggeriert werden, die es ermöglicht, dass nun folgende, und in aller Regel einseitige Gespräch zu gestalten.

Da dieser Dialog nun, je nach Mitglied der Spezies ungeliebter Ex- Mitschüler, aus verschiedensten Bausteinen zusammengesetzt, und recht frei arrangiert sein darf, konzentriere ich mich fortan wieder auf das Interview (es so zu bezeichnen kommt mir nicht weiter anmaßen vor), das der Volksnahe Intellektuelle auf dem beschriebenen Weinfest mit mir zu führen die Dreistigkeit (und den Selbstdarstellungszwang, nennen wir es doch schon jetzt beim Namen), besessen hat.
Dieses Interview, es glich nun wirklich einem Frage und Antwortspiel, bei dem es mir abverlangt war, möglichst geschickte, gewitzte, oder zufriedenstellende Antworten auf schwer greifbare, vielleicht auch zusätzlich ölig, glitschig präsentierte Existenzfragen zu geben, und all dass, wärend ich, unter genauester Beobachtung des Gegenübers, gelassen, und kumpelhaft freundlich meine eigenen Diskussionsfähigkeiten doch aufblitzen lassen sollte, dieses Interview begann mit einem netten. „Na, und, was machst du jetzt so?“
„Ich hole mir etwas zu essen!“. Fertig. Denkste.
„Entschuldigung, vielleicht habe ich mich ein wenig schwer verständlich ausgedrückt. Ich meine im großen“. Was der sich denkt... entscheidet so mir nichts dir nichts über groß oder klein... „Wird ne große Portion“, antworte ich...
„Was du mit meinem Leben machst...?“ Ich denke mir, das mit dem Essen ist´n guter Anfang für das mit dem Leben, aber ich sehe dann doch ein, dass es sich nicht mehr wirklich lohnt, auf dem Essenswitz herumzureiten... „Studiere. Anglistik, Publizistik, AVL.“ „Was ist denn das?“ Was ist Was? „Vergleichende Literaturwissenschaft“. Die Kurzform. Darf ich jetzt weiter? Aber keine Chance, er hat dich schon am Haken.
Jetzt geht´s los:
Man unterhält sich ein bisschen, irgendwann wird sich schon ein Thema finden, an dem man sich so richtig satt rede kann. Meine Freundin nennt das nen intellektuellen Schwanzvergleich. Noch ein wenig weiter umkreisen. Löwen sind ähnlich geduldig, wenn sie einen Elefanten angehen.
Die Klamotten sind ein gefundenes Fressen, ne Debatte über´s anders sein? Der Volksnahe Intellektuelle schnüffelt noch, erkundet das Terrain. Dass ich überhaupt kein Interesse Zeige, merkt er kaum... Hmmm, jetzt Ente in Erdnussbutter beim Chinesen um die Ecke. Aber der Elefant sitzt ja fest. Grade dreht sich das „Gespräch“ um die Stadt. Diese Stadt. Die mit dem Weinfest. Scheißstadt! Aber das so formulieren? „Ich fühl mich hier nicht besonders wohl... Ich will hier raus“.
Ein Fehler. Der Löwe springt, er beißt zu... Erwischt zwar nur raue, verhornte Haut, aber für ihn ist es etwas zum Spielen.
Von nun an, und ich denke das haben all diese Intellektuellen gemeinsam, mit Sicherheit sagen kann ich es aber zur Zeit nur für die volksnahen, von nun an hat er seinen Spaß, die Demonstration kann beginnen:
„Mein Gott, du bist doch kein vergreister alter Mann, der irgendwo raus muss... wo willst du denn hin? In ein anderes Land? Eine große Stadt?“ So wird das noch eine Zeitlang gehen, es ist müßig das nun alles noch einmal durchzukauen... zumindest weiß ich nun, dass ich in den kommenden Minuten über alles ausgequetscht werden werde, was man im entferntesten mit Reisen unter einen Hut bringen kann. Zum Chinesen, denke ich mir, keine 25 Meter von hier. Wie dem auch sei.
„Bist du ein Purist? Oder zieht es dich zum wilden Leben hin?“ Alles noch unverfänglich, hier kann, hier muss ich antworten, sonst folgt dieses erbärmliche Schweigen. Und so ein wenig Höflichkeit muss ich wahren... Was immer ich jetzt sage, es kann sowieso nur in eine Richtung weiter gehen, in die Tiefe.

Bildung, so wurde es der deutschen möchte - gern - Elite vor einiger Zeit in einem Literarischen Erguss von (ist nur meine Meinung, sollte also beachtet werden, um hier einmal die Formulierungsformen jenes Textes aufzugreifen), eher zweifelhafter Qualität beschrieben, Bildung ist ein Spiel mit genau vorbestimmten Regeln. Zu dumm, dass man das Spiel nicht allein spielen kann. Hier stehe ich nun also vor einem Gebildeten wie der arme Junge, den der Opa jeden Sonntag zum Schachspiel zwingt...
Fein, ich spiele nicht mit. Ich gehe jetzt was essen.
Wieder falsch gedacht, irgendwas an dem Plan funktioniert nicht. ich möchte nicht ausschließen dass diese Etwas in mir zu finden ist... Ergeiz? Eher nicht. Höflichkeit. Obwohl ich die doch manchmal missen lasse, will ich es jetzt so nennen. Zumindest scheint es mit diesem Bildungsspiel zu sein wie mit dem Krieg. Wenn eine Seite sich überlegt: „Ich spiele heute mal Krieg mit denen von nebenan“, dann können die nicht nein sagen. Sonst haben sie gleich verloren, und irgendwie trotzdem mitgespielt.

Wohl oder über gehe ich also auf die Situation ein, gebe brav meine Antworten. Es geht dann auch gleich los. Zuerst einmal über das Reisen, Zweck, und Gefühle. Und warum ich hier weg möchte... ich erkläre, dass mich die zunehmende Verstädterung abschreckt, dass ich die Freiheit genießen möchte, und dass ich ungern Teil einer Verwertungsmaschinerie werden möchte, der ich mich hier, so mein Gefühl, kaum entziehen kann. Ziemlich viel, für ein Weinfest. Manchmal reicht so ein Satz, um das Gespräch wieder angenehmeren Themen zuzuführen, manchmal endet der Schwanzvergleich hier. Diesmal nicht. Der volksnahe Intellektuelle möchte Details. „Erkläre mir dass mal, wie du das meinst, mit der Verwertungsmaschinerie“. Spielt sein Bildungsspiel gut. Hat bestimmt das Buch gelesen. Vielleicht sogar ernst genommen. Eigene Blößen verdecken, andere schonungslos offen legen. Bildung ist nicht das was ich weiß, sondern alles, von dem ich vermuten lassen kann, dass ich es besser weiß als der andere .
Rückblickend muss ich bemerken, dass ich ihn an dieser Stelle wohl einfach hätte bedauernd anblicken müssen, den Kopf schütteln, und vor mich hin murmeln, „Eieiei, schon wieder ein Opfer“. Oder sowas. Zurückblickend. Leider war mir im betreffenden Augenblick das mit dem Buch noch gar nicht in den Sinn gekommen, und so muss ich das bedauern wohl bei unserem nächsten Treffen nachholen.

Ich dachte mir in der Situation wohl eher etwas wie: „Erklären, ach leck mich doch, kannste bei Marx nachlesen“. Ja, von einem volksnahen Intellektuellen kann ich doch erwarten, dass ihm bei dem Wort Verwertungsökonomie, oder Maschinerie irgendetwas einfällt. Erklären. Auf einem Weinfest. Wär ja noch schöner. Da eine ausgefeilte Erklärung nun wirklich jeden Rahmen gesprengt hätte, verschlug ich mich auf die emotionale Schiene. Die Schule, die Uni, Arbeit, Rente, Tot. Wofür... Bölls Anektdote zur Senkung der Arbeitsmoral, die noch viel ältere Indianergeschichte gleiche Bauart und Aussage, und immer messen sie dich am verdienst.( Iss so´n Schwanzvergleich ja fast human, dagegen), aber das sage ich nicht. Ich schließe mit den Worten: „Also in Deutschland könnte ich mit knapp 500 Euro locker leben, wo anders mit viel weniger. So funktioniert es ganz gut, er schließt sich mir an. Freunde... Essen? Nö, ist noch nicht drin. Wir sind nicht fertig miteinander.

Wenn ich träumen dürfte, fragt er mich, wenn ich träumen dürfte, was ich dann sein möchte, wer ich dann sein möchte, wo, und was ich mit meiner reichlich vorhandenen Zeit anfange. Nur wenn ich träumen dürfte, denn, diese Passage ist nun ziemlich verkürzt, „wir“, hatten vorher festgestellt, realistisch kalkuliert werden wir doch alle hier bleiben, dass Studium beenden, uns einen Job suchen.
Böll.
Was würde ich also machen. Dass die Bemerkung mit der Nahrungsaufnahme sich mittlerweile aufgebraucht hatte, hatte ich ja eingesehen, also antworte ich wieder wahrheitsgemäß: „Also wenn ich einfach als Schriftsteller mein Brot machen würde...“ „Wenn du irgendwo am Meer sitzen könntest, und vom Schreiben leben, würde dich das erfüllen?“. Ne Unterbrechung. Die kann ich nicht leiden. und vom Meer hab ich gar nichts erzählt. Warum in aller Welt, dass will mir bei rückwirkender Betrachtung nun gar nicht in den Kopf, soll mich denn allein das Schreiben erfüllen? Macht so ein Schriftsteller denn nichts anderes? Na ja, den Alkohol, und die Mädchen, die muss ich ja auch nicht jedem volksnahen Intellektuellen auf die Nase binden. Aber das Meer, also das hatte ich wirklich mit keiner Silbe berührt. Aber dem Frieden wegen, und weil Wiederstand ja in diesem Bildungsspiel, ich habe bereits darauf hingewiesen, zwecklos ist; ich gehe darauf ein: „Wenn es nicht immer das selbe Meer ist... warum nicht? Es gibt ja so viel davon“.
„Warum willst du weg?“ da war er wieder. Der Löwe. Der Elefant hat sich ein Minütchen zu lange seinen Träumen hingegeben. Äh... Hunger? Nee... Keinen Bock mehr auf die Stadt?... Auch nicht, das Thema hatten wir...
Schon hilft man mir auf die Sprünge: „Warum nicht an einem Ort. Warum ist es wichtig zu reisen?“. Eigentlich reicht´s mir. Ich möchte den 50:50 Joker. Elende Fragerei. Kann ich das Publikum befragen? Jemand anrufen? den Pizzaservice vielleicht. Andererseits... meine Chance, mein Thema...
Es war vielleicht nicht dem Anlass angemessen, ja, mit Sicherheit war es übertrieben und anmaßend auf einem Weinfest, aber ich sah meine Möglichkeit. Plötzlich konnte ich der ganzen Sache ein Ende bereiten. Ein Monolog. Ja, ein Gleichnis:

Und da sprudelt es: „OK, Es geht doch letztendlich um die Erweiterung des Horizonts. Wir wollen lernen“,
...immer weiter reden...
„Und dafür sollten wir neue Dinge entdecken, neue Sichtweisen kennen lernen, Sachen aus anderen Perspektiven betrachten“,
... nicht aufhören...
„ ja, natürlich kann ich theoretisch auch an einem Ort bleiben, und mich kontinuierlich, und unbegrenzt neu erfinden“,
... richtig, erlaube ihm bloß keinen Einwand...
„Aber was wäre das denn für eine Qual“,
... und jetzt kommt´s
„ Ich habe hier einen Vergleich für dich: Stell dir vor, du lebst mit zwei anderen Menschen in einem Raum. Theoretisch wirst du niemals alles in diesem Zimmer in deiner Lebzeit erfassen können, und die beiden mit ihrem veränderlichen Geiste und ihren Charaktereigenschaften sollten dir immer neues Glauben, Schaffen und Denken liefern, dass du erforschen darfst.“,
... zugegeben, wirklich kein komplexes Gleichnis, aber es tut es...
„ Aber wie unsagbar langsam muss denn nach einiger Zeit, wenn doch mal alles bekannt erscheint, das Entdecken vor sich gehen ... wie viel einfacher ist es denn nun, Gedankenhorizonte auf Reisen zu durchstoßen“
... Ziemlich dick aufgetragen, aber er war jetzt 5 Minuten ruhig... gleich gibt´s was zu futtern...

„Aber“, fällt da die Stimme ein, welche ich durch meinen Redschwall nun erfolgreich für eine kaum zu unterschätzende Zeit zur Ruhe rufen konnte, „Aber glaubst du, dass die Menschen auf der Welt wirklich so unterschiedlich sind?“ Verdammt, dass Bildungsspiel. Provokative, nicht zu widerlegende Thesen aufstellen. Wer schneller ist gewinnt.
Ja, es gibt schwarze, weiße, rote, gelbe. Darf man nur denken. Den Gegner an den Rande des Rassismus drängen. Mit Tabuisierungen gekonnt jonglieren.
Es gibt Menschen die seit 10 Generationen in einem sowohl geographisch als auch politisch hermetisch abgeriegelten Schoß gewiegt werden. Die von Kindesbeinen an metaphorische Zuckerstangen zum Frühstück naschen. Und dann sind da die, die sich jeden Tag vor Bomben in Luftschutzbunker verkriechen. Die, die sich blitzartig in ihre kargen Hütten zurückziehen, wen die Kalaschnikow wieder den Ton des Dialoges angibt. Allein so sterben 500 000 im Jahr. Und die Kinder, die mit Schmetterlingsmienen spielen. Die jungen Männer, die man auf Kaffeeplantagen totprügelt.
Menschen, die über politische und religiöse Repression nicht in Universitäten, an Stammtischen, oder in alternativen Arbeitskreisen diskutieren.
Es gibt die, die jeden Tag mit der Angst leben, am folgenden die Sonne nicht mehr aufgehen zu sehen, und dass nur, weil sie sich das Privileg einräumen wollten, ihre Gedanken in die Freiheit zu entlassen. Und dann gibt es einige, die sich privilegiert genug fühlen, all ihre Gedanken an jedem noch so unpassenden Ort, und oft auch noch sehr schlecht Reflektiert, aus der Sicherheit ihrer Großhirnrinde zu entlassen. Ohne Furcht, und ohne sich fürchten zu müssen. Und doch. Es gibt keine Unterschiede. Wie Rassistisch. Die Gedanken sind frei.

Auf diese Ausführungen hin erfolgt die Behauptung, es ginge doch darum, die Menschen auf Grundbedürfnisse zu reduzieren, dann seien sie doch alle gleich. Natürlich. Wie human. Die Reduzierung eines Individuums auf wenige Triebe. Dann darf ich mich auch an den Wölfen, den Würmern und den Ratten nicht vergehen. Das ist wohl ein anderes Thema.
Oder geht es auch um Liebe, Religion, Freiheitsbegriffe. Sind das Grundbedürfnisse? Dann kann ich innerhalb der grenzen deines gelobten Landes so viele Differenzen aufzeigen, dass jedes weitere Wort hier überflüssig wäre. Ich bitte die Rage zu entschuldigen. In einer gepflegten Diskussion mit einem volksnahen Intellektuellen ist dafür natürlich kein Platz.
Ich entgegne Humaner: „Nun, dass können wir wohl erst unterschreiben oder wiederlegen, wenn wir genügend Menschen kennen gelernt haben, um uns ein umfassendes Urteil zu bilden“.
Unentschieden. Besser so, irgendwie hätten die Überlegungen zum Menschsein in das Schema des Bildungsspieles wohl nicht reingepasst. Ich glaube nicht, dass meine Gedanken hier irgendetwas gegolten hätten. Zu emotional vorbelastet. Nur so´n Gefühl.

Theorie, andererseits, die kann an sich gar nicht ausreichend vertreten sein. Die Postmoderne Sprach- und Literaturtheorie sei, so dass von mir schon mehrfach zitierte Werk, der schnellste, wenn auch steinigste Weg vom Bildungsbürger zum gebildeten Bürger. Als rudimentärfanatischer Poststrukturalist, oder als Dekonstruktivist nach Derrida, sei es dann möglich, jegliche Diskussion aufgrund der kurzentschlossen zu beurteilenden Sachlage, in das eigene Theoriefenster hineinzuzwängen, und aus dem sicheren Bergfried der theoriespezifischen Werkzeuge heraus genüsslich die Ansichten der Gesprächspartner zu zerpflücken.
Ich schiebe das voraus, weil sich im folgenden das sprachliche Niveau meines Gegenübers Nocheinmahl anheben soll, und dieser, die eben angerissenen Regeln strengstens beachtend, nun zum entscheidenden Schlag ausholen wird: „Ich meine, denkst du nicht, dass in den meisten Fällen intrakulturelle Differenzen die interkulturellen mehr als aufwiegen sollten, und dass somit die Reise von Mensch zu Mensch weit erfahrungsreicher sein kann, als die zwischen den verschiedenen Kontinenten?“
Kann sie. Sicherlich. Der Satz hätte fast von mir sein können. Im Seminar. Auf der Uni. Zum angeben, mit nem kleinen Apell für mehr Menschlichkeit, gewürzt mit einer Prise Akzeptanz für die Individualität des Einzelnen. Habe vorhin in meinem Gleichnis auch nichts anderes gesagt. Nur Wahrscheinlichkeiten abgewogen. Wie dem auch sei, es ist nicht der Rede wert. Intrakulturell hat er gesagt. Und Interkulturell. Mein Gott, Ja. Später Postkolonialismus. Ne Einführung in Said gelesen, oder ne Biographie von Rushdie. Oder im Lexikon nachgeschlagen. Ich studiere jetzt ein ganzes Semester Literatur, und der denkt er kann mir so kommen. Kann er, natürlich. Hat theoretisch auch recht. ich kann ihn nicht wiederlegen, und ich will nicht weiter diskutieren. Rede noch ein wenig über die Stadt. Das Weinfest. Intrakulturell hat er gesagt. Auf einem Weinfest. Rede über die Leute. Das, was ich das Kuriositätenkabinett nenne. Über nen Typen, der mit zwei Baseballmützen und nem Kopftuch auf mich zukommt, und mich höflichst darauf hinweist, dass ich nun doch ein wenig komisch aussehe. Mensch, fehlt nur noch, dass er auch noch transkulturell gesagt hätte. Über den Bürgermeister und sein kleines Abendheuer mit der Seekrankheit am Ufer des Rheines... Moment. Der Löwe. So´n schmarrn aber auch, ich dachte ich wär durch:

Die Bemerkung über dem Mützenmenschen war falsch. Ich hätte es wissen müssen. Naiv - freundlich wie ich es nach einem solchen mono - Dialog manchmal zu werden pflege habe ich meinen Nacken dann doch noch recht billig feil geboten. Die Müdigkeit mag ihr übriges getan haben.

Zumindest ist nun wieder die Kleidung Thema.
Mit den Reaktionen müsse ich rechnen. Jo.
Das sei hier nicht London, ich solle doch tolerant sein. Jo.
An sich sei die Kleidung, die Haare, der Bart, ja, alles durchweg zu loben. Aber ich wolle etwas darstellen, und auf das, was ich darstelle, müsse ich mir Reaktionen gefallen lassen. Jo.

Jeder Mensch wolle etwas darstellen. Einen bestimmten Menschentypus, den er verkörpern möchte. Was ich denn darstellen wolle? Ich versuche auszuweichen, habe selten einen Menschen so einen Mist reden hören: „Tut mir leid, ich sehe das anders, ich kann unmöglich mich selbst, so wie ich mich sehe, hier nun in genießbaren Scheibchen servieren“. „Nicht in Scheibchen. Im ganzen. Als Typ“. Der Löwe. „So habe ich das noch nie ausformuliert“.
Wie auch, ich glaube nicht dass der Mensch irgendetwas darstellen will. Ich glaube an Nuancen, an Feinschliff. Aber auch an viele einzelne Steine, die sich stetig neu gruppieren. Hesse. Würde mein Gegenüber jetzt bemerken. ist mir an sich egal. Warum nicht? Auf jeden Fall kein Marmorblock. Kein Schild drauf.
„Aber du denkst es“, sagt der andere.
„Nicht das es mir bewusst würde“.

Rückblickend wird mir klar, dass hinter diesen Provokationen sicherlich eine sehr wohl durchdachte Philosophie hätte stehen können, die zu widerlegen, zumindest aber in aller Ausführlichkeit sich mit ihr auseinander zusetzen eine wahre Wonne an Erkenntnis hätte enthüllen können. Hätte. Nun setze ich den artikulierten Bruchstücken eines möglichen Gedankenkomplexes die Ewigkeiten überdauernde Macht der Schrift entgegen. Nun ja, diesmal war ich schneller.

Mir wurde es letztlich zu bunt. Ich ging in die Offensive: „Was willst du denn darstellen“

Da war er. Kein zucken. Kein Blinzeln. Nicht ein Mundwinkel verzieht sich. Der Satz:

„Also ich bin der volksnahe Intellektuelle ... Ich behalte mir die Freiheit vor, meine Meinung jederzeit zu ändern. Wenn ich morgen den Autonomen überzeugend rüberbringe, dann kann ich auch der Autonome sein.“
Wenn man es genauer bedenkt, so ist der Unterschied zu meinen Steinen, und den Nuancen, und dem Feinschliff, wohl eher marginal. Wahrscheinlich ist es doch die Veränderbarkeit, die den Charakter ausmacht, und da nehmen wir uns gar nicht so viel. Aber der Volksnahe Intellektuelle. Ja, der wird mir noch in einigen Jahren in den Ohren hallen, wenn mal wieder unverhofft das Gesicht eines weniger gerne gesehenen ehemaligen Klassenkameraden aus der Menge vor mir auftaucht.
Zum Glück war das Gespräch dann auch schlagartig vorbei, die Blase meines Gegenübers hatte schon vor längerer Zeit zu drücken begonnen, und er wollte ihr wohl die Erleichterung nicht länger verwären. Ich schlich auch von Dannen, endlich ein wenig Nahrung fassen, und dann auch den Topf besuchen.
Und so trennten wir uns denn, beide unsere Bedürfnisse zu befriedigen.

Zumindest was die betrifft waren wir uns letztlich doch gar nicht so unähnlich



Cyrano
 

knychen

Mitglied
Der "agehende Schriftsteller", der den "volksnahen Intelektuellen", welcher sich nicht einig ist, ob er Groß oder klein geschrieben dem Anspruch eines Literaturforums, in dem wir uns ja ohne Zweifel befinden, gerecht wird, auf einem arschlangweiligen Weinfest trifft, kann ja dem Autor dieser Geschichte, welche sich in unendlichen, manchmal schwer zu verstehenden Nebensätzen verliert, anheim legen, für den Fall, dass diese Story auf dem Postwege als Manuskript an welchen Verlag auch immer gesendet werden soll, gleichselbige vielleicht kurz mit einem Rechtschreibprogramm zu bearbeiten.
Mach doch wenigstens nach dem letzten Satz einen Punkt, damit man weiß, dass es endlich zu Ende ist.
Wo ist die Handlung bei diesem Schnellschuß aus der Hüfte?
Ratlos grüßt knychen.
 



 
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