Ein durchgeknalltet Weib

Ein durchgeknalltet Weib

„Willi, Du fasst mir meine Sau nich an! Dat iss meine Beute.“ Der Tag fing ja schon toll an.
Berta wartete frühmorgens ungeduldig auf meine Gesellen.
Ungewöhnlich höflich bat sie die Männer, ihr doch beim Tragen ihres schweren Keilers behilflich zu sein.
Die Männer haben nich schlecht gestaunt als sie den schweren „Wummann“ in den Hof schleppten.
„Jungs, jetz die Fleischerhaken da inne Sehnen rein, und dann vorsichtig anne Teppichstange aufhängen. Nich, dat Ihr mir die Sau fallen lasst und die Waffen sind hin, dann iss wat los! Wenn Ihr dat richtig macht, kriegt jeder von Euch ne Flasche Bier.“
Ich hörte wohl schlecht.
„Berta, Du hasse wohl nich alle im Stall, Bier wird vor der Arbeit nich gesoffen, mach hin, die Gesellen müssen aufe Maloche, kuck ma auffe Uhr. Ich muss auch weg, ich hab ne Menge Termine, zum Mittagessen bin ich wieder zurück. Nu zeig ma, wat Du kannz.“
„Ja, hau schon ab, ich komm bestens allein parat, mach Dir ma keinen Kopp.“ Den machte ich mir aber, denn sie hatte ja noch nie ne Wutz abgeschwartet.
Den ganzen Morgen dachte ich an Berta. Ich stellte mir vor, wie mein armet Eheweib schweißgebadet an dem Keiler rumsäbelte. Ich fuhr mittags heim und war gespannt, ob meine Holde allet schön inne Reihe gekriegt hatte.

Als ich in unsere Straße einbog, glaubte ich, mich hätt en Pferd getreten. War ich etwa inne falschen Straße abgebogen? Nee, war ich nich! Autos über Autos standen vor unserem Haus. Die Garageneinfahrt war genauso zugeparkt wie die Einfahrt vonne Werkstatt.
Wat war denn hier los? Ich stellte meine Karre notgedrungen hundertfünfzig Meter weiter ab und rannte wie angestochen zurück. Bei uns musste wat Schlimmet passiert sein. Die Haustür stand sperrangelweit offen. Ich lief int Haus. Überall lagen Mäntel und Jacken rum. Die Garderobe war rappelvoll. Wat ging hier ab?

Hinterm Haus fand offenbar en Jahrmarkt statt. Ein fürchterlichet Gejohle, wat auch noch von Jagdhörnern begleitet wurde, ließ Böses ahnen.
Ich flitzte auffen Hof und kriegte fast en Anfall. En grauenhaftet Kreischen empfing mich.
Fast alle Nachbarn und Freibiergesichter im Umkreis von hundert Metern und etliche Jagdfreunde stürzten sich mit ihren Weibern auf mich: „Willi, Deine Alte hat ja schwer Schwein gehabt. Sonnne Wildsau haben wir ja noch nie gesehn. Danke für die Einladung.“
„Ähm, ja, ja“, knurrte ich verlegen, „Berta hat wirklich allen Grund, tüchtig zu feiern. Habt ihr alle Urlaub? Oder wieso könnt ihr faulen Säcke schon am Montagmittag hoch die Tassen machen?“ Nachbar Gerd antwortete für alle: „Willi, Deine Berta hat uns doch schon gestern Nachmittag angerufen. Wir haben heute blau gemacht. Eure seltenen Feiern darf man doch nich verpassen!“
Ich hielt die Klappe weil mir für ne passende Antwort die Worte fehlten. Dat „Volksfest“ lief auf Hochtouren.
Täuschten sich da meine Lichter? War dat vielleicht ne Luftspiegelung? Da stand unter dem Balkon en Büfett vom Allerfeinsten. Der Schmidtkepowski, der teuerste Partyservice-Fritze inne Stadt, stand grinsend hinterm Tresen und schnitt gerade vom Rinderfilet rosarote Rängel ab. Ein etwa fünf Meter langer Tisch bog sich unter der Last der aufgetürmten Fressalien. Dat Buffet musste en Vermögen gekostet haben! Ich war sprachlos.
Aber wo zum Teufel steckte nur meine Berta? Aha, da sah ich sie.
Sie stand in voller Jagdmontur und geschultertem Gewehr neben ihrer Sau und hielt Hof.
Dat Tier war ja überhaupt noch nich abgeschwartet! Berta hatte mich beim Bock getan!
Sie ließ sich von mehreren Reportern inne prahlerischsten Posen knipsen. Der Chefreporter Ludwig Lüegen vom Herner Käseblatt interviewte sie gerade. Den kannte ich aus unserer Stammkneipe. Der Idiot war bekannt für die übelsten Klatschstories. Auch der Berichterstatter Bruno Übertreib von Radio Herne stand ungeduldig in Bertas Warteschleife.
Herne und Umgebung mussten natürlich auch über Rundfunk erfahren, dat se ne Wutz erlegt hatte! Ekelhaft war diese Angabe. Ich hätte am liebsten die ganze Bande vom Hof gejagt und Berta den Marsch geblasen.

Plötzlich veränderte sich die Hof-Szene:
Die Sau wurde auf Bertas Geheiß von vier Männern vonne Stange gehoben und für die Presse parat gemacht – natürlich schön fotogen mit weit geöffnetem Äser. Die blitzenden Keilerwaffen mussten ja gefährlich wirken!
Berta veränderte für die Fotos ständig ihre albernen Positionen. Sie kniete gerade mit ihrem Püster neben der Wutz. Hoffentlich war da nich noch ne Patrone im Lauf! Dann setzte sie sich sogar noch rittlings auf dat arme Tier. Ich konnte nich mehr hinkucken, dat war ja ätzend und so wat von unwaidmännisch!
An ihrem Jagdhut steckte ne halbe Fichte als Schützenbruch und genau son riesigen Bruch ragte der Sau als „Letzter Bissen“ aussem Äser.
Berta griente wie blöd inne Kameras rein und fragte die Reporter ständig, ob se auch voll im Bild wär. Ein son dösiger Pressefritze lag lang auffe Wiese, um dieset lächerliche Motiv richtig einzufangen.
Ich peilte Berta böse an. Sie registrierte meinen Zorn, aber ignorierte ihn. Ich war Luft für sie. Sollte ich sie hier vor alle Leute zurechtstutzen und dat Drama beenden? Auf keinen Fall! Wenn ich nämlich erst ma richtig aus mir rauskomme, komm ich gar nich mehr wieder rein! Obendrein bisse dann nur wieder jahrelang Gesprächsstoff inne Nachbarschaft.

Von der miesen, angeberischen Seite kannte ich mein Eheweib noch gar nich. Wat war bloß der Auslöser für ihr schrecklichet Verhalten? Hatte ich ihre jägerischen Hilfsdienste nich richtig gewürdigt? Oder konnte sie mein erfolgreichet Jagen nich mehr ertragen? War se etwa neidisch?
Fragen über Fragen schossen durch meine Birne. Vielleicht wollte se ne jagdliche Ich-AG aufmachen und mich gänzlich ausschalten.
Wie schaffte et Berta in nur drei Stunden dieset Affentheater auffe Beine zu stellen? Dat war zweifellos ne logistische Glanzleistung. Ich hatte se unterschätzt.

Die Bläsergruppe vom Hegering Herne blies gerade dat Jagdsignal „Sau tot“, da stolperte der versoffenste Nachbar, der Ötte Krakowiak über den Keiler, knallte voll auf dat Gesicht und brach sich dabei den rechten Vorderlauf. Der war schon ma ausgeschaltet und torkelte mit seiner Tusnelda hirsehackevoll vom Hof.
Dat Hundert-Liter-Fass war noch gut gefüllt. Ich ahnte, dat et en langen Tag werden würde.
Et war ja nich meine Sau, und außerdem widerte mich Bertas Schau und dat Reportergesocks an. Ich verdrückte mich in meine Stammkneipe und ließ Berta mit die Nachbarn weiterfeiern.
Gegen zwanzig Uhr war ich zurück. Die Reporter und Bläser hatten sich mittlerweile verzogen, doch etwa zwanzig lallende Anwohner waren immer noch am Picheln. Sie verfolgten da gerade ne unterhaltsame Vorstellung.
Ich holte mir nen Pilsken, stellte mich dazu und beobachtete meine Berta wie sie mit nem Skalpell den Keiler abschwartete. Dreiviertel waren bereits fein sauber vom Wildbret getrennt. Alle Achtung, Berta machte dat gut. Bei jeder kleinen Schnittführung klatschten die umstehenden Suffköppe und forderten johlend „Zugaabee“!
„Hömma, Berta“, sachte ich, „dat machse wirklich akkurat.“ „Ja, Willi, man muss uns Frauen ab und zu ma wat zutrauen. Die können mehr als Euch Männer nur den Hintern nachtragen.“ Jetzt brüllten die umstehenden Weiber vor Lachen und gaben Berta natürlich Recht.
Abscheulich war dat. Ich bin mit meiner dösigen Lobhudelei voll inne Falle getrampelt.
Wir sind Männer, und Männer sind sensibel. Deshalb ließen wir die gibbelnden Weiber allein und stiefelten beleidigt zum Fass.
Berta hatte die Sauschwarte tipptopp vonne Fettreste befreit, eingesalzen und schön mit die Borsten nach oben eingerollt. Der Gerber konnte sich freuen.
Anschließend hatte se dat Schwein sogar noch fachmännisch zerwirkt. Der Schmidtkepowski half ihr dabei und rückte ihr für meinen Geschmack etwat zu nah auffe Pelle, der lüsterne, alte Zausel. Sie, ich kann Sie wat flüstern, der stand kurz vor ne Ohrfeige.
Der standhafteste Steher, der Harry Lodderpinn, schwankte mit seinem Trudchen erst um ein Uhr morgens nach Hause. Er schimpfte wie en Rohrspatz, weil dat Fass leer war und er noch en fürchterlichen Brand hätte.
Wortlos verließ ich dat Schlachtfeld und ließ mich total geschafft in mein Bett fallen.
 



 
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