Ein gedankliches Spiel

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In Unordnung

Max wollte nie schreiben. Ihm gefiel sein Leben, so wie es war. Er ging täglich zur Arbeit, am Feierabend und den Wochenenden saß er mit seiner Frau zu Hause auf der Terrasse. Einmal in der Woche ging er zum Schachverein und spielte dort ein paar Partien, von denen er ein wenig mehr verlor als er gewann. Im Sommer besuchte das Ehepaar drei Wochen lang ihren Sohn in Freiburg. Von dort aus fuhren sie hinüber nach Frankreich und all das genügte Max vollständig.
Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, sich eines Tages hinzusetzen und eine Geschichte zu schreiben. Doch der Autor, der ihn erschaffen hatte, hielt es für eine gute Idee. Nur widerwillig setzte sich Max an den Computer. Der Autor hatte ihm eingeredet, dass er jenen Drang verspüren würde, aber Max spürte nichts. Für ihn war es verlorene Zeit. Der Autor meinte, er müsse nur durchhalten, dann würde es schon kommen. An jenem Abend saß Max nicht mit seiner Frau zufrieden auf der Terrasse. Er starrte auf die Tastatur und brummelte vor sich hin, dass der Autor, wenn er ihn hier schon hingesetzt hatte, sich nun verdammt auch die Mühe machen solle, sich zu überlegen, was Max nun unbedingt von sich geben müsse.
Der Autor hatte von Max seine ganz eigenen Vorstellungen und befand, dass sie schon bei seiner körperlichen Beschreibung beginnen müsse. Doch Max wehrte sich dagegen. Dass er sich nun in diesem kleinen, für diese Geschichte provisorisch eingerichteten Arbeitszimmer, stundenlang auf einen Stuhl quetschte, schien ihm Qual genug. Es müsse nun überhaupt nicht sein, dass sein Erscheinungsbild auch noch verhunzt werden würde, nur um eine – für ihn undurchsichtige – Geschichte zum Laufen zu bekommen. Und falls der Autor hierbei nicht einlenken würde, hätte er es sich selber zuzuschreiben, dass Max nun sofort vom Computer aufstand und auf die Terrasse ging, was ihm sowieso lieber gewesen wäre.
Der Autor erwiderte, dass dies wohl schwer möglich sei, da er Max immerhin erschaffen habe und die Terrasse in dieser kurzen Geschichte überhaupt nicht mehr vorkommen würde, doch Max entgegnete, dass ihn das nicht interessiere. Ebenso, führte der Autor an, sei seine Welt eh nur auf Schein aufgebaut, dass seine Frau zwar erwähnt wurde, aber noch nicht einmal einen Namen habe und er in diesem kurzen Text keinesfalls genannt werden würde.
„Sylvia“, sagte Max daraufhin. „Meine Frau heißt Sylvia.“
Zum ersten Mal kam es dem Autor in den Sinn, dass er mit Max vielleicht eine Figur erschaffen hatte, die es ihm nicht einfach machen würde. Aber, so entschied der Autor, konnte niemand gegen seinen Willen gezwungen werden und da Max sich so vehement dagegen wehrte, sich beschreiben zu lassen, lenkte der Autor in dieser Beziehung ein, um seinen Protagonisten nicht vollends zu verärgern. So sei hier nur erwähnt, dass Max mittleren Alters war, mit normaler Statur und durchschnittlichem Gesicht. Falls es einem Leser daran liegt, ihm ein besonderes Merkmal angedeihen zu lassen, so mag er es unbedenklich tun, da solche an Max bislang nicht zu bemerken waren (und er die Vorstellung der Leser ohnehin niemals erfahren würde).
Das Entgegenkommen des Autors befriedigte Max einigermaßen und da er sich dachte, dass schon etwas daran sei, ihn als erschaffene Figur zu bezeichnen, erklärte er sich bereit, dem Autor zur Freude am Computer sitzen zu bleiben. Der Autor hingegen, über diese Geste sichtlich gerührt, versprach Max im Gegenzug, bei seiner ersten Geschichte tatkräftig mitzuhelfen.
„Ich könnte über dich schreiben“, sagte Max.
Der Autor aber meinte, dass Max die Sachlage verkennen würde. Immerhin habe er (der Autor) ihn (Max) als Protagonisten geschaffen, gerade um sein Leben zu beschreiben. Und auch wenn der Autor durchaus gewillt sei, über das eine oder andere zu diskutieren, so war es doch der Fortgang der Geschichte doch ausschließlich seine Sache.
„Dann verstehe ich nicht, wozu du mich überhaupt brauchst. Ich könnte genauso gut im Garten sitzen, während du diesen Text alleine schreibst“, erklärte Max.
Der Autor fand diesen Einwand logisch. Er wusste aber auch, dass er die Geschichte keinesfalls ohne Max fertig stellen konnte. Aus dieser Überlegung heraus schlug er seinem Protagonisten vor, über eine Schachpartie zu berichten. Doch wies er ebenso darauf hin, dass Max in diesem Falle auf seine Hilfe verzichten müsse, da der Autor von diesem Spiel keine Ahnung habe und nicht einmal in der Lage sei, die einfachsten Züge zu beschreiben.
Max überlegte sich, dass es nicht lange dauern könne, bis er solch eine Geschichte selbständig geschrieben hatte und ein Abend wäre durchaus zu investieren, wenn der Autor danach endlich Ruhe gab und ihn danach die Abende mit seiner Frau (deren Name Sylvia bereits erfolgreich in die Geschichte eingeführt wurde) wieder draußen auf der Steinfläche (deren Name nach dem Willen des Autors definitiv nicht mehr benutzt werden sollte) verbringen ließ.
So begann Max eifrig, die Geschichte über eine Schachpartie zu schreiben und tatsächlich hatte er sie nach drei Stunden fertig. Aber sie gefiel dem Autor nicht und er hatte an ihr herumzumäkeln, dass sich Max genötigt sah, an den nachfolgenden Abenden Korrekturen vorzunehmen. Die lauen Sommerabende verbrachte Sylvia nun allein an jenem Ort, zu dem Max sich so sehr sehnte und auch zu seiner wöchentlichen Schachpartie ließ der Autor ihn nicht mehr gehen, solange er nicht halbwegs gut darüber zu schreiben vermochte.
Das Leben, so meinte der Autor, welches Max bislang geführt habe, sei doch ziemlich eintönig gewesen. Nun aber, als frisch erdachter Schriftsteller, würde er eine Welt kennen lernen, von der er nicht einmal in seinen kühnsten Vorstellungen geträumt hätte. Er könne um die Welt reisen (das Geld hierfür konnte der Autor ihm jederzeit mit einem Satz in dieser Geschichte auf das Konto überweisen), eine Dachgeschoßwohnung in Montevideo beziehen, sich dem Liebeskummer hingeben oder drei Monate unentwegt Singvögel beobachten. Er könne von den Abgründen der Menschheit schreiben oder Fantasiegeschichten, Gedichte und Essays, ja er könne sogar unendlich berühmt werden oder völlig verarmt in einer Pariser Gasse sterben.
Max dämmerte es, das er einem jener obskuren Autoren in die Hände gefallen war, die sich der Effekte willen nicht davor scheuten, ihn als Spielball ihrer Launen zu betrachten und ihn aus reiner Bosheit keinen Abend mehr mit Sylvia auf der Terrasse verbringen ließ (immerhin schaffte es Max, seine eigenen Gedanken so in die Geschichte einfließen zu lassen, dass er die Terrasse doch noch einmal erwähnen konnte, was er als einen wahren Davidsieg ansah).
Das Leben schien für ihn von nun an in eine aussichtslose Trostlosigkeit zu führen (auch wenn er zugestandener Weise bis dahin einige durchaus spannende Abenteuer zu bestehen hatte). Doch waren es genau jene unbesonnenen Äußerungen des Autors, die Max auf eine Idee brachten und nachdem er sich erst einmal über die Möglichkeiten, die daraus erwuchsen, klar geworden war, entschied er, sich seinem Schicksal nun zumindest für eine gewisse Zeit zu fügen. Fortan setzte er sich jeden Tag nach der Arbeit an den Computer und schrieb alles nieder, was ihm in den Sinn kam. Er führte endlose Diskussionen mit dem Autor, korrigierte Texte, verwarf sie, nur um am folgenden Tag wieder neu damit zu beginnen.
Es dauerte nicht lange, bis der Autor sich bei Max beklagte, dass er nun endlich zu seiner Weltreise aufzubrechen habe. Immerhin müsse diese Geschichte an Spannung gewinnen. Es ginge nicht an, dass er den ganzen Tag in diesem sowieso nur ungenügend erdachten Arbeitszimmer verbrachte, um einer Geschichte jenen Schliff zu verleihen, welche ihn als Schriftsteller legitimierte.
Max erwiderte daraufhin, dass er für Reisen keine Zeit habe. Immerhin sei er vom Autor als Schriftsteller geschaffen worden und wenn er seine Aufgabe als Protagonist zu akzeptieren habe (wie der Autor ihm ja eindringlich dargelegt hatte), so wäre es auch seine Pflicht, die Rolle so authentisch wie möglich zu erfüllen. Im Übrigen stünde es dem Autor ja frei, jemand anderen auf Weltreise zu schicken (natürlich mit Ausnahme von Sylvia, die Max auf dem Ort, der nicht mehr genannt werden durfte, sehnlichst erwartete).
Der Autor hatte diesen Fortgang der Geschichte nicht geplant. Ihm, der sich bei der Erschaffung von Max ein ereignisreiches Leben vorgestellt hatte, wurde es auf Dauer zu viel. Er zweifelte daran, ob es sich tatsächlich lohnen würde, seine abendlichen Diskussionen mit so einem widerspenstigen Protagonisten zu führen. Und wenn er es recht bedachte, so kannte er die Antwort.
Eines Abends, als Max sich wieder an den Computer setzte, war der Autor nicht mehr da. Max konnte es zunächst gar nicht glauben und wartete viele Stunden auf ihn, ohne jedoch etwas zu schreiben.
Zunächst vermutete er, dass sein Erschaffer verhindert sei, nach einigen Tagen jedoch schöpfte er Hoffnung, dass der Autor einfach das Interesse an ihm verloren hatte.
An diesem Abend saß Max gemeinsam mit seiner Frau auf dem steinernen Boden des Gartens (erst am folgenden Tag sollte er sie wieder als Terrasse bezeichnen) und sah in den Sonnenuntergang. Seine Schachfreunde freuten sich, als er in dieser Woche wieder zu ihrem Treffen kam. Er verlor ein wenig mehr Partien als er gewann und die Ordnung war wieder hergestellt.
(Zur Vollständigkeit sei hier hoch erwähnt, dass der Autor sich bereit erklärte, diesen Schluss zu schreiben, da er die Meinung vertrat, jeder Text müsse ja auch irgendwie enden und Max vehement erklärte, dass er in seinem Leben niemals wieder einen Satz zu Papier bringen wolle).
 
S

steky

Gast
Hallo, @Magnus Gosdek,

ich lese hier die Geschichte eines Charly Browns, der von teuflischen Händen ins Autoren-Leben gezogen wird. Dass der Autor Max so dringend benötigt, liegt vielleicht an seiner Rolle als figurativen Widerpart, der die Handlung beeinflusst bzw. vorantreibt.

Für mich krankt die Geschichte an mangelhafter negativer Erfahrungen des Protagonisten und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf dessen Leben, sodass dieser am Ende tatsächlich vor dem Nichts steht und ein Gefallener ist.

Den Text gibt´s allerdings schon:

https://www.youtube.com/watch?v=dHDdca52pcs

Was ich sagen möchte:

Mir fehlen hier die Ereignisse, die Erfahrung zur Erfahrung machen.

Was willst du mit dieser Geschichte denn transportieren?

LG
Steky
 
Hallo Steky,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich hatte beabsichtigt, die Grenzen verschwimmen zu lassen. Dies war die Hauptintention, dass ich die Geschichte schrieb.

Dein Hinweis der fehlenden negativen Erfahrungen ist interessant. Ich werde einmal darüber nachdenken und sehen, wie die möglicherweise die Geschichte verändern könnte.

Lieben Gruß
Magnus
 
S

steky

Gast
Die Geschichte lese ich als einen Traum inmitten von Bergen voll mit Büchern (die man eigentlich durchnehmen sollte).

Insofern ist dir der illusorische Faktor geglückt.

Aber wozu? Wo ist die Verbindung?

Bis dahin
Steky
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo Magnus!

Mir hat deine Geschichte von dem widerspenstigen Protagonisten, der ein Schriftsteller werden soll und eigentlich doch nur sein gewohntes Leben und seine Ruhe haben will, sehr gefallen. Besonders über die Sache mit der Terrasse (fast ein running gag) musste ich schmunzeln.

Muss ich einen tieferen Sinn in dieser humorvollen Gegenüberstellung von Autor und Figur suchen? Wenn ja, habe ich eigentlich keine Lust dazu. Für mich ist dein Text einfach eine phantasievolle Reflexion des Autorendaseins. Gut geschrieben und mit einem netten Ende.

Gruß, Hyazinthe
 
Hallo Hyazinthe,

nein, den musst Du nicht suchen. Ich hatte keinen dabei im Sinn, lediglich die Widerspenstigkeit der Person in der Geschichte. Das war als reine Unterhaltung gedacht.

Schön, dass die Geschichte Dir gefällt.

Grüße
Magnus
 



 
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