Ein ideales Paar

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein ideales Paar

In einem dunklen Keller stand ein Wäschekorb voller Schmutzwäsche. Fast jeden Tag kam ein Stück hinzu. Und jedes roch anders. Eine Hose roch sogar nach Maschinenöl! Pfui Teufel! Als ob die Gerüche der Menschen nicht schon schlimm genug sind!
Wenn die Kleidungsstücke aus der Näherei kommen, duften sie nach Pflegemitteln, welche die Fasern schützen sollen. Das ist angenehm. Aber kaum haben die Menschen die Kleidung getragen, riechen sie ganz anders, je nachdem, an welchen Körperstellen sie zu sitzen kamen.
So distanzierten sich in dem Wäschekorb die Oberteile von den Unterteilen, und ganz besonders von den Socken. Dabei kam eine Socke ganz dicht bei einer zu liegen, die furchtbar nach Schweißfüßen stank. Sie verzog angewidert das Näschen, merkte aber, dass die Stinkesocke ganz weich und kuschelig war. Also nahm sie den unangenehmen Geruch in Kauf. Bald waren die beiden ein Herz und eine Seele und amüsierten sich köstlich. Der Stinker konnte aber auch Sachen erzählen! Donnerwetter, was der alles erlebt hatte! Und er freute sich, wenn sie ihm ein Liedchen sang.

Eines Tages kam die Hausfrau in den Keller und knipste das Licht an. Es flackerte kurz auf und verlosch wieder. „So ein Mist“, schimpfte die Frau, „nun muss ich eine Kerze holen! Ich kann nicht warten, bis mein Mann nach Hause kommt und nach der Lampe sieht, ich muss jetzt die Wäsche waschen.“
Nach wenigen Minuten kam sie mit einer brennenden Kerze zurück und stopfte viele Wäschestücke in die Waschmaschine, auch unsere Socken. Sie freuten sich wie alle anderen Kleidungsstücke über das warme, weiche, wohlduftende Wasser und vollführten die tollsten Sprünge in der Maschine.
Dann kam die Frau wieder und trug die Wäsche auf den Hof, wo eine Leine gespannt war. Sorgfältig wurde jedes Teil aufgehangen. Nun sahen die beiden Socken sich zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht. Rein zufällig hatte die Frau sie nebeneinander gehangen. Der nunmehr Nicht-Stinker war schwarz mit roten Kringeln und das Söckchen war rot mit schwarzen Kringeln. Aber das war nicht das Schlimmste, sondern, dass auf der anderen Seite ein Zwilling von jedem hing, der empört fragte: „Wo bist du gewesen? Warum hast du mich allein gelassen?“
Die Socken wiegten sich im Wind und hofften, bald wieder nebeneinander im Wäschekorb zu liegen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, da sind es fast zwei Paare geworden. Hat sich das weiße Bettlaken verfärbt?
Ich habe einmal ein Paar Socken mitgewaschen --- jetzt brauche ich nicht mehr zu Waschen. Ich habe damit das weibliche Vorurteil völlig bestätigt.

Wie ging es mit den Socken weiter? War die Hausfrau am Werken - keine Chance. Aber ein Mann hätte sie wohl einfach in den Schrank geworfen, wo sie einander begegnet wären, erneut.
 

majissa

Mitglied
Ein kleine, feine und leise Geschichte, die mir gefällt. Zwar dachte ich anfangs spontan an die in der Leselupe umtriebigen Strümpfe, konnte aber letztenendes keine Verbindung zu deinem Werk feststellen. Flammarion, mir fällt auf, dass du gut schreibst und trotz der inhaltlichen Unspektakularität Spannung erzeugst.

Liebe Grüße
Majissa
 

Petra

Mitglied
Liebe flammarion,

zart!
Das wünscht sich allerdings auch so manches Pullöverchen - so ganz ein Herz und eine Socke mit jemandem zu werden ;) !
In erwachsenen Stil transponiert, könnte daraus übrigens sogar gut und gerne ein satirisches Stück Literatur werden!

Trotzdem komme ich nicht umhin, - mehr schüchtern - festzustellen, chère madame, dass sich ein Fehlerlein einzuschleichen beliebte, sorry!

1. "(...) Dann kam die Frau wieder und trug die Wäsche auf den Hof, (...) Sorgfältig wurde jedes Teil
[strike][red]aufgehangen[/red][/strike] [blue]aufgehängt[/blue]. (...) nebeneinander [strike][red]gehangen[/red][/strike] [blue]gehängt[/blue]. (...) „Wo bist du gewesen? Warum hast du mich allein gelassen?“ "

2. Ausserdem finden sich im oben zitierten Absatz gleich in drei Sätzen hintereinander zweimal Abkömmlinge des "aufhängen"-s ;) . Möglicherweise könnte man eines davon ersetzen?

Darüber hinaus noch zwei winzige Anmerkungen, die aber sicherlich nichts weiter als rein subjektive Empfindungssache sind.

Erstens würde ich vielleicht aus:
"Als ob die Gerüche der Menschen nicht schon schlimm genug sind!"
einen konjunktiven Satz machen:
"Als ob die Gerüche der Menschen nicht schon schlimm genug wären!"

Zweitens würde ich im folgenden Satz vielleicht ihn und sie komplemetärer heraus stellen:
"Und er [blue]hingegen[/blue] freute sich, wenn sie ihm ein Liedchen sang."

Und vielleicht könnte man aus dem:
"(...) hofften, bald wieder nebeneinander im Wäschekorb zu liegen."
ein verträumtes Träumen werden lassen. Das wäre traumhafter. ;)

Viele liebe Grüße.
Petra

Ach - und ich weiß auch schon, wie´s weiter geht!
Zunächst endets grausam für die armen Strümpfchen. Sie wurden getrennt. Aber beim übernächsten Mal hatte die Hausfrau einen Schnupfen, und so mußte der Hausmann ran, der keiner war. So fanden sich Söckchen und Strumpf nicht nur gemeinsam im Wäschekorb, in der Maschine und auf der Wäscheleine wieder; nein, sie sich fanden auch im Schrank wieder vereint, wo sie sich schnell unter all den anderen Paaren versteckten. Und so wurden sie, vergraben im tiefsten Dunkel des Schrankes so schnell nicht wieder gesehen. Wohingegen die Reste des jeweiligen Paares jedoch kümmerlich vor sich hin kümmerten - ach!, wie grausam doch kann das Leben sein! *Hier entringt ein Seufzer sich meiner Brust. Auch eine Träne verdrückt sich schnell. *

Entschuldigung!

;)
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich möchte es doch noch etwas begründen:

die starke Konjugation klingt tiefer in der Geschichte verwurzelt, altertümlicher.

Außerdem klingt es zusammen:
gewesen - gehangen - gelassen

Im Märchen heißt es auch:

"O Fallada, der du hangest", nicht etwa:

"O Fallada, der du hängst."
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, Bernd

Ob das mit "Fallada" das ideale Beispiel ist?

Zwar teilt der Pferdekopf mit den Socken ein wenig das Schicksal, aber im Märchen muss sich der Dialog ja reimen. Hangest - gangest ist da sicher die bessere Lösung als hängst - gängst.

Und wenn nicht die bessere, so doch die eingängigere...

Schöne Grüße von blaustrumpf
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist nur ein Beispiel, und Beispiele hinken immer.

Sicher gibt es bessere.
Ich wollte auch nicht auf den Reim hinaus, sondern auf den Klang, den Rhythmus.

"Ich habe Wäsche aufgehangen" klingt für mich poetischer, märchenhafter, besser, als "Ich habe Wäsche aufgehängt."
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

recht, recht lieben und herzlichen dank euch allen, besonders petra, deren gute anregungen ich bald umsetzen werde.
ganz lieb grüßt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

bin endlich dazu gekommen, die nett vorgeschlagenen Änderungen vorzunehmen:

Ein ideales Paar

In einem dunklen Keller stand ein Wäschekorb voller Schmutzwäsche. Fast jeden Tag kam ein Stück hinzu. Und jedes roch anders. Eine Hose roch sogar nach Maschinenöl! Pfui Teufel! Als ob die Gerüche der Menschen nicht schon schlimm genug wären!

Wenn die Kleidungsstücke aus der Näherei kommen, duften sie nach Pflegemitteln, welche die Fasern schützen sollen. Das ist angenehm. Aber kaum haben die Menschen die Kleidung getragen, riechen sie ganz anders, je nachdem, an welchen Körperstellen sie zu sitzen kamen.
So distanzierten sich in dem Wäschekorb die Oberteile von den Unterteilen, und ganz besonders von den Socken. Dabei kam eine Socke ganz dicht bei einer zu liegen, die furchtbar nach Schweißfüßen stank. Sie verzog angewidert das Näschen, merkte aber, dass die Stinkesocke ganz weich und kuschelig war. Also nahm sie den unangenehmen Geruch in Kauf. Bald waren die beiden ein Herz und eine Seele und amüsierten sich köstlich. Der Stinker konnte aber auch Sachen erzählen! Donnerwetter, was der alles erlebt hatte! Und er wiederum freute sich, wenn sie ihm ein Liedchen sang.

Eines Tages kam die Hausfrau in den Keller und knipste das Licht an. Es flackerte kurz auf und verlosch wieder. „So ein Mist“, schimpfte die Frau, „nun muss ich eine Kerze holen! Ich kann nicht warten, bis mein Mann nach Hause kommt und nach der Lampe sieht, ich muss jetzt die Wäsche waschen.“
Nach wenigen Minuten kam sie mit einer brennenden Kerze zurück und stopfte viele Wäschestücke in die Waschmaschine, auch unsere Socken. Sie freuten sich wie alle anderen Kleidungsstücke über das warme, weiche, wohlduftende Wasser und vollführten die tollsten Sprünge in der Maschine.
Dann kam die Frau wieder und trug die Wäsche auf den Hof, wo eine Leine gespannt war. Sorgfältig wurde jedes Teil festgeklammert. Nun sahen die beiden Socken sich zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht, denn die Frau hatte die Wäsche geordnet, Pullover an Pullover, Socke an Socke. Der nunmehr Nicht-Stinker war schwarz mit roten Kringeln und das Söckchen war rot mit schwarzen Kringeln. Aber das war nicht das Schlimmste, sondern, dass auf der anderen Seite ein Zwilling von jedem hing, der empört fragte: „Wo bist du gewesen? Warum hast du mich allein gelassen?“

Die Socken wiegten sich im Wind und träumten davon, wieder einmal nebeneinander im Wäschekorb zu liegen.

Juni 2003
 



 
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