Ein kleines Märchen
Schluchzend lag das kleine Mädchen mit dem wunderschönen Namen Julia in seinem Bett und weinte sich in den Schlaf.
Weinte wie an so vielen Abenden, weil sein Tag wieder so schwarz gewesen war. Schwarz wie die Nacht, die jetzt durch das geöffnete Fenster kroch.
Die Arme taten Julia so sehr weh, denn alle hatten an ihr herumgezerrt – jeder wollte etwas anderes von ihr: Die strenge Mutter fand immer wieder neue Arbeiten für das Mädchen, die eigentlich viel zu schwer waren. Und an dem Ergebnis hatte sie dann auch stets etwas auszusetzen, egal wie viel Mühe sich das Mädchen auch gab.
Sogar der Lehrer in der Schule ließ kein gutes Haar an ihr, obwohl sie sich doch so sehr bemühte und eine sehr gehorsame und fleißige Schülerin war.
Julia hatte auch keine Freundin. Die anderen Mädchen kamen nur zu ihr, wenn sie sich gerade mit ihrer Freundin zerstritten hatten. Dann sagten sie: „Ach Julia, du bist die einzige, die mich versteht!“ Wenn sie sich dann wieder mit der Freundin vertrugen, hatten sie Julia längst wieder vergessen. Oder sie lachten über Julia. Doch mit ihr lachte niemand.
Dabei hätte sie so gern eine Freundin gehabt. Eine, die ihr zuhört und sie auch mal tröstend in die Arme nimmt.
Julia fühlte sich wie in tausend Stücke zerrissen und das Herz tat ihr so schrecklich weh. Dabei wollte sie doch nur eines – dass sie es allen recht tat und alle sie lieb hatten…
Als sie endlich über ihren Tränen eingeschlafen war, träumte sie einen gar seltsamen Traum. Ein kleines lustig anzuschauendes Männchen tanzte um sie herum, nahm sie einfach an die Hand und führte sie heraus aus dem riesigen Schatten. Mit ihm zusammen trat sie in eine Welt, die ihr völlig fremd war. Geblendet stand sie da in ihrem dünnen Nachthemdchen, denn überall, wohin sie auch sah, war ein gleißendes Licht, so als würde sie hoch schauen zu einer Sonne, die mit all ihrer Kraft am Himmel stand. Julia kniff die Augen zusammen. Durch ihre dunklen Wimpern hindurch erblickte sie leuchtende Blumen, schöne Menschen und Farben, so viele Farben, deren Schönheit sie noch nie gesehen hatte.
Freundliche Gesichter begegneten ihr und die Menschen lachten. Doch als sie näher trat und sie berühren wollte, wich sie erschrocken zurück – sie waren eisig. Wie erfroren.
Das kleine Männlein zog und zerrte an ihr: „Wir müssen wieder zurück!“ rief es. Aber sie wollte so gern noch verweilen. Vielleicht waren nicht alle Körper so starr? Sie musste es unbedingt herausfinden.
Doch der kleine Kerl zog sie unerbittlich mit sich und plötzlich hatte sie die Grenze überschritten. Es wurde schwarz um sie. Sie war wieder allein.
Julia schreckte in ihrem Bett hoch, rieb sich die Augen, als wäre sie noch immer geblendet. Der Mond schien direkt auf ihr Kissen. Sie ging zum Fenster, um es zu schließen, als sie auf dem Fensterbrett eine schön geschwungene Feder entdeckte. Solch eine Feder hatte sie noch nie gesehen. Sie war von einer schwer zu beschreibenden Farbe – hier im Schein des Mondes leuchtete sie fast golden.
Das Mädchen schloss das Fenster. Die Feder legte es neben den Spiegel auf der kleinen Kommode und schlüpfte schnell wieder ins Bett, wo es gleich darauf in einen traumlosen Schlaf fiel.
Als die Sonne Julia am nächsten Morgen weckte, hatte sie ihren nächtlichen Ausflug schon wieder vergessen. Doch beim Ankleiden vor dem Spiegel fiel ihr Blick auf die Feder. Vorsichtig steckte sie sie in ihr Haar.
Da blitzte und knallte es ganz furchtbar und der Spiegel erzitterte; Nebelschwaden standen plötzlich im Zimmer, aus denen schließlich ein kleines Männlein auftauchte. „Guten Morgen mein Kind!“ grüßte es freundlich „Ja kennst du mich denn nicht mehr?“
Julia stand mit staunendem Mund und großen Augen und konnte vor Aufregung überhaupt nichts sagen.
So sprach das Männchen weiter: „Ich kenne dich schon lange, liebes Kind. Ich beobachte dich schon viele Monde lang. Und weil du immer so sehr traurig bist, möchte ich dir gern helfen. Darum bin ich gestern auf der Sichel des Mondes in dein Bettchen gerutscht. Und jetzt bin ich hier und werde dir zur Seite stehen.“
Julia hatte ihre Stimme wieder gefunden und sagte leise: „Aber wie willst du mir denn helfen? Mir kann doch niemand helfen!“ Da kullerte eine Träne über ihre hübsche rosige Wange. „Na, na“ meinte da das Männlein, „ab heute wird nicht mehr geweint! Gemeinsam werden wir die dunklen Wolken fortpusten und die Sonne in dein Leben lassen. Du wirst sehen, es ist ganz einfach! Aber – lass dir gesagt sein, ich kann nur dreimal zu dir kommen. Immer, wenn du die Feder in dein Haar steckst, rufst du mich und ich bleibe solange bei dir, wie die Feder dein Haar schmückt. Ziehst du sie wieder heraus, bin auch ich verschwunden.“
Dieses erste Mal blieb das Männlein sehr, sehr lange bei Julia. Es saß auf der Kante ihres Bettes und das Mädchen sprach von seinen Sorgen und Nöten. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus und das Männlein hörte ihm geduldig zu. Als Julia endete und keine traurigen Worte mehr in ihrem Bauch und in ihre Seele waren, fühlte sie sich sehr wohl und leicht.
Nach einer Weile griff das Männlein in seine Tasche, brachte einen Ring zum Vorschein und hielt ihn dem Mädchen hin. Er sprach: „Trage diesen Ring immer an deinem Finger! Sein Stein ist schwarz, wie du siehst. Aber er fängt zu leuchten an, wenn du dich besser fühlst, wenn du glücklich bist. Er wird ein Spiegel deiner Seele sein. Gebe stets Acht auf ihn!“ Sie versprach es.
Doch als sie den Ring in die Hand nehmen wollte, fiel er zu Boden und als sie sich nach ihm bückte, rutschte die Feder aus ihrem Haar.
Sogleich war das Männchen verschwunden. Das Mädchen rief nach ihm und erinnerte sich schließlich erschrocken an dessen Worte. ‚Jetzt bleiben mir noch zwei Mal’ dachte es traurig.
Doch mit neuem Mut ging Julia in den Tag und es war ihr, als fielen ihr heute alle Aufgaben ein wenig leichter.
Julia war freundlich zu den Menschen, denen sie begegnete. Geduldig ertrug sie alle Beschimpfungen und bösen Worte. Bei allem, was sie tat, dachte sie heute aber auch daran, einmal eine kleine Pause einzulegen. Das war neu für sie und anfangs hatte sie auch ein furchtbar schlechtes Gewissen. Doch dann sah sie auf den Ring an ihrem Finger – war da nicht ein erster heller Punkt in seinem Stein?
In der zweiten Nacht träumte das Mädchen wieder den gleichen Traum. Doch kamen ihr die Menschen nicht mehr so kalt vor wie in der ersten Nacht und sie durfte auch viel länger in dem hellen Licht verweilen.
Sowie Julia am nächsten Morgen erwachte, steckte sie sich die Feder ins lange, weich fallende blonde Haar. Sofort stand das Männlein neben ihr. „Du hast mich gerufen, Mädchen?“ fragte es. Sie zeigte ihm den Ring mit dem ersten hellen Punkt in dem dunklen Stein und das Männlein lobte es sehr. „Aber denke daran“, mahnte es sogleich, „jetzt kannst du mich nur noch ein einziges Mal rufen. Daraufhin holte es einen Würfel aus der Tasche seiner knittrigen bunt karierten Hose und reichte ihn dem Kind. Beim näheren Hinsehen erkannte sie aber, dass es kein richtiger Würfel war, sondern eher eine Kugel. Eine blaue Kugel mit Augen, wie sie nur ein Würfel hat.
„Das ist eine Zauberkugel“ sprach das Männlein. „Lege sie unter dein Kissen, wenn du dich abends zum Schlafen bettest, und ihre Kraft wird sich auf dich übertragen. Sie wird dich so stark machen, dass du meine Hilfe schließlich nicht mehr brauchst.“
Das Männlein hatte gerade zu Ende gesprochen, als die Mutter laut ins Zimmer hereinstürmte. „Du bist ja immer noch nicht fertig angezogen!“ schimpfte sie. Zum Glück konnte sie das Männlein nicht sehen. „Was hast du denn da im Haar?“ Die Mutter kam näher. „Deine Spielereien werde ich dir auch noch abgewöhnen! Marsch, die Arbeit wartet auf dich!“
So sprach sie und zog Julia die schöne Feder aus dem Haar. Das Mädchen wollte nach der Feder greifen, sie festhalten, doch da rupfte die Mutter sie auch schon vor ihren Augen herunter bis auf den blanken Stiel. „Wozu brauchst du denn Schmuck im Haar? Dich guckt doch sowieso kein Mensch an, so hässlich wie du bist!“ Und sie zerbrach den kleinen Stiel der Feder.
‚Oh nein!’ dachte Julia verzweifelt. ‚Jetzt konnte das Männlein gar nicht mehr zu ihr kommen!’ Sie wollte weinen, besann sich aber auf die guten Worte ihres kleinen Helfers. Sie sah auf den Ring an ihrem Finger, dessen Stein immer heller wurde, atmete noch einmal tief durch und ging tapfer in den Tag hinaus.
Auch an diesem zweiten Tag gelang es dem Mädchen, den Ring immer stärker zum Leuchten zu bringen. Es hatte wirklich viel von dem Männlein gelernt. So wurde Julia immer mutiger, sagte auch mal „Nein“, wenn die Arbeit zu schwer war, die sie verrichten sollte, und ließ die anderen Mädchen sich einfach miteinander streiten. Julia glaubte immer stärker an sich selbst und ihre eigene Kraft.
Und die Zauberkugel unter ihrem Kissen half ihr dabei.
In der dritten Nacht träumte sie wieder den gleichen Traum. Doch diesmal blieb sie fast bis zum Morgen bei den Menschen mit den freundlichen Gesichtern und sie konnte sogar mit ihnen reden. Darüber war sie sehr glücklich und dieses kleine Glück rettete sie in ihren nächsten Tag hinüber.
An diesem dritten Tag setzte sich Julia am Nachmittag auf eine Bank in die Sonne und schaute den Spatzen im Park zu, die sie vorher nie wahrgenommen hatte. Überhaupt hatte Julia das Gefühl, als würde sie alles, was um sie herum geschah, erst heute zum ersten Mal richtig sehen können.
Da kam ein Junge des Wegs und fragte, ob er sich neben sie setzen dürfe. Dieser Junge ging, wie sie bald erfuhr, auch in ihre Schule, aber er war ihr noch nie aufgefallen. Sie sprachen lange miteinander und lachten und am Ende fragte Felix, so hieß der Junge, ob sie Freunde sein wollen.
Hinter den Büschen aber versteckten sich die anderen Mädchen und Julia sah ihre Köpfe hervorschauen. Und die, die gestern noch über sie gelacht hatten, schauten nun neidisch zu ihr herüber.
An diesem Tag hatte sie etwas Unglaubliches geschafft, etwas, an das sie nicht einmal im Traum gedacht hatte – der Ring an ihrem Finger leuchtete vom frühen Morgen bis zum späten Abend!
So vergingen die Tage und die Jahre, sie gab sehr Acht auf ihren Ring, der auch weiterhin ein Spiegelbild ihrer Seele blieb. Doch meist leuchtete er, weil Julia glücklich war. Das lag auch Felix, den sie lieb gewonnen hatte und mit dem sie zusammenblieb.
Den Ring trägt sie noch heute an ihrem Finger. Er leuchtet so hell, dass er all den Menschen einen Lichtstrahl ins Herz schickt, die dem Mädchen begegnen und die es kennen und lieben.
Die Zauberkugel platzierte sie nun jede Nacht so am Kopfende ihres Bettes, dass sie ein wenig unter ihrem Kissen und ein wenig unter dem Kissen von Felix lag.
Und das kleine Männlein - das kleine Männlein vergisst sie wohl nie.
Schluchzend lag das kleine Mädchen mit dem wunderschönen Namen Julia in seinem Bett und weinte sich in den Schlaf.
Weinte wie an so vielen Abenden, weil sein Tag wieder so schwarz gewesen war. Schwarz wie die Nacht, die jetzt durch das geöffnete Fenster kroch.
Die Arme taten Julia so sehr weh, denn alle hatten an ihr herumgezerrt – jeder wollte etwas anderes von ihr: Die strenge Mutter fand immer wieder neue Arbeiten für das Mädchen, die eigentlich viel zu schwer waren. Und an dem Ergebnis hatte sie dann auch stets etwas auszusetzen, egal wie viel Mühe sich das Mädchen auch gab.
Sogar der Lehrer in der Schule ließ kein gutes Haar an ihr, obwohl sie sich doch so sehr bemühte und eine sehr gehorsame und fleißige Schülerin war.
Julia hatte auch keine Freundin. Die anderen Mädchen kamen nur zu ihr, wenn sie sich gerade mit ihrer Freundin zerstritten hatten. Dann sagten sie: „Ach Julia, du bist die einzige, die mich versteht!“ Wenn sie sich dann wieder mit der Freundin vertrugen, hatten sie Julia längst wieder vergessen. Oder sie lachten über Julia. Doch mit ihr lachte niemand.
Dabei hätte sie so gern eine Freundin gehabt. Eine, die ihr zuhört und sie auch mal tröstend in die Arme nimmt.
Julia fühlte sich wie in tausend Stücke zerrissen und das Herz tat ihr so schrecklich weh. Dabei wollte sie doch nur eines – dass sie es allen recht tat und alle sie lieb hatten…
Als sie endlich über ihren Tränen eingeschlafen war, träumte sie einen gar seltsamen Traum. Ein kleines lustig anzuschauendes Männchen tanzte um sie herum, nahm sie einfach an die Hand und führte sie heraus aus dem riesigen Schatten. Mit ihm zusammen trat sie in eine Welt, die ihr völlig fremd war. Geblendet stand sie da in ihrem dünnen Nachthemdchen, denn überall, wohin sie auch sah, war ein gleißendes Licht, so als würde sie hoch schauen zu einer Sonne, die mit all ihrer Kraft am Himmel stand. Julia kniff die Augen zusammen. Durch ihre dunklen Wimpern hindurch erblickte sie leuchtende Blumen, schöne Menschen und Farben, so viele Farben, deren Schönheit sie noch nie gesehen hatte.
Freundliche Gesichter begegneten ihr und die Menschen lachten. Doch als sie näher trat und sie berühren wollte, wich sie erschrocken zurück – sie waren eisig. Wie erfroren.
Das kleine Männlein zog und zerrte an ihr: „Wir müssen wieder zurück!“ rief es. Aber sie wollte so gern noch verweilen. Vielleicht waren nicht alle Körper so starr? Sie musste es unbedingt herausfinden.
Doch der kleine Kerl zog sie unerbittlich mit sich und plötzlich hatte sie die Grenze überschritten. Es wurde schwarz um sie. Sie war wieder allein.
Julia schreckte in ihrem Bett hoch, rieb sich die Augen, als wäre sie noch immer geblendet. Der Mond schien direkt auf ihr Kissen. Sie ging zum Fenster, um es zu schließen, als sie auf dem Fensterbrett eine schön geschwungene Feder entdeckte. Solch eine Feder hatte sie noch nie gesehen. Sie war von einer schwer zu beschreibenden Farbe – hier im Schein des Mondes leuchtete sie fast golden.
Das Mädchen schloss das Fenster. Die Feder legte es neben den Spiegel auf der kleinen Kommode und schlüpfte schnell wieder ins Bett, wo es gleich darauf in einen traumlosen Schlaf fiel.
Als die Sonne Julia am nächsten Morgen weckte, hatte sie ihren nächtlichen Ausflug schon wieder vergessen. Doch beim Ankleiden vor dem Spiegel fiel ihr Blick auf die Feder. Vorsichtig steckte sie sie in ihr Haar.
Da blitzte und knallte es ganz furchtbar und der Spiegel erzitterte; Nebelschwaden standen plötzlich im Zimmer, aus denen schließlich ein kleines Männlein auftauchte. „Guten Morgen mein Kind!“ grüßte es freundlich „Ja kennst du mich denn nicht mehr?“
Julia stand mit staunendem Mund und großen Augen und konnte vor Aufregung überhaupt nichts sagen.
So sprach das Männchen weiter: „Ich kenne dich schon lange, liebes Kind. Ich beobachte dich schon viele Monde lang. Und weil du immer so sehr traurig bist, möchte ich dir gern helfen. Darum bin ich gestern auf der Sichel des Mondes in dein Bettchen gerutscht. Und jetzt bin ich hier und werde dir zur Seite stehen.“
Julia hatte ihre Stimme wieder gefunden und sagte leise: „Aber wie willst du mir denn helfen? Mir kann doch niemand helfen!“ Da kullerte eine Träne über ihre hübsche rosige Wange. „Na, na“ meinte da das Männlein, „ab heute wird nicht mehr geweint! Gemeinsam werden wir die dunklen Wolken fortpusten und die Sonne in dein Leben lassen. Du wirst sehen, es ist ganz einfach! Aber – lass dir gesagt sein, ich kann nur dreimal zu dir kommen. Immer, wenn du die Feder in dein Haar steckst, rufst du mich und ich bleibe solange bei dir, wie die Feder dein Haar schmückt. Ziehst du sie wieder heraus, bin auch ich verschwunden.“
Dieses erste Mal blieb das Männlein sehr, sehr lange bei Julia. Es saß auf der Kante ihres Bettes und das Mädchen sprach von seinen Sorgen und Nöten. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus und das Männlein hörte ihm geduldig zu. Als Julia endete und keine traurigen Worte mehr in ihrem Bauch und in ihre Seele waren, fühlte sie sich sehr wohl und leicht.
Nach einer Weile griff das Männlein in seine Tasche, brachte einen Ring zum Vorschein und hielt ihn dem Mädchen hin. Er sprach: „Trage diesen Ring immer an deinem Finger! Sein Stein ist schwarz, wie du siehst. Aber er fängt zu leuchten an, wenn du dich besser fühlst, wenn du glücklich bist. Er wird ein Spiegel deiner Seele sein. Gebe stets Acht auf ihn!“ Sie versprach es.
Doch als sie den Ring in die Hand nehmen wollte, fiel er zu Boden und als sie sich nach ihm bückte, rutschte die Feder aus ihrem Haar.
Sogleich war das Männchen verschwunden. Das Mädchen rief nach ihm und erinnerte sich schließlich erschrocken an dessen Worte. ‚Jetzt bleiben mir noch zwei Mal’ dachte es traurig.
Doch mit neuem Mut ging Julia in den Tag und es war ihr, als fielen ihr heute alle Aufgaben ein wenig leichter.
Julia war freundlich zu den Menschen, denen sie begegnete. Geduldig ertrug sie alle Beschimpfungen und bösen Worte. Bei allem, was sie tat, dachte sie heute aber auch daran, einmal eine kleine Pause einzulegen. Das war neu für sie und anfangs hatte sie auch ein furchtbar schlechtes Gewissen. Doch dann sah sie auf den Ring an ihrem Finger – war da nicht ein erster heller Punkt in seinem Stein?
In der zweiten Nacht träumte das Mädchen wieder den gleichen Traum. Doch kamen ihr die Menschen nicht mehr so kalt vor wie in der ersten Nacht und sie durfte auch viel länger in dem hellen Licht verweilen.
Sowie Julia am nächsten Morgen erwachte, steckte sie sich die Feder ins lange, weich fallende blonde Haar. Sofort stand das Männlein neben ihr. „Du hast mich gerufen, Mädchen?“ fragte es. Sie zeigte ihm den Ring mit dem ersten hellen Punkt in dem dunklen Stein und das Männlein lobte es sehr. „Aber denke daran“, mahnte es sogleich, „jetzt kannst du mich nur noch ein einziges Mal rufen. Daraufhin holte es einen Würfel aus der Tasche seiner knittrigen bunt karierten Hose und reichte ihn dem Kind. Beim näheren Hinsehen erkannte sie aber, dass es kein richtiger Würfel war, sondern eher eine Kugel. Eine blaue Kugel mit Augen, wie sie nur ein Würfel hat.
„Das ist eine Zauberkugel“ sprach das Männlein. „Lege sie unter dein Kissen, wenn du dich abends zum Schlafen bettest, und ihre Kraft wird sich auf dich übertragen. Sie wird dich so stark machen, dass du meine Hilfe schließlich nicht mehr brauchst.“
Das Männlein hatte gerade zu Ende gesprochen, als die Mutter laut ins Zimmer hereinstürmte. „Du bist ja immer noch nicht fertig angezogen!“ schimpfte sie. Zum Glück konnte sie das Männlein nicht sehen. „Was hast du denn da im Haar?“ Die Mutter kam näher. „Deine Spielereien werde ich dir auch noch abgewöhnen! Marsch, die Arbeit wartet auf dich!“
So sprach sie und zog Julia die schöne Feder aus dem Haar. Das Mädchen wollte nach der Feder greifen, sie festhalten, doch da rupfte die Mutter sie auch schon vor ihren Augen herunter bis auf den blanken Stiel. „Wozu brauchst du denn Schmuck im Haar? Dich guckt doch sowieso kein Mensch an, so hässlich wie du bist!“ Und sie zerbrach den kleinen Stiel der Feder.
‚Oh nein!’ dachte Julia verzweifelt. ‚Jetzt konnte das Männlein gar nicht mehr zu ihr kommen!’ Sie wollte weinen, besann sich aber auf die guten Worte ihres kleinen Helfers. Sie sah auf den Ring an ihrem Finger, dessen Stein immer heller wurde, atmete noch einmal tief durch und ging tapfer in den Tag hinaus.
Auch an diesem zweiten Tag gelang es dem Mädchen, den Ring immer stärker zum Leuchten zu bringen. Es hatte wirklich viel von dem Männlein gelernt. So wurde Julia immer mutiger, sagte auch mal „Nein“, wenn die Arbeit zu schwer war, die sie verrichten sollte, und ließ die anderen Mädchen sich einfach miteinander streiten. Julia glaubte immer stärker an sich selbst und ihre eigene Kraft.
Und die Zauberkugel unter ihrem Kissen half ihr dabei.
In der dritten Nacht träumte sie wieder den gleichen Traum. Doch diesmal blieb sie fast bis zum Morgen bei den Menschen mit den freundlichen Gesichtern und sie konnte sogar mit ihnen reden. Darüber war sie sehr glücklich und dieses kleine Glück rettete sie in ihren nächsten Tag hinüber.
An diesem dritten Tag setzte sich Julia am Nachmittag auf eine Bank in die Sonne und schaute den Spatzen im Park zu, die sie vorher nie wahrgenommen hatte. Überhaupt hatte Julia das Gefühl, als würde sie alles, was um sie herum geschah, erst heute zum ersten Mal richtig sehen können.
Da kam ein Junge des Wegs und fragte, ob er sich neben sie setzen dürfe. Dieser Junge ging, wie sie bald erfuhr, auch in ihre Schule, aber er war ihr noch nie aufgefallen. Sie sprachen lange miteinander und lachten und am Ende fragte Felix, so hieß der Junge, ob sie Freunde sein wollen.
Hinter den Büschen aber versteckten sich die anderen Mädchen und Julia sah ihre Köpfe hervorschauen. Und die, die gestern noch über sie gelacht hatten, schauten nun neidisch zu ihr herüber.
An diesem Tag hatte sie etwas Unglaubliches geschafft, etwas, an das sie nicht einmal im Traum gedacht hatte – der Ring an ihrem Finger leuchtete vom frühen Morgen bis zum späten Abend!
So vergingen die Tage und die Jahre, sie gab sehr Acht auf ihren Ring, der auch weiterhin ein Spiegelbild ihrer Seele blieb. Doch meist leuchtete er, weil Julia glücklich war. Das lag auch Felix, den sie lieb gewonnen hatte und mit dem sie zusammenblieb.
Den Ring trägt sie noch heute an ihrem Finger. Er leuchtet so hell, dass er all den Menschen einen Lichtstrahl ins Herz schickt, die dem Mädchen begegnen und die es kennen und lieben.
Die Zauberkugel platzierte sie nun jede Nacht so am Kopfende ihres Bettes, dass sie ein wenig unter ihrem Kissen und ein wenig unter dem Kissen von Felix lag.
Und das kleine Männlein - das kleine Männlein vergisst sie wohl nie.