Ein peinlicher Zwischenfall (Schreibaufgabe Juni)

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Ein peinlicher Zwischenfall

Die Türe öffnete sich leise. "Störe ich, Hauptmann?" Der junge Mann wartete die Antwort nicht ab, sondern trat ein. "Schon was Neues vom Robodoc?" Hauptmann Kreuden sah seinen 2. Offizier mit gemischten Gefühlen an. Thomsens Gesicht verhieß nichts Erfreuliches. "Nur, dass unser Wunderkind für volle zwei Tage außer Gefecht gesetzt ist und im Mediobrüter zum Heilschlafen bleiben muss. War ja zu erwarten bei den Prellungen und den beiden angeknacksten Rippen."
Kreuden forderte den jungen Mann auf, sich zu setzen. "Miese Sache ist das, Oberleutnant Thomsen, wirklich miese. Bei vollen zwei Tagen im Mediobrüter wird der Militärstaatsanwalt auf schwere Körperverletzung plädieren, mit allem Drum und Dran, keine harmlose Bordrauferei mehr. Und wir alle hier, Thomsen, stehen da wie die Deppen. Der neueste, schnellste, teuerste und am besten bewaffnete Kreuzer der Raumflotte nebst Besatzung - alle miteinander schaffen es nicht, auf ein Mädchen aufzupassen. Schlimmer noch: Einer von uns ist ein brutaler Schläger." Thomsen zog ein gequältes Gesicht. Kreuden hatte mehr als Recht.
Vor knapp einem Monat war man auf der Asteriodengruppe Oman 7 auf eine illegale Pflanzung gestoßen: Schlafmohn, Bilsenkraut, Stechapfel und noch ein Dutzend anderer antiker, wieder in Mode gekommener Drogen. Ihr Schiff, der Raumkreuzer Alabama, war losgeschickt worden, die Drogenfelder zu untersuchen. Zur Unterstützung der normalen Besatzung hatte man einen Laborcontainer mit der nötigen Ausrüstung an Bord gebracht. Ein Astro-Botaniker, Spezialgebiet historische Heil- und Drogenpflanzen, sollte an Ort und Stelle die Funde untersuchen, katalogisieren und entscheiden, wie das Zeug vernichtet werden sollte. Die eigentliche Aufgabe der Mannschaft bestand darin, den Wissenschaftler bei seiner Arbeit zu unterstützen und für seine Sicherheit zu sorgen, falls die Rauschgift-Piraten, denen die Pflanzung gehörte, sich blicken ließen. Kindermädchen spielen für einen durchgeistigten Kräutersammler!
Die Mannschaft staunte nicht schlecht, als sich Sandrine Bechtersheimer an Bord meldete. Ein Mädchen, kaum zwanzig Jahre alt, Sommersprossen, rote Haare, ein Doktortitel in Biologie. Einfach ein nettes Kind!
Genau dieses nette Kind hatte man vor einer Stunde zusammengeschlagen vor der Türe zum Laborcontainer gefunden. Sandrine, so wurde sie von allen genannt, war völlig verstört und konnte keine brauchbaren Angaben machen.
Die Bordsprechanlage fiepte, Leutnant Caulder, der Waffenoffizier des Schiffes, meldete sich: "Hauptmann, ich habe schon einen vorläufigen Bericht."
"Lassen Sie hören, Caulder", forderte ihn Kreuden auf.
"Ich konnte unter den Fingernägeln der Kleinen einige Hautpartikel finden. Es sind die Hautpartikel eines oder einer Weißen. Jetzt wissen wir wenigstens wer es nicht gewesen ist. Quagga, pechschwarz wie er ist, und Ming Seng sind außen vor."
"Sonst noch etwas?" Der Angesprochene zuckte verlegen mit den Schultern. Nein, da war nichts. Schließlich war er Waffenoffizier und Aushilfssanitäter, kein Polizist. Die beiden anderen Frauen an Bord hatten sich gegenseitig einer Leibesvisitation unterzogen, ergebnislos. "Soll Quagga vorm Sanitätsraum Wache halten?", fragte Caulder. Kreuden nickte zustimmend und schaltete die Bordsprechanlage ab.
"Jetzt stecken wir in einer Sackgasse", murmelte Thomsen, schlug dabei wütend mit der flachen Hand auf die Platte von Kreudens Schreibtisch. "Ich verstehe Sie nicht, Thomsen. Was meinen Sie mit Sackgasse? Hauen Sie mir nicht den Schreibtisch klein, sagen mir lieber, was Sie meinen."
Der 2. Offizier warf seinem Kommandanten einen gequälten Blick zu. Heute Vormittag, beim Selbstverteidigungstraining im Gymnastikraum, hatten mehrere der verbleibenden Verdächtigen Schrammen und Blessuren davongetragen. Er selbst hatte gegen Quagga beim Judo den Kürzeren gezogen, Caulders Punchingball schlug zurück und zu guter Letzt trage er, Hauptmann Kreuden, einige Schrammen im Gesicht. "Was mussten Sie auch gegen Beide antreten?" Die Männer lachten. Nein, gegen zwei Frauen auf einmal kam der Hauptmann nicht mehr an - wenigstens nicht beim Nahkampftraining.
"Und wenn wir die Proben, die Caulder genommen hat, mit einer Transportrakete zum Kriminaltechnik-Labor auf die Marskolonie schicken? Für was werden denn alle unsere biometrischen Daten gespeichert. Ein DNA-Test, und wir haben den Flegel, der Sandrine so vermöbelt hat!"
Der Hauptmann schüttelte voller Missmut den Kopf. Fünf volle Tage würde eine solche Untersucherung dauern, selbst bei vorrangiger Bearbeitung.
"Ich will den Kerl hinter Schloss und Riegel haben, wenn die Kleine wach wird. Tut nicht Not, dass der Kerl dann immer noch frei rumläuft. Davon abgesehen: Schon in vier Tagen erreichen wir Oman 7. Sie wissen selbst, dass wir dort mit Raumpiraten zu rechnen haben. Wer sagt uns denn, dass der Kerl nicht mit den Burschen unter einer Decke steckt? Verhindern will, dass unser astro-biologisches Wunderkind mit dem ganzen Zeug aufräumt? Nein mein Lieber, die Zeit haben wir nicht."
Während der ganzen Besprechung hatte Kreuden mit seinen Fingern auf der Tischplatte herumgetrommelt, schaute plötzlich zu Thomsen rüber und begann zu grinsen. "Haben Sie zufällig eine Nagelschere dabei, Thomsen?"
"Eine Nagelschere? Warum?"
"Abwarten, sich die Fingernägel maniküren und Musik machen, mein Freund."
"Aha."
"Nicht Aha, Thomsen. Sondern AKA."
"Verstehe kein Wort, Hauptmann."
"Macht nichts. Trommeln Sie Ming Seng aus dem Maschinenraum raus und schicken Sie ihn in den Laborcontainer. Unser Bordingenieur ist der einzige von uns, der mit Sandrines Gerätepark etwas anfangen kann."

Auf dem Labortisch lagen die Objektträger mit den abgeschnittenen Hautfetzchen fein säuberlich beschriftet: Name, Dienstgrad, Datum. Alle noch unter Verdacht stehenden Besatzungsmitglieder hatten eine Probe abgegeben. Ein weiter Träger, noch ohne Namen, lag etwas abseits. Das Optogon, eine Weiterentwicklung des Rasterelektronenmikroskops, war abmontiert worden und hatte Platz machen müssen für die merkwürdigste Konstruktion, die Kreuden und Thomsen je zu Gesicht bekommen hatten. Ming Seng, ganz stolzer Konstrukteur, ignorierte die zweifelnden Blicke seiner Kameraden.
"Und aus dem Kram, der hier im Container rumlag, und den Ersatzteilen aus unserem eigenen Lager haben Sie das Teil zusammengebastelt?"
Ming Seng nickte stolz. Dieses Gerät zur akustischen Körperzellen-Analyse war sein Werk.
"So Ming Seng, jetzt spannen Sie uns nicht weiter auf die Folter", Kreudens Anspannung ließ merklich nach, "schieben Sie die erste Probe unter's Mikro."
Der Angesprochene gehorchte. Bedächtig schob er den Objektträger, der seinen Namen trug, unter das Ultrafein-Mikrophon.
Eigentlich diente das Mikro der Raumüberwachung, war darauf ausgelegt, akustische Signale aus dem Weltall zu empfangen, zu verstärken und ins Raumschiff zu übertragen. Erst seit zwei Jahren beherrschte man die Technik, auch jene akustischen Signale, die von den unvorstellbar kleinen Schwebeteilchen im Weltall übertragen wurden, aufzufangen. Es ist eben doch nicht völlig still im All.
Jetzt versuchte der Bordingenieur, die extrem leisen Töne, die die vibrierenden Außenwände menschlicher Körperzellen unentwegt von sich geben, aufzufangen.
Es funktionierte. Leise Töne, ein bisschen wie Sphärenmusik aus dem späten 20. Jahrhundert ließ sich vernehmen. Thomsen, der direkt neben dem Aufnahmegerät stand, brauchte nur noch den Knopf zu drücken.
"Spitzenleistung, Ming Seng. Sie sind der beste Bastler im bekannten Universum."

Caulder und Quagga schubsten den 1. Offizier, Oberleutnant Wolgow, unsanft zur Türe hinein. Hauptmann Kreuden, warf den Beiden einen tadelnden Blick zu. "Sachte meine Herren, sachte." Wolgow hatte sich auf den Stuhl vor Kreudens Schreibtisch plumpsen lassen.
"Soll ich Ihnen die Aufnahme vorspielen, Wolgow?" Nein, Juri Wolgow wollte nichts hören. Gar nichts hören müssen, nichts sagen. Er bat um eine Schmerztablette gegen seine Entzugskrämpfe. Caulder zog ein Medikamentenröhrchen aus seiner Jackentasche und reichte ihm ein Glas Wasser.
"Sie wissen Wolgow, ich bin noch vom alten Schlag", begann der Hauptmann sein Verhör. "Man verprügelt nicht jemanden, der anderthalb Köpfe kleiner ist als man selbst und nur die Hälfte wiegt. Schäbig ist so etwas, noch dafür für einen Offizier. Es interessiert mich auch nicht, dass sie rauschgiftsüchtig sind und offensichtlich ohne Stoff. Ich will wissen, warum sie das arme Geschöpf so zusammengeschlagen haben."
Caulder war neben den Gefangenen getreten. Musterte sein verschwitztes, fahles Gesicht, nahm seinen linken Arm und streifte den Ärmel der Uniformjacke hoch. Keine Kratzspuren. "Wie kommt es eigentlich, dass Sie keine Kratzspuren im Gesicht haben oder an den Armen, Wolgow?" Der Angesprochene zuckte mit den Schultern, lächelte gequält. "Das kleine Biest hat mich an der Kopfhaut und den Haaren erwischt. Da sieht man nichts. Warum ich die Göre verprügelt habe wollen Sie wissen? Warum wohl? Ich hatte mitgekriegt, dass in dem Container ein Koffer ist mit allerlei Drogen. Werden für Vergleichsanalysen gebraucht; hat mir die Göre selber erzählt. Wollte mir was von dem Zeug holen. Mein Dealer, der mir vor der Abfahrt noch was geben wollte, hat mich im Stich gelassen. Bitte glauben Sie mir eines: Mit den Rauschgift-Piraten habe ich nichts zu schaffen. Sonst wäre mir kaum der Stoff ausgegangen.
Prompt kam das Frauenzimmer früher aus der Mittagspause zurück. Wollte mich melden. Da blieb mir doch nichts anderes übrig, als ihr den vorlauten, kleinen Schnabel zu stopfen. Selber Schuld."
Quagga, der die ganze Zeit neben der Türe gestanden hatte, meldete sich zu Wort. "Sagen Sie mal Wolgow, haben Sie wirklich geglaubt, dass Sie damit durchkommen? Konnten sich doch denken, dass das Mädchen sofort den Mund aufmacht. Die hält doch ihretwegen nicht dicht! Und selbst wenn. Irgendwelche Spuren hinterlässt doch jeder."
Wolgow schaute seinen Kameraden verständnislos an. Welche Spuren? Und wenn schon. Wie, hier an Bord eines Raumschiffes, Beweise sichern und auswerten? Er hätte doch Tage Zeit gehabt alles zu vernichten - eigentlich.
"Mann Gottes", Hauptmann Kreuden musste sich zusammenreißen, damit er sein Gegenüber nicht anschrie, "haben Sie in Ihrem zugedröhnten Schädel wirklich geglaubt, dass ich die Sache tagelang liegen lasse? Meinen Sie wirklich, dass ich nicht alle Hebel in Bewegung setze, die mehr als trostlose Geschichte aufzuklären, ehe wir im Zielgebiet sind? Haben Sie sich denn gar nicht gefragt, wozu die Hautprobe gut ist, die die meisten von uns haben abgeben müssen?
Wissen Sie, Wolgow, was Ming Seng gemacht hat, als Sie oben Brückendienst schoben? Er hat einen Funkspruch zur Marskolonie abgeschickt und sich von der Oberlaborratte der Kripo erklären lassen wie man ein Gerät zur akustischen Körperzellen-Analyse baut. Sie wissen doch, was das ist, die akustische Körperzellen-Analyse?" Der 1. Offizier schüttelte verlegen den Kopf.
"Ganz einfach, mein Lieber. Jede lebende oder auch tote Zelle vibriert und gibt dabei Töne von sich. Diese Töne sind ganz verschieden. Lungengewebe macht anderen Krach als Hautpartikel, gesundes Gewebe hört sich anders an als krankes. Seit ein paar Monaten ist man in der Lage, nicht nur zu sagen, welche Art von Gewebe man vor sich hat, man kann sogar bestimmen, von welcher Person das Material stammt. Eine DNA per Aktustik, wenn Sie so wollen. Nachdem Ming Seng mit seiner Bastelstunde fertig war, brauchten wir nur noch die Aufnahmen zu machen und zu diese miteinander zu vergleichen."
Kreuden nahm ein Blatt Schreibfolie, das die ganze Zeit neben seiner Rechten gelegen hatte, legte es nebst Schreibstift Wolgow vor. "Hier, schreiben Sie Ihr Geständis. Ersparen Sie dem Mädchen, in einem tagelangen Militärgerichtsverfahren aussagen zu müssen. Wie ich den Laden kenne, kriegen Sie dann sogar ein Drittel Straferlass."
Oberleutnant Wolgow nickte und schrieb.
 

dan

Mitglied
langweilig

hallo!

stilistisch finde ich deine kurzgeschichte wirklich gut.
es gibt noch ein paar rechtschreibfehler oder doppelte wörter - das nimmt aber nicht überhand und stört deshalb nicht gravierend.

ABER:
(um den text der schreib aufgabe zu zitieren)
"Schreibe eine Geschichte, die – mehr oder weniger weit extraploiert – auf dem "Gesang der Zellen" beruht bzw. wo dies ein handlungstragendes Element ist."

ich finde nicht, dass die anwendung eines solchen gerätes zur zell-akustik-messung ein handlungstragendes element ist! zumindest so, wie du es beschreibst. außerdem ist das schlicht langweilig und auch irgendwie lustlos in die geschichte eingebettet. mir kommt es sogar so vor, dass die geschichte nur drumrum geschrieben wurde.

ein spezies, die diese akustik zur kommunikation benutzt o.ä. wäre da viel spannender und würde auch der SF gerecht werden.

dan
 
Hallo dan,

schade, dass ich deinen Geschmack nicht getroffen habe. Aber echte Aliens liegen mir nicht so.
Mir kam es auch drauf an, eine praktische Möglichkeit eines solchen Geräts aufzuzeigen. Musik allein ist ja ganz nett, aber man will ja auch was verstehen.

Grüße
Marlene
 

jon

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Teammitglied
Also ich find's gut – noch besser wäre, wenn irgendwo eine Begründung wäre, warum ein "echter DNA-Test" an Bord nicht geht. Ich würde nämlich ganz stark vermuten, dass DNA-Analyse-Geräte zur Standard-Ausrüstung vom Raumschiff-Lazaretten gehören werden – einfach, um raz-faz rauszukreigen, ob ein Schnupfen von der Erde mitgeschleppt wurde oder von einem bösartigen "Alien-Virus" verursacht wird …

Am besten gefällt mir, wie die Leute reden – das klingt so niedlich russisch.


Natürlich kann man noch etwas "straffen" – das kann man ja meist. In diesem Fall ist die Erklärung der "Sing-Analyse" im beinahe doppelt.

Einmal:
Jetzt versuchte der Bordingenieur, die extrem leisen Töne, die die vibrierenden Außenwände menschlicher Körperzellen unentwegt von sich geben, aufzufangen.
Es funktionierte.
und dann noch mal (ausführlicher)

Jede lebende oder auch tote Zelle vibriert und gibt dabei Töne von sich. Diese Töne sind ganz verschieden. Lungengewebe macht anderen Krach als Hautpartikel, gesundes Gewebe hört sich anders an als krankes. Seit ein paar Monaten ist man in der Lage, nicht nur zu sagen, welche Art von Gewebe man vor sich hat, man kann sogar bestimmen, von welcher Person das Material stammt. Eine DNA per Aktustik, wenn Sie so wollen.
 
doppelt hält besser

Hallo jon,

danke für deinen Kommentar.

Wegen DNA-Analyse: Das Raumschiff, auf dem sich die Prots. befinden, ist in erster Linie für militärische Zwecke bestimmt. Die Damen und Herren haben ja auch militärische Dienstgrade. DNA-Analysen usw. gehören da nicht zum Tagesgeschäft. Ein großer Teil der Materialien für das selbst gebastelte Gerät stammt ja aus dem Laborcontainer der Biologin. Der Clou ist ja, dass man nicht alles immer dabei hat sondern sich einfach zu helfen weiß.

Die Doppelungen: Beim ersten Mal ging es um den Handlungsablauf. Ich musste ja erklären, was Ming Seng da so treibt. Beim zweiten Mal wurde dem Übeltäter das Verfahren erklärt, mit dem er überführt wurde - gewissermaßen als Zusammenfassung.

Ich verwende solche Doppelungen manchmal ganz gerne. Beim Lesen wird so Manches überflogen oder einfach nur nicht auf Anhieb verstanden. Das besonders beim Lesen im Internet. Da fasse ich mich lieber ein bisschen länger als später ein Dutzend Fragen beantworten zu müssen.

Grüße
Marlene
 



 
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