Ein seltsamer Vedächtiger

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Sakuntala

Mitglied
Ein schreckliches Verbrechen

„Fassen Sie mich nicht an, Sie ...Sie Politscherge!“
„Nun mal langsam – regen Sie sich doch nicht so auf, Herr ...“
„Mein Name geht Sie gar nichts an. Ein Erfüllungsgehilfe sind Sie, eine Marionette der rechtsliberalen Regierung. Und die wiederum ist in Wahrheit doch auch nur – aber was rede ich überhaupt mit Ihnen, das verstehen Sie doch sowieso nicht.“
„Jetzt setzen Sie sich doch erst einmal hier hin. So, und nun noch mal von vorn: Wir haben Sie drüben im Park aufgegriffen, nachdem uns ein Anrufer benachrichtigt hatte, dass dort eine hilflose Person wäre ...“
„Ich war nicht hilflos! Was für eine Verleumdung ist das nun wieder? Wer war das? Ich muss das wissen!“
„Tut mir Leid, das darf ich Ihnen nicht sagen. Aber seinen Sie doch froh, nun sind Sie hier im Warmen, bei der Kälte heute Nacht hätten Sie womöglich erfrieren können. Und immerhin haben wir Sie auf dem Boden neben einer Parkbank gefunden. Das kommt mir schon ein wenig hilflos vor.“
„Was wissen Sie schon von hilflos. Hilflos sind wir alle hier in diesem Land. Der Macht hilflos ausgeliefert.“
„Können Sie mir nun bitte endlich Ihren Ausweis zeigen? Und haben Sie Alkohol getrunken?“
„Immer die gleiche Leier, Ausweis zeigen, Alkoholtest, für euch bin ich ja doch nur eine Nummer, ein Testobjekt, eine Kommastelle in der Statistik. Hier ist man einfach kein Mensch, wieso rede ich überhaupt mit Robotern wie euch?! Da haben Sie den Schein, dieses alberne Stück Plastik, auf dem mein ganzes Menschsein verewigt ist.“
„Ist ja schon gut, Herr – Gabler, geht doch. Also, was ist jetzt mit Alkohol? Ein paar Bierchen waren das doch schon, oder?“
„Was weiß denn ich? Kann sein, kann nicht sein, Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.“
„Und härtere Sachen?“
„Was soll das denn nun wieder heißen?“
„Na, Spirituosen, Schnaps eben.“
„Ich weiß sehr wohl, was Spirituosen sind, halten Sie mich etwa für einen ungebildeten Kretin? Von Spiritus, Geist, geistige Getränke, den Geist erweiternd und erquickend. Aber: Nein, heute nicht, kann ich leider nicht mit dienen. Keine Spi-ri-tu-osen, keine Vergeistigung, nur Vergerstung, falls Sie verstehen, was ich meine.“
„Vergerstung?“
„Wusst´ ich´s doch, dass der Herr Streifenpolizist das nicht kapiert. Heute nur Gerstensaft, Bier.“
„Und wie viele?“
„Schätze mal, fünf bis sechs, da zählt man doch nicht mit.“
„Und wo haben Sie die getrunken?“
„Zuerst im Amtsstübchen, dann bin ich noch rüber in den Ratskeller, die ganzen bürokratischen Lokalitäten eben. Das reinste Behörden-Bermudadreieck ist das doch hier im Viertel. Wollen Sie das etwa überprüfen, mir nachspionieren?“
„Nein, nein, schon gut. Sie können doch hingehen, wo Sie wollen.“
„Und warum wollten Sie das dann so genau wissen?“
„Reine Routinefragen, falls es Probleme gibt.“
„Und was für Probleme sollen das bitteschön sein?“
„Vielleicht haben Sie ja irgendwo Ärger gemacht, oder was verloren.“
„Ärger habe ich schon genug gemacht in meinem Leben. Und gehabt. Aber davon werde ich Ihnen ganz bestimmt nichts erzählen, sie ahnungsloser Junge.“
„Nein, das brauchen Sie auch gar nicht. Aber nehmen Sie sich trotzdem ein bisschen zusammen, bitte. Nun mal weiter im Text: Nach dem Ratskeller, wo sind Sie dann hingegangen, und waren Sie in Begleitung?“
„Darüber schweigt ein Kavalier.“
„Also Damenbegleitung?“
„Ach, Sie Naivling. Etwas anderes können Sie sich wohl nicht vorstellen?“
„Herrenbegleitung?“
„Vergessen Sie´s. Ich war allein.“
„Und wieso dann nachts um zwei im Park? Sie wohnen doch, Moment, in der Luisenstraße, das wäre doch gar nicht weit weg gewesen.“
„Hatte meinen Schlüssel verloren.“
„Also doch ein Problem.“
„Was weiß denn ich? Bin beim Ratskeller raus, um eins, als die dichtgemacht haben. Ich wollte sowieso durch den Park nach Hause, das ist der kürzeste Weg. Auf halber Strecke habe ich dann meine Taschen durchsucht, nach dem Schlüssel, und konnte ihn einfach nicht finden. Sehen Sie, alles leer. Aber ... da ist er ja, in der Hosentasche, das kann doch nicht wahr sein! Den haben Sie da rein, geben Sie´s zu! Heimlich zurückgesteckt, so muss es gewesen sein. Der war da vorher nicht!“
„Den werden Sie einfach übersehen haben.“
„Das hätten Sie wohl gerne - mich als unbeholfenen Idioten hinstellen. Aber nicht mit mir. Ich weiß, wie das hier läuft. Einen auf freundlich machen, und dann passieren lauter merkwürdige Dinge, und schon meint man, man sei durchgedreht. Nicht mit mir. Da hatte ich alles schon. Nicht noch mal mit mir!“
„Kann doch mal passieren, dass man den Schlüssel nicht findet, ist mir letzte Woche auch ...“
„Was Ihnen passiert ist oder nicht, interessiert mich nicht in Geringsten, Herr Polizist. Wenn Sie wüssten, was mir schon alles passiert ist ...“
„Was denn?“
„Geht Sie gar nichts an, Sie wollen nur Informationen aus mir herauslocken, um mich dann ...“
„Was dann?“
„ ... “
„Na, dann eben nicht. Kommen Sie, Herr Gabler, wir machen jetzt erst einmal einen Bluttest.“
„Und wieso das bitteschön? Hab ich was verbrochen? Bin ich irgendwo gegen gerast?“
„Nein, natürlich nicht. Aber mir scheint, dass Sie nicht so ganz in Ordnung sind, da sollte lieber mal ein Arzt nach Ihnen sehen.“
„Was hier nicht so ganz in Ordnung ist, das ist unsere Gesellschaft, unsere so genannte Demokratie. Wenn man noch nicht einmal mehr unbehelligt im Park liegen kann. Wollen Sie mich jetzt wegen Ruhestörung drankriegen? Ich habe nichts gesagt, diesmal nicht.“
„Nein, das habe ich Ihnen doch schon erklärt, reine Routinesache, alles nur in Ihrem Sinne.“
„In meinem Sinne wäre, wenn Sie mich jetzt endlich gehen lassen. Polizeireviere machen mich nervös.“
„Kann ich ja verstehen, niemand ist wirklich gerne hier. Und nun kommen Sie bitte mit.“
„Ich hab doch schon mal gesagt: Fassen Sie mich nicht an!“

„Guten Abend, Herr Gabler, oder schon fast: Guten Morgen.“
„Soll das originell sein, gute Frau? An diesem Abend – oder Morgen – ist nicht das Geringste gut. Ich werde hier meiner Freiheit beraubt, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.“
„Ja, ja, nun setzen Sie bitte hier hin und krempeln den linken Ärmel hoch, Sie sind doch Rechtshänder? Sonst nehmen wir den anderen Arm.“
„Links bin ich schon, aber nicht so, wie Sie meinen, Gnädigste.“
„So, dann wollen wir mal ...“
„Pluralis Majestatis, mal wieder typisch für die Damen und Herren in Weiß.“
„Was meinen Sie?“
„Vergessen Sie´s, wie üblich muss ich an so eine Fachidiotin geraten.“
„Nun mal langsam. Ein bisschen mehr Zurückhaltung, wenn ich bitten darf. So, nun legen Sie Ihren Arm mal ganz entspannt auf die Lehne ... Was ist das denn?“
„Wie meinen?“
„Die Narben hier am Handgelenk - wie ist das denn passiert?“
„Geht Sie einen Scheißdreck an.“
„Na, das möchte ich aber schon wissen. Sieht komisch aus.“
„Komisch? Toller Euphemismus Ihrerseits. Ich fand das ganz und gar nicht komisch damals.“
„Sind Sie in eine Glastür gefallen?“
„Glas – ja, gefallen – nein.“
„Nun ziehen Sie den Arm doch nicht gleich weg. Ist es Ihnen unangenehm darüber zu sprechen?“
„Na, Sie sind mir ja eine ganz Helle.“
„War das etwa ein Suizidversuch? Mit Glasscherben? So unregelmäßig vernarbt, das wurde damals wohl nicht sachgemäß versorgt.“
„Sachgemäß versorgt! Wenn ich das schon höre. Kein Mensch hat sich um mich gekümmert. Aber das ist heute ja noch genauso.“
„Jetzt sagen Sie schon: Hatten Sie versucht sich die Pulsadern aufzuschneiden? Und wie lange ist das her?“
„Über dreißig Jahre“
„Waren Sie damals nicht in ärztlicher Behandlung? Und was war mit psychologischer Betreuung?“
„Hätte sowieso nichts gebracht. Mir war und ist nicht zu helfen.“
„Nun übertreiben Sie mal nicht. Jetzt nehme ich Ihnen erst mal ein wenig Blut ab, dann sehen wir weiter.“
„Weiter als über den Tellerrand kann jemand wie Sie ja wohl kaum schauen.“
„Nun werden Sie mal nicht gleich unverschämt, ich will Ihnen doch nur helfen.“
„Wie schon gesagt: Mir ist nicht zu helfen. Seit über dreißig Jahren nicht. Au!“
„Ist doch schon vorbei, der kleine Pieks. Sehen Sie, jetzt läuft es schon, ihr Blut.“
„Widerlich! Ich konnte noch nie Blut sehen, und erst recht nicht, seit ...“
„Seit Sie sich selbst so verletzt hatten?“
„Das war mir damals egal, aber zuvor ... Verdammt, ich rede mich hier um Kopf und Kragen, wie man so schön sagt.“
„Nein, nein, reden Sie nur, das tut Ihnen bestimmt gut.“
Das sagen sie alle. Und dann bekommt man den Strick draus gedreht.“
„Na, so schlimm wird es schon nicht sein.“
„Wenn Sie wüssten ...“
„Wenn ich was wüsste?“
„Das wüssten Sie wohl gerne.“
„Herr Gabler, wenn ich Ihnen helfen – schon gut, ich weiß, Ihnen ist nicht zu helfen – aber wenn wir das hier zu einem vernünftigen Ende bringen wollen, dann sollten Sie auch vernünftig mit mir reden. Nicht immer nur Andeutungen, bitte.“
„Dann schweige ich lieber wie ein Grab – das passt: wie ein Grab.“
„Geht es um jemanden, der Ihnen sehr wichtig war, und der gestorben ist? Wollten Sie sich deshalb umbringen?“
„Wenn man mit offenen Augen durch dieses Land geht, kann man sich doch nur noch umbringen.“
„Das scheint mir doch reichlich übertrieben. Man könnte doch auch etwas dafür tun, dass sich die Zustände ändern, wenn man sie schon so schlimm findet.“
„Alles schon versucht, jahrelang. Da haben Sie noch in den Windeln gelegen, als ich auf die Straße gegangen bin. Damals in Bonn. Also, zumindest hatte ich es vor, aber dann ...“
„Und schon wieder diese Andeutungen. Jetzt reden Sie schon Klartext, Herr Gabler, oder lassen Sie´s bleiben.“
„Von Ihnen lasse ich mir noch lange nicht vorschreiben, was ich zu sagen habe und was nicht.“
„Jetzt drücken Sie mal schön den Tupfer auf den Einstich, dann gibt es auch keinen blauen Fleck.“
„Keine Spuren hinterlassen, was? Kenn ich auch nur allzu gut.“
„Was meinen Sie denn nun damit?“
„Ich lasse es bleiben.“
„Bitte?“
Haben Sie doch selbst gesagt: reden Sie Klartext oder lassen Sie es bleiben. Ich wähle letzteres.“
„Ich hole jetzt erst mal den Beamten, mit dem Sie gekommen sind. Der wird Sie dann wohl heimbringen.“
„Nur zu, holen Sie den Amtsschimmel.“

„Mit dem stimmt irgendetwas nicht, wie seid ihr denn an den gelangt?“
„Hilflos im Park aufgegriffen, wir wurden angerufen. Und dann hat er sich so komisch benommen, dachte, es wäre besser, das mal zu untersuchen, auch wenn nichts vorgefallen ist.“
„Pass mal ein bisschen auf, wenn du ihn jetzt mitnimmst. Könnte sein, dass er suizidgefährdet ist.“
„Hat er so was geäußert?“
„Nicht direkt, hat aber wohl mindestens einen Versuch hinter sich. Und ständig so komische Andeutungen gemacht, Strick draus drehen, schweigen wie ein Grab, solche Sachen. Ich wusste manchmal gar nicht, was er meint.“
„Ging mir genauso. Na, dann wollen wir den kleinen Revoluzzer mal nach Hause bringen, ist sicher besser so.“

„So, Herr Gabler, da bin ich wieder. Hat´s wehgetan?“
„Ich bin doch kein Kind mehr, Ihr scheinheiliges Mitgefühl können Sie sich sparen.“
„Hab´s doch nur gut gemeint. Ich bringe Sie jetzt nach Hause. Kommen Sie.“
„Werde ich nicht verhaftet, Herr Wachtmeister?“
„Aber nein, war doch alles nur zu Ihrem Besten.“
„Wieder mal drumherum gekommen.“
„Was murmeln Sie da?“
„Ach nichts.“
„Meinen Sie eine Verhaftung? Darum sind Sie herumgekommen? Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass Sie nichts verbrochen haben.“
„Exakt. Jetzt nicht und auch nie zuvor. Was keiner weiß ...“
„Nun lachen Sie doch nicht so albern. Langsam kommen Sie mir doch verdächtig vor.“
„Die Schnellsten waren die Herren von der Volkssicherheit ja noch nie.“
„Und bitte keine Frechheiten mehr, sonst muss ich doch rigoroser werden. Bisher habe ich ja immer ein Auge zugedrückt.“
„Aha, ein Fremdwort kennt er also doch, und so geschickt eingeflochten.“
„Was darf denn nun keiner wissen? Ich glaube, Sie wollen sich nur wichtig machen. Und der Alkohol tut sein Übriges. Nun steigen Sie schon ins Auto, ich bringe Sie nach Hause. Und ich fasse Sie auch garantiert nicht an.“

„Das haben Sie doch veranlasst! Ich hätte es wissen sollen, eine Falle. Bin selbst auf meine alten Tage noch zu gutmütig.“
„Jetzt bleiben Sie doch ruhig sitzen, von da hinten kommen Sie doch sowieso nicht ans Radio dran. Was ist denn los? Gefällt Ihnen die Musik nicht?“
„Das hat mit gefallen gar nichts zu tun. Dieser neumodische Kram gibt mir rein gar nichts, „Negermusik“ hätte mein Vater, Gott hab ihn selig, den alten Nazi, das genannt. Ich höre nur Klassik. Aber darum geht es doch gar nicht. Hören Sie, jetzt singt er es wieder: „Eve of Destruction“, das haben Sie doch veranlasst, das kann kein Zufall sein, Sie wollen mich mürbe machen. Aber ich bleibe stark, nicht mit mir.“
Von was sprechen Sie denn nun schon wieder? Das ist doch eine ganz alte Kamelle aus den 60ern, so ein Protestlied. Um die Zeit laufen meistens Oldies, ich kenn das, bin ja oft nachts auf Streife.“
„Ja, ich habe entsetzliches Mitleid mit Ihnen und Ihrer geraubten Nachtruhe. Aber ich durchschaue Ihr Ablenkungsmanöver. Während ich bei dieser herzigen Ärztin war, haben Sie den Sender informiert. Das Netzwerk funktioniert, ich wusste es, wusste es schon immer.“
„Sie glauben also tatsächlich, ich hätte dem Radiosender gesagt, sie sollen dieses Lied spielen? Na, da überschätzen Sie die Macht der Polizei aber gewaltig, Herr Gabler. Und außerdem, warum sollte ich das tun? Was hat es denn damit auf sich? Ich dachte, Sie mögen keine Popmusik.“
„Ich hasse sie, unmelodisches Gejohle. Aber das hier, dieser Titel … Es kann einfach nicht anders sein. Und ich sitze hier in der Falle.“
„Ich vesteh Sie ja, ist wirklich nicht sehr erbaulich, „Abend der Zerstörung“, eine ziemlich düstere Zukunftsvision. So schlimm ist es ja zum Glück doch nicht gekommen. Deprimiert Sie das so sehr?“
„Nicht der „Abend“. „Zerstörung“ aber schon.“
„Sie sprechen mal wieder in Rätseln, nun spucken Sie´s schon aus, was Sie bedrückt.“
„Das hätten Sie wohl gerne. Soll ich Ihnen vier Auswahlmöglichkeiten geben?“
„Wenn Sie möchten, von mir aus.“
„Nein danke, ist mir zu blöd. Wir sind hier nicht beim Fernsehen, das hier ist das wahre Leben.“
„Eben, und deshalb fahren wir jetzt doch erst noch mal aufs Revier, ich hätte da noch ein paar Fragen.“
„Ich werde morgen meinen Anwalt kontaktieren, wegen Freiheitsberaubung.“
„Das können Sie auch gleich tun, wenn wir da sind.“
„Weiß die Nummer nicht auswendig. Ach, was solls, ich werde mich, wie üblich, auch diesmal alleine aus dem Dreck der Exekutive ziehen.“
„Jetzt reden Sie schon wieder so geschwollen. So, da wären wir. Ich hole schnell noch meinen Kollegen dazu, der kennt sich aus mit Fällen wie Ihrem.“

„Guten Abend, Herr Gabler, Kersting mein Name, ich bin der Leiter dieser Polizeistation. Was haben Sie denn nun für ein Problem?“
„Nun nimmt sich sogar schon ein Oberbulle meiner an, welche Ehre!“
„Das habe ich jetzt mal nicht gehört, aber ab nun bitte etwas höflicher.“
„Ich lande heute sowieso noch in der Zelle, so oder so. Da ist es jetzt auch egal, was ich sage.“
„Dann reden Sie doch mal. Was beschäftigt Sie so?“
„Erst, wenn Sie nicht mehr wie mit einem Kind mit mir reden.“
„Also bitte: Würden Sie uns bitte erläutern, was es mit Ihren diversen Andeutungen bezüglich Ihrer Vergangenheit auf sich hat. In Ihrer Akte ist lediglich ein Verkehrsdelikt vermerkt, Sachbeschädigung beim Fahren unter Alkoholeinfluss, und das liegt schon ziemlich lange zurück.“
„Ach das, hatte ich schon ganz verdrängt. Na, dann wissen Sie ja selbst, dass ich mehr oder weniger in Notwehr gehandelt hatte.“
„So würde ich das aber nicht nennen. Sie sind mit Ihrem Wagen – was war das noch gleich für einer …?“
„Ein schwarzer Käfer, extra so lackiert.“
„Genau, mit dem sind Sie also erst gegen die Einbahnstraße gefahren und dann, als man schon auf Sie aufmerksam geworden war, haben Sie den Blitzer auf dem Spessartring gerammt. Dort hat man Sie dann aufgegriffen, und das Auto hatte einen Totalschaden.“
„Von wegen deutsche Wertarbeit. Ich wollte ein Zeichen setzen gegen diesen unseren Überwachungsstaat.“
„Im Protokoll steht, Sie hatten über 1,5 Promille im Blut.“
„Man wird sich ja wohl noch ein wenig Mut antrinken dürfen.“
„Nicht, wenn man danach noch Auto fährt. Und der Blitzer sollte der Sicherheit dienen, diese Straße überqueren doch auch Schulkinder. Jetzt steht er ja nicht mehr da, seit es die Überführung gibt. Ist das in Ihrem Sinne?“
„Alles nur Augenwischerei. Da wurden geheime Aufnahmen gemacht, das weiß doch jeder.“
„Lassen wir das, ist ja mittlerweile verjährt. Was hat es denn nun aber mit der Zerstörung und all Ihren sonstigen Anspielungen auf den Tod, Gräber und sonstiges auf sich? Sie haben mich neugierig gemacht.“
„Und deshalb soll ich hier auspacken? Um Ihrer Zerstreuung willen? Niemals!“
„Wahrscheinlich ist doch alles ganz harmlos, mir scheint, Sie übertreiben ganz gerne mal. Wenn dem so ist, können Sie sofort nach Hause, mein Kollege, den Sie ja schon kennen, wird Sie hinbringen.“
„Den Geistesriesen kenne ich allerdings, hat Ihnen also alles ausgeplaudert, dieser Handlanger.“
„Wir tun hier nur unsere Pflicht.“
„Das haben sie damals auch gesagt, und dann 6 Millionen Juden ermordet und ganz Europa und die halbe restliche Welt dazu mit Krieg überzogen.“
„Was hat das denn nun hier mit uns zu tun?“
„Tun Sie doch nicht so naiv. Es ist immer das Gleiche. Wer die Macht hat, der hat das Recht.“
„Sie ergehen sich aber wirklich gerne in politischen Allgemeinplätzen. Nun lassen Sie uns endlich mal konkret werden. Gibt es da etwas in Ihrer Vergangenheit, über das Sie mir berichten wollen?“
„Nein, auf keinen Fall.“
„Und warum nicht? Ich bin mir sicher, dass da etwas ist, das Sie verheimlichen.“
„Das geht Sie nichts an.“
„Vielleicht doch. Wenn es nämlich um ein Verbrechen geht. Kann es sein, dass einer Person etwas angetan wurde und Sie wissen davon, möchten aber jemanden schützen?“
„Wie bitte?“
„War nur so eine Vermutung. Die Ärztin hatte schließlich angedeutet, dass Sie …“
„Die darf darüber gar nicht reden.“
„Aber mein Kollege, und dem gegenüber haben Sie auch schon genug gesagt, was unseren Verdacht erregt hat.“
„Verdacht gegen was?“
„Ich bin mir nicht sicher, aber irgendjemandem könnte etwas zugestoßen sein, oder etwas wurde zerstört, und Sie leiden noch heute darunter. Ich will einfach nur sicher gehen.“
„Man kann niemals sicher sein, und schon gar nicht gehen. Apropos, kann ich jetzt gehen?“
Ich sagte doch, dass mir die ganze Sache spanisch vorkommt.“
„Español? Spreche ich nicht. Nur französisch. Parlez vouz français? Und wussten Sie, dass man auch in Zungen sprechen kann?“
„Nein, wieso ...?“
„Also, das ist, wenn der Heilige Geist über einen kommt, aber wie ich schon sagte, alles Kulturbanausen hier bei der Kripo. Sind Sie überhaupt von der Kripo? Oder doch eher von der Sitte, wie mir scheint.“
„Wir befinden uns hier auf einer ganz regulären Polizeiwache und die Beamten tun einfach nur ihren Dienst. Und dazu gehört auch, sich besonderer Fälle, wie es Ihrer wohl einer ist, anzunehmen.“
„Aha, Sonderbehandlung. Nicht schlecht für den alten Gabler. Aber langsam wird mir der Boden hier zu heiß. Ich möchte gehen. Das Angebot steht doch noch, oder? Dieser unbedarfte blonde Jüngling bringt mich nach Hause, und, wie ich auch schon erwähnte, er braucht sich keine Sorgen zu machen, dass ich ihm zu nahe käme.“
„Sicher, mein Kollege fährt Sie später nach Hause. Aber so ganz sind wir hier noch nicht am Ende.“
„Ich schon. Schließlich rauben Sie mir die Nachtruhe.“
„Na, dann erzählen Sie doch mal. Vor über dreißig Jahren, hatten Sie erwähnt, was ist denn da nun passiert?“
„Tut mir Leid, da mache ich den Filbinger.“
„Wie bitte?“
„Ach, die jungen Leute, keinerlei Geschichtskenntnisse. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“
„Das nehme ich Ihnen jetzt aber nicht ab. Es bedrückt Sie doch etwas, ich wette, Sie hatten schon lange das Bedürfnis darüber zu reden.“
„Was gehen Sie denn meine Bedürfnisse an? Im Übrigen habe ich tatsächlich ein dringendes Bedürfnis, Sie verstehen?“

„Emil, komm mal her und begleite Herrn Gabler auf die Toilette.“
„Emil – der kleine Detektiv. Wie nett! Nomen est omen, sozusagen. - Nicht anfassen! Und die Hose kriege ich alleine auf.“
„Selbstverständlich. Was denken Sie denn?“
„Nur das Schlimmste. Ich habe da meine Erfahrungen.“
„Sehen Sie, und darüber möchte ich gerne gleich mit Ihnen reden.“

„Das war knapp gewesen.“
„Was meinen Sie, Herr Gabler? Wollen Sie jetzt doch mit mir über Ihr früheres Erlebnis sprechen, war das eine knappe Entscheidung?“
„Die Erledigung meines Bedürfnisses, Sie ... Aber das darf ich ja nicht sagen.“
„Wir sprechen also über etwas, das in den 80er Jahren gewesen ist, richtig?“
„Ein schreckliches Jahrzehnt. Ging schon mit Reagan los und endete mit dem Mauerfall. Was gibt es da noch zu sagen?“
„Und dazwischen? Was ist da passiert?“
„Bin ich ein Geschichtslexikon?“
„Sie wissen genau, was ich meine. Was haben Sie miterlebt, das Sie bis heute so bedrückt?“
„Sind Sie jetzt auf einmal Psychologe?“
„Ein bisschen gehört das auch zu unserer Ausbildung, aber lenken Sie nicht ab: Es ist jemand gestorben. Haben Sie das selbst miterlebt? Und konnten nicht helfen? Jemand, der Ihnen nahe stand?“
„...“
„Warum antworten Sie nicht?“
„Ja – nein – ja.“
„Was meinen Sie?“
„Na, Sie hatten doch drei Fragen gestellt. Und jetzt haben Sie drei Antworten.“
„Also noch mal von vorne: Es ist jemand gestorben.“
„Ja.“
„Sie konnten nicht helfen.“
„Nein. Und schließlich und endlich: Ja, sie stand mir nahe.“
„Eine Frau also.“
„Es geht immer um die Frauen. Les femmes, wie der Franzose sagt. Ich dachte, das wüssten selbst Amtsschimmel wie Sie.“
„Eine Verwandte? Nein, ich glaube eher, Ihre damalige Frau oder Freundin.“
„Sie war ein Engel. Die erste Frau, sozusagen.“
„Warten Sie mal einen Moment, ich bin gleich wieder bei Ihnen.“
„Bin gewohnt, dass man mich sitzen lässt.“

„Emil, schau doch mal nach, ob du über diesen Gabler was findest. Ob der verheiratet war zum Beispiel.“
„Nein, nichts dergleichen. Lebt schon seit ewigen Zeiten allein in der Luisenstraße.“
„Such mal weiter, soweit zurück wie möglich, Schule, Ausbildung, alles, was du findest. Ich muss wieder rüber, vielleicht redet er ja jetzt auch selbst.“

„So, da bin ich wieder.“
„Hab Sie nicht vermisst, Herr Wachtmeister.“
„Diese Frau also, Sie waren nicht mit ihr verheiratet?“
„Das wissen Sie doch schon. Haben doch Ihren Hilfssheriff beauftragt, das rauszufinden. Halten Sie mich wirklich für so blöd, dass ich das nicht merke?“
„Ja, Sie haben Recht. Aber Sie können es mir doch auch selber sagen. Wie hieß die Dame denn?“
„Sagte ich doch schon.“
„Da müssen Sie sich irren. Gar nichts haben Sie gesagt.“
„Oh doch, ich sagte: die erste Frau.“
„Und?“
„Aus der Genesis.“
„Der Rockgruppe? Was gibt es denn da für ein Lied, das sich auf eine Frau bezieht?“
„Ich glaube es einfach nicht ... Also gut, erstes Buch Mose: `Und Adam nannte seine Frau Eva.´“
„Aha, Eva also, und weiter?“
„Nichts weiter, nur Eva. Das sagt alles.“
„Na gut, bleiben wir fürs erste dabei. Eva und Sie waren eng befreundet, nicht wahr?“
„Sie war mein Leben – und mein Tod.“
„Aber Sie leben doch noch, und Eva?“
„Ihr Tod war, äh, wäre auch mein Tod.“
„Langsam kommen wir der Sache schon näher, Herr Gabler. Eva ist also tot und Sie wollten sich nach ihrem Tod auch das Leben nehmen, kann man das so stehen lassen?“
„Sie quälen mich!“
„Ich habe den Eindruck, Sie quälen sich selbst schon viel zu lange mit etwas herum, das Sie jetzt mal loswerden könnten. Was ist Eva also zugestoßen? Waren Sie Zeuge eines Unfalls?“
„Zeuge ist die falsche Kategorie.“
„Wie meinen Sie das denn nun schon wieder?“
„Na, wen gibt es denn alles im Gerichtssaal? Doch nicht nur Zeugen. Da sind zunächst einmal die ach so unfehlbaren Damen und Herren Richter, das ewige Sprachrohr des Staates, sprich der Staatsanwalt, der gute Verteidiger, und ...?“
„Die Zuschauer?“
„Sie wollen mich verarschen. Da wäre ja der kleine Emil schlauer.“
„Ach so, sie meinen den Beschuldigten, den Angeklagten.“
„Er hat´s! Ich bin zutiefst beeindruckt, Herr Ermittler.“
„Sie halten sich also für den Angeklagten? Aber warum denn?“
„Dreimal dürfen Sie raten.“
„Haben Sie etwas mit dem Tod Ihrer Freundin zu tun? Etwa versehentlich verschuldet? Langsam verstehe ich die Tragik.“
„Gar nichts verstehen Sie!“
„Nun beruhigen Sie sich doch. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen? Sie verletzen sich noch, wenn Sie so auf den Tisch schlagen.“
„Ihr Tisch ist mir scheißegal. Ich will meine Eva wieder! Nie werde ich sie wiedersehen, und alles nur wegen ...“
„Nun reden Sie doch, lassen Sie es endlich raus, Sie werden sich bestimmt besser fühlen danach.“
„Ich sagte doch schon dieser Kurpfuscherin: Wie ich mich fühle, kann niemand verstehen, und helfen kann man mir schon gar nicht. Wenn doch nur ...“
„Jetzt sprechen Sie wieder in Rätseln. Fangen wir noch mal von vorne an: Wann haben Sie Eva zum letzten Mal gesehen?“
„In meinen Träumen jede Nacht.“
„Und in Wirklichkeit?“
„Damals in jener lauen Sommernacht. Sie war so schön, und so blass.“
„Gut, im Sommer also. 1980?“
„Schon zu spät.“
„79?“
„Ich hab´s nicht so mit Zahlen und Daten, ich bin eine Künstlernatur, schere mich einen Dreck um solche Nebensächlichkeiten. Oder, um mit Einstein zu sprechen: Alles ist relativ.“
„So hat der das aber nicht gemeint.“
„Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie die Relativitätstheorie begriffen haben? Was wollen Sie denn dann noch hier auf der Wache?“
„Schon gut, vergessen Sie´s. Also Ende der 70er. In einer Sommernacht. Wo waren Sie beide denn da? Bestimmt irgendwo in der Natur.“
„Ein Liebesnest im Grünen? Das können sich auch nur Sie ausdenken, viel zu trivial für Eva und mich.“
„Also wo dann?“
„Das Wasser plätscherte leise vor sich hin, die Weiden wogten im Wind. Herrlicher Stabreim übrigens, falls Sie wissen, was ich meine.“
„Herr Gabler, Sie kommen immer wieder vom Thema ab. Wasser in der Nähe, hier direkt in der Stadt gibt es aber keinen Fluss.“
„Diese Stadt ist doch nicht der Nabel der Welt, mein Herr.“
„Ist ja gut. Ein See vielleicht? Da fällt es mir ein: Es gab doch früher diesen Baggersee am Stadtrand. War sehr beliebt bei jungen Leuten. Der wurde aber vor einigen Jahren zugeschüttet.“
„Zugeschüttet, genau. Steine und Geröll, nur rein damit ins trübe Nass, auf dass kein Tropfen übrig bleibt. Das reinste Mausoleum.“
„Jetzt kommen wir der Sache doch schon näher. Sie waren damals also am Baggersee. Und was ist nun dort passiert? Sie ist doch nicht etwa ertrunken? Und Sie konnten sie nicht retten? War es so?“
„Wasserleichen sind so hässlich. Sie haben doch bestimmt schon welche gesehen, stimmt es, dass die sich wie ein Ballon aufblähen?“
„Ja, schon, aber jetzt mal schön dabei bleiben: Was ist mit Eva passiert?“
„Reden Sie nicht mit mir wie mit einem Kind. Ich bin schon fast im Rentenalter. Aber damals ... ja, da waren wir jung, und schön übrigens auch. Nicht nur sie, sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe, auch ich selbst war recht ansehnlich, mit langen seidigen dunklen Haaren. Das trug man damals so, auch als Mann. Aber dafür sind Sie wohl noch zu jung, ganz zu schweigen von unserem Küken Emil.“
„Herr Gabler! Was ist in jener Nacht passiert?“
„Was ist passiert? – was ist passiert? Ersparen Sie mir die Details. Im einen Moment lebte sie, und im anderen dann ... Nein, ich schaffe es einfach nicht.“

„Emil, komm doch mal her.“
„Was denn, Chef?“
„Überprüf doch mal die Todesfälle am Baggersee, so um 1979 herum. Oder Vermisstenanzeigen. Speziell nach einer Eva, Nachname unbekannt.“
„Wird gemacht, in spätestens fünf Minuten hat mir das Programm alles erzählt, was es weiß.“
„Gott sei dank haben wir die Computer. Ich wüsste gar nicht, wie wir noch ohne die arbeiten sollten, beschleunigt das Ganze doch ungemein.“
„Ich hasse diese seelenlosen Dinger. Hab ich von Anfang an getan. Schon dieses 65er Teil, oder wie das hieß, waren ja alle ganz verrückt danach. Aber ich habe schon damals davor gewarnt. Und jetzt zerstört so ein Kasten mein Leben.“
„Nun übertreiben Sie schon wieder. Vielleicht sind Sie in einer halben Stunde froh, dass es endlich raus ist und Sie sich nicht mehr so mit der Vergangenheit rumquälen müssen. Versuchen wir es also noch mal: Sie und Eva am See ...“
„Wir wollten uns lieben in jener Nacht. Aber dann hat sie ..., sie hat ... wie konnte sie das nur sagen? Es war doch alles perfekt, und dann ...“
„Sie hat etwas gesagt, dass Sie verletzt hat?“
„Wenn es nur das gewesen wäre. Sie hat alles zerstört, einfach ruiniert, die Stimmung, unsere Liebe, unser Leben. Sie hatte es verdient, dass ...“
„Oje, jetzt verstehe ich langsam. Sie haben ihr etwas angetan.“
„Das war nichts im Vergleich zu dem, was sie mir angetan hat, mit ihren Worten.“
„Vielleicht war es ja ein Unfall. Ist sie gestürzt? Oder ins Wasser geflohen und dort ertrunken? Nun reden Sie schon, gleich haben Sie es geschafft.“
„Da war dieser Stein. Groß, und rund, und schwer. Auf einmal war er in meiner Hand, dann an ihrem Kopf, dann überall Blut ...“

„Ich glaub´s ja nicht, Chef! Der war es selbst? Hätte ich ihm nie zugetraut.“
„Na, Emil, stehst du schon lange in der Tür? Da siehst du´s, so kann man sich in den Menschen täuschen. Aber was hast du rausgefunden?“
„Gar nichts, leider. Keine passenden Todesfälle, obwohl da damals eine ganze Menge Leute abgesoffen sind, jedes Jahr bestimmt zehn. Und auch keine Vermissten. Was jetzt?“
„Komisch, ich hatte wirklich geglaubt, dass wir ganz dicht dran sind. – Herr Gabler, ich fürchte, nun muss ich etwas ernster mit Ihnen reden: Was haben Sie mit Eva gemacht? Als sie tot war, meine ich. Ins Wasser geworfen?“
„Nichts mehr sage ich.“
„So eine Wasserleiche taucht normalerweise immer irgendwann wieder auf. Aber wenn sie sich tatsächlich irgendwo verfangen hat, möglich wäre es. Und nun ist der See ja schon jahrelang zugeschüttet. Da wird nichts mehr zu machen sein. Wir brauchen den Nachnamen, nun reden Sie endlich!“
„Ich kann nicht mehr.“
„Das glaube ich Ihnen gerne, nach allem, was heute gewesen ist. Aber nun müssen wir endlich zum Ende kommen, jetzt gibt es kein Zurück mehr: Wie hieß Ihre Eva mit Nachnamen?“
„Wie wär´s mit einem weiteren Rätsel? Sie sind doch so schlau, Herr Kommissar.“
„Keine Rätsel mehr! Die Sache ist viel zu ernst.“
„Ernst? Nein, obwohl das auch zu ihr gepasst hätte. Leider viel trivialer. Obwohl: auch irgendwie biblisch, immerhin.“
„Na gut: Meier, Müller, Schmidt? Emil, nun überleg auch mal mit, anders kommen wir wohl nicht weiter.“
„Biblisch? Was meint er denn damit jetzt nur? Tut mir Leid, Chef, mir fällt absolut nichts ein.“
„Das hätte ich von diesem Kind auch nicht erwartet. Keine Bildung mehr, die heutige Jugend.“
„Herr Gabler, nun grinsen Sie nicht so unverschämt und helfen Sie uns stattdessen endlich. Sonst muss ich Sie für den Rest der Nacht in eine Zelle sperren.“
„Alles, nur das nicht! Ich kann es nicht ertragen eingesperrt zu sein. So wie damals...“
„Sie waren doch noch nie in Haft.“
„Schlimmer. Im Irrenhaus.“
„In der Psychiatrie?“
„Nennen Sie es, wie Sie wollen, für mich war es ein Irrenhaus. Mit lauter Irren außer einem.“
„Ihnen, nehme ich an.“
„Geht doch“
„Wie bitte?“
„Na, so dumm sind Sie doch gar nicht. Da werden Sie dieses andere kleine Rätsel doch auch herausbekommen. Ich helfe Ihnen: Wir sind immer noch bei Moses, Exodus diesmal.“
„Verd ..., was soll das denn nun wieder? Also, eine Chance haben Sie noch, ansonsten ruft die Zelle. Emil, google das doch mal schnell: Moses und Exodus.“
„Meine Sie wirklich, diese Maschine wird Ihnen dabei helfen können? Wie weit ist es nur mit der humanistischen Bildung gekommen ...“
„Warten Sie´s ab, hast du was?“
„Mal sehen: Auszug aus Ägypten, Israeliten, Pharao, Plagen, Dornbusch ...“
„Stopp! Er hat gezuckt. Stimmt´t Herr Gabler? Da war doch was. Versuch´s mit allem rund um Dornbusch oder Busch.“
„Ich wusste es doch: Dieses Teufelsgerät zerstört mein Leben.“
„Abwarten. Aber ich fürchte, das haben Sie schon selbst getan. Hast du was?“
„Tatsächlich, eine Familie Busch hat früher mal in der Nähe der Gablers gewohnt. Ich geb einfach mal Eva Busch ein, mal sehen, was passiert. Vielleicht gibt es einen Hinweis auf irgendwelche Verwandte. Moment – den Namen gibt´s noch hier in der Stadt. Was jetzt, Chef?“
„Was schon, ich ruf einfach mal an, irgendwie müssen wir ja weiterkommen.“
„Jetzt? Mitten in der Nacht?“
„Warum nicht? Schließlich geht es um ein Gewaltverbrechen, und wir sind doch die Polizei. Herr Gabler, was meinen Sie, wen wir da gleich am Telefon haben?“
„Woher soll ich das wissen, Namensgleichheiten gibt es doch immer wieder.“
„Wir werden sehen.“

„Hallo?“
„Frau Eva Busch?“
„Wer ist denn da?“
„Kommissar Kersting vom dritten Polizeirevier. Frau Busch, wir bräuchten eine Auskunft.“
„Jetzt? Um drei Uhr nachts?“
„Tut mit Leid, aber es ist wirklich dringend. Vielleicht können Sie uns auch gar nicht weiterhelfen, aber es geht um eine ernste Sache. Wir sind auf der Suche nach jemandem mit dem gleichen Namen wie Ihrem, eine Verwandte möglicherweise, die Ende der 70er Jahre einen Moritz Gabler kannte.“
„Sagt mir nichts. Und in meiner Familie heißt niemand sonst so wie ich.“
„Ich hatte es schon fast befürchtet, tja dann, entschuldigen Sie die späte Störung.“
„Moment, welchen Namen haben Sie gesagt?“
„Moritz Gabler, hat früher in Eberstadt gewohnt, so wie wohl auch Ihre Familie.“
„Irgendwas klingelt da bei mir. Muss aber erst mal richtig wach werden.“
„Lassen Sie sich Zeit.“
„Doch, ich glaube, ich kannte mal jemanden, der so hieß. War´n komischer Kauz. Ist aber wirklich schon ewig her. Was ist denn mit dem?“
„Nun ja, der sitzt hier und behauptet ... Aber erzählen Sie doch bitte erst einmal: Was war das für eine Bekanntschaft?“
„Wie Sie schon sagten, wir kannten uns aus der Nachbarschaft. Er war ein paar Jahre älter als ich. Wie man sich da halt so kennt: immer mal auf der Straße getroffen, so was in der Art eben.“
„Mehr nicht?“
„Wieso?“
„Er behauptet, Sie wären seine Freundin gewesen.“
„Wie bitte? Na, das wüsste ich ja wohl!“
„Sicher, da haben Sie völlig recht. Aber gab es nicht mal eine Begebenheit am alten Baggersee? Er hat da eine Andeutung gemacht und es wäre wirklich wichtig, dass das geklärt wird.“
„Na, Sie stellen ja Fragen mitten in der Nacht! Wann soll das gewesen sein, meinten Sie?“
„Ca. 1979, wahrscheinlich im Sommer.“
„Mal sehen. Da war ich 16, bin also noch zur Schule gegangen. Wir sind da mit unserer Clique öfters mal gewesen, mit den Rädern hingefahren und dann dort im wilden Bereich geschwommen und gefeiert. Upps – das hätte ich jetzt wahrscheinlich nicht sagen sollen, war ja verboten.“
„Machen Sie sich mal keine Gedanken, das ist verjährt ... Erzählen Sie lieber weiter. Kann es nicht sein, dass Herr Gabler da auch mal mit dabei war?“
„Glaube ich kaum, mit dem hatte eigentlich niemand was zu tun. Wie schon gesagt, der war irgendwie komisch, fast schon unheimlich.“
„Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Und ich finde die ganze Sache hier mittlerweile auch ganz schön komisch.“
„Um was geht es denn nun? Hat er was verbrochen?“
„Wenn ich das wüsste ... Jetzt, da ich mit Ihnen gesprochen habe, ist die Sachlage wieder ganz anders.“
„Warten Sie mal, ich glaube, mir fällt doch noch was ein.“
„Na Gott sei dank! Erzählen Sie!“
„Also, einmal, als wir wieder am See waren, da hatte ich mich mit meinem damaligen Freund gestritten, wie das eben so ist unter Jugendlichen. Und dann ist er einfach davongefahren und hat mich alleine zurückgelassen. Fand ich gar nicht toll, aber egal. Auf jeden Fall muss ich da eine ganze Weile auf der Wiese gesessen haben, als dieser Typ, der Gabler, plötzlich aus dem Gebüsch gekrochen kam. Ich habe mich natürlich fürchterlich erschreckt. Später kam es mir dann, dass er uns wohl die ganze Zeit, und vielleicht schon bei früheren Gelegenheiten, beobachtet haben muss. Das habe ich in dem Moment aber noch nicht gedacht. War ganz froh, dass es niemand fremdes war, man weiß ja nie ...“
„Ganz recht, aber erzählen Sie weiter.“
„Dieser Moritz also, setzt sich zu mir und wir quatschen eine Weile ganz locker miteinander. Er bietet mir ne Zigarette an, so´n starkes Zeug, irgendwas französisches, und ich kriege einen schrecklichen Hustenanfall. Da klopft er mir auf den Rücken, hört gar nicht mehr auf damit und ich habe das Gefühl, dass er zudringlich werden will. Deshalb hab ich ihn dann so ein bisschen weggestoßen, wurde mir langsam doch unheimlich mit ihm. Na, und da ist er richtig zusammengebrochen, hat regelrecht geheult und was von Liebe und Bestimmung und so gefaselt. Ich hab zugesehen, dass ich mein Zeug zusammenklaube und bin aufgesprungen um zu meinem Rad zu gelangen. Und er immer: `wir gehören doch zusammen, sind füreinander geschaffen, du kannst mich jetzt nicht verlassen´, die ganze Zeit, ich wollte nur noch weg.“
„Haben Sie denn noch irgendwas zu ihm gesagt?“
„Irgendwas wie `du armseliger Spinner´ wahrscheinlich. Was sollte man denn auch sonst dazu sagen? `kein Wunder, dass niemand was mit dir zu tun haben will´, so was in der Art hab ich, glaube ich, auch noch gesagt. Zum Glück war er ziemlich schwächlich und konnte mich nicht einholen. Ich also nichts wie weg. Als ich mich noch einmal umgesehen habe, hat er wie wild mit einem Stein auf den Baumstamm, auf dem wir gesessen hatten, eingeschlagen und rumgebrüllt, das konnte ich aber nicht mehr verstehen. War mir aber auch egal, ich war nur froh, dass ich heil weggekommen bin.“
„Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Haben Sie ihn danach denn nicht auf diese Begebenheit angesprochen?“
„Wo denken Sie hin! Das hätte ich bestimmt nicht gemacht. Aber wenn ich´s mir recht überlege, habe ich ihn dann auch ewig nicht mehr gesehen. Es gab so ein paar Gerüchte, dass er in der Anstalt wäre, hat aber niemanden wirklich interessiert. Bei mir hat das Ganze vor allem bewirkt, dass ich mich mit meinem Freund wieder versöhnt habe.“
„Schön für Sie.“
„Und? Hat Ihnen das jetzt geholfen?“
„Ich glaube schon. Danke für das Gespräch und entschuldigen Sie noch mal die späte Störung.“

„Und Chef? Was hat sie gesagt? Und was ist jetzt mit der Ermordeten?“
„Keine Ermordete, Emil. Ich erzähl dir nachher die ganze Geschichte. Jetzt bring erst mal unseren nächtlichen Gast nach Hause.“
„Wie jetzt? Wir lassen ihn laufen? Und das Verbrechen?“
„Selbstbetrug ist nun mal noch kein Verbrechen. Und bestraft hat er sich wahrscheinlich auch schon genug. Nun geh schon rüber und bring ihn heim, den armen Irren.“

„So, Herr Gabler. Sie können endlich nach Hause. Kommen Sie, Emil bringt Sie hin.“
„Was soll das heißen? Und mit wem haben Sie so lange gesprochen?“
„Mit Eva Busch. Es geht ihr gut, sie hat ein wenig Licht in die ganze Sache gebracht.“
„Mit Eva? Das ist völlig unmöglich! Ich sagte doch, dass ich ...“
„Ja, sagten Sie. Aber es ist alles ein Missverständnis, Sie haben nichts getan. Zumindest nicht in dieser Sache.“
„Wenn Sie wüssten, was ich alles getan habe. Und noch tun werde! Aber das nächste Mal lasse ich mich nicht mehr erwischen, darauf können Sie Gift nehmen. Apropos Gift ... aber ich wollte ja nichts mehr sagen.“
„Genau, lassen Sie es lieber. Bist du soweit, Emil?“
„Er schon wieder. Aber eins sage ich Ihnen: Ich gehe an die Presse. Was in diesem Polizeistaat vor sich geht, wird die bestimmt interessieren. Aber wahrscheinlich kommt mir die Zensur mal wieder zuvor. Das System funktioniert, Orwell lässt grüßen. Ich wusste es schon immer.“
„Alles klar, und nun kommen Sie endlich.“
„Nicht anfassen, habe ich doch gesagt!“
 

jon

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Schade: Das erste Drittel fand ich cool - mal was anderes und durchaus spannend (Wohin wird das wohl führen?). Etwa in der Hälfte begriff ich, dass es noch "ewig" zu nichts führen wird, und da war es dann schlagartig langweilig.
Ich hab schnell vorgescrollt, bin über das wahrhaft unangemessene Verhalten der Polizisten gestolpert, hab im Querlesen nachgesehen, wohin die Story dann doch mal führt, und fand die Textmenge dafür (ein "Knaller auf Miniraten", der dann doch wieder als Rohrkrepierer enttarnt wird) dann endgültig zu viel. Wie gesagt: Schade, denn die Paranoia-Studie im Text ist (zwar zu lang aber) recht gut gelungen.
Tipp: Straffen, straffen, straffen! Und das Verhalten der Polizisten besser rechtfertigen (der Typ ist eindeutig "durchgeknallt", auf diesen "Andeutungen" irgendeinen zudem noch so extrem vagen Verdacht zu gründen und daraus dann die eindringliche Befragung abzuleiten - das grenzt in der Tat sehr sehr eng an Willkür).

Übrigens: Wie lautet denn nun die Überschrift?
 



 
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