Ein weiterer Abend

Aspirin

Mitglied
Es ist kühl im Auto, die Fenster sind beschlagen und man muss sich erst an den Sitz gewöhnen. Schalten, Lenkrad bis zum Anschlag drehen und dann langsam im ersten Gang rausfahren. Mein Beifahrer ist angetrunken, er erzählt mir, man solle immer langsamer fahren, als die vorgeschriebene Geschwindigkeit es verlangt, er sagt man müsse auf die Sicherheit achten, auch Menschen mit jahrelanger Erfahrung verunglücken tödlich. Ich drehe den Lautstärkeregler etwas höher und die Musik übertönt ihn. Es ist keine Unhöflichkeit, glauben Sie es mir, ich glaube Ihnen, die Jugend ist verdammt zu verunglücken, wenn schon das Alter und Erfahrung einen nicht davor bewahren.

Schalten, Lenkrad bis zum Anschlag drehen und dann langsam im ersten Gang rausfahren. Mein Beifahrer wird immer kleiner und kleiner bis er letztendlich im Rückspiegel verschwindet. Was nun? Ich drehe den Lautstärkeregler etwas runter und höre den Motor er läuft gleichmäßig, ohne jegliche Unregelmäßigkeiten, er hat keine Alternativen, er kann nur in eine Richtung.

Parkplatz. Soll ich aussteigen und das Stück laufen? Nein vielleicht gibt es in der Nähe einen freien Parkplatz. Man muss effizient und konsequent sein bis ins letzte, bis zum letzten Detail, sonst verunglückt man, es sind schon die Besten an ihrer Inkonsequenz verunglückt.

Die Türklinke nach unten drücken, eintreten, die Gäste mit einem Blick überfliegen, nach bekannten Gesichtern Ausschau halten, kurz Lächeln, begrüßen, Smalltalk mit höchstens drei Sätzen, einen freien Platz suchen. Den Platz nicht zu weit, aber auch nicht zu nahe an den Mitmenschen nehmen. Immer die optimale Entfernung, niemandem zu nahe treten, aber auch sich nicht zu weit entfernen, bei der richtigen Distanz kann dir nichts passieren, mit der richtigen Distanz vermeidet man Unfälle.

Der Kaffe schmeckt wie immer. Ein Blick auf die Uhr, sie ist unpünktlich, sie ist eine Frau, das ist ihre Rolle und sie spielt sie. Meine Rolle ist nichts zu sagen, wenn sie kommt, aber einen verärgerten Blick auf das Ziffernblatt zu werfen und so zu tun als wäre es ok. Ich spiele meine Rolle. Wir alle spielen unsere Rollen, ob wir es wollen oder nicht. Schalten, drehen, mit dem ersten Gang rausfahren.

Sie sind da, sie ist nicht allein. Es ist ok. Wir sprechen, abtasten, ausprobieren, abschätzen, aussprechen. Man muss vorausschauend handeln, man muss die Schwächen und Fehler anderer Verkehrsteilnehmer immer miteinschätzen, um in einer gefährlichen Situation richtig zu reagieren und rechtzeitig auf die Bremse zu drücken.

Wo stehe ich? Ich weiß es nicht genau. Um mich herum ist die Welt, aber es ist egal in welche Richtung ich gehe. Die Erde ist rund und ich bin wieder dort, wo ich gerade stand. Um mich herum ist die Welt und sie ist immer noch klar und doch undurchschaubar.
Der große Zeiger der Uhr hat drei Kreise gemacht, er läuft gleichmäßig, ohne jegliche Unregelmäßigkeiten, er hat keine Alternativen, er kann nur in eine Richtung.

Es ist kühl im Auto, die Fenster sind beschlagen und man muss sich erst an den Sitz gewöhnen. Schalten, Lenkrad bis zum Anschlag drehen und dann langsam im ersten Gang rausfahren. Mein Beifahrer ist die Stimme aus dem Radio, auch du hast deine Sehnsucht und sagst mir man muss etwas unternehmen, sonst wird sich nie etwas ändern, aber auch du weiß nicht in welche Richtung ich laufen soll. Schalten, Lenkrad bis zum Anschlag drehen und dann langsam im ersten Gang in die Parklücke reinfahren. Schlüssel drehen und horchen wenn der Motor aufhört in eine Richtung zu laufen.
 
G

Guest

Gast
Sorry,

ist gewöhnungsbedürftig Deine kleine Story, hat mir aber trotzdem gut gefallen, da in Deinen Zeilen schon ein tieferer Sinn vorhanden ist, den Du in eine graue Verpackung gesteckt hast. Aber ich denke, genau das wolltest Du erreichen, oder?!?

Gruß
GUIDO
 

Aspirin

Mitglied
Als erstes mal Danke für deinen Kommentar. Ich wollte den Automatismus herausstellen, ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, aber ich wollte, dass die Leser, das Geschriebene "nachfühlen" und nicht "nachdenken", ob es mir gelungen ist, weiß ich auch nicht.
 
S

Stoffel

Gast
sehr interessant.
Und es lädt ein,es immer und immer wieder zu lesen, weil das Gefühl da ist,es wäre noch einiges mehr in dem Text versteckt.

Liefert ein paar Bilder und ich muss an das langweilige Leben von einigen, die ich kenne,denken.

Stoffel
 



 
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