Eine Badewanne voll Cappuccino

Lupa

Mitglied
Der Titel könnte Anlass zu Spekulationen geben. Aber nein, ich kreiere keinen neuen Badezusatz, um etwa die alternde Haut zu straffen, zu tönen oder sonst irgendwie dem Geschmack und den Ansprüchen der heutigen Gesellschaft anzupassen. Auch handelt es sich hierbei um keine wissenschaftliche Untersuchung, um herauszufinden, wieviel Koffein der Mensch über die Haut aufnehmen kann oder gar um eine Wette, wieviel Cappuccino ein Mensch in der Badewanne liegend mit aller Gewalt trinken kann.
Nichts dergleichen, es geht hier nur um eines dieser Ereignisse, die immer nur mir passieren.
Es begann ganz harmlos, soweit in meinem Leben etwas harmlos beginnen und auch noch verlaufen kann. Ich reiste im Frühjahr mit einer Freundin für drei Wochen nach Indien und könnte Sie natürlich stundenlang mit unseren Reiseerlebnissen und Fotos unterhalten oder auch langweilen. Je nachdem, wieviel Interesse Sie für Indien aufbringen.
Der Flug war ganz o.k., keine nennenswerten Zwischenfälle, die Ankunft in Delhi bei Nacht ein beeindruckendes Erlebnis. Auch die übrige Reise überstand ich ohne größere Blessuren, sieht man von dem Sturz auf das linke Knie bei Ankunft im ersten Hotel einmal ab. Natürlich schmerzte das Knie während der nächsten drei Wochen, aber solche Dinge bin ich gewohnt, die nehme ich hin wie Naturereignisse. Auch einen weiteren Sturz, dieses Mal in die Hinterlassenschaft einer dieser allgegenwärtigen heiligen Kühe, konnte mir die Reise nicht wirklich vermiesen. Die Inder meinten, das bringe Glück bzw. Geld. Allerdings warte ich noch heute darauf, auf beides. Aber das nur am Rande bemerkt.

Wir flogen auch einige Male im Inland, Indien ist ein riesiges Land, und wir wollten zumindest vom nordwestlichen Teil eine gehörige Portion kennen lernen. Leider war mein Koffer bereits am zweiten Tag den Strapazen und rohen Kräften der indischen Männer nicht gewachsen und weigerte sich standhaft, alle seine Schlösser – vier an der Zahl – geschlossen zu halten. Eines der beiden, die für die Sicherheit der Seitenteile zuständig waren, sperrte ständig sein Maul auf, abwechselnd mal das linke, mal das rechte. Aber mit einem netten bunten Gurt hatte ich das Problem schnell im Griff, will heißen, ich verlor nichts vom Kofferinhalt. Dieser bunte Riemen brachte zudem noch den Vorteil, daß ich mein Gepäckstück auf dem Förderband wenigstens gleich erkannte.

Auf einem dieser Inlandsflüge geschah es dann. Wir waren die einzigen Europäer inmitten lauter Einheimischer, die auf dem kleinen Flugplatz gelandet waren. Es war brütend heiß, die Ventilatoren quirlten den heißen Mief müde und verdrießlich ein wenig durcheinander und wir hatten mehr als zwei Stunden Verspätung, weil der Flieger auf dem letzten Flugplatz nicht starten konnte. Wegen der großen Hitze war die Bereifung seiner Räder weich geworden und musste somit erst abgekühlt werden.
Aber jetzt waren wir hier und warteten auf unsere Koffer, die dann endlich kamen. Das heißt, alle fuhren brav auf dem Band heran, nur meiner fehlte. Ich hätte ihn sicherlich sofort an seinem bunten Riemen erkannt, er war nicht da! Der Schreck fuhr mir ganz schön in die Knochen, ich brauchte meine Kleider noch! Wenigstens einen Teil davon. Was völlig logisch war, denn bei diesen Temperaturen schwitzte man ja alles mehrmals täglich durch und musste sich entsprechend oft umziehen.

Am Ende des Förderbandes blieb zum Schluss ein unförmiges Paket liegen, verpackt in einen Plastiksack, verklebt mit Paketband. Mein Koffer! Bis zur Unkenntlichkeit entstellt! Lediglich identifizierbar an dem bunten Gurt, der vage durch den Plastiksack hindurch schimmerte. Was war denn mit dem passiert? Aber zunächst blieb keine Zeit für lange Fragen und Vermutungen, an der Anzeigetafel begann unser nächster Flugtermin bereits zu blinken und wir brachten unser Gepäck inclusive meines Monsterkoffers schnellstens zur Abfertigung.

An dieser Stelle sollte ich vielleicht doch einmal eine Erklärung abgegeben. Wenn man eine Reise plant – noch dazu in ein so entferntes und eher hauptsächlich aus Filmen und Reisebeschreibungen bekanntes Land – meint der eine oder die andere aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis, brauchbare Ratschläge abgeben zu müssen, was für unterwegs nützlich oder aber gar unverzichtbar sei. Man will es ja nicht mit jedem verderben und so nimmt man den einen oder anderen Rat eben an. Einer dieser befolgten Ratschläge war - weil sehr eindringlich geäußert - unbedingt Toilettenpapier einzupacken, und auch der, Cappuccino-Pulver mitzunehmen. Denn in den meisten Hotels stünden Wasserkocher zur Verfügung, mit deren Hilfe sich somit ein wohlschmeckendes Getränk herstellen ließe. Dem war auch so und wir tranken auch ab und zu einmal eine Tasse davon, aber am besten schmeckte uns doch der einheimische Tee. Wir hätten das Cappuccino-Pulver getrost zu Hause lassen können und hätten nichts entbehrt!
(Weitere Erkenntnis: Auch das Toilettenpapier hätten wir nicht importieren müssen, in Indien gibt es davon genügend.)

Aber das nur am Rande, zurück zum Geschehen: Kaputter Koffer + Cappuccino-Pulver im Koffer ergibt eine Gleichung, die nichts Gutes verheißt. Durch die erneute rüde Behandlung meines Gepäcks hatte sich der Deckel der Dose selbständig gemacht, ja sogar die Flucht ergriffen und das Pulver verteilte sich nicht nur im Innern des Koffers zwischen und auf meinen Kleidern, sondern stäubte auch aus dem seitlichen Schlitz, der bereits seit Beginn der Reise wegen des defekten Schlosses vorhanden war, im Flugzeug herum. Der gesamte Laderaum und natürlich auch das Gepäck der übrigen Passagiere waren in akuter Gefahr, von einer schokoladebraunen Staubschicht eingehüllt zu werden. Das Personal hatte deswegen diesen Schmutzfink von Koffer in einen Plastiksack gesteckt und hermetisch mit Paketband versiegelt, um den Schaden zu begrenzen.

Auch dieser Tag nahm glücklicherweise ein Ende und wir waren endlich wieder in einem Hotel angekommen. Ich schälte mühsam meinen Koffer aus seiner Verpackung, öffnete vorsichtig die übrigen drei Schlösser, die noch ihrer Verantwortung gerecht wurden und den Koffer zusammenhielten, und wagte einen Blick auf den Inhalt. Meine Kleider! Über und über braun eingepudert! Aber sie rochen wenigstens gut nach Schokolade, denn es handelte sich um Schoko-Cappuccino.
So schüttelte ich ein Stück meiner Garderobe nach dem anderen über der Badewanne aus, um noch zu retten, was zu retten war. Zum Schluss noch den Koffer ausgeleert und das Pulver mittels Dusche hinuntergespült. Dachte ich mir.
Das Bad sah inzwischen auch nicht mehr sehr rein und gepflegt aus, denn trockenes Pulver verteilt sich bekanntlich sehr gut in Räumen, und da ich meine Kleidung recht energisch ausgeschüttelt hatte, waren die Fließen oberhalb und rund um die Badewanne von einer dichten hellbraunen Staubschicht überzogen. Ich duschte also die Wände ausgiebig ab und dunkle Bäche strömten in die Wanne. Aber warum wurde diese immer voller? Warum lief die braune Brühe so langsam ab? Bei genauerem Hinschauen - jetzt schon einer Panik nahe - stellte sich heraus, sie lief überhaupt nicht ab, ausgerechnet in der Wanne unseres Badezimmers war der Abfluss verstopft!Vielleicht waren es die Abflüsse in anderen Badewannen dieses Hotels ebenfalls, was in diesem Augenblick aber völlig unerheblich war, denn bestimmt hatte nicht noch ein Gast solche Mengen von Schoko-Cappuccino oder ähnlichem in seiner Wanne aufgebrüht und nun Mühe, dieses Zeug wieder los zu werden. Es war die Katastrophe, der Pegel stieg – ich war darauf fixiert, die Wände sauber zu spülen - und die Wanne füllte sich immer mehr mit dem zugegebenermaßen appetitlich duftenden Gebräu.

Blubb, blubb, blubb: Ein paar träge Luftblasen quälten sich aus der Öffnung, die eigentlich ein Abfluss sein sollte, als ich nun schon einigermaßen verzweifelt den Strahl der Dusche verstärkte und in diesen Bereich richtete. Es nützte nichts, der Abfluss zeigte weiterhin hartnäckig keinerlei Neigung, etwas abfließen zu lassen. So gab ich mich geschlagen und bat telefonisch bei der Rezeption um Hilfe, natürlich ohne in die Details zu gehen,was mir erstens sehr peinlich und zweitens mangels ausreichender Sprachkenntnisse sowieso nicht möglich gewesen wäre.

Der freundliche Angestellte, der daraufhin das Bad begutachtete, hörte sich mein verlegenes Gestammel höflich lächelnd an, ließ sich jedoch nichts anmerken, außer dass sich seine Augenbrauen bedenklich seinem Haaransatz näherten, nickte und holte seine Utensilien, um den Schaden zu beheben.

Ich habe keine Ahnung, was sich der nette Mann vom Zimmerservice tatsächlich gedacht hat. Ehrlich gesagt, hat es mich auch nicht wirklich interessiert. Ich kann mir schließlich nicht ständig auch noch den Kopf zerbrechen über die Gedanken anderer Leute, die zufällig in die ungefähr 300 Missgeschicke, die mir im Laufe eines Jahres begegnen, verwickelt sind.
 



 
Oben Unten