Eine Busfahrt in Peru

Cinnamon

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Vier Wochen sind wir bereits mit unseren Rucksäcken unterwegs. Busse, Eisenbahnen und Überlandtaxis sind unsere Fortbewegungsmittel. Das bedeutet engsten Kontakt mit Land und Leuten. Großartige Landschaften und fremde Kulturen begleiten uns auf Schritt und Tritt.

Vor vier Tagen flogen wir von Cuzco, in den Anden, nach Pucallpa, ins Amazonasgebiet. Vier Tage erholen und entspannen in einer Flusslagune, auf der ‚Cabana’ des Senor Maulhart. Wir sahen Urwaldtiere, unternahmen Flussfahrten zu den Flussindianern und in die nahegelegenen Mangrovensümpfe. Dann hieß es Abschied nehmen.

Mit dem Bus fuhren wir zurück nach Lima. Eine Strecke von 850 Kilometer, im günstigsten Fall brauchte man 30 Stunden Fahrtzeit, man musste über drei Pässe, bis zu 4500 Meter Höhe, fahren. Die Leute auf der ‚Cabana’ warnten uns.

Am 31. März, morgens um halb neun Uhr, verließen wir Pucallpa. Der Bus war komplett ausgebucht, trotzdem hielten die Fahrer an jeder Straßenecke und nahmen, für kürzere Strecken, zusätzliche Fahrgäste mit. Der Mittelgang hatte sich bald gefüllt, in den Gepäcknetzen über uns türmten sich Körbe, Indio-Bündel und große Blechschüsseln. Die Busfahrer machten wie üblich ihr Privatgeschäft und die Fahrgäste nahmen es gelassen hin.

Unsere erste Etappe ging nach Tingo Maria. 284 Kilometer rumpelten wir durch Dschungelgebiet und später durch einen Canyon, dessen Wände 2000 Meter senkrecht aufsteigen. Riesige Dschungel-Farne, Wasserfälle und in den Bäumen kreischten bunte Papageien. Wir mussten aber auch sieben Stunden Sand- und Schotterpiste, üble Schlaglöcher und Schlammstrecken ertragen. So langsam dämmerte es uns, wovor man uns gewarnt hatte.

In Tingo Maria hieß es nur kurz die Beine vertreten und weiter ging es. Wir sahen dem ersten, vor uns liegenden Pass, skeptisch entgegen. Zuerst schlängelten wir uns hoch auf 3000 Meter und dann ging es in Serpentinen runter auf 1800 Meter, nach Huanaco.

Nach ungefähr 30 Kilometern war plötzlich ein schleifendes, scharrendes Geräusch im Bus zu hören. Sofort wurde angehalten und die Busfahrer und der begleitende Mechaniker stiegen aus. Gestikulierend liefen sie um den Bus, gingen in die Knie und schauten unter den Bus, vorne, hinten und in der Mitte. Die Fahrgäste wurden unruhig. Trotz strömenden Regens stieg nach und nach alles aus, um sich den Schaden zu besehen. Es gab nichts zu sehen.

Grüppchenweise standen die Leute und diskutierten miteinander. Sämtliche Indio-Dialekte schwirrten durch die Luft. Unsere Fragen, in Spanisch, wurden zwar verstanden, aber in der Sprache der Einheimischen beantwortet. Alle stiegen wieder in den Bus, wir mit Galgenhumor und Gottvertrauen. Gegen halb neun Uhr abends erreichten wir Huanaco. Eine längere Pause stand uns bevor. Der Bus sollte überprüft werden. Wir nutzten die Gelegenheit und futterten uns durch die Straßenküchen der Indios.

Um Mitternacht ging es endlich weiter. Der Aufstieg zum Cerro de Pasco (4300m) lag vor uns. Das bedeutete 105 Kilometer auf einer wilden Schotter- und Serpentinenpiste. Auf der einen Seite erhoben sich steile Berghänge, auf der anderen Seite lagen tiefe Schluchten. Ein klarer Himmel und Vollmond ließen alles genau erkennen. Ich habe auf diesen 105 Kilometern kein Auge zugemacht. Trotz Kriechtempo dachte ich nur eines: Würden wir die nächste Kurve lebend überstehen? Alle paar Kilometer erreichten wir ein Bergdorf und in jedem wurde angehalten. Die Fahrgäste wechselten und dabei durften die wartenden Händler in den Bus. Straßenküchen im Kleinformat. Obst und Gemüse, heiße Suppen und Tee, auf einem schmutzigen Teller Bratkartoffeln mit Spiegelei oder gekochte Reisklumpen in Weinblättern. Schlichtweg, alle boten sie an, was der hungrige Magen begehrt.

Nach neun Stunden kamen wir endlich in dem düsteren Minenstädtchen Cerro de Pasco an. Ich hatte all den ‚Köstlichkeiten’ während der Nacht widerstanden und einen Bärenhunger. Am Straßenrand, in einer Bretterbude, erstand ich eine dampfende Gemüsesuppe zum Frühstück.

Gegen zehn Uhr wurden wir alle zur letzten Etappe eingesammelt. Es ging über einige Kilometer Hochebene und dann nochmals ein kurzer Aufstieg zum La Viuda Pass (4500m). Dann auf 280 Kilometern hinunter, auf Meereshöhe, nach Lima.

Von der durchwachten Nacht total geschafft, döste ich vor mich hin. Ich sah nicht viel und während wir den Pass überquerten, befand ich mich bereits im Tiefschlaf. Als ich aufwachte, es musste schon längere Zeit vergangen sein, stand der Bus. Er war leer. Ich schaute nach draußen. Wir standen in einer Kurve bergabwärts. Ich weckte meine Freundin und mit zittrigen Knien verließen wir, das Schlimmste ahnend, den Bus.

Es war nicht zu fassen. Der Bus war auf abschüssiger Straße, mit einem Wagenheber, am Hinterrad, hochgebockt worden. Die anderen drei Räder waren durch Felsbrocken gesichert. Vier Mann lagen unter dem Bus. Das Werkzeug bestand aus Hammer, Meißel, Schraubenschlüssel und einer Zange. Der Mechaniker hämmerte wie wild in der Nähe des Rades herum. Alle anderen standen, saßen oder lagen auf der Straße, um das ganze zu beobachten. So ging das zwei Stunden. Dann hörten sie auf. Inwieweit der Schaden repariert war, konnten wir nicht in Erfahrung bringen. War es die Achse, war es die Radaufhängung oder waren es die Bremsen? Wir fuhren auf jeden Fall weiter.

Und so, wie wir die Nacht zuvor, in Serpentinen bergaufwärts gekrochen waren, ging es jetzt, weitaus rasanter, in Serpentinen bergabwärts. Mit lautem Gehupe und ruckartigen Bremsmanövern vor jeder Kurve. Bei den obligatorischen Stopps flitzte der Mechaniker aus dem Bus und kroch unters Hinterrad. Ob uns das beruhigte?

In der Nacht um elf Uhr kamen wir endlich in Lima an. Die schlimmste Busfahrt unseres Lebens lag hinter uns. So meinten wir damals. Ein paar Wochen später, in Kolumbien, wurden wir eines Besseren belehrt.
 



 
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