Eine Geschichte von Liebe, Meer und Kirschen

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Nyxon

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Letztens habe ich einen Brief aus Holland bekommen. Erst sah es aus wie das zwielichtige Angebot einer Briefkastenfirma mir mein nichtvorhandenes Geld durch ebenso zwielichtige Geschäfte abzunehmen. Dann war es doch nur ein böser Strafzettel über 44 Euro wegen Parken ohne Parkschein. Ich weiß genau, auf welchen Tag die holländische Polizei anspielen will, denn ich erinnere mich an den Zettel hinter den Scheibenwischer, als ich mit vollgepackten Taschen zurück zum Parkplatz kam. Mein Auto war das einzige mit solch einem Souvenir.

Ich habe eine besondere Beziehung zu Holland, ganz besonders zu dem Ort, in dem ich auch dieses Mal meinen Kurzurlaub gelegt hatte. Dort herrscht zwar immer tote Hose, aber wenn man Ruhe und Zufriedenheit sucht, kommt einem die Abgeschiedenheit, die einem dort geboten wird, ganz recht.

Ich war schon früher mit meinen Eltern immer dorthin gefahren. Meine Eltern vorne im Auto, ich hinten auf dem Sitz hinter meinem Vater am Steuer, neben und hinter mir im Kofferraum Konserven und sonstige haltbare Lebensmittel, die man fürs Überleben braucht. Frische Sachen kauften wir immer vor Ort ein – logischerweise. Unsere Unterkunft war ein baufälliger Bungalow, den wir von Bekannten anmieteten und deshalb weniger bezahlen mussten. Er lag in einem großen Bungalowpark, sollte aber bald eine Seltenheit darstellen, denn dieser Park wandelte sich von einem Platz für Behelfsunterkünfte in ein Paradies mit Backsteinbauten, auf deren Dächern Satellitenschüsseln standen und aus deren Schornsteinen Rauch aufstieg. Unser Bungalow hatte einen Fernseher mit Zimmerantenne und ein kleines Rohr, durch das die Dämpfe abziehen konnten. Im Sommer versammelte sich die Ameisenkolonie auf der Terrasse.

Trotzdem mochte ich den Urlaub mit meinen Eltern. Sicher, denn ich war gerade einmal im Vorschulalter und was hat man da schon von seinem Leben?
An einen Urlaub erinnere ich mich ganz besonders. Es war der Urlaub mit meinem ersten eigenen Fahrrad, das soviel Platz im Kofferraum einnahm, dass wir nicht ganz so viele Konserven mitnehmen konnten, wie Mutter beabsichtigt hatte. Mit diesem Rad fuhr ich den ganzen lieben langen Tag durch das Arial des Bungalowparks. Draußen sei es zu gefährlich für mich, hatten meine Eltern gesagt.

Der Lichtblick in diesem Jahr waren zwei Kinder, die mir Gesellschaft leisten konnten. Beide würde man heute als Upperclass bezeichnen, denn sie wohnten mit ihren Eltern in einem der damals noch nicht so zahlreichen Backseinbauten. Der Junge von den beiden, dessen Name mir genauso entfallen ist, wie der des Mädchens, war ein direkter Konkurrent im Kampf um die Gunst des Mädchens. Jeden Tag entbrannte ein schrecklicher Wettkampf um einen Platz auf der Schaukel, denn neben einem saß das Mädchen und man wollte schon damals gefallen. Höher, schneller, weiter war damals die Devise und sie hat sich bis heute nicht geändert, sondern nur das Ziel.

Nach Punkten lag ich vorn, denn ich hatte das Rad. Das Mädchen mochte meine halsbrecherischen Sprünge über die Wippe oder das Easyrider-Verhalten auf den Wegen. Ich war beliebt! Und aus diesem Grund durfte ich mit zu ihr nach Hause kommen. Ich wurde den Eltern vorgestellt, die mir aus der heutigen Sicht versnobt aussahen, die ich früher aber als eine Art Gral betrachtete, weil sie die Eltern von dem Mädchen waren, für das ich als erstes mein Herz verschenkte.

Aber dann kam das Fahrrad zwischen uns. Meine Easyridergene drangen durch und machten alles kaputt. Sie lud mich ein – bereits das zweite Mal hintereinander. Ich denke, sie mochte mich wirklich und auch ich mochte sie. Heute würde ich sie als ein Lustobjekt ansehen und sie mir nackt vorstellen wollen. Damals natürlich noch nicht.
Sie wollte mit mir Pferdehof spielen. Eines dieser typischen Mädchenspiele, von denen ein gesunder Jungenverstand vergiftet und für spätere Zeit verschwuchtelt werden kann. Treuherzig wartete ich unten, während sie im oberen Stock all ihre Pferde und kleine Puppen holte und sie nach und nach über den Balkon in meine Arme warf.
Dann spielten wir. Die Sonne strahlte mir auf die kindliche Birne, das Mädchen quasselte und ich träumte von einer Fahrt in die untergehende Sonne mit meinem wunderbaren neuen Rad. Und ehe ich mich versah, machten die Gene, was sie wollten. Ich drückte meinen Missmut über dieses dumme Weiberspiel aus, wie es mir mit der begrenzten linguistischen Fähigkeit möglich war, schwang mich auf mein treues Rad und fuhr. Das Mädchen zeterte noch etwas hinter meinem Rücken und dann war ich allein.
Von den Eltern des Jungen wurde ich abends zum Kirschenessen eingeladen. Ich sagte freudig zu und stopfte so viele Kirschen in mich hinein, dass ich noch am selben Abend Bauchschmerzen bekam. Aber es hatte geholfen! Irgendwie war das Schuldgefühl dem Mädchen gegenüber verschwunden. Kirschen. Die Kirschen hatten mich getröstet.
Zehn Jahre später stieg ich auf Alkohol um, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich sah keinen beiden jemals wieder. Aber immer, wenn ich die Jahre danach mit meinem Rad durch die Parkanlage fuhr, hielt ich kurz an den Häusern, in denen sie gewohnt hatten und erinnerte mich an dieses Jahr, in dem ich Kirschen aß und meine erste große Liebe vergraulte.

Ich denke, ich werde den Strafzettel nicht bezahlen. Vielleicht esse ich stattdessen lieber ein Pfund Kirschen und spüle sie mit einem Bier hinunter. Und dabei werde ich an Holland denken und mir überlegen, was das Mädchen wohl heute macht und mit wem sie wohl heute Pferdehof spielt.
Wenn die Sentimentalität zu groß wird, habe ich immer noch mein Fahrrad.
 

majissa

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Hallo Nyxon,

ehrlich gesagt ist mir dieser Text zu oberflächlich, die Handlung nur angerissen, aber nie wirklich in die Tiefe gehend und das Ende zu übereilt und lieblos. Dabei gibt es wirklich gute Ansätze wie die Ameisenfarm auf der Terrasse, das Fahrrad im Kofferraum oder dies hier:

"Unser Bungalow hatte einen Fernseher mit Zimmerantenne und ein kleines Rohr, durch das die Dämpfe abziehen konnte."

Da beginnst du wirklich, etwas zu erzählen, was vielversprechend klingt, hörst aber gleich wieder auf. Andere Versuche, den Leser in die Handlung zu ziehen, scheitern an plötzlich auftretenden Lebensweisheiten, die irgendwie konstruiert und fehl am Platz scheinen, zudem aber auch abrupt die Gelegenheit, deinem Protagonisten auch nur einen Hauch von Persönlichkeit zu verbraten, vermasseln. Hier beispielsweise:

"Jeden Tag entbrannte ein schrecklicher Wettkampf um einen Platz auf der Schaukel, denn neben einem saß das Mädchen und man wollte schon damals gefallen. Höher, schneller, weiter war damals die Devise und sie hat sich bis heute nicht geändert, sondern nur das Ziel."

So ist meines Erachtens auch die Erwähnung, dass die ehemals große Liebe heute als Lustobjekt angesehen würde, überflüssig, weil die Geschichte dadurch nicht gewinnt.

Mit etwas mehr Feingefühl und Tiefe könnte dieser Text durchaus gut werden.

Lieben Gruß
Majissa
 



 
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