Eine Jahresbilanz 2001 - Trotz allem

Robert Lengo

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Sorry, das kommt aus logistischen Gründen ein bißchen spät und ist auch immer noch nicht fertig, aber wir üben ja alle noch...


Eine Jahresbilanz 2001 – trotz allem

Das Jahr 2001 geht zu Ende und weil unsere Vergangenheit immer auch ein Teil unserer Gegenwart ist, weil – mehr noch – niemand wissen kann, wo er hingeht, wenn er sich nicht bewusst macht, wo er herkommt, und insbesondere weil ich gerade nichts besseres zu tun habe, möchte ich einen kleinen Rückblick versuchen.

Lassen Sie mich - schon aus Gründen der Übersichtlichkeit – mit einem der 12 meistgedruckten Monate der Kalenderindustrie anfangen, nämlich dem ...

JANUAR

Für Deutschland beginnt das Jahr mit einem bemerkenswerten Vorgang. Gleich am Morgen des 2. Januar 2001 sehen wir überall im Lande an den Toren der Bundeswehrkasernen: Frauen! Es sind die Mütter von Rekruten und sie bringen ihre Jungs zum Dienst, weil ja heutzutage auf der Straße so viel passiert. Mancherorts treffen sie aber auch auf eine oder mehrere der 244 Frauen, die heute erstmals in der deutschen Geschichte als Soldatinnen in die Bundeswehr eintreten. In der Folgezeit wird man feststellen, dass die Zugehörigkeit von Frauen zu den Streitkräften eine Herausforderung, aber auch eine Bereicherung für alle Beteiligten darstellt. Die Rekrutinnen klagen zwar anfangs über „erhebliche körperliche Strapazen“; als sich aber herausstellt, dass sie damit das Einparken auf dem Rekrutenparkplatz meinen, reagiert die Truppenverwaltung sofort und stellt Bergepanzer und Stinger-Raketen zur Verfügung. Die männlichen Soldaten akzeptieren ihre weiblichen Kameraden vorbehaltlos und räumen sogar ein, dass man viel voneinander lernen kann. So erfahren die uniformierten Damen eine ungemeine Erweiterung ihres Wissens um Methoden und Hilfsmittel, mit denen man eine Bierflasche aufmachen kann, und die Herren lauschen fasziniert den Erläuterungen ihrer Kameradinnen, denen zufolge es nach dem Genuss kohlensäurehaltiger Getränke in Wirklichkeit gar nicht zwingend erforderlich ist, so infernalisch zu rülpsen, dass sich das in der Nähe stationierte Tornado-Geschwader über den Lärm beschwert. Mancher junge Mann wird auch verblüfft gewesen sein zu hören, dass das humoristische Potential abgehender Körperwinde in den letzten Jahren wohl doch deutlich überschätzt worden ist. Ganz ohne regulierende Eingriffe seitens der militärischen Führung geht es denn aber doch nicht: die Zahl der Tuben, Töpfchen, Fläschchen und Pinsel, welche die Damen in ihren Waschräumen auf jeder waagrechten Fläche aufstellen dürfen, soll auf 1000 pro Rekrutin limitiert werden, während im Männertrakt Spontanbesäufnisse und Schwanzvergleiche künftig nur noch nach vorheriger Genehmigung durch die Kompaniechefin erlaubt sein sollen.

Bundesgesundheitsministerin Fischer beweist Redlichkeit und Konsequenz in ihrem Bemühen um eine effiziente und verlässliche Gesundheitspolitik für Deutschland und legt ihr Amt nieder. Zeitgleich erklärt Landwirtschaftsminister Funke seinen Rücktritt in den Räumen des Landwirtschaftsministeriums, in denen er sich eigens eingefunden hat, weil er sie sich bei dieser Gelegenheit einmal anschauen will.

Die CDU hingegen hat zu ihrer alten Form zurückgefunden und präsentiert sich als eine kompetente, in der Sache entschlossen, in der Form aber stets maßvoll und besonnen auftretende Partei und dokumentiert dies besonders anschaulich, indem sie ein Plakat lanciert, auf welchem der Bundeskanzler nach Art einer Verbrecherkartei dargestellt wird. Unter dem tosenden Applaus vor allem der SPD, die aufgrund von Terminschwierigkeiten im Moment selbst keine Kampagne gegen die CDU betreiben kann, enthüllt Laurenz Meyer das Plakat und erklärt dazu: „Um Inhalte zu vermitteln, muss man sich manchmal vor der ganzen Nation zum Affen machen“. Nein, das sagt er natürlich nicht, oder jedenfalls erst später, und auch dann nur sinngemäß.

Eine erhitzte Diskussion entspinnt sich um Bundesaußenminister Joschka Fischer, als Gerüchte aufkommen, er habe in jüngeren Jahren den Einsatz von Molotow-Cocktails gefordert und zeitweilig eine Wohnung mit einer Terroristin geteilt. Außerdem tauchen ein paar ziemlich ärgerliche Fotos aus jener Zeit auf, die ihn dabei zeigen, wie er einem Polizeibeamten (Diplomatenjargon: ) seinen Standpunkt in großer Offenheit darlegt. Konfrontiert mit diesen Vorwürfen beweist Fischer echte staatsmännische Größe, und zwar indem er mal wieder so lustig die Augenbrauen hochreißt und dabei gleichzeitig die Augen zusammenkneift, so dass er aussieht wie entweder (a) ein Mann mit einer Vision vor Augen oder (b) ein Mann mit mindestens 5 Dioptrien auf beiden Augen. Den Trick hat er erst vor wenigen Jahren gelernt, vermutlich zeitgleich mit dem Binden von Krawatten und dem leutselig entspannten Plaudern mit Biolek. Ob er (Fischer natürlich) den Einsatz von Molotow-Cocktails je gefordert hat, vermag er heute nicht mehr zu sagen, die Frau, mit der er in Frankfurt seinerzeit eine Bekanntschaft unterhalten haben soll, erweist sich als Sabrina Setlur und hinsichtlich der Frage, ob er sich von seiner Vergangenheit heute vollständig losgesagt hat, ruft er zunächst einen Freund an, vertraut dann aber doch dem Votum des Publikums.


FEBRUAR

Boris Becker erkennt an, Vater des Kindes einer gewissen Frau Ermakova zu sein. Damit endet eine landauf, landab unter reger Anteilnahme aller Bevölkerungsgruppen geführte Diskussion um einen Themenkomplex, dessen inhaltliche Aufbereitung bisher stets der Hardcore-Pornoindustrie vorbehalten war.

Und da wir gerade bei den Resultaten übereilt beschlossener Kooperationen sind: in Sindelfingen räumt die Spitze des Daimler-Chrysler-Konzerns ein, dass die Geschäfte der Gruppe zur Zeit nicht so richtig rentabel sind, dank einer rigiden Sparpolitik der gegenwärtig monatlich eingefahrene Verlust aber immerhin so weit begrenzt werden konnte, dass er nur noch dem Bruttosozialprodukt von Kanada entspricht.


MÄRZ

In Berlin sinnen die Delegierten von fünf großen Gewerkschaften angesichts ihres massiven Mitgliederschwundes auf eine brillante Lösung: „Ich hab’s!“, so ruft einer von ihnen aus, „Wir pappen einfach alles zu einem schwerfälligen Riesenladen zusammen und geben uns einen bemüht auf modern getrimmten albernen Namen!“. Na, alle finden gleich, dass das eine Superidee ist und begründen die größte Einzelgewerkschaft der Welt: Bro’sis.
Nein, der wirkliche Name ist „Ver.di“, was –sofern das überhaupt noch ging – natürlich noch doofer klingt, dafür aber unheimlich schmissig nach Internet aussieht. Beflügelt von diesem neuen Geist sind denn auch gleich hunderttausende Mitglieder entschlossen, die Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit zu begraben und ihren Austritt per e-mail zu erklären.

Und da wir’s gerade von kontrollierten Abstürzen haben: Am 23. März wird die russische Raumstation Mir planmäßig aus ihrer Umlaufbahn gesteuert und verglüht zum größten Teil in der Atmosphäre. Verbleibende Teile gehen verteilt über ganz Bayern nieder, wo sie aber alle von Olli Kahn gefangen werden. Nee, das ist Quatsch: sie stürzen wie geplant in den Pazifik, da der Atlantik gerade wegen einer dringenden Ölkatastrophe, verursacht durch die Bohrinsel P-36, verhindert ist.

Der Abwärtstrend der Technologiewerte am Neuen Markt verstärkt sich, als versehentlich eine vertrauliche Studie der Börsenaufsicht bekannt wird, wonach „IT“ dasselbe bedeutet wie „EDV“. Ferner bröckelt das Vertrauen der Anleger in die Computerindustrie, nachdem etliche Anleger erstmalig Service-Hotlines angerufen haben in der Annahme, ihnen würde dort allen Ernstes irgendsowas wie Service geboten.


APRIL

Überraschend überweist CDU-Ex-Schatzmeister Walter Leisler-Kiep die Summe von 1.000.000,00 DM an seine Partei. Er hatte sie zufällig bei Aufräumungsarbeiten auf seinem Girokonto gefunden (die Summe). Angela Merkel weiß zunächst gar nicht, wie sie Leisler-Kiep danken soll. Genau genommen ist sie sich sogar ziemlich sicher, dass sie ihm überhaupt nicht danken sollte, weil es jetzt natürlich wieder viel Gefeixe und Sticheleien über die Herkunft des Geldes gibt. Als Leisler-Kiep aber plausibel darlegen kann, dass ihm eine Eule einen Brief in seinen Verschlag unter der Treppe gebracht hat, woraus hervorging, dass der Betrag seit Jahren ohne sein Wissen von Kobolden verwaltet worden war, macht sich unter den unbesonnen vorgepreschten Kritikern beschämtes Schweigen breit.

Inzwischen weist der Bundeskanzler energisch darauf hin, dass es kein „Recht auf Faulheit“ gebe und kündigt die Beendigung jeglicher staatlicher Unterstützung für notorische Leistungsverweigerer an, selbst wenn das im Einzelfall deren Entlassung aus dem Bundeskabinett bedeuten sollte.

Der amerikanische Milliardär Dennis Tito, 60, fliegt an Bord eines russischen Sojus-Raumschiffs zur internationalen Raumstation ISS. Die NASA war bis zuletzt gegen den Flug gewesen, da ein Tourist wichtige Arbeiten an Bord stören könne. Die Raumstation sei vergleichbar mit einem halbfertigen Hotel, in das Touristen ja auch nicht gelassen würden, erklärte NASA-Chef Daniel Goldin, der offensichtlich noch nie an der Costa Brava war.

Und apropos Seniorenreisen: eine interessante Meldung erreicht uns im ...


MAI

Der alte, gebrechliche Mann, der beim dreistesten Coup der Postgeschichte einen Riesenbatzen Geld abgeräumt hatte, stellt sich in London den Polizeibehörden. Diese sind allerdings zu sehr mit der Festnahme von Ronald Biggs beschäftigt, der sich wegen eines Überfalls auf einen Postzug seit den 60er Jahren auf der Flucht befand, und schicken Thomas Gottschalk kurzerhand wieder nach Hause. In der britischen Öffentlichkeit wird Biggs unterstellt, er komme nur zurück, um auf seine alten Tage nun die Gesundheitsversorgung Großbritanniens auszunutzen, während Biggs Heimweh als Motiv für den Schritt angibt. Einer seiner Anwälte teilt mit, dass Biggs wohl geistig nicht mehr ganz klar sei, was in Regierungskreisen als durchaus glaubwürdig eingestuft wird. „Wer um die halbe Welt reist“, schmunzelt ein hoher britischer Beamter, „um ausgerechnet unsere Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen, muss wirklich ganz schön ’n Ball im Garten haben“.

Im Gelsenkirchener Parkstadion feiern die Fans des FC Schalke 04 die tapfer erkämpfte Deutsche Meisterschaft, schlagen sich aber schließlich mit einem selbstironischen Lachen vor die Stirn, als ihnen einfällt, dass es ja in Deutschland seit Jahren jeder anderen Mannschaft als Bayern München gesetzlich verboten ist, diesen Titel zu erlangen. Die erfolgsgewohnte Equipe um Ottmar Hitzfeld gewinnt in der Folgezeit auch noch die Champions League, die WM-Qualifikation, die Tour de France, den Admiral’s Cup, den Ölpreis und den zutreffenden Eindruck, dass sie trotzdem vollkommen zu Recht eigentlich keiner so richtig leiden mag.


JUNI

In Göteborg treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, um über die Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder zu beraten. Zahlreiche junge Menschen, die sich große Sorgen um die weltweite Solidarität aller Völker und um Gerechtigkeit und Frieden machen, sind sehr erbost darüber, dass sich ohne ihre Erlaubnis Krawattenträger aus mehreren verschiedenen Ländern irgendwo treffen und irgendwas mit Wirtschaft oder so bereden, und dokumentieren ihre Vision von einer besseren Welt voller Harmonie und internationaler Verständigung und so in Form ausgedehnter Straßenschlachten mit der Göteborger Polizei.

US-Präsident George Bush nutzt das freundliche Frühsommerwetter zu einem Besuch in Spanien, Belgien, Schweden, Polen und Slowenien. Souverän straft der amerikanische Staatschef damit seine Kritiker Lügen, welche ihm bornierte Amerika-Zentriertheit und Ignoranz gegenüber dem Rest der Welt unterstellt hatten. Gerade Europa bringe er ein waches Interesse entgegen, erklärt Bush, und dass er beabsichtige, nächstes Jahr auch dort einmal hinzufahren.


JULI

Im Vorfeld des G8-Gipfels in Genua kommt es zu zahlreichen Verhaftungen nach Italien eingereister Ausländer. Besonders peinlich: die vorübergehende Festnahme von Bundeskanzler Gerhard Schröder durch ein Spezialkommando der Carabinieri aufgrund des Hinweises eines anonymen Anrufers, der versichert, er habe dieses Gesicht Anfang des Jahres in Deutschland auf einem Fahndungsplakat gesehen.

Ansonsten verläuft der Gipfel aber sehr zufriedenstellend: die Gefallenenzahlen bleiben hinter denen des 30jährigen Krieges weit zurück, viele der Verletzten werden bei konsequenter Behandlung noch ein durchaus menschenwürdiges Dasein fristen können, und auch die konkreten Ergebnisse können sich sehen lassen. Leider vermag sich keiner so recht an die konkreten Ergebnisse zu erinnern und die Papierserviette, auf der sie einer der Konferenzteilnehmer notiert hatte, wurde blöderweise vom Zimmerservice des Genua Hilton mitgenommen und entsorgt.


AUGUST

In der pharmazeutischen Industrie regt sich Unmut über die immer noch geplante sogenannte Positivliste. Danach sollen nur noch solche Medikamente von den Krankenkassen getragen werden, die auf dieser Liste stehen, während der Patient für alles andere selbst aufkommen muss. Die Kritik wird im Ton deutlich schärfer, als sich herausstellt, dass auf der Positivliste bisher nur „Wadenwickel, Heiße Zitrone, Kaisernatron und öfter mal an die frische Luft“ verzeichnet sind.

Kabarettisten, Humoristen, Satiriker und sonstige Spaßvögel erwägen nach Angaben eines Sprechers eine Sammelklage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping. Dem Kommuniqué zufolge wird es im Kreise der Humorschaffenden als ein nicht hinnehmbarer Anschlag auf die Berufsfreiheit in Deutschland eingestuft, wenn Politiker sich selbst öffentlich dermaßen zum Volldeppen machen, dass jede den anerkannten Sicherheitsstandards entsprechende Verhöhnung durch ausgebildete Fachkräfte ins Leere läuft. Tröstlich ist für alle Beobachter immerhin eins: ob der Verteidigungsminister einer großen westlichen Industrienation als Person zuverlässig und überhaupt ernst zu nehmen ist oder nicht, spielt letzten Endes keine große Rolle, da eine irgendwie nennenswerte Bedrohung selbst im weitesten Sinne militärischer Natur sowohl für den gegenwärtigen Zeitpunkt als auch für alle absehbare Zukunft mit vollständiger Sicherheit ausgeschlossen ist.


SEPTEMBER

Kabarettisten, Humoristen, Satiriker und sonstige Spaßvögel erwägen, sich andere Jobs zu suchen oder mindestens eine Weile Urlaub zu machen.


OKTOBER

Bundeskanzler Schröder stellt sich schützend vor mehrere seiner Minister und weist Rücktrittsforderungen energisch zurück, bis Berater ihn darauf aufmerksam machen, dass zur Zeit gerade keiner seiner Minister unter besonderem Beschuss steht. „Wer konnte das ahnen!“ ruft der Kanzler mit einem befreiten Lachen aus und setzt, solcherart beflügelt, seine eminent erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik fort, die allein in den letzten zwölf Monaten mindestens zwei oder sogar drei Leuten zu vorübergehenden ABM-Stellen verholfen hat.

Steffi Graf und André Agassi freuen sich über die Geburt ihres Kindes. Im Einklang mit den für alle Profi-Tennisspieler geltenden Reglements der International Tennis Federation geben sie dem Jungen einen seltsamen Namen.

Lieber Robbie Williams,
Sinatra ist und bleibt unerreicht. Das wussten wir doch sowieso. War es ganz bestimmt erforderlich, dass Du es noch beweist?
Dein Robbie Lengo


NOVEMBER

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Die Tage werden immer kürzer und die Bärte im Kino immer länger. Nein, ohne Frotzeleien: der Film hat eine seiner wunderbarsten Missionen wiederentdeckt. Malerische Visionen und märchenhafte Träumereien sind es, die dieses Jahr eine überraschende Renaissance feiern und Jung und Alt in eine berückende Zauberwelt entführen mit weisen Magiern und ungestümen Zauberlehrlingen, Einhörnern, Hobbits, Zwergen, schaurigen Drachen, ritterlichen Helden, gewaltigen Phantasielandschaften und schwulen Indianern.

In Nürnberg ist nach langer Zeit mal wieder Parteitag, hurra! Nein: es reicht jetzt wirklich mit den unsachlichen Kaspereien. Also: Ergriffen von einer fulminanten Rede des Bundeskanzlers und getragen von einem neu gestärkten Selbstvertrauen, erkennen die Delegierten des SPD-Bundesparteitages, dass mit Gerhard Schröder ein Mann vor ihnen steht, der mit seiner Tatkraft und seinem Esprit der modernen Sozialdemokratie bereits innerhalb der kurzen Zeit seit seinem Amtsantritt entscheidende Impulse gegeben hat: nämlich Tony Blair, der spontan reingeschaut hatte, weil er noch ein paar Leute für eine Dart-Mannschaft sucht.


DEZEMBER

Endlich findet die Auslosung der Gruppen der Fußball-WM 2002 statt, deren Teilnehmer nun feststehen, und an der gnadenhalber und mit knapper Not auch ausgesprochenen Fußball-Außenseiternationen wie Deutschland und Brasilien die Teilnahme gestattet worden ist. Deutschland wird zunächst gegen Irland, Saudi-Arabien und Kamerun spielen, während Bayern München gegen alle übrigen Nationalmannschaften der Erde und ausgewählter Nachbarplaneten gleichzeitig aufgestellt ist und nach Ansicht der meisten Beobachter bereits jetzt gewonnen hat.

In Israel und Palästina gönnt man sich - voller Stolz auf das Erreichte – einen Blick zurück auf nunmehr 52 erfolgreiche Jahre der Bemühungen um ein Ende des gegenseitigen Mordens.

In Berlin einigen sich SPD und PDS auf eine „rot-rote Koalition“. Das zu erwartende Genörgel irgendwelcher spitzfindiger Querulanten wegen einer Regierungsbeteiligung der PDS wird schnell als unsachlich entlarvt, indem die PDS am Rande einer Veranstaltung als Fußnote zu einer Anmerkung im Umfeld eines Kommentars zu einer Zwischenbemerkung innerhalb eines Nebensatzes auf der Rückseite eines aufgeweichten Bierdeckels eine gewisse Neigung dokumentiert darauf hinzuweisen, dass ihr das mit der Mauer mitunter fast ein bisschen Leid tun könnte, aber dass es damit nun auch bitteschön sein Bewenden haben sollte. Den Unmut, den zahlreiche Bürgerrechtler der Ex-DDR ob der neuen Regierungskoalition zum Ausdruck gebracht haben, will der neue Senat aber auf jeden Fall sehr ernst nehmen. „Wir werden sie wohl alle ausbürgern“, so ein PDS-Sprecher.


So streichen nun die letzten Stunden des Jahres 2001 dahin und wir alle – Männer und Frauen, Jung und Alt, Menschen und Investment-Banker – lassen die vergangenen 12 Monate ein letztes Mal Revue passieren. In ein paar Minuten werden wir, einem liebgewonnenen Ritual folgend, die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers im Fernsehen verfolgen und wie jedes Jahr wieder bis zuletzt nicht ganz sicher sein, an welcher Stelle der Kanzler über das Tigerfell hüpft, statt darüber zu stolpern.

Mit gemischten Gefühlen nehmen wir Abschied von diesem Jahr. Das tun wir eigentlich jedes Jahr, aber schon lange nicht mehr mit so gemischten Gefühlen wie just diesmal.

Was das zu Ende gehende Jahr gebracht hat, wissen wir, ob wir denn nun wollen oder nicht. Jedenfalls wissen wir es, wenn wir es aus zuverlässigen Quellen erfahren haben, womit ich meine: nicht aus diesem Rückblick.

Doch was liegt vor uns?


Stürzen wir endgültig in eine entsetzliche Katastrophe? oder
Erleben wir eine historische Wendung zum Guten und den Anbruch eines neuen Zeitalters voller Glück, Frieden und Harmonie? oder
Wird einfach nur dieses und jenes doch im Großen und Ganzen ein bisschen besser, weil wir alle ja schließlich immerhin Menschen sind und damit die einmalige Gabe haben, zu lernen und Konsequenzen aus unseren Erkenntnissen zu ziehen? oder
Bleibt im Wesentlichen alles beim alten, weil wir alle ja schließlich nur Menschen sind und damit – jenseits aller Unterschiede der Nationen, Geschlechter, Rassen, Religionen und Weltanschauungen – vor allem eines über alles Trennende hinweg gemeinsam haben, nämlich dass wir nahezu grenzenlos bescheuert sind?

Ich könnte noch den 50:50-Joker nehmen, Herr Jauch, aber ich glaub’ ich weiß die Antwort auch so.
 
E

ElsaLaska

Gast
Lieber Robert,

ich habe herzlich gelacht!
Allerdings ist Dein Werk mächtig lang, zumindest für Lupen-Verhältnisse.
Schade, so haben bestimmt einige die Geduld verloren.
Liebe Grüsse
Elsa
 

Robert Lengo

Mitglied
Wie lieb von Dir. Ich dachte schon, kein Mensch liest's. (Die meisten anderen Aufrufe sind von mir selbst, weil ich noch dauernd am Layout rumgedoktert habe). Du hast recht, es ist ein bisschen lang geraten, aber das Jahr war ja auch recht lang (immerhin 52 Wochen). Gar nicht so einfach, das ganze einzudampfen. Das dollste ist: es ist immer noch gar nicht jedes interessante Ereignis verarbeitet (z.B. Pisa-Studie).

Danke nochmals für den Ansporn.

RL
 
E

ElsaLaska

Gast
Lieber Robert,

am Anfang, wenn man noch niemanden kennt, geht man sehr schnell unter.
Dann werden halt auch noch die kürzeren Texte lieber gelesen als die langen. Ist halt so.
Kleiner Tip:
Du kannst ja Teile posten. Zum Beispiel erstmal nur den Januar. Zwischendurch ein bisschen abwarten, runtersacken lassen, damit nicht soviel hintereinander vom selben Autoren im Forum steht, das kommt nämlich bei den anderen Autoren nicht so gut an.
Ist doch sonst schade um den schönen Text und das wunderbare Projekt:)
Liebe Grüsse
Elsa
 

Robert Lengo

Mitglied
Lieber Bernhard,

das ist sehr nett, danke. Komischerweise verliert man irgendwann das Gefühl dafür, was denn nun für andere Leser noch lustig ist und was nicht. Wenn mal jemand die Zeit hat, fänd ich's ja mal reizvoll zu lesen, welche Stellen gut waren und welche eher so naja. Ich selbst bin da ja sowas von befangen.

Dein,

RL
 
Eine Jahrerbilanz 2001

Lieber Robert,
Elsa hat natürlich recht. Ich habe mir Deine Jahresbilanz ausgedruckt und später in Ruhe durchgelesen. Sie wäre auf jeden Fall druckreif.
Sehr gut gefiel mir, wie Du den September behandelt hast. Ich hab damals ein Gedicht geschrieben, das ich erst jetzt als "Stoßgebet" unter -Humor & Satire- in die Lupe brachte.
Mach weiter so, aber möglichst mundgerecht. Gute Satiriker sind rar in der Lupe.
Viele Grüße -Bernhard-
 

manka

Mitglied
gut getroffen

Ciao Robert,

dank dir für die 15 Minuten Spaß. Würd mich auch noch über die 'versprochene' Pisa-Studie freuen.:)
Zwei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

und dokumentieren ihre Vision von einer besseren Welt voller Harmonie und internationaler Verständigung und so in Form ausgedehnter Straßenschlachten mit der Göteborger Polizei.den Satz find ich a weng komisch - ein zwei Kommas vielleicht?:D

Das zu erwartende Genörgel irgendwelcher spitzfindiger Querulanten wegen einer Regierungsbeteiligung der PDS wird schnell als unsachlich entlarvt, indem die PDS am Rande einer Veranstaltung als Fußnote zu einer Anmerkung im Umfeld eines Kommentars zu einer Zwischenbemerkung innerhalb eines Nebensatzes auf der Rückseite eines aufgeweichten Bierdeckels eine gewisse Neigung dokumentiert darauf hinzuweisen, dass ihr das mit der Mauer mitunter fast ein bisschen Leid tun könnte, aber dass es damit nun auch bitteschön sein Bewenden haben sollte.Klasse Satz! Mitunter verliere ich aber den Überblick

Ansonsten fand ich deinen Text so amüsant, dass ich ihn gerne in ein anderes Forum posten würde, um noch ein paar Leuten ne Freude zu machen. Wäre das in Ordnung für dich?

Liebe Grüsse

Manka
 

Robert Lengo

Mitglied
Lieber Bernhard,

Ich weiß die Aufmerksamkeit und die Ermutigung zu schätzen. Künftig wird es mundgerechtere Stücke geben.

Deine Auseinandersetzung mit dem September hat mir übrigens auch sehr sehr gut gefallen. Ein anderer lyrischer Kommentar, der - obwohl Jahrzehnte vorher geschrieben - recht gut die Sache beschreibt, stammt von Georges Brassens und ich schicke ihn Dir recht bald mal, weil er für Dich bestimmt sehr interessant ist.

Einstweilen besten Dank,

RL

Liebe Manka,

das mit der Pisa-Studie nimmt so langsam in meinem Kopf Gestalt an. Du kriegst es, wenn es fertig ist. Kannst es dann ja selbst einfügen.;-)

Was gemerkt? Ich übe schon, kürzere Sätze zu machen! Toll, nicht?

In den ersten Beispielsatz kriege ich irgendwie kein Komma rein. Ich gebe zu: so wie er ist, geht einem dabei sogar die Luft aus, wenn man ihn gar nicht laut liest. Dazu lasse ich mir noch was einfallen.

Natürlich würde ich mich freuen, wenn Du meinen Aufsatz weiterverbreitest. Allerdings wäre es mir sehr lieb, wenn Du dabei meinen Namen und meine e-mail Adresse mit angeben könntest, verbunden mit der Bitte um Feedback, denn das ist ja der ganze Gag an der Schreiberei für solche Foren. Außerdem wäre es lieb, wenn Du mir sagen würdest, wo Du das gute Stück noch platziert hast. Irgendwie ist ja jeder Text immer des Autors Baby und da will man ja schließlich wissen, wo die Blagen sich mal wieder so rumtreiben.

Herzlichst, Dein
RL
 



 
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