Eine Komödie

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Inni

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Eine Komödie


Es überwogen die Zeiten, in denen wir beide so lethargisch waren und ganze Wochen vergehen konnten, ohne dass wir miteinander sprachen.

Zwischen Tür und Angel streiften sich unsere Blicke, bestenfalls. Wir trösteten uns mit routinierten Belanglosigkeiten, unserem Frühstück beispielsweise. Während du mit einer Tasse Tee die Börsennachrichten im Fernsehen verfolgtest, wälzte ich mich in deinen verlassenen Laken und genoss so etwas wie Freiheit. Den Kaffee brachtest du mir wie jeden Morgen wortlos ans Bett. Nach dem Tee gingst du unter die Dusche und mit der Dusche stand ich auf, um deine Tasse wegzuräumen. Manchmal touchierten wir uns während der allmorgendlichen Zeremonie, zufällig, absichtliche Berührungsmomente gab es schon lange nicht mehr. Ich beklagte mich nicht und dir schien es sinnlos über die gelebte Monotonie zu debattieren.

\"Bis heute Abend.\", die Wohnungstür fiel ins Schloss und als wenn nur wenige Minuten vergangen wären, ging sie wieder auf. Während alles um uns herum wie eingefroren und statisch wirkte, schritt die Zeit trotzdem voran. Hätte ich diese Monate wenigstens mit Tagträumen verbracht, dich in meiner Vorstellung betrogen oder sogar umgebracht, wäre die Zeitverschwendung nicht so offensichtlich gewesen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, beneidete ich nicht mehr meine Nachbarn um die langjährige Ehe, sondern Menschen, die in ihrer Fantasie so etwas wie den Glauben an eine funktionierende Partnerschaft generierten. Es gab Paare, die sich im Abendprogramm Komödien oder Hollywood-Schmonzetten anschauten, während wir uns gezielt für das harte Dokumentationsleben oder einen Thriller entschieden. Wir lenkten uns nicht mal mehr ab; wenigstens das hatten wir noch gemein.

Im Laufe unseres Dahinvegetierens kochte ich nach dem Frühstück bereits das Mittagessen. Wir aßen allein; ich um dreizehn Uhr, du um neunzehn Uhr, ich während einer Talkshow, du während der Nachrichten. Eigentlich war es egal, was wir schauten, weil das, was wir sahen immer noch miserabler war, als das, was wir lebten. So gesehen ging es uns gut, den Nachbarn vielleicht besser und jenen, die imstande waren, aus ihrer kleinen Welt für einen illusorischen Moment auszubrechen sogar fantastisch, aber wir machten uns nichts vor; eine weitere Gemeinsamkeit.

Die Zeitintervalle, in denen ich mich fragte, was mich an deiner Seite hielt, wurden kürzer. Früher fragte ich dich, dann fragte ich nicht mal mehr mich. Ob du dich je etwas gefragt hast, hatte ich vergessen. Ich wusste nicht mal, ob du an den Müll dachtest oder ihn konditioniert mitnahmst. Letzteres hätte Auseinandersetzung bedeutet, doch auch daran kann ich mich nicht erinnern. Wir gingen unausgesprochen in unzählige Verlängerungen, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Nur der Tod sollte uns scheiden, so stand es wenigstens geschrieben.

Eines Tages traf ich an der Supermarktkasse eine von jenen Frauen, die viele Komödien schaute. Wir ödeten uns während der Warterei an und verglichen die Standardpakete in den Einkaufswagen: Dosenbier, Erdnüsse, Fernsehzeitung, ein Pfund Halb und Halb, passierte Tomaten, Nudeln und tief gefrorene Pizza. Dazwischen lagerten noch Folienwurst und abgepackter Gouda. \"Sie könnten mit meinem Mann verheiratet sein...\", sagte sie und ich nickte gleichgültig. Über uns ragten Schilder: \"Sollten Sie mehr als zehn Minuten an der Kasse warten, schreiben wir Ihnen fünf Prozent Ihres Wareneinkaufes gut!\"

Auf mehr als zehn Minuten Wartezeit bekam man also schon Rabatt.

Unsere Ehe war eine fortwährende Wartezeit und wenn Rabatte auf einem Zeitkonto gutgeschrieben würden, kämen pro Jahr 18, 25 Tage Warterei hinzu. Horrorfilme ließen mich schlecht schlafen und ich verwarf den Gedanken; stattdessen blätterte ich in der Fernsehzeitung. \"Verdammt, ich will dich\", las ich da, eine amerikanische Komödie, in der ein Straßenkünstler nach einer Vision seine Traumfrau sucht. Ich stöhnte und versuchte gerade die Seite umzuschlagen, als sich das Gesicht dieser Frau in eine honigsüße Grimasse verwandelte; sie tippte mit ihrem Zeigefinger auf den Titel des Films und sagte \"Irgendwann wird er mich finden...\". Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte ich und fragte sie nach ihrem Sternzeichen; Waage. \"Eine Zufallsbekanntschaft geht Ihnen nicht aus dem Kopf, gehen Sie der Sache nach und engagieren Sie sich.\" Ich konnte sehen, wie sie ihre flüchtigen Begegnungen im Geiste abarbeitete. Der Bäcker, der Metzger, der Briefträger, der Tankwart, ja selbst die verheirateten Nachbarn gerieten in den Focus ihrer Begierde. Sie gehörte ganz offensichtlich zu den Menschen, die sich den Alltag mit Illusionen und Träumen eines rundum glücklichen Lebens schön redete. Irgendwo auf diesem Planeten wartete der Prinzgemahl, und während sie bis gerade noch annahm, er würde sie ganz von alleine finden, stellte sie durch ein simples Horoskop fest, dass sie bislang auf Irrwegen spazierte. Dabei hatte ich nicht mal die Waage, sondern den Löwen vorgelesen, aber in ihrer selbst inszenierten Komödie, deren Ziel eine ausgewachsene Romanze werden sollte, spielte das wohl eine untergeordnete Rolle. Bislang wartete sie, so wie ich wartete. Sie wartete auf einen Anfang, ich wartete auf das Ende.

Während ich die Waren auf das Transportband der Kasse legte, erkannte ich die eigentliche Ironie des Horoskops. Obwohl es weder ihrs noch meins war, enthielt es die Lösung für uns beide. Alles eine Frage des Engagements, und was nicht von selbst geschieht, dem kann schon morgen nachgeholfen werden. Sie war meine Zufallsbekanntschaft, und ich ihre; ich sah mein Ende und ihren Anfang. Sie sah nichts außer einem eingebildeten Lichtschein am Horizont, dem ich nun Gestalt verleihen wollte. Ich kannte ihren Traumprinz.
\"Hätten Sie nicht Lust noch einen Kaffee mit mir zu trinken?\", fragte ich und bekam ein promptes \"Ja, gerne\" zur Antwort. Ihre voluminösen Traumblasen suchten ein Ventil und für mich war es eine gute Gelegenheit die Checkliste auf Details zu überprüfen. Sie war dreißig, hatte schulterlange, braune Haare, war schlank, wohlproportioniert und ansehnlich; gepflegte Hände und ein reinliches Gebiss rundeten das Bild ab. Einige Eckdaten fehlten noch; sie sollte nicht zu gebildet sein, eher schüchtern und bescheiden, einfach strukturiert, aber nicht naiv. Schließlich galt es die eingeschlafenen Instinkte und Sehnsüchte in dir zu wecken; ähnlich wie beim Konrad Lorenz Dampfkessel-Modell dachte ich dabei an das Lachtaubenmännchen, welches sich aus Reizmangel erst auf Papierschwalben stürzte und letzten Endes nicht mal mehr die Käfigstäbe anbalzte. In diesem Stadium befandest du dich gerade. Reizüberflutung hätte dich wahrscheinlich nur in die Flucht geschlagen und daher konnte ich dir nicht aus heiterem Himmel eine perfekte Lachtaube vor die Nase setzen.

Nachdem wir den Einkauf verstaut hatten, begaben wir uns in ein benachbartes Café; sie bestellte sich so ein neumodisches Mixgetränk in der Flasche und mir genügte ein Espresso. \"Probieren Sie mal; das habe ich neulich in der Werbung gesehen...\" und hielt mir das hin, was man in gemeinen Kneipen frisch gezapft als Dreckiges oder Krefelder bekam. Sie war ein perfektes Opfer, manipulierbar und voller Sehnsüchte. Während wir unsere Ehen aufarbeiteten, übte ich mich in Distanz. Sie sollte mich nur so sympathisch finden, wie es für einen Hausbesuch erforderlich war. Aber weil ich nicht den Eindruck einer moralisch gefestigten Ehefrau erwecken mochte und von vornherein ein schlechtes Gewissen hinsichtlich dem, was noch kommen sollte, ausschließen wollte, erzählte ich ihr, ein Verhältnis mit deinem Anlageberater zu haben. Nach anfänglichem Entsetzen, schlug ihre Stimmung in Bewunderung für meine Taten um und die Erinnerung an das, was in ihrem vermeintlichen Horoskop stand, erhöhte das Engagement. Gut vorbereitet für weitere Details, offerierte sie mir im Gegenzug ihre Rittervorstellungen und so fütterte ich die Ersatztaube weiter und weiter, während sie artig fraß. Du warst nun ihr Traumprinz, ich die abgelegte Magd mit neuen Schuhen und die Papierschwalbe sollte in zwei Tagen auf Wolke Sieben in unser marodes Nest fliegen.

Zuhause angekommen öffnete sich wenig später ein weiteres Mal die Tür und seit langer Zeit wartete ich ungeduldig auf dich. Während ich dir das Essen servierte, fiel mir ein halber Satz aus dem Kopf, \"Ich habe jemanden kennen gelernt...\". Desinteressiert verrührtest du wie üblich die zermanschten Kartoffeln mit der Rollbratensoße; das Gemüse wurde liebevoll und akkurat von der restlichen Mischpoke getrennt. Ordnung musste sein, selbst auf deinem Teller. \"So? Und?\". \"Eine Frau, ich habe sie eingeladen...übermorgen zum Spieleabend.\", und kramte derweil Trivial Pursuit aus einer der verstaubten Kommoden. Richtig oder falsch kann schließlich jeder antworten und geballtes Halbwissen würde sie für dich nur attraktiver machen, besonders dann, wenn ich mit ihrer Unwissenheit in deiner Gegenwart kokketiere. Du stochertest im Gemüse und mit jedem weiteren Wort zu ihrer Person vermischte sich das Essbare zu einer unansehnlichen, breiigen Masse.

An diesem Abend schauten wir eine Komödie

...und ich begann das Drehbuch für einen Thriller.
 

strumpfkuh

Mitglied
Super geschrieben! Glücklich, wer da seine eigene Ehe nicht doch auch ein kleines bißchen wieder erkennt, zumindest die schlechten Tage. Und am Ende eine interessante Idee, das Disaster zu beenden.
Schöne Grüße
Doro
 

Inni

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Hallo Doro,

danke für die Blumen. Na, ich will doch hoffen, dass sich der ein oder andere ansatzweise wieder erkennt; irgendwoher müssen die Klischees doch kommen. ;)

Was ich mit dem Ehemann und seiner Zukünftigen noch alles anstellen werde, ist mir allerdings selbst noch nicht ganz klar. Und bei aller Liebe zu Konstruktionen sollte man nie unterschätzen, dass so mancher Plan schon zum Selbstläufer, sprich Eigentor, wurde. :cool:
 



 
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