Eine Pfeife zu Weihnachten

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John House

Mitglied
Ich wünsche mir eine Pfeife zu Weihnachten, ich weiß immer noch nicht wofür, aber ich wünsche mir eine Pfeife zu Weihnachten. Vielleicht liegt es daran, dass der Poet in mir langsam wieder wächst, wieder gedeiht, wiederkommt. Er war lange Zeit verschwunden und ich suchte ihn vergebens, denn man kann ihn nicht finden, aber jetzt, wo es draußen, kalt, grau und wunderschön und drinnen warm, duftend und friedlich ruhig ist, da kommt er wieder und ich sag euch warum ich das weiß. Meine Haare wachsen wieder lang, sie waren kurz, militärisch kurz und ohne jede Romantik, aber cool und praktisch und irgendwelche anderen, unwichtigen Sachen und genauso versuchte ich cool und praktisch zu sein, doch der Poet kommt wieder und ich werde kompliziert und voller wärmender Sehnsucht. Mein Fett kommt wieder, es legt sich seicht und sachte um meinen Bauch, doch über den Sommer war es weg, ich war gerippt und viel zu stolz darauf, ich begann genauso zu prahlen und breit zu laufen, wie die Typen aus den ganzen Schulen, die ich nun belächele. Jetzt, gehe ich nur noch trainieren um mich durch die Qual zu bringen, die mein Gewissen bereinigen soll, aber nicht, um gerippt zu sein. Mein Fett legt sich wieder um mich und es interessiert mich nicht, denn mit ihm kommt die heilige friedliche Ruhe in mir zurück, die ich habe, wenn ich große vergilbte Bücher in meinem Schaukelstuhl lese, der hundert Jahre alt ist und wie alt ist euer Fitnessstudio? Ich lese vergilbte, dicke Bücher in diesem Schaukelstuhl, manche sind romantisch und poetisch geschrieben und ein Wolfe heult in mir auf, Thomas Wolfe, manche jedoch sind englisch und spontan geschrieben und nie in meinem Leben werde ich jedes Wort verstehen, doch ihre verzaubernde Melodie wächst in meinem auf und ab blähenden Herzen. Mein Tisch ist voll von leeren Tassen und angetrockneten Teesäcken, Pfefferminzduft vermischt sich hier mit dem Geruch aus einer weiteren Tasse, der Geruch von heißen, starken Kaffe, der Dörfer und nicht der Geruch von Automatenkaffe der Schulen und Büros und auch nicht der Duft von kalten, hässlichen Eiweißshakes, künstlich und schwer im Magen liegend. An manchen Tagen weht hier und da noch Heizungsluft durch den Raum und lässt mich meine dicken Bücher weglegen und dösen in meinem alten, treuen Stuhl. Mein Körper will aufschrecken, wenn er tief und hölzern knackt, doch ich weiß, dass er in diesem und im nächsten Leben nicht verbrechen wird und wenn der Frieden einmal enden sollte und alles, ja wirklich alles von dieser Fassade von Fitness und Gesundheit im Krieg zugrunde geht und ihr alle dumm aus der Wäsche schauen werdet, weil euch das alles verdammt und überrascht, ja da wird mein Schaukelstuhl stehen bleiben und niemand wird die vergilbten, dicken, Bücher neben ihm verbrennen, denn sie sind wahrhaftig, heilig. Und ich kann weiter darin sitzen, vielleicht die Uniform der Marine an, kurz bevor das nächste Einsatzschiff in die kriegerischen Fluten der zerstrittenen Welt auslegt und Joyce oder Thomas Wolfe lesen und weiß, dass das alles seinen Zweck hat und mein Fett und mein Haar und mein Zauber mich beschützen wird, draußen in der verkommenden Welt. Der Geist ist höher als der Körper es je sein kann, vergiss das nie, mein verlorener Leser, also wenn du ein warmes Lächeln hast und einen sehnsüchtigen Glanz in deinen träumerischen Augen, dann such dir jemanden, der diese Weisheit zu schätzen weiß und erkennt, anstatt jemanden, der dich gerippt und traurig machen wird. Also alles was mir noch fehlt ist diese eine Pfeife. Ich würde meine Eltern überreden sie in meinem Zimmer zu rauchen und den winterlich saftigen Duft und Rauch durch mein Zimmer versprühen, während ich durch meine Sagen lese oder schreibe und dieser Rauch wird meine Bücher noch gelber und meine Seele noch reiner machen, denn es ist irgendein Zauber in einer Pfeife, ein Stück Romantik und deswegen wünsche ich mir eine Pfeife zu Weihnachten.
 

Vagant

Mitglied
read kerouac!
.... ja, dieser atmelose erzählfluss, von thomas wolfe über vertrocknete pfefferminzteebeutel hin zu irgendwas, und dann wieder zu irgendwas, und wieder zu irgendwas und wieder zu irgendwas. war damals schon 'ne literarische sensation, der jack, und fesselt noch heute. allerdings weiß man heute, dass wir nicht die originalrolle von 'on the road' zu lesen bekommen haben – auch kerouac wurde von einem lektor zusammengestrichen, und man weiß halt auch, dass die frühen sachen (the town and the city) erzählerisch nicht unbedingt das gelbe vom ei waren, und die sachen nach 'on the road' (maggie cassidy) oft nicht an 'das buch' heran reichten. aber er hat 'on the road' geschrieben. wenn das nicht reicht, was dann?
 



 
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