Eine Reise

Die Hypnose beginnt und ich betrete die dunkle, enge Kammer meines erdachten Fahrstuhls, der mich hinab bringen soll, hinab in die Tiefe meiner Seele, meines Ichs, meines Daseins, in vergangene Leben und längst vergessene Welten.
Blei fließt durch meine Venen und erfasst jeden Muskel meines Körpers. Jeder Möglichkeit der Bewegung beraubt, lasse ich mich fallen, von dem Sog mitreißen und forttragen in die unendlichen Weiten meines eigenen Universums.
Die Wände des Fahrstuhls verschwinden, Bilder erscheinen und laufen wie ein Film vor meinem inneren Auge ab. Stationen meines Lebens rasen an mir vorbei, meine Hochzeit, die Geburt meiner Kinder, die bestandene Führerscheinprüfung, der Abschlussball, die Einschulung, die ersten Schritte, das erste Wort, meine Geburt. Und dann geht es noch weiter zurück.
Organe fliegen vorüber, Venen, Muskeln, Sehnen, Knochen, dann Zellen, Enzyme, Atome, bis Flüssigkeit mich umgibt, weich, warm, hingebungsvoll und Geborgenheitsspendend. Klein und immer kleiner bis zum winzigsten möglichen Punkt und dann der Moment, mit dem alles begann, mein Urknall, aller Anfang meines unbedeutenden Daseins.
Mein Körper pulverisiert langsam zu Staub um sich gleich darauf in Rauch zu verwandeln.
Eine ungeheure Leichtigkeit erfasst mich, die Schwerkraft hat keine Wirkung mehr und der Wind trägt mich davon. Immer höher steigend sehe ich die Welt, erst Straßen, Häuser, Flüsse, dann Berge und schließlich Meere, Länder, Kontinente und die Ozeane. Ich steige weiter und dann sehe ich den ganzen Erdball. Dunkle Flecken ziehen sich über die einstmals strahlend blaue Oberfläche. Ich sehe unsere Erde, krank, voller Parasiten, ein pulsierendes Geschwür im Sonnensystem.
Ich steige weiter, dem Höhepunkt entgegen, der allwissenden göttlichen Wahrheit. Strahlendleuchtende schillernde Farben wirbeln um mich herum, verschmelzen miteinander um sich dann wieder voneinander zu trennen und sich aufzulösen. Ich sehe das zarte silberne Band, das meinen Körper im Da und meinen Geist im Hier miteinander verbindet.
Plötzlich Laute die an mein Ohr drängen, erst leise Töne, zart und unklar, dann sich zu Worten formend um sich langsam schleichend in mein Bewusstsein zu drängen. Wie durch eine dicke Schicht Schlick sickern sie erst gedämpft, fast flüsternd, bittend und flehend, dann klarer werdend, fordernd, befehlend.
Voller Verlangen zerren die Worte an mir und wollen mich mitreißen. Ich muss gehorchen, ich habe keine Wahl. Dann falle ich, nur Bruchteile von Sekunden und ich bin zurück.
Ich muss mich kurz schütteln, um meiner Verwirrung Herr zu werden. Ich bin wieder zu Hause.
 

Ji Rina

Mitglied
Wow, Klein Lottchen! Hast Du eine Rückführung gemacht? Während des lesens, hab ich mich wie ein “Papiertütchen” gefühlt, das hinab gleitet – in sehr angenehme Sphären….Ich find dass du das schön beschrieben hast und der Effekt gelungen ist. Es hat mich an einen Nahtod erinnert – besonders am Ende, wenn die Stimmen erklingen und einem womöglich sagen: “noch nicht! Tut uns leid, aber ist noch zu früh”….Ein bisschen vermisst habe ich “die Kurzgeschichte”; klingt eher nach einem Bericht. Ich finde, hier hättest du ein schönes Ende – um eine Geschichte zu basteln.
Was meinst du?
Mit noch verschlafenen Morgensgrüsse,
Ji
 
Moin Ji,
eigentlich wollte ich den Text unter Kurzprosa einstellen, da hab ich aber nicht richtig aufgepasst und schwups war ich falsch.
Tatsächlich habe ich aus reiner Neugier mal eine Rückführung gemacht, oder besser gesagt, den Versuch dazu unternommen, denn geklappt hat es bei mir leider nicht. Auch mit Astralreisen habe ich noch keine eigenen Erfahrungen gemacht. Bisher also alles reine Phantasie, vielleicht könnte es aber so ähnlich sein, irgendwann probier ich es noch mal.
Freut mich aber wenn du es nachspüren konntest.
Viele Grüße
Lottchen
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo klein lottchen!

Ja, auch mich erinnert deine Schilderung an die Nah-Tod-Berichte.
Einige der Bilder finde ich nicht ganz gelungen, z. B.
[blue]Organe fliegen vorbei[/blue], eine merkwürdige Vorstellung, oder
[blue]Blei fließt durch meine Venen[/blue]
Auch die Vision von der Erde als [blue] ein pulsierendes Geschwür im Sonnensystem[/blue] leuchtet mir nicht so ganz ein.

Ansonsten: anschaulich geschrieben!

Gruß, Hyazinthe
 
Vielen Dank für den Hinweis mit der Nahtoderfahrung, vielleicht ändere ich das noch mal.
Dinge wie: Blei fließt durch meine Venen und Organe fliegen vorbei, ist in der Tat eine abstrakte Vorstellung. Aber ist so nicht die gesamte Reise? Von daher finde ich, passt es sehr gut.
Unsere Erde als pulsierendes Geschwür im Sonnensystem, keine schöne Vision, da gebe ich dir Recht. Bei dem, was wir unserem Planeten alles so antun, kann ich mir das allerdings sehr gut vorstellen.
Viele Grüße
klein lottchen
 



 
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